Referendariat
Die Revisionsklausur im Assessorexamen
Begründetheit I: Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen
Mangel der Umgrenzungsfunktion - Unterlassene Nachantragsklage, §266 StPO
Mangel der Umgrenzungsfunktion - Unterlassene Nachantragsklage, §266 StPO
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A wird wegen Betruges in elf Fällen verurteilt. In sechs Fällen sind Tatzeitpunkt und Warenwerte von der Anklage verschieden, nur der Geschädigte und die Art der Ware stimmten überein. Das Gericht weist darauf hin, dass auch eine Verurteilung wegen dieser Taten möglich sei.
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Einordnung des Falls
Mangel der Umgrenzungsfunktion - Unterlassene Nachantragsklage, §266 StPO
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Staatsanwaltschaft legt in der Anklage fest, welche geschichtlichen Vorgänge im Prozess verhandelt werden sollen. Dies sind die Taten im prozessuale Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Gericht muss die gesamte prozessuale Tat aburteilen. Dies gilt auch für Teile der Tat, die erst in der Hauptverhandlung zutage treten.
Ja!
3. Im vorliegenden Fall war die rechtliche Bewertung der angeklagten und abgeurteilten Taten dieselbe. Handelte es sich deshalb um dieselben prozessualen Taten (§ 264 Abs. 1 StPO)?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Das Gericht erteilte einen Hinweis (§ 265 StPO), dass auch die sechs abweichenden Taten abgeurteilt werden dürfen. Wurden diese damit wirksam in den Prozess einbezogen, sodass eine wirksame Anklage vorliegt?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Die Voraussetzungen einer wirksamen Nachtragsanklage (§ 266 StPO) entsprechen denen der Anklage. Der Angeklagte muss der Einbeziehung jedoch zustimmen.
Ja!
6. Das Revisionsgericht hebt das Urteil auf und stellt das Verfahren im Bezug auf die sechs nicht angeklagten Taten ein (§ 206a Abs. 1 StPO).
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Hilfloser Melancholiker
15.10.2023, 11:39:13
Wieso wird in der Lösung auf § 206a StPO abgestellt? Der gilt doch nur im Zwischenverfahren, und regelt dort die Befugnisse des erstinstanzlichen Gerichts, nicht aber die des Revisionsgerichts...
Joma
1.11.2023, 16:40:22
jurafuchsles
10.12.2023, 18:37:42
Hier fehlt mir auch eine aufschlussreiche Antwort von Jurafuchs
Hannah
29.1.2024, 19:36:57
So verfährt wohl der BGH (Wahl des Rechtsmittelgerichts, ob es das Verfahren nach § 206a oder §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 1 erledigt), auch wenn der BGH "damit das Rechtsmittelsystem der StPO durcheinander[bringt]" M-G/S § 206a Rn. 6.
juravulpes
6.11.2024, 12:18:49
Die Vorschrift des § 206a StPO findet nach herrschender Ansicht in jedem Verfahrensstadium nach Eröffnung des Hauptverfahrens Anwendung (BGH, NJW 1971, 2272 (2
273); Wenske/MüKo StPO § 206a Rn. 13; Ritscher/BeckOK StPO § 206a Rn. 2; Schneider/Karlsruher Komm StPO § 206a Rn. 4). Sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im Rechtsmittelverfahren kann das Gericht das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung nach § 206a StPO einstellen, wenn ein dauerhaftes Verfahrenshindernis eintritt. Durch die Einstellung im Rechtsmittelverfahren wird das ergangene Urteil gegenstandslos, ohne dass es einer Aufhebung bedarf. Die Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO ohne gesonderte Urteilsaufhebung erklärt sich vor dem Hintergrund, dass das Rechtsmittelgericht in diesem Fall nicht das Urteil überprüft, sondern nur ein Ereignis berücksichtigt, das danach eingetreten ist und eine neue Verfahrenslage geschaffen hat. Tritt ein unbegehbares Verfahrenshindernis im Ermittlungsverfahren ein, erfolgt die Verfahrenseinstellung nach 170 Abs. 2 StPO, im Zwischenverfahren ist die Eröffnung der Hauptverhandlung abzulehnen. Umstritten ist lediglich die Frage, ob eine Einstellung nach § 206a StPO im Rechtsmittelverfahren auch dann in Betracht kommt, wenn das Verfahrenshindernis bereits vor der erstinstanzlichen Entscheidung eingetreten ist, also vom Ausgangsgericht übersehen wurde. Während der BGH die Vorschrift des § 206a StPO auch hier für anwendbar hält, geht die wohl herrschende Meinung in der Literatur davon aus, dass in diesem Fall nur eine Einstellung nach § 354 Abs. 1 StPO mit vorheriger Aufhebung des (fehlerhaft ergangenen) Urteils in Betracht kommt. Die Aufhebung des Urteils soll sich - je nachdem, ob die Entscheidung ohne oder mit Hauptverhandlung ergeht - nach § 349 Abs. 4 StPO bzw. § 353 Abs. 1 StPO richten.