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Minderung erklärt – Selbstvornahme ausgeschlossen? (BGH, Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)

Minderung erklärt – Selbstvornahme ausgeschlossen? (BGH, Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)

19. April 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G hat M damit beauftragt, auf Gs Grundstück ein Wohnhaus zu errichten. Nach der Abnahme bemerkt G, dass der Schallschutz nicht ihren Erwartungen entspricht. Die Schlussrechnung von M über den verbleibenden Werklohn steht noch aus.

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Einordnung des Falls

Minderung erklärt – Selbstvornahme ausgeschlossen? (BGH, Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M verlangt nach ihrer Schlussrechnung den ausstehenden Werklohn i.H.v. € 100.000. Steht M ein Anspruch aus § 631 Abs. 1 BGB zu?

Ja, in der Tat!

Der Werklohnanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB setzt einen wirksamen Werkvertrag und die Fälligkeit der Vergütung voraus. Die Vergütung wird gemäß § 641 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Abnahme nach § 640 Abs. 1, Abs. 2 BGB fällig. M und G haben sich über den Bau eines Wohnhauses geeinigt und somit einen Werkvertrag geschlossen. G hat das Wohnhaus abgenommen, womit die Werklohnforderung fällig geworden ist. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen – wie hier – unproblematisch erfüllt, solltest du den Anspruch kurz im Feststellungsstil oder im verkürzten Gutachtenstil darstellen.
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2. G hält den Schallschutz im Haus für mangelhaft. Die Beseitigung kostet € 20.000. Könnte G der Werklohnforderung von M eine Minderung nach §§ 634 Nr. 3, 638 Abs. 1 S. 1 BGB entgegenhalten?

Ja!

Eine Minderung nach §§ 634 Nr. 3, 638 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Werkvertrag (§ 631 BGB) (2) Sach- oder Rechtsmangel (§ 633 BGB) (3) Abnahme des Werkes (§ 640 BGB) (4) Minderungserklärung (§ 638 Abs. 1 S. 1 BGB) (5) Rücktrittsvoraussetzungen (§ 638 Abs. 1 S. 1 BGB: „statt zurückzutreten“) nach (a) § 323 BGB oder (b) § 326 Abs. 5 BGB (6) kein Ausschluss (z.B. § 640 Abs. 3 BGB). Werkvertragliche Gewährleistungsrechte können in Ausnahmefällen auch ohne Abnahme geltend gemacht werden. Mehr dazu findest Du in dieser Aufgabe (BGH, Urteil vom 19.01.2017, VII ZR 301/13).

3. Der Schallschutz ist an drei Stellen im Haus schlechter, als G und M vereinbart haben. Liegt ein Sachmangel nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB vor?

Genau, so ist das!

Eine Sache ist mangelhaft, wenn ihr Ist-Zustand negativ vom Soll-Zustand abweicht. Der Soll-Zustand richtet sich nach § 633 Abs. 2 S. 1, 2 Nr. 1, Nr. 2 BGB. Maßgeblich ist die (ausdrücklich oder konkludent) vereinbarte Beschaffenheit, die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung oder die gewöhnliche Verwendung und die Beschaffenheit, die bei Werken gleicher Art üblich ist und die der Besteller nach Art des Werkes erwarten kann. Der Schallschutz weicht negativ von der ausdrücklichen Vereinbarung von G und M ab, womit ein Sachmangel nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB vorliegt. Wir haben den Mangel hier verkürzt dargestellt. Wenn hier in einer Klausur Probleme angelegt sind, solltest Du sorgfältig die Soll-Beschaffenheit herausarbeiten und die negative Abweichung der Ist-Beschaffenheit prüfen. Mehrere Mängel solltest Du sauber getrennt prüfen, damit Deine Ausführungen übersichtlich bleiben.

4. Der mangelhafte Schallschutz beeinträchtigt den Wert des Gebäudes nicht. G erklärt die Minderung gegenüber M. Ist G mit ihrer Minderung erfolgreich (§ 638 Abs. 3 S. 1 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Minderung sind erfüllt. Allerdings bleibt der Anspruch auf Rechtsfolgenseite erfolglos. Wenn der mangelhafte Schallschutz den Wert des Wohnhauses nicht verringert, ist die Minderung der Vergütung nach § 638 Abs. 3 S. 1 BGB ausgeschlossen. Im Ausgangsfall haben die Beklagten weitere Mängel vorgetragen, die den Wert des Wohnhauses gemindert haben. In einer Klausur müsstest Du sauber darstellen, ob und welche Mängel den Wert des Werkes mindern. In einer Klausur im 1. Examen solltest Du – wenn hier ein Schwerpunkt liegt – erst die übrigen Minderungsvoraussetzungen prüfen, bevor Du dieses Problem auf Rechtsfolgenseite ansprichst. Im 2. Examen kannst du regelmäßig direkt auf die Rechtsfolge springen, wenn Du den Anspruch dort ablehnst.

5. G kann Ms Werklohnforderung nicht mindern. Könnte G aber gegen Ms Forderung aufrechnen, wenn die Voraussetzungen aus §§ 387 ff. BGB erfüllt sind?

Ja!

Die Aufrechnung setzt voraus: (1) Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) (2) Aufrechnungslage (§ 387 BGB), d.h. (a) wechselseitige Forderungen (Haupt- und Gegenforderung) (b) Gleichartigkeit der Forderungen (c) Hauptforderung erfüllbar (d) Gegenforderung fällig und durchsetzbar (2) kein Ausschluss der Aufrechnung (insbes. §§ 392 ff. BGB). Die Reihenfolge ist nicht zwingend. Es bietet sich aber an, die Erklärung eines Gestaltungsrechts vor den weiteren Voraussetzungen zu prüfen. Im 1. Examen solltest Du klausurtaktisch vorgehen, damit Du die Schwerpunkte bearbeiten kannst. In einer Urteilsklausur darfst Du ein Gestaltungsrecht nur prüfen, wenn eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung vorliegt (Dispositionsmaxime). In einer Anwaltsklausur müsstest Du gegebenenfalls zur Erklärung raten.

6. Könnte G als Gegenforderung gegen M einen Anspruch auf Kostenvorschuss aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB haben?

Genau, so ist das!

Ein Anspruch auf Kostenvorschuss nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB setzt voraus: (1) Werkvertrag (§ 631 BGB) (2) Sach- oder Rechtsmangel (§ 633 BGB) (3) Abnahme (§ 640 BGB) (4) erfolgloser Ablauf einer Frist zur Nacherfüllung (§ 637 Abs. 1 BGB) oder die Entbehrlichkeit der Fristsetzung (§ 638 Abs. 2 S. 2 BGB) (5) kein Ausschluss (§§ 637 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB). Wie bereits dargelegt, bestand zwischen M und G ein Werkvertrag. Das von G abgenommene Werk des M war mangelhaft. G hat damit einen Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschuss für die Beseitigung des Mangels gegen M. Im Ausgangsfall haben die Beklagten den Kostenvorschuss per Widerklage geltend gemacht. Aus didaktischen Gründen prüfen wir die Aufrechnung. In einer Anwaltsklausur aus Beklagtensicht würde es sich anbieten, die Zweckmäßigkeit von Aufrechnung und Widerklage zu thematisieren.

7. Nach einer Ansicht kann der Anspruch aus § 637 Nr. 2 BGB erst entstehen, wenn der Besteller den Werklohn gezahlt hat. Könnte G nach dieser Ansicht mit einem Anspruch auf Kostenvorschuss gegen die Werklohnforderung aufrechnen (§§ 387, 389 BGB, 634 Nr. 2, 637 Abs. 2 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Es ist umstritten, ob der Besteller mit einem Anspruch auf Kostenvorschuss gegen die Werklohnforderung des Unternehmers aufrechnen kann. Der BGH lässt eine Aufrechnung mit dem Kostenvorschussanspruch ohne Weiteres zu (vgl. BGH v. 19.11.2020 – VII ZR 193/19, ZfBR 2021, 151, RdNr. 22 f.). Nach einer a.A. ist eine Aufrechnung nicht möglich, weil vor Zahlung des Werklohns kein Vorschuss zu leisten sei (vgl. Grüneberg, 83. Aufl. 2024, § 637, RdNr. 12). Der Besteller könne sich aber mit der dolo-agit-Einrede (§ 242 BGB) verteidigen. Wir folgen hier dem BGH (h.M.). Halte Dich in Deiner Klausur nicht zu lange mit dem Thema auf. Im Grüneberg wird die Ansicht des BGH ausdrücklich genannt. Du musst die Meinungen nicht auswendig lernen und solltest in der Klausur dem BGH folgen.

8. M ist der Auffassung, Gs Anspruch auf Kostenvorschuss sei mit der Erklärung der Minderung untergegangen. Ergibt sich das aus dem Wortlaut von §§ 634, 637, 638 BGB?

Nein!

Die Frage, ob es für den Besteller nach einer erklärten Minderung ein „Zurück“ zu anderen Gewährleistungsrechten gibt, ist der Knackpunkt dieser Entscheidung. BGH: Der Anspruch auf Kostenvorschuss werde nicht durch eine zuvor erklärte Minderung ausgeschlossen (RdNr. 27 ff.). Ein Ausschluss ergebe sich nicht aus dem Wortlaut von § 634 BGB oder §§ 637, 638 BGB.

9. Der Gesetzgeber wollte mit der Schuldrechtsmodernisierung die Mängelrechte im Werkvertragsrecht flexibler gestalten. Spricht diese Gesetzeshistorie für einen Ausschluss des Anspruchs auf Kostenvorschuss?

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Der Gesetzgeber habe mit der Schuldrechtsmodernisierung die Mängelrechte im Kauf- und Werkvertragsrecht flexibler gestalten wollen. Diese Historie spreche dagegen, dass die Geltendmachung eines Mängelrechts ohne Weiteres andere Mängelrechte ausschließe. Denn damit würde die Ausübung der Mängelrechte gerade erschwert und nicht flexibel gehalten.

10. Mit der Minderung erklärt die Bestellerin, die Sache behalten zu wollen. Ist es unbillig, wenn sie später einen Vorschuss für die Beseitigung des Mangels an der Sache verlangt?

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH argumentiert weiter: Systematik: Mit der Minderung erkläre die Bestellerin, die mangelhafte Sache behalten zu wollen. Nacherfüllung, Rücktritt und großer Schadensersatz statt der Leistung seien dann ausgeschlossen. Allerdings müsse durch die Mängelrechte ein Ausgleich des verletzten Leistungsinteresses gewährleistet werden. Telos: Der Vorschuss diene dazu, der Bestellerin die Nachteile und Risiken zu nehmen, die mit der Vorfinanzierung der Beseitigung einhergingen. Der Unternehmerin sei kein schützenswertes Interesse zuzubilligen, nach der Minderung nicht mehr auf die Kosten der Mängelbeseitigung in Anspruch genommen zu werden.Der BGH wendet hier die klassischen Auslegungsmethoden an. Solltest Du in einer Klausur unsicher sein, kannst du mit einer sauberen Auslegung eine vertretbare Lösung finden und Punkte sammeln! Nach Ansicht des BGH schließt eine erklärte Minderung den Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB nicht aus. G hat grundsätzlich einen Anspruch auf Kostenvorschuss gegen M. Mit diesem Anspruch könnte G gegen Ms Werklohnforderung aufrechnen (§§ 387, 389 BGB).

11. G kann mit dem Anspruch auf Kostenvorschuss aufrechnen, wenn der Anspruch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen ist. Wäre dies der Fall, wenn M die Nacherfüllung rechtmäßig verweigern darf (§ 637 Abs. 1 BGB)?

Ja!

Der Anspruch auf Kostenvorschuss ist nach §§ 637 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn die Unternehmerin die Nacherfüllung rechtmäßig verweigert. Dies ist der Fall, wenn die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist. Der Anspruch ist nach §§ 637 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB auch ausgeschlossen, wenn die Nacherfüllung nach § 275 Abs. 2, Abs. 3 BGB unmöglich ist.

12. Die Schallschutzmängel mindern nicht den Wert des Wohnhauses. Allerdings wird die Lebensqualität von G erheblich beeinträchtigt. Sind demgegenüber die Mängelbeseititungskosten i.H.v. €20.000 unverhältnismäßig (§ 635 Abs. 3 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Unverhältnismäßig i.S.v. § 635 Abs. 3 BGB sind die Kosten dann, wenn das Interesse an der Beseitigung des Mangels außer Verhältnis zu den erforderlichen Kosten steht. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Leistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deswegen vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht. Die Schallschutzmängel beeinträchtigen die Qualität des Wohnens in erheblichem Ausmaß. Das Interesse des Bestellers muss nicht notwendig finanzieller Natur sein. Es ist G nicht ohne Weiteres zuzumuten, mit den Folgen der Mängel zu leben. Dagegen sind die prognostizierten Kosten nicht derart hoch, dass die Beseitigung unverhältnismäßig erschiene.

13. Ist die Werklohnforderung von M in Höhe des Kostenvorschusses erloschen (§ 389 BGB)?

Ja, in der Tat!

Die Aufrechnung bewirkt gemäß § 389 BGB, dass die Forderungen als erloschen gelten, soweit sie sich decken. Die Werklohnforderung von M ist daher in Höhe von €20.000 erloschen. M kann € 80.000 von G fordern. Aus didaktischen Gründen haben wir uns auf die wesentlichen Prüfungspunkte konzentriert. In Deiner Klausur musst du natürlich – den Schwerpunkten entsprechend – auch die weiteren Tatbestandsmerkmale der Aufrechnung bearbeiten. Mehr zu den weiteren Voraussetzungen der Aufrechnungslage und – erklärung findest Du in unserem Kurs zum Schuldrecht AT.
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