Zivilrecht

Sachenrecht

Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen

Klassiker: Der Jungbullenfall – gegen Metzgermeister

Klassiker: Der Jungbullenfall – gegen Metzgermeister

4. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

D stiehlt von L zwei Jungbullen (Wert: € 200) und veräußert sie für € 150 an die gutgläubige Fleischerin F. F verarbeitet die Bullen zu Schinken (Wert: € 500). L fragt sich, welche Ansprüche ihr gegen F zustehen.

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Einordnung des Falls

Klassiker: Der Jungbullenfall – gegen Metzgermeister

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L hat das Eigentum an den Jungbullen durch Veräußerung von D an F verloren.

Nein, das ist nicht der Fall!

Veräußert ein Nichtberechtigter eine Sache an einen Dritten, kann dieser Eigentum an der veräußerten Sache nach den Vorschriften zum gutgläubigen Erwerb erwerben (z. B. § 929 S. 1 i.V.m. § 932 I 1 BGB). Dies ist aber ausgeschlossen, wenn die Sache abhandengekommen ist (§ 935 BGB). Abhandenkommen meint den unfreiwilligen Besitzverlust des unmittelbaren Besitzers. Auf die Veräußerung von Tieren sind die für Sachen geltenden Vorschriften gem. § 90a S. 3 BGB entsprechend anzuwenden.Vorliegend war F zwar gutgläubig bezüglich der Eigentümerstellung des D. Allerdings wurden die Bullen der L gestohlen. Ein gutgläubiger Erwerb ist somit nach § 935 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
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2. Ist L damit auch Eigentümerin des Schinkens?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 950 BGB erwirbt jemand, der (1) durch Verarbeitung, (2) eine neue bewegliche Sache herstellt, Eigentum an der neuen Sache, wenn (3) der Verarbeitungswert nicht erheblich geringer ist als der Wert der Ausgangsstoffe.F hat die Bullen geschlachtet und zu Schinken weiterverarbeitet. Der Schinken stellt im Verhältnis zu den Bullen auch eine neue Sache dar. Der Wert der Verarbeitung beträgt € 300 und ist damit nicht erheblich geringer als der, der Bullen. Damit hat F durch die Verarbeitung Eigentum am Schinken erworben, während L ihr Eigentum verloren hat.

3. L kann von F zum Ausgleich des Eigentumsverlusts Vergütung in Geld verlangen (§ 951 BGB), wenn die weiteren Voraussetzungen der §§ 812ff. BGB erfüllt sind.

Ja!

Nach § 951 Abs. 1 S. 1 BGB kann jemand, der sein Eigentum infolge der Vorschriften der §§ 946-950 BGB verliert, von demjenigen, der nach diesen Vorschriften Eigentum erwirbt, Vergütung in Geld nach den Vorschriften der §§ 812ff. BGB verlangen. Bei dieser Verweisung handelt es sich nach h.M. um eine Rechtsgrundverweisung, d.h. es müssen sämtliche weitere Voraussetzungen des Bereicherungsrechts vorliegen.L hat nach § 950 Abs. 1 S. 1 BGB ihr Eigentum an ihren Bullen zugunsten der F verloren. Liegen die weiteren Voraussetzungen der §§ 812ff. BGB vor, kann sie daher Vergütung in Geld verlangen.In einer Klausur wären zuvor noch Ansprüche aus EBV (§§ 989, 990 BGB) bzw. Delikt (§ 823 Abs. 1 BGB) zu prüfen. Ansprüche aus EBV scheiden indes aufgrund der Gutgläubigkeit der F aus. Für deliktische Ansprüche fehlt es am Verschulden der F. Zudem greift hier die Sperrwirkung des EBV (§ 993 Abs. 1 BGB aE). Mehr dazu in der Einheit zum EBV.

4. Hat F das Eigentum an dem Schinken durch Leistung der L erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) setzt voraus, dass der Bereicherungsschuldner (1) etwas, (2) durch Leistung des Bereicherungsgläubigers und (3) ohne Rechtsgrund erlangt hat. „Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.Zwar hat F Eigentum an dem Schinken erlangt. F hat das Eigentum aber nicht durch Leistung der L erlangt.

5. Die Veräußerung von D an F sperrt einen Anspruch der L aus Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist anerkannt, dass die Eingriffskondiktion subsidiär zur Leistungskondiktion ist. Bei der Rückabwicklung in einem Drei-Personen-Verhältnis muss sich jede der beteiligten Personen grundsätzlich an ihren jeweiligen Leistungspartner halten.D konnte der F nur den Besitz, nicht jedoch das Eigentum an den Bullen verschaffen. Der Kondiktionsanspruch der L bezieht sich aber gerade auf das Eigentum an dem Schinken als erlangtes „etwas“. Dieses Eigentum hat F aber kraft Gesetzes auf Kosten der L erlangt und gerade nicht durch Leistung des D erlangt. Somit ist die Eingriffskondiktion nicht aufgrund vorrangier Leistung gesperrt.

6. F kann aber einwenden, dass sie in Höhe des Kaufpreises (€150) entreichert (§ 818 Abs. 3 BGB) ist.

Nein!

Kann das Erlangte, die Nutzungen oder das Surrogat nicht (mehr) so, wie es erlangt worden sind, herausgegeben werden, ist nach § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Die Wertersatzpflicht steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Einwendung der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) nicht greift. Besteht der Kondiktionsanspruch als „Ersatz“ für den Vindikationsanspruch (§ 985 BGB), kann sich der Anspruchsgegner nicht auf eine etwaige Entreicherung durch den Kaufpreis berufen. Denn diese Entreicherung könnte er auch nicht gegen den Vindikationsanspruch geltend machen.Bis zur Verarbeitung der Bullen stand L ein Vindikationsanspruch gegen F zu. Dieser ist erst durch die Verarbeitung untergegangen. An dessen Stelle ist der Bereicherungsanspruch getreten. Dementsprechend kann F den gezahlten Kaufpreis nicht als Entreicherung geltend machen.Stattdessen muss sich F bezüglich des Kaufpreises an D halten.

7. Wird die Anwendung des Bereicherungsrechts im vorliegenden Fall durch § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB ausgeschlossen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Liegt eine Vindikationslage (=Eigentümer-Besitzer-Verhältnis) vor, ist der Besitzer dem Eigentümer grundsätzlich nur dann zum Schadensersatz und zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet, wenn er bösgläubig oder verklagt war (§§ 987ff. BGB). Im Übrigen entfaltet das EBV Sperrwirkung (§ 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB). Dies gilt indes nicht für Ansprüche, die nicht die Nutzung, sondern die Sachsubstanz selbst bzw. ihre Surrogate betreffen. Im Hinblick auf diese genießt der Besitzer keinen Schutz.Der vorliegende Bereicherungsanspruch ist darauf gerichtet, den Verlust des Eigentums zu kompensieren. Es handelt sich nicht um einen Schadensersatzanspruch bzw. Nutzungsersatzanspruch des Eigentümers und unterfällt somit nicht der Sperrwirkung des EBV. Mehr über das Zusammenspiel des EBV gegenüber anderen Ansprüchen sowie den Umfang der Sperrwirkung, erfährst Du in der Einheit Eigentümer-Besitzer-Verhältnis.

8. L steht somit ein Wertersatzanspruch i.H.v. € 200 gegen F zu.

Ja, in der Tat!

Der Anspruchsteller nach §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB kann Entschädigung in Geld und gerade nicht Übereignung der neuen Sache oder die Wiederherstellung des früheren Zustands verlangen (§ 951 Abs. 1 BGB). Der Erwerber muss den Wert des Erlangten herausgeben. Bei dem Eigentumserwerb nach § 950 Abs. 1 S. 1 BGB ist dies der Wert des Ausgangsstoffes.F ist in Höhe des Werts der Bullen bereichert. Diesen Wert muss sie herausgeben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

9.2.2023, 16:12:27

Wie lässt sich hier die Abschöpfungsfunktion des BereicherungsR in einen Ausgleich mit der Wertersatzfunktion des § 951 bringen? Einfach argumentativ mit der Gutgläubigkeit des Verarbeitenden?

Ala

Ala

17.9.2024, 18:34:30

Die Frage finde ich auch sehr interessant!

Skywalker

Skywalker

4.7.2023, 22:16:10

Parallel zu dem nächsten Fall (

Einbaufall

) wäre es hier auch noch gut anzumerken, dass die Wertungen der

932

ff iVm 816 I 1 einer

Eingriffskondiktion

der L gegen F entgegenstehen könnte. Denn nur weil hier aufgrund der Entwendung des D ein

gutgläubiger Erwerb

der F hypothetisch nicht! in Frage kommt, hat L eine

Eingriffskondiktion

gegen F. Das vervollständigt dann meiner Meinung nach das „Gesamtbild“etwas besser.


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