Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2022
Gleisblockade durch verunglückten PKW - Sachbeschädigung?
Gleisblockade durch verunglückten PKW - Sachbeschädigung?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Halter H verursacht mit seinem Wagen einen Unfall auf den S-Bahn Gleisen der Fahrgut GmbH (F). Die Schienen erleiden keinen Schaden. Da das Abschleppen zwei Stunden braucht, richtet F zwischenzeitlich einen Schienenersatzverkehr ein. F verlangt hierfür von H Ersatz.
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Einordnung des Falls
Gleisblockade durch verunglückten PKW - Sachbeschädigung?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Da zwischen H und F kein Vertragsverhältnis bestand, kommt hier als alleinige Anspruchsgrundlage eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Tatbestandsmerkmal „Sache beschädigt“ der Halterhaftung entspricht inhaltlich der Eigentumsverletzung bei der deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB.
Genau, so ist das!
3. Kann die Beschädigung einer Sache nach der Rechtsprechung des BGH nur durch eine Beeinträchtigung ihrer Sachsubstanz erfolgen (§ 7 Abs. 1 StVG)?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Jegliche Gebrauchsbeeinträchtigung stellt damit eine Sachbeschädigung dar.
Nein!
5. Stellt die vollständige Blockade der Schiene für zwei Stunden eine „Sachbeschädigung“ dar?
Genau, so ist das!
6. Ereignete sich der Unfall bei Betrieb des Fahrzeugs (§ 7 Abs. 1 StVG)?
Ja, in der Tat!
7. Bei der eingetretenen Gebrauchsbeeinträchtigung handelt es sich aber um ein allgemeines Risiko, das nicht vom Schutzzweck der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG erfasst ist?
Nein!
8. Kann F von H die Kosten für den eingerichteten Schienenersatzverkehr ersetzt verlangen (§§ 249 ff. BGB)?
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Rick-energie🦦
22.9.2023, 18:58:53
Was ich nicht recht verstehe: In einem anderen JuraFuchs Fall, bei dem ein Bagger das Stromkabel einer Druckerei zerstörte, diese dann über Nacht nicht drucken konnte, wurde die RGV abgelehnt. Unter der Prämisse, dass eine Beeinträchtigung auch in der Aufhebung der Nutzungsmöglichkeit liegt, und eine Druckerei, die typischerweise in der Nacht druckt, leuchtet wir dieser Rspr.-Wechsel dogmatisch nicht recht ein
Adrian W.
23.9.2023, 13:08:51
Der Unterschied zum klassischen
Stromkabelfallliegt im eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und der Gefährdungshaftung aus StVG. Im
Stromkabelfallmuss für die RGV unteranderem auch die Betriebsbezogenheit gegeben sein und damit verbunden der Gedanke, dass dies nicht auch Private treffen könnte, um den Anspruch nicht ausufern zu lassen aus 823 I, was im
Stromkabelfallmeist an der Betriebsbezogenheit scheitert. Hier ist das Problem herauszuarbeiten was genau 7 StVG mit Beschädigung meint. Hier muss man dann die vier Auslegungsmethoden anwenden. Nach dem BGH überwiegt der Telos, sodass nicht nur eine Substanzverletzung gefordert sein kann und nimmt den Rahmen des 823 I im
Grundfall, also auch Eigentumsbeeinträchtigungen, an. Der Fall ist sehr vom SV abhängig, da wenn es beispielsweise eine solche Blockade im Nahverkehrsnetz und eine Beeinträchtigung nur für einen kleinen Teil vorliegt und durch andere Routen kompensiert werden kann, der Fall anders gewichtet werden kann. Ich hoffe meine Einschätzung konnte weiter helfen :)
Rick-energie🦦
24.9.2023, 06:57:34
Auf den ersten Blick habe ich das auch gedacht. Aber beim Stromkabel auf das ReaG abzustellen und dann bei blockierten Gleisen auf die Sachzubstanz, wobei beim Straßenbahnfall letztlich der 823 auch durchgeht, bei beidem aber die Nutzungsmöglichkeit in den Fokus zu legen, empfinde ich als dogmatisch schwierig zu begründen.
Nora Mommsen
28.9.2023, 18:45:35
Hallo ihr beiden, danke für eure Fragen und die rege Diskussion. Vorliegend ist das
SchutzgutSache (sprich äquivalent aus § 823 Abs. 1 BGB das Eigentum). Dies ist strikt von dem Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu unterscheiden. Dieser ist mangels Betriebsbezogenheit auch hier nicht betroffen und wird daher auch gar nicht angesprochen. Ein besserer Vergleichsfall ist der vom BGH entschiedene "
Fleetfall" (BGHZ 55, 153 ff.). Dort geht es ebenfalls um die Nichtnutzbarkeit von Eigentum, das selber nicht beschädigt wurde aufgrund äußerer Blockaden. Auch dort hat der BGH geurteilt, dass bei einer erheblichen Nutzungsbeeinträchtigung eine relevante Verletzung vorliegt. Interessant ist das neue Urteil, dass unserem Fall hier zugrunde liegt deswegen, weil schon ein Zeitraum von 2 Stunden ausreichend ist. Bisher musste die Beeinträchtigung langwieriger sein, wenn es nicht zu einem Sachschaden gekommen war. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Timurso
29.5.2024, 00:06:01
@[
Nora Mommsen](178057) könnte man dann aber in dem Fall mit der Druckerei nicht auf das Eigentum an der Druckmaschine abstellen? Diese ist ja dann ebenfalls nicht nutzbar, obwohl nicht selbst beschädigt.
Vanilla Latte
6.6.2024, 03:11:07
Ich verstehe ehrlich gesagt immer noch nicht richtig den Unterschied. Es können die Drucker doch auch die ganze Nacht über nicht verwendet werden und sind in ihrer Brauchbarkeit komplett aufgehoben.
Swiss
25.2.2024, 22:31:50
Ich halte es an dieser Stelle für didaktisch sinnvoll, auch die Parallelen zum Strafrecht aufzuzeigen , Schlagwörter wie : Rechtsgut „allg. Vermögen“ , „bloße
Sachentziehung“. Gerade die vorliegende Fallkonstellationen zeigt, wieso es von entscheidender Bedeutung ist, in Zusammenhängen zu lernen. Nur wer das System versteht kann unbekannte Fälle lösen und zwar , auch wenn man dies zu Beginn des Studiums nicht glauben mag, mit Leichtigkeit.
Leonq
26.2.2024, 15:03:03
Würde da aufpassen, weil man schneller in Teufels Küche kommen kann, als man denkt. Wenn man bspw. bei 823 I als Rechtsgut „allgemeines Vermögen“ hinschreibt, ist das wohl in der Klausur ein Fehler, von dem sich nicht ohne weiteres erholt. Finde auch bei einer
Sachentziehunggibt es gerade Unterschiede zum Strafrecht (dort: auf subjektiver Ebene keine
Aneignungsabsicht), weswegen das Schlagwort nicht 1:1 passt, da der Vorsatz sich im Zivilrecht und Strafrecht erheblich unterscheidet. Würde eher davon abraten, Schlagwörter aus anderen Rechtsgebieten einfach so zu übernehmen.