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Minderung erklärt – Selbstvornahme ausgeschlossen? (BGH, Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)
Minderung erklärt – Selbstvornahme ausgeschlossen? (BGH, Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)
20. Mai 2025
23 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

G hat M damit beauftragt, auf Gs Grundstück ein Wohnhaus zu errichten. Nach der Abnahme bemerkt G, dass der Schallschutz nicht ihren Erwartungen entspricht. G setzt M erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung. Die Schlussrechnung von M über den verbleibenden Werklohn steht noch aus.
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Einordnung des Falls
Minderung erklärt – Selbstvornahme ausgeschlossen? (BGH, Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M verlangt nach ihrer Schlussrechnung den ausstehenden Werklohn i.H.v. € 100.000. Steht M ein Anspruch aus § 631 Abs. 1 BGB zu?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. G hält den Schallschutz im Haus für mangelhaft. Die Beseitigung kostet € 20.000. Könnte G der Werklohnforderung von M eine Minderung nach §§ 634 Nr. 3, 638 Abs. 1 S. 1 BGB entgegenhalten?
Ja!
3. Der Schallschutz ist an drei Stellen im Haus schlechter, als G und M vereinbart haben. Liegt ein Sachmangel nach § 633 Abs. 2 S. 1 BGB vor?
Genau, so ist das!
4. Der mangelhafte Schallschutz beeinträchtigt den Wert des Gebäudes nicht. G erklärt die Minderung gegenüber M. Ist G mit ihrer Minderung erfolgreich (§ 638 Abs. 3 S. 1 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
5. G kann Ms Werklohnforderung nicht mindern. Könnte G aber gegen Ms Forderung aufrechnen, wenn die Voraussetzungen aus §§ 387 ff. BGB erfüllt sind?
Ja!
6. Könnte G als Gegenforderung gegen M einen Anspruch auf Kostenvorschuss aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB haben?
Genau, so ist das!
7. Nach einer Ansicht kann der Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB erst entstehen, wenn der Besteller den Werklohn gezahlt hat. Könnte G nach dieser Ansicht mit einem Anspruch auf Kostenvorschuss gegen die Werklohnforderung aufrechnen (§§ 387, 389 BGB, 634 Nr. 2, 637 Abs. 2 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
8. M ist der Auffassung, Gs Anspruch auf Kostenvorschuss sei mit der Erklärung der Minderung untergegangen. Ergibt sich das aus dem Wortlaut von §§ 634, 637, 638 BGB?
Nein!
9. Der Gesetzgeber wollte mit der Schuldrechtsmodernisierung die Mängelrechte im Werkvertragsrecht flexibler gestalten. Spricht diese Gesetzeshistorie für einen Ausschluss des Anspruchs auf Kostenvorschuss?
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Mit der Minderung erklärt die Bestellerin, die Sache behalten zu wollen. Ist es unbillig, wenn sie später einen Vorschuss für die Beseitigung des Mangels an der Sache verlangt?
Nein, das trifft nicht zu!
11. G kann mit dem Anspruch auf Kostenvorschuss aufrechnen, wenn der Anspruch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen ist. Wäre dies der Fall, wenn M die Nacherfüllung rechtmäßig verweigern darf (§ 637 Abs. 1 BGB)?
Ja!
12. Die Schallschutzmängel mindern nicht den Wert des Wohnhauses. Allerdings wird die Lebensqualität von G erheblich beeinträchtigt. Sind demgegenüber die Mängelbeseititungskosten i.H.v. €20.000 unverhältnismäßig (§ 635 Abs. 3 BGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
13. Ist die Werklohnforderung von M in Höhe des Kostenvorschusses erloschen (§ 389 BGB)?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Marco
15.4.2025, 10:48:42
Toll, dass ihr auch in Fällen aktueller Rechtsprechung Tipps fürs 2. Examen für die jeweiligen Klausurtypen einbaut. Gerne mehr davon!

Linne_Karlotta_
16.4.2025, 12:36:31
Hallo Marco, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team
Jimmy105
19.4.2025, 12:06:31
Letztlich wird durch eine
Aufrechnungmit dem Anspruch auf Vorschuss doch die Wertung des § 638 Abs.3 S.1 unterlaufen?
Sabine
19.4.2025, 20:55:06
Weshalb wird hier nicht der § 650a BGB (Bauvertrag) als einschlägiger Vertragstyp herangezogen?

Ara8
19.4.2025, 21:02:54
Ein Bauvertrag ist ein Werkvertrag, für den *ergänzend* die Vorschriften des 2. Kapitels des Untertitels 1. gelten. Der Untertitel 1. hat die amtliche Überschrift "Werkvertrag". Hoffe, das hilft :)
Findet Nemo Tenetur
19.4.2025, 21:33:07
Der Aufmachung des Falls nach ist der “Ausgangsanspruch” ja die Werklohnforderung M —> G. Die
Aufrechnungmit der Vorschussforderung bringe ich bei Prüfung, ob der Anspruch in dieser Höhe erloschen sein könnte, unter. Aber wie bringe davor ich die Minderung unter? Auch in Form einer
Aufrechnung(denn ein
Zurückbehaltungsrechtwäre ja demgegenüber weniger speziell, da auch eine
Geldforderung vorliegt)?

BenKenobi
21.4.2025, 15:53:53
Die Minderung ist eine rechtshindernde Einwendung, wird also gedanklich nach "Anspruch entstanden" geprüft. Wenn der
Schuldner eine Minderung nach §§ 638 I 1, III 1, 634 Nr. 3 Alt. 2 BGB geltend macht, ist keine
Aufrechnungeinschlägig. Die Minderung ist ein
Gestaltungsrecht, dessen Rechtsfolge in der Herabsetzung der Vergütung liegt. Eine
Aufrechnungist dem Grunde nach mit dem Rückforderungsanspruch nach § 638 IV 1 BGB möglich, weil es sich hierbei um einen Leistungsanspruch handelt. Weil eine Rückforderung aber zunächst eine Überzahlung voraussetzt, dürfte eine
Aufrechnungslagezwischen Vergütungs- und Rückforderungsanspruch ausgeschlossen sein.
Findet Nemo Tenetur
21.4.2025, 18:42:43
Danke @[BenKenobi](204235)! Mir ist nur immer noch nicht ganz klar, wie ich dann einsteige/was mein Obersatz wäre. zB: “Der Anspruch auf Werklohnforderung könnte jedoch in Höhe des geminderten Werklohns erloschen sein. Dies ist der Fall wenn G die Minderung erklärt hat, ihr ein Minderungsrecht zusteht usw..(also dann die VSS der Minderung gem. §§ 638 I 1, III 1, 634 Nr. 3 Alt. 2 prüfen).” ?

BenKenobi
21.4.2025, 20:26:26
Gerne @[Findet
Nemo Tenetur](254807)! Der Einstieg in den Obersatz ist noch etwas unsauber. Die Werklohnforderung oder der Anspruch auf Werklohn (nicht Anspruch auf Werklohnforderung) erlischt nicht in Höhe des geminderten Werklohns. Der geminderte Werklohn ist das Ergebnis bzw. die Rechtsfolge der Minderung. Richtig wäre daher z.B. "Der Anspruch auf Werklohn könnte aufgrund einer Minderung nach §§ 638 I 1, III 1, 634 Nr. 3 Alt. 2 BGB teilweise erloschen sein." oder (was ich persönlich bevorzugen würde) "G könnte die Werklohnforderung/Vergütung nach §§ 638 I 1, III 1, 634 Nr. 3 Alt. 2 BGB gemindert haben." PS: Bei der Zitation gibt es Spielraum. Es ist m.E. auch zulässig, § 634 BGB vor
§ 638 BGBzu zitieren. Hier kann man dogmatisch sicherlich hitzig diskutiere. Ich zitiere lieber die Anspruchsgrundlage zuerst und bin bisher gut damit gefahren.
Findet Nemo Tenetur
21.4.2025, 20:45:58
Vielen, vielen Dank für die aufschlussreiche Antwort @[BenKenobi](204235) :)

Linne_Karlotta_
22.4.2025, 16:21:40
Hey in die Runde, danke für euren Austausch! Für den Gesamtüberblick hier ergänzend eine kurze Lösungsskizze zu dem Fall: A. Anspruch von M gegen G auf Zahlung des Werklohns (§ 631 Abs. 1 BGB) I. Wirksamer Werkvertrag II. Fälligkeit der Vergütung (§ 641 Abs. 1 BGB) III. Zwischenergebnis: Anspruch dem Grunde nach gegeben IV. Einwendungen / Einreden des G 1. Minderung (-) a) Voraussetzungen der Minderung aa) Werkvertrag (+) bb) Sachmangel (§
633 BGB) (+) cc) Abnahme (+) dd) Erfolgloser Ablauf der Nach
erfüllungsfrist (
§ 323 BGB) (+) ee)
Minderungserklärung(+) ff) Rechtsfolge: Minderung der Vergütung (-) - § 638 Abs. 3 BGB (Wertminderung) (-) gg) Zwischenergebnis: Keine Minderung wegen fehlender Wertminderung 2.
Aufrechnungdes G (+) a) Aufrechungserklärung (§ 388 BGB) b)
Aufrechnungslage(§ 387 BGB) aa) Wechselseitige, gleichartige Forderungen (+) bb) Hauptforderung erfüllbar (hier: Ms Anspruch aus § 631 Abs. 1 BGB) (+) cc) Gegenforderung fällig und durchsetzbar -> Hier kommt der Anspruch auf Kostenvorschuss aus § 637 Abs. 3 BGB in Betracht (P) Bestehen des Kostenvortschuss VOR Bezahlung des Werklohns (P)
Sperrwirkungder
Minderungserklärungggü. § 637 Abs. 3 BGB c) Rechtsfolge
Aufrechnung(§
389 BGB) -> Erlöschen der Werklohnforderung i.H.v. € 20.000 V. M hat einen Anspruch i.H.v. € 80.000 Viele Grüße, Linne – für das Jurafuchs-Team

Wesensgleiches Minus
25.4.2025, 07:51:03
@[Linne_Karlotta_](243622) solche kurze Lösungsskizzen am Ende von fällen, insbesondere bei examensrelevanter Rechtsprechung, wären ein riesiger Mehrwert hier bei Jurafuchs! :)

Linne_Karlotta_
25.4.2025, 12:47:43
Hey @[Wesensgleiches Minus](241758), ich verstehe den Mehrwert dieser Lösungsskizzen und wir arbeiten daran, hierfür eine gute (technische) Lösung zu finden. Bis dahin möchte ich gerne auf den Lerneffekt verweisen, den ihr daraus ziehen könnt, wenn ihr euch selber eine solche Skizze erstellt, nachdem ihr einen Fall gelöst habt. Mit Hilfe des „Lesemodus“ sollte diese dann auch gut überprüfbar sein. Wenn ihr eure Skizzen im Forum teilt, könnt ihr hier von der Schwarmintelligenz der Community profitieren. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Mandy
7.5.2025, 13:11:36
Hallo zusammen, die Lösungsskizze finde ich auch super, allerdings wird so die Frage mehr oder weniger „umgangen“. In der Skizze wird das einfach unter „Einwendungen/Einreden“ geprüft und nicht nach dem klassischen Schema. mE nach handelt es sich bei der Minderung um eine rechtsvernichtende Einwendung, die ich dann unter Anspruch erloschen prüfe, da ja grds. Der Werklohnanspruch entstanden ist und ich anschließend die Minderung erkläre. Also vergleichbar mit dem
Rücktritt, der ja auch zur „Vernichtung“ eines Anspruchs führt. Auch der Obersatz von @[BenKenobi](204235) „(…) könnte (…) teilweise erloschen sein“ spricht ja eher für eine rechtsvernichtende Einwendung. Ich dachte, dass
Gestaltungsrechteimmer zum nachträglichen erlöschen führen (d.h. Im klassischen Aufbau unter „Anspruch (nicht) erloschen“ zu prüfen), außer die Anfechtung, dessen Rechtswirkung ja gem. § 142 I BGB ex tunc wirkt. Daher würde ich dann unter Anspruch erlöschen direkt mit der Minderung als eigenen Prüfungspunkt einsteigen. Kann man das so machen und sich das vor allem so merken @[Linne_Karlotta_](243622) ?

BenKenobi
7.5.2025, 13:21:25
@[Mandy](256332) Ich klinke mich nochmal ein. Die Minderung ist eine rechtsvernichtende Einwendung, die (gedanklich) unter "Anspruch (nicht) erloschen" geprüft wird. Ich würde aber in einer Examensklausur nicht nach den Ebenen "Anspruch entstanden, nicht untergegangen und durchsetzbar" gliedern. Diese Gliederung ist eher für das eigene Verständnis und die Einordnung von Einwendungen und Einreden relevant.

Menelaos
23.4.2025, 19:57:07
Hier könnte man mE noch mit dem § 281 BGB analog arbeiten, als dass zu fragen wäre, ob ein Ausschluss der zuvor erklärten Minderung hiernach in Betracht kommt. Im Ergebnis wird es abzulehnen sein, der Kostenvorschuss des Bestellers bleibt bestehen.