Zweckmäßigkeit - Reaktion bei vollumfänglich begründeter Klage

12. Juni 2025

13 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mandant M erscheint bei Anwältin A. Er trägt vor, dass er von K auf Zahlung von €4.000 verklagt wird. Die Klage ist vollumfänglich begründet. M hat vorprozessual gegenüber K dessen Anspruch zurückgewiesen.

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Einordnung des Falls

Zweckmäßigkeit - Reaktion bei vollumfänglich begründeter Klage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A sollte M raten, den Anspruch unter Verwahrung gegen die Kostenlast anzuerkennen (§§ 307, 93 ZPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast ist zweckmäßig, wenn der Mandant durch sein Verhalten vorprozessual keinen Anlass zur Klageerhebung durch den Kläger gegeben hat. Nur dann werden die Prozesskosten gem. § 93 ZPO dem Kläger auferlegt. Hier hat M vorprozessual den Anspruch des K jedoch zurückgewiesen und ihn somit zur Klageerhebung veranlasst. Ein sofortiges Anerkenntnis scheidet damit aus, denn M könnte die Kosten ohnehin nicht über § 93 ZPO auf K abwälzen.
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2. Auch wenn ein sofortiges Anerkenntnis ausscheidet, ist es zweckmäßig, den Anspruch im Termin anzuerkennen (§ 307 ZPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Durch das Anerkenntnis (§ 307 ZPO) ermäßigt sich zwar die Gerichtsgebühr von 3,0 auf 1,0 (Nr. 1211 KV GKG). Gleichwohl erhalten die Anwälte jeweils es eine Verfahrensgebühr (1,3-facher Satz) und eine Terminsgebühr (1,2-facher Satz) (Nr. 3100, 3104 Nr. 1 VV RVG). M müsste auch bei einem „normalen“ Anerkenntnis nahezu alle Kosten tragen. Nur die Gerichtsgebühr reduziert sich, nicht aber die Terminsgebühr. Zudem erhält K einen Titel, der nach §§ 708 Nr. 1, 711 ZPO ohne Sicherheitsleistung und ohne Abwendungsbefugnis vorläufig vollstreckbar ist. Ein solches Vorgehen ist nicht zweckmäßig.

3. A wird M raten, ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen.

Nein!

Wenn ein Versäumnisurteil ergeht, ermäßigt sich die Gerichtsgebühr nicht (weiterhin 3,0). Auch erhält der Klägeranwalt eine normale Verfahrensgebühr (1,3), aber nur eine 0,5-fache Terminsgebühr (Nr. 3100, 3105 VV RVG). Der Beklagtenanwalt erhält -sofern er bereits als Prozessvertreter tätig geworden ist - nur eine 0,8-fache Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG). Ist er noch nicht tätig geworden, erhält er sogar nur eine Beratungsgebühr nach § 34 RVG. Da er aufgrund der gewollten Säumnis keinen Termin wahrnimmt, entsteht keine Terminsgebühr für den Beklagtenanwalt. Die Kosten für M würden danach zwar etwas verringert. Allerdings erhält der Kläger durch das Versäumnisurteil einen ohne Abwendungsbefugnis vorläufig vollstreckbaren Titel (§§ 708 Nr. 2, 711 ZPO). Es gibt weitere Vorgehensweisen, die vorteilhafter für M sind.

4. Für M wäre es zweckmäßig, die €4.000 sowie alle Zinsen und alle Anwalts- und Gerichtskosten unverzüglich an K zu zahlen, um diesen komplett klaglos zu stellen und außergerichtlich bei K anzuregen, die Klage zurückzunehmen.

Genau, so ist das!

Durch die Erfüllung der Hauptsache sowie Zahlung der Zinsen und aller Kosten wird die Klage nachträglich unbegründet. Dadurch wäre der Kläger klaglos gestellt. Nimmt der Kläger sodann aufgrund der außergerichtlichen Anregung die Klage zurück, dann ermäßigen sich die Gerichtsgebühren - anders als beim Versäumnisurteil - von 3,0 auf 1,0 (Nr. 1211 Nr. 1 KV GKG). Um die Anwaltskosten möglichst gering zu halten, sollte die Klaglosstellung und Kontaktaufnahme zum Kläger (und nicht zu dessen Anwalt) durch den Mandanten selbst erfolgen. Dann fällt weder eine Terminsgebühr noch Einigungsgebühr an. Bei diesem Vorgehen würde der Klägeranwalt lediglich eine 1,3 Verfahrensgebühr und der Beklagtenanwalt nur eine 0,8 Verfahrensgebühr erhalten. Dieses Vorgehen ist kostengünstig. Zudem erhält K so keinen Titel.Werden die Anwälte eingeschaltet, entstehen auf beiden Seiten die vollen Anwaltskosten sowie ggf. eine Einigungsgebühr (Nr. 1000 VV RVG).

5. Alternativ kann A dem M raten, die €4.000 unverzüglich an K zu zahlen und bei diesem die Abgabe einer Erledigungserklärung anzuregen, wobei M schon jetzt antizipiert den Anschluss an die Erledigungserklärung des K erklären sollte.

Ja, in der Tat!

Die beste Reaktion des beklagten Mandanten bei vollumfänglich begründeter Klage ist grundsätzlich: (1) Erfüllung der Klageforderung, (2) Anregung der Abgabe einer Erledigungserklärung beim Kläger, (3) antizipierter Anschluss an diese Erledigungserklärung durch den Mandanten (insoweit kein Anwaltszwang, §§ 91a Abs. 1 S. 1, 78 Abs. 3 ZPO), (4) Erklärung der Kostenübernahme gegenüber dem Gericht sowie Anregung eines Beschlusses ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 3, 4 ZPO). Folgen: Dadurch ermäßigt sich die Gerichtsgebühr von 3,0 auf 1,0 (Nr. 1211 Nr. 4 KV GKG). Die Verfahrensgebühren für die Anwälte sind dieselben wie bei Klaglosstellung (Klägeranwalt 1,3; Beklagtenanwalt 0,8) (s.o.). Eine Terminsgebühr entsteht nicht. Dieses Vorgehen ist gegenüber der Möglichkeit der „sofortigen Klaglosstellung“ noch besser für M, weil er hier erst später die Anwalts- und Gerichtskosten an den K zahlen muss, nämlich erst, nachdem der § 91a-Beschluss ergeht. Beachte: Das Vorgehen ist letztlich abhängig vom Mandantenbegehren und dessen finanziellen Möglichkeiten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HME

Hilfloser Melancholiker

16.4.2024, 19:24:30

Aber wird die Gegenseite dann nicht einfach für erledigt erklären, statt zurückzunehmen? Angenommen, man schließt sich dann der Erledigungserklärung an, wäre der dann ergehende Kosten

beschluss

billiger (oder genauso billig), wie ein

Anerkenntnis

urteil, hätte man anerkannt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.4.2024, 16:04:49

Hallo hilfloser Melancholiker, in der Tat kann sich der Kläger aussuchen, ob er die Klage zurücknimmt oder für erledigt erklärt. Wir haben dies noch ergänzt und dabei auch klargestellt, dass auch der Anschluss zur Erledigung zweckmäßig im Hinblick auf die Kosten ist. Ein Vorteil, den die Rücknahme-/Erledigungserklärung ggü. dem

Anerkenntnis

urteil haben, ist der Umstand, dass der Kläger keinen vollstreckbaren Titel erhält. Damit wird also auch weiteren Kosten vorgebeugt, die im Falle einer Zwangsvollstreckung anfallen würden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

HME

Hilfloser Melancholiker

18.4.2024, 16:57:38

Klasse, vielen Dank für die super schnelle Antwort!!

LO

Lorenz

12.4.2025, 16:50:20

Also hängt sowohl die sofortige Klaglosstellung, als auch die

Erfüllung

davon ab, dass der Kläger mitmacht und den Prozess nicht einfach durchziehen will?

MO

moritzsthd

14.4.2025, 10:21:26

Naja, in beiden Fällen wird die Klage ja nachträglich unbegründet. Die Klage würde also abgewiesen und dem Kläger die Kosten auferlegt werden. Er wird sich also sinnvollerweise entweder zur Rücknahme oder Erledigungserklärung entscheiden; wenn nicht, umso besser.

LO

Lorenz

14.4.2025, 10:34:19

Aber würde der Kläger in dieser Situation nicht typischerweise die Klage in eine FK umstellen und so gewinnen?

EN

Entenpulli

30.4.2025, 09:37:06

@[Lorenz](211175) Das war auch mein Gedanke. Allein deshalb wird es wohl in der Praxis keinen Sinn machen so ohne Anwalt vorzugehen. Das macht denke ich nur Sinn, wenn die Anwälte untereinander aushandeln, dass so vorgegangen wird. Aufgabe des Beklagtenanwalts wäre also, den gegenerischen Anwalt davon zu überzeugen, dass es ansonsten wesentlich aufwendiger und länger würde, um an das

geld

zu kommen (zB weil der Beklagte kaum

Geld

hat und eine Zwangsvollstreckung daher riskant wäre).

LO

Lorenz

30.4.2025, 10:46:27

@[Entenpulli](169608) wobei dann natürlich wieder Gebühren für die Anwälte anfallen...Es dürfte insgesamt nicht sehr praxistauglich sein.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.5.2025, 09:54:54

Hallo @Lorenz, ich fürchte, ich habe den Hintergrund Deiner Frage noch nicht ganz verstanden. Nachfolgend trotzdem mal meine Gedanken dazu. Wenn etwas unklar geblieben ist, melde Dich gerne nochmal. Der Zivilprozess ist so gesehen immer davon abhängig, dass der Kläger "mitmacht", denn er bestimmt grds über den Streitgegenstand bzw der Beklagte kann jedenfalls nicht einseitig über diesen Gegenstand disponieren. Und was genau meinst Du mit "den Prozess durchziehen"? Lässt der Kläger das Verfahren auf eine Zahlung des Beklagten hin einfach laufen, wird die Klage als unbegründet abgewiesen und der Kläger verliert und trägt die kompletten Kosten, wie @[moritzsthd](296153) völlig richtig gesagt hat. Der Kläger hat also schon ein eigenes Interesse daran, den Prozess nicht einfach "durchzuziehen". Du, Lorenz, bringst noch eine

Feststellungsklage

ins Spiel. Aber worauf soll diese

Feststellung

gerichtet sein? Rechtlich und wirtschaftlich interessant ist für den Kläger doch nur noch, dass er nicht die Kosten tragen muss - und dafür ist genau die Erledigungserklärung da. Der Versuch der Umstellung auf eine

Feststellungsklage

ohne relevantes

Feststellung

sinteresse iSd § 256 I ZPO riskiert jedenfalls, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Es kann auch in der Praxis durchaus mal sinnvoll sein, das Ganze gerade nicht auf der "Anwaltsebene" durchzuziehen, @[Entenpulli](169608). Das setzt aber natürlich voraus, dass der Kläger entweder gewisse juristische Vobildung hat oder man ihm, falls das nicht der Fall ist, als Beklagter vermitteln kann, warum es hier (auch für ihn!) nicht wirtschaftlich sinnvoll ist, die Klage fortzuführen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

LO

Lorenz

26.5.2025, 10:11:37

@[Sebastian Schmitt](263562) Das heißt, dass wenn der Beklagte eine Erledigung mit vollständiger Klaglosstellung anregt, das

Feststellung

sinteresse des Klägers für eine FK entfällt?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.5.2025, 11:24:13

Hallo @Lorenz, das kann ich so abstrakt kaum beantworten, dazu müsstest Du zunächst die auch schon oben von mir gestellte Frage beantworten, was genau der Kläger denn noch festgestellt haben möchte - geht es um die Kostentragung, um die Erledigung, um irgendwelche (angeblich) verbleibenden "inhaltlichen" Interessen? Davon hängt die Antwort entscheidend ab. Jedenfalls dann, wenn es allein um die Kostentragung geht und der Beklagte der Erledigung zustimmt, hält das Gesetz aber mit § 91a ZPO genau die prozessuale Möglichkeit bereit, die der Kläger anstrebt. Es ist mE zumindest zweifelhaft, dass sich der Kläger der mit § 91a I ZPO intendierten Verfahrenserleichterung und Schonung der gerichtlichen Ressourcen einfach durch eine simple Umstellung auf eine

Feststellungsklage

entziehen können soll (aA mit entsprechender Argumentation ggf vertretbar, detailliert zu den recht ausdifferenzierten Streitständen BeckOK-ZPO/Jaspersen, 56. Ed, Stand 1.3.2025, § 91a Rn 6 ff; MüKoZPO/Schulz, 7. Aufl 2025, § 91a Rn 19 ff). Dogmatisch verankern ließe sich das eben zB beim (fehlenden)

Feststellung

sinteresse nach § 256 I ZPO. In der Praxis wird man in aussichtslosen Fällen als Beklagter zusammen mit der (antizipierten) Zustimmung zur Erledigung häufig auch gleich die Bereitschaft zur Kostenübernahme erklären. Spätestens dann dürfte es für eine verbleibende

Feststellungsklage

des Klägers rechtlich sehr "dünn" werden. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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