Behördliche Aufhebung von VAs (Grundfall): Widerruf eines belastenden VA
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Ein neues Gesetz ermächtigt Gemeinde G, einzelnen Hauseigentümern die Farbe der Außenfassade vorzugeben. G verfügt, dass E sein Haus schwarz-rot-gold streichen muss. Dann zweifelt G an der Rechtmäßigkeit des Gesetzes und hebt den mittlerweile bestandskräftigen Verwaltungsakt auf.
Einordnung des Falls
Behördliche Aufhebung von VAs (Grundfall): Widerruf eines belastenden VA
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Verwaltungsakte können von Behörden und Gerichten aufgehoben werden.
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Ja, in der Tat!
2. Nach §§ 48-50 VwVfG kann die Behörde den Verwaltungsakt nur auf Antrag des Bürgers aufheben.
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Nein!
3. Bei der Aufhebung von Verwaltungsakten unterscheidet man zwischen Rücknahme und Widerruf. Vorliegend handelt es sich um einen Widerruf.
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Genau, so ist das!
4. Neben der Frage, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, wird zwischen belastenden und begünstigenden Verwaltungsakten unterschieden. Hier liegt ein belastender Verwaltungsakt vor.
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Isabell
9.7.2021, 09:34:17
In eurem Fall schreibt ihr von einem bestandskräftigen VA. Bestandskräftig werden aber Bescheide. Verwaltungsakte werden rechtskräftig. Praktiker achten auf sowas 😅 ist mir selbst gerade angestrichen worden.

Ferdinand
10.7.2021, 10:24:05
Was soll denn ein Bescheid sein, wenn nicht VA?

Isabell
10.7.2021, 12:37:29
Ist richtig. Trotzdem wird da sprachlich unterschieden. Gibt ja auch VAe, die nicht durch einen Bescheid erlassen werden. Darauf weist diese andere Vokabel eben hin. Mir ist das gerade um die Ohren geflogen. Und meine Richterin ist keine besonders kleinliche Person.

Lukas_Mengestu
1.10.2021, 09:47:08
Hallo Isabell, vielen Dank für Deinen Hinweis. Du hast absolut recht, dass die Begriffe nicht synonym verwendet werden dürfen, auch wenn die Begriffe „Bestandskraft“ und „Rechtskraft“ im Grunde dasselbe Phänomen beschreiben, nämlich, dass gegen eine Entscheidung (Bescheid oder Urteil) nicht mehr vorgegangen werden kann und, dass sie endgültig und unanfechtbar ist. Der maßgebliche Unterschied liegt insoweit aber in dem Verfahrensstadium. Von Bestandskraft spricht man bei Verwaltungsakten/Bescheiden, gegen die sich der Bürger nicht innerhalb der Widerspruchs-/Klagefrist (§ 70 Abs. 1 bzw. § 74 Abs. 1 VwGO) gewehrt hat. Von der Bestandskraft ist die Rechtskraft zu unterscheiden, die dann relevant wird, wenn ein Verfahren bei Gericht betrieben wird. Gerichtsentscheidungen (z. B. Urteile und Beschlüsse) werden dann rechtskräftig, wenn gegen sie nicht mehr vorgegangen werden kann. Das ist dann der Fall, wenn Rechtsmittel nicht vorgesehen sind oder wenn die jeweilige Rechtsmittelfrist abgelaufen ist ohne dass das entsprechende Rechtsmittel eingelegt oder zurückgenommen worden ist. Die Verwendung des Begriffes der Rechtskraft für Verwaltungsakte ist nur dann rechtlich zutreffend, wenn das Verwaltungsverfahren bei Gericht anhängig war (z. B. Verpflichtungsklage, Anfechtungsklage), denn ohne ein Gerichtsverfahren ist für Rechtskraft kein Raum. Im vorliegenden Fall wurde ein Verwaltungsakt (in Form eines Bescheides) erlassen, das Haus zu streichen. Da hiergegen nicht vorgegangen wurde, ist dieser bestandskräftig geworden. Ich hoffe dadurch wird die Abgrenzung etwas klarer 😊 Beste Grüße Lukas – für das Jurafuchs-Team

Isabell
1.10.2021, 15:44:52
Aha. Das hat es jetzt wirklich um einiges klarer gemacht. Danke für die ausführliche Antwort. Je nach Prüfer ist das in der mündlichen Prüfung der i-Tupfen, der das Herz des Praktikers erfreut. Nichtverwaltungsrechtlern fällt das wahrscheinlich gar nicht auf.

Burumar🐸
29.8.2022, 20:23:10
Hier funktionieren dei Verlinkungen erneut nicht. Dieses Problem habe ich nur bei Fällen im Verwaltungsrecht-AT-Kurs.

Nora Mommsen
8.9.2022, 14:08:46
Hallo Burumar, hast du die aktuelle Version der App geladen? Ich habe es gerade getestet und da haben die Verlinkungen einwandfrei funktioniert. Sollte es auch nach dem Update Fehler geben schreib bitte eine Email mit Beschreibung deines Betriebssystems, Geräts und dem Fehler an den Support. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

I.am.Fox.
21.10.2022, 14:51:13
Ich habe eine Eselsbrücke: Rechtmäßiger VA hat zwei gesunde Beinchen, da reicht es ihn zu rufen (Wiederruf), er kann alleine zurücklaufen. Rechtswidriger VA ohne gesunde Beinchen, muss zurück genommen werden (Rücknahme).

Lukas_Mengestu
26.10.2022, 14:32:09
:D sehr cool! Wenn Du im Forum auf den Reiter "Allgemeines" klickst, findest Du eine Sammlung vieler weiterer User-Eselsbrücken :-) Wenn Du magst, kannst Du dort Deine Eselsbrücke ebenfalls hinzufügen! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp
27.2.2023, 18:45:21
Hi, es wird darauf verwiesen, dass der Widerruf einschlägig ist, weil das Gesetz als Ermächtigungsgrundlage noch besteht. Bestehen allerdings Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Gesetzes, wäre es doch Aufgabe eines Gutachtens dessen Recht- bzw. Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen? Ob Widerruf oder Rücknahme einschlägig ist, könnte man doch erst nach dem Ergebnis der Prüfung beurteilen, weil die Rechtmäßigkeit des VAs davon abhängt, ob er aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage ergangen ist.