Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2022
Halterhaftung bei Kollision von Fahrrad & Pferd
Halterhaftung bei Kollision von Fahrrad & Pferd
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O macht einen Fahrradausflug. Ihr kommt Hobbyreiterin R auf ihrem Pferd entgegen. Als O an der R und ihrem Pferd vorbeifährt, bewegt das Pferd überraschend sein Hinterteil in Os Richtung und stößt O vom Rad. Beim Sturz bricht O sich die Schulter.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Halterhaftung bei Kollision von Fahrrad & Pferd
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Mangels vertraglicher Beziehung zwischen O und R, kommt als Anspruchsgrundlage allein eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Os Schulterverletzung stellt einen Personenschaden dar.
Ja, in der Tat!
3. Damit die Rechtsgutverletzung „durch ein Tier“ i.S.d. § 833 BGB eingetreten ist, genügt es, dass das Verhalten des Tieres äquivalent kausal für die Verletzung geworden ist.
Nein!
4. Hat sich in dem Stoß des Pferdes eine typische Tiergefahr realisiert?
Genau, so ist das!
5. Der Anspruch aus § 833 S. 1 BGB richtet sich gegen die Eigentümerin des Pferdes.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung besteht nur bei Luxustieren.
Ja!
7. Haustiere sind immer Nutztiere und keine Luxustiere.
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Handelt es sich beim Pferd von O um ein Luxustier?
Ja, in der Tat!
9. Somit besteht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus § 833 S. 1 BGB.
Ja!
10. O hat lediglich einen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten (§§ 249 ff. BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
aylin.
5.2.2024, 23:50:42
Könnte man eurer Meinung nach, den § 7 I StVG analog auf Pferde anwenden, wenn sie wie Fahrzeuge zur Beförderung von a-b eingesetzt werden?
Nikudo
6.2.2024, 09:37:40
Für eine analoge Anwendung müsste eine planwidrige Regelungslücke vorliegen. Diese besteht nicht, weil
§ 833 BGBdie
Tierhalterhaftungausdrücklich normiert. Wenn Pferde als Transportmittel eingesetzt werden, könnte man allenfalls darüber nachdenken, ob diese Pferde Nutztiere im Sinne des § 833 S. 2 BGB darstellen und sich der Tierhalter exkulpieren kann. Für eine analoge Anwendung der StVO besteht m.E. kein Raum.
Marvin
14.2.2024, 07:44:52
Ich dachte bei Gefährdungshaftung gibt es gerade keine Adäquanz?! Die Haftungsbegrenzung erfolgt durch die Realisierung der typischen Tier- bzw. Betriebsgefahr.
Lukas_Mengestu
14.2.2024, 11:52:25
Hallo Marvin, vielen Dank für den guten Hinweis! In der Tat wird die Adäquanzprüfung bei der typischen Tiergefahr verortet. So nimmt der BGH diese an, Letzteres ist dann der Fall, wenn ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbstständiges Verhalten des betreffenden Tieres für den Eintritt der Rechtsgutsverletzung adäquat ursächlich geworden ist, wobei Mitursächlichkeit – wie sonst auch – ausreicht (BGH Urteil vom 26.4.2022 – VI ZR 1321/20 = NJW-RR 2022, 1432). Wir haben in der Antwort entsprechend klargestellt, dass eine gesonderte Prüfung insofern nicht mehr erfolgt (vgl. zur Adäquanz im Bereich der Gefährdungshaftung auch BGH, Urteil vom 27.01.1981 - VI ZR 204/79 = NJW 1981, 983). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jojo23
14.2.2024, 10:46:58
Müsste man den Anspruch der Radfahrerin nicht um ihr eignes Mitverschulden kürzen? Bin selbst Reiterin und manche Radfahrer und Autofahrer sind wirklich
rücksichtslosund rasen total nahe an einem vorbei. Zumindest auf der Zeichnung ist die Radfahrerin sehr nah am Pferd. Und die Beschreibung, dass das Pferd nur „ausschwenkt“ und nicht über die ganze Strasse in die Radfahrerin springt, lässt mich auch denken, dass sie mehr Abstand hätte halten müssen.
Timurso
14.2.2024, 11:33:22
Man kann sich zunächst fragen, ob § 254 BGB auf Gefährdungshaftungstatbestände, die kein Verschulden voraussetzen, überhaupt anwendbar ist. Allerdings wäre es unbillig, das zu verneinen und es findet auch keinen Anhaltspunkt im Wortlaut. Sodann muss man die genauen Umstände des Sachverhalts abwägen, um zu prüfen, ob und in welcher Höhe ein Mitverschulden vorliegt (Geschwindigkeit, Abstand, Ausweichmöglichkeiten etc.). Grundsätzlich käme auf jeden Fall ein Mitverschulden in Betracht, aufgrund der spärlichen Informationen in Zeichnung und Sachverhalt kann das hier aber kaum bewertet werden.
many
6.4.2024, 15:51:40
Im Gesamten wäre ich, bei so wenig Sachverhaltsangaben, grds. vorsichtig aus persönlichen Erfahrungen etwas in den Sachverhalt hineinzuinterpretieren. Damit schadet man sich oft selbst mehr als dass es den Korrektor beeindruckt. Auch wenn ich dir natürlich grundsätzlich bzgl des
rücksichtslosen Verhaltens vieler zustimmen würde. LG
David
3.6.2024, 19:20:38
Die pauschale Aussage Wildtiere sind keine Haustiere und fallen deshalb weder unter § 833 S. 1, noch unter § 833 S. 2 BGB. Hier gibt es deshalb gesonderte Haftungstatbestände (zB § 29 BJagdG) trifft so m.E. nicht zu. Dies würde dazu führen, dass bspw. der Halter eines Löwen nicht gem. § 833 Satz 1 BGB haften würde. "Von der Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 werden alle Tiere erfasst, einerlei, ob sie gezähmt oder wild sind" (BeckOK BGB/Spindler/Förster, 70. Ed. 1.5.2024, BGB § 833 Rn. 5) Die Frage, ob ein Haustier vorliegt ist vielmehr Vss. für die Verschiebung der Gefährdungs- hin zu einer Haftung für vermutetes Verschulden, wenn das Haustier ein Nutztier ist. Das Privileg des Tierhalters, sich durch Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens von der Haftung zu befreien, hängt davon ab, dass es sich bei dem schadensträchtigen Tier zugleich um ein Haustier und um ein Nutztier handelt. Schäden durch Nutztiere, die keine Haustiere sind, wie insbesondere in Stöcken gehaltene Bienen, lösen daher die Gefährdungshaftung nach S. 1 aus, und Gleiches gilt für Haustiere, denen die Nutztiereigenschaft fehlt, wie die in Privatwohnungen gehaltenen Katzen oder aus Liebhaberei gehaltene Reitpferde. […] Nach einer Formulierung des RG sind Haustiere „diejenigen Gattungen von zahmen Tieren, die in der Hauswirtschaft zu dauernder Nutzung oder Dienstleistung gezüchtet und gehalten zu werden pflegen und dabei aufgrund von Erziehung und Gewöhnung der Beaufsichtigung und dem beherrschenden Einfluss des Halters unterstehen“. Der Gegensatz zum Haustier ist das wilde Tier (§ 960 Abs. 1), und zwar unabhängig davon, ob es diesen Charakter noch aufweist, wie im Zoo gehaltene Raubtiere, oder ob es gezähmt wurde (§ 960 Abs. 3). Für S. 2 muss das Tier also von Natur aus zahm sein, wie dies bei Pferd, Maultier, Esel, Rind, Ziege, Schaf, Schwein, Hund, Katze, Geflügel (einschließlich seltener Arten), Tauben sowie Kaninchen der Fall ist. (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, BGB § 833 Rn. 49 f.)
bayilm
25.7.2024, 12:03:46
Ich meine, auch im Kapitel zum 833 wird das in den Aufgaben auch so differenziert, wie du es machst. Deswegen war ich auch etwas verwundert, als hier die erfassten Tiere anders geregelt wurden.
jurafuchsles
31.8.2024, 10:53:08
Hier wäre eine Aufklärung von Jurafuchs hilfreich :)
David
3.6.2024, 19:23:39
Bei mir führt der Link, der zu dem Urteil führen soll bei Juris zu der Aussage, dass das Dokument nicht angezeigt werden könne.
Lukas_Mengestu
6.6.2024, 13:22:56
Hi David, das Urteil ist leider nicht frei verfügbar. Um das Urteil im Original lesen zu können, benötigst Du leider einen Juris Zugang. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
David
6.6.2024, 14:52:02
Hallo Lukas, ich habe einen Juris-Zugang und war eingeloggt, die Verlinkung führte bei mir dennoch ins Nichts.. Viele Grüße David