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Halterhaftung bei Kollision von Fahrrad & Pferd

Halterhaftung bei Kollision von Fahrrad & Pferd

20. Mai 2025

22 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O macht einen Fahrradausflug. Ihr kommt Hobbyreiterin R auf ihrem Pferd entgegen. Als O an der R und ihrem Pferd vorbeifährt, bewegt das Pferd überraschend sein Hinterteil in Os Richtung und stößt O vom Rad. Beim Sturz bricht O sich die Schulter.

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Einordnung des Falls

Halterhaftung bei Kollision von Fahrrad & Pferd

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mangels vertraglicher Beziehung zwischen O und R, kommt als Anspruchsgrundlage allein eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB scheitert tatsächlich bereits an dem Bestehen einer schuldrechtlichen Sonderverbindung zwischen R und O, sodass vor allem deliktische Ansprüche in Betracht kommen. Dabei kommt allerdings nicht nur ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht, sondern auch ein Anspruch aus der Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB. Der Anspruch aus § 833 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Personen- oder Sachschaden (2) Durch ein Tier verursacht (3) Anspruchsgegner ist Tierhalter (4) Tier ist ein Luxustier (5) Kein Ausschluss (zB § 254 BGB). Die Gefährdungshaftung solltest Du vorrangig prüfen, da sie - anders als die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB - kein Verschulden erfordert!
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2. Os Schulterverletzung stellt einen Personenschaden dar.

Ja, in der Tat!

Personen- oder Sachschaden meint die Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum. Insoweit gilt das gleiche Verständnis wie bei § 823 Abs. 1 BGB.O hat sich an ihrer Schulter verletzt und somit eine Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit erlitten.

3. Damit die Rechtsgutverletzung „durch ein Tier“ i.S.d. § 833 BGB eingetreten ist, genügt es, dass das Verhalten des Tieres äquivalent kausal für die Verletzung geworden ist.

Nein!

Die Rechtsgutverletzung „durch ein Tier“ ist entscheidendes Zurechnungskriterium der Haftung aus § 833 BGB. Allein eine äquivalent kausale Verknüpfung genügt hierfür nicht aus. Vielmehr muss sich insbesondere eine typische Tiergefahr realisiert haben. Hierfür muss das Verhalten des Tieres ein aus der Unberechenbarkeit von Tieren resultierender Ausbruch tierischer Natur sein.Entspringt die Rechtsgutsverletzung der typischen Tiergefahr, so ist sie adäquat kausal.

4. Hat sich in dem Stoß des Pferdes eine typische Tiergefahr realisiert?

Genau, so ist das!

Eine typische Tiergefahr hat sich realisiert, wenn es sich um einen typischen, aus der Unberechenbarkeit von Tieren resultierenden, Ausbruch tierischer Natur handelt. Bei abrupten Bewegungen eines Tieres handelt es sich um einen typischen Ausbruch tierischer Natur. Der hierdurch ausgelöste Zusammenprall und Sturz der O sowie die daraus folgende Verletzung beruhen deshalb auf einer typischen Tiergefahr. Im Originalfall war es streitig, ob das Pferd die Radfahrerin tatsächlich berührt hat. Nach Ansicht des Gerichts hätte eine ausreichende kausale Verbindung aber auch dann bestanden, wenn keine Berührung erfolgt und der Sturz infolge einer notwendigen Bremsung durch O erfolgt wäre. Eine typische Fallgruppe, in der die Realisierung einer typischen Tiergefahr streitig wird, ist, der gezielte Einsatz eines Tieres gegen einen Menschen (z.B. Hetzen eines Hundes).

5. Der Anspruch aus § 833 S. 1 BGB richtet sich gegen die Eigentümerin des Pferdes.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch aus § 833 S. 1 BGB richtet sich gegen die Halterin. Regelmäßig ist die Eigentümerin auch Halterin. Dies ist aber keineswegs zwingend. Halterin ist, wer das Tier im eigenen Interesse hält und die tatsächliche Sachherrschaft ausübt. Entscheidend ist insoweit die Verkehrsauffassung und eine Abwägung im Einzelfall. Da der Sachverhalt keine weiteren Angaben zu R macht, ist hier zu unterstellen, dass sie Halterin ist. Wer Halter ist, kannst Du Dir gut im Zusammenhang mit dem Schutzzweck des § 833 S. 1 BGB merken! Zum einen soll ein Anreiz für eine möglichst weitgehende Kontrolle über das Tier geschaffen werden, zum anderen soll derjenige die Kosten tragen, der auch den Nutzen aus dem Tier zieht.

6. Eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung besteht nur bei Luxustieren.

Ja!

§ 833 BGB differenziert zwischen Luxustieren und Nutztieren. Bei Nutztieren wird das Verschulden des Halters nur vermutet (§ 833 S. 2 BGB), eine Exkulpation ist aber möglich. Bei Luxustieren handelt es sich dagegen um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung (§ 833 S. 1 BGB). Eine Exkulpation ist nicht möglich. Man kann § 833 S. 1 und S. 2 BGB sowohl getrennt als auch zusammen prüfen. Prüft man zusammen, muss man bei dem Prüfungspunkt „Luxustier“ differenzieren.

7. Haustiere sind immer Nutztiere und keine Luxustiere.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nutztiere sind Haustiere, welche einer Tätigkeit, die auf eine Gewinnerzielung ausgerichtet ist, dienen. Luxustiere sind alle Tiere, die keine Nutztiere sind. Es handelt sich damit um eine negative Begriffsbestimmung. Luxustiere sind somit alle Tiere, die entweder kein Haustier oder zwar ein Haustier, aber nicht dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sind. Was ein Haustier ist, bestimmt sich nach der inländischen Verkehrsauffassung. Wilde Tiere (vergleiche § 960 BGB) sind keine Haustiere und fallen deshalb von vornherein nicht unter § 833 S. 2 BGB.

8. Handelt es sich beim Pferd von O um ein Luxustier?

Ja, in der Tat!

Luxustiere sind alle Tiere, die keine Nutztiere sind. Nutztiere sind Haustiere, welche einer Tätigkeit, die auf eine Gewinnerzielung ausgerichtet ist, dienen. Was ein Haustier ist, bestimmt sich nach der inländischen Verkehrsauffassung. Pferde werden in Deutschland als Haustiere gehalten. O reitet jedoch nur hobbymäßig und setzt es nicht zur Gewinnerzielung ein. Es ist damit kein Nutz-, sondern ein Luxustier. Der Grund für die Unterscheidung zwischen Nutztier und Luxustier ist eine beabsichtigte Erleichterung für alle, die auf Tiere für ihre Erwerbstätigkeit angewiesen sind.

9. Somit besteht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus § 833 S. 1 BGB.

Ja!

Der Anspruch aus § 833 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Personen- oder Sachschaden (2) Durch ein Tier verursacht (3) Anspruchsgegner ist Tierhalter (4) Tier ist ein Luxustier (5) Kein Ausschluss (z.B. § 254 BGB)Wie dargelegt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor. Anhaltspunkte für ein Mitverschulden (§ 254 BGB) der O sind nicht ersichtlich, sodass der Anspruch weder gekürzt noch ausgeschlossen ist.

10. O hat lediglich einen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten (§§ 249 ff. BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Geschädigte so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Umfasst sind dabei zunächst einmal die materiellen Schäden. Ist allerdings ein in § 253 Abs. 2 BGB genanntes Rechtsgut betroffen, so besteht zudem ein Anspruch auf Schmerzensgeld (=immaterieller Schaden), dessen Höhe im Streitfall im Ermessen des Richters liegt (§ 287 ZPO). Zusätzlich zu den infolge der Verletzung notwendigen Behandlungskosten, kann O aufgrund der Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit somit auch Schmerzensgeld geltend machen.Sofern R sich weigert zu zahlen, sind auch etwaige (vorgerichtliche) Anwaltskosten zur Geltendmachung des Schadens als materieller Vermögensschaden umfasst.
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