Mangelfolgeschaden und deliktische Ansprüche

3. Juli 2025

12 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer U kauft von Hersteller H 1.000 Dosen Terpentin. Bei der Lieferung beschädigt H diese. U untersucht die Lieferung erst drei Wochen danach und meldet sofort, dass viele Dosen beschädigt sind und auslaufen. Währenddessen entfachen die Dosen einen Brand und zerstören Us Lager.

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Einordnung des Falls

Mangelfolgeschaden und deliktische Ansprüche

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Us Anspruch auf Nachlieferung oder Nachbesserung der mangelhaften Dosen ist wegen des Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit ausgeschlossen (§ 377 Abs. 2 HGB).

Genau, so ist das!

Liegen die Voraussetzungen des § 377 HGB vor, sind Ansprüche aufgrund des Mangels ausgeschlossen. Dies setzt Folgendes voraus:   (1) Handelskauf im Sinne eines beidseitigen Handelsgeschäfts (§ 343 Abs. 1 BGB), (2) Ablieferung der Ware, (3) Mangelhaftigkeit der Ware (§ 434f. BGB), (4) Unterlassung der gebotenen Rüge (§ 377 Abs. 1, Abs. 3 HGB), (5) keine Arglist des Verkäufers (§ 377 Abs. 5 HGB). U und A sind Kaufleute, die einen Handelskauf im Sinne eines beidseitigen Handelsgeschäfts abgeschlossen haben. Es liegt ein offener Mangel vor. Diesen hat U aber unverzüglich nach Ablieferung zu rügen (§ 377 Abs. 1 HGB). U hat erst drei Wochen danach, also zu spät gerügt.
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2. U könnte aber ein Schadensersatzanspruch hinsichtlich des Lagers zustehen (§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Für einen Schadensersatzanspruch müsste (1) ein Schuldverhältnis (=Kaufvertrag) sowie (2) ein Mangel bei Gefahrenübergang vorliegen. (3) Den Mangel muss der Anspruchsgegner zu vertreten haben (vgl. (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). (4) Außerdem müsste ein ersatzfähiger Schaden vorliegen und (5) die Geltendmachung dürfte nicht ausgeschlossen sein. U und H haben einen Kaufvertrag geschlossen. Die Dosen waren bereits bei Gefahrübergang beschädigt und damit mangelhaft. Von der Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich H nicht exkulpieren. Infolge der beschädigten Dosen kam es zur Zerstörung des Lagers (Mangelfolgeschaden).

3. Der Ausschluss bei Verstoß gegen die Rügeobliegenheit beschränkt sich auf Mängelrechte hinsichtlich der Kaufsache, während Mangelfolgeschäden weiterhin ersetzt werden müssen.

Nein!

Wird eine fehlerhafte Sache an den Käufer geliefert und führt dies zu Folgeschäden an anderen Vermögensobjekten oder dem Vermögen des Käufers, können auch diesbezüglich nach ständiger Rechtsprechung ohne ordnungsgemäße Rüge keine Mängelgewährleistungsansprüche geltend gemacht werden. Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit sei es, dem Verkäufer die Möglichkeit zur Schadensabwendung offenzuhalten und eine rasche und endgültige Abwicklung der Rechtsgeschäfte im Handelsverkehr zu gewährleisten. Diesem Zweck stünde es entgegen, wenn dem Käufer bei unterlassener Rüge Mängelgewährleistungsansprüche bzgl. Folgeschäden verblieben.

4. U könnte aber ein deliktischer Schadensersatzanspruch wegen des zerstörten Lagers zustehen.

Genau, so ist das!

Für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ist (1) eine Rechtsgutsverletzung beim Anspruchssteller erforderlich, (2) die durch ein Verhalten des Anspruchsgegners, (3) kausal, (4) rechtswidrig und (5) schuldhaft verursacht wurde, wodurch (6) ein kausaler Schaden entstanden ist. Eine vertragliche Beziehung ist nicht erforderlich.Es liegt eine Verletzung von Us Eigentum an dem Lager vor. Für diese war Hs unsachgemäße Lieferung adäquat kausal und rechtswidrig. Im Mangelfolgeschaden liegt ein ersatzfähiger Schaden.

5. Der deliktische Schadensersatzanspruch ist aber wegen der Verletzung der Rügeobliegenheit ebenfalls ausgeschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Genehmigungsfiktion des § 377 Abs. 2 HGB findet nur für vertragliche Gewährleistungsansprüche Anwendung. Hiervon sind aber deliktische Ansprüche unabhängig. Der Käufer darf aber aufgrund einer Verletzung einer Obliegenheit nicht vom allgemeinen Rechtsgüterschutz ausgeschlossen und schlechter gestellt werden, als nicht vertraglich gebundene Dritte. Die unterlassene Rüge ist aber im Rahmen eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) zu berücksichtigen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

rlaw

rlaw

1.5.2024, 14:49:48

Vielleicht interessant für manche: Das hier dargestellte Ergebnis - eine Anrechnung über § 254 - entspricht der hM. Man könnte es aber durchaus auch anders sehen und vertreten, dass die

Rügeobliegenheit

aus § 377 II HGB auch im Deliktsrecht greift. Dann käme man zu einem vollständigen Ausschluss. Hauptargument dafür: Sonst ließe sich der vertragliche Ausschluss durch § 377 II HGB fast immer über das Deliktsrecht umgehen und liefe folglich leer. Die hM. ist da aber flexibler mit § 254. Gute Bearbeitungen müssten das je nach Klausur aber wahrscheinlich zumindest andiskutieren. :-)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.5.2024, 12:11:36

Hi rlaw, in der Tat könnte man sich hier auch ein gegenteiliges Ergebnis vorstellen, weshalb man diese Frage durchaus diskutieren kann. Im Hinblick auf die sehr gefestigte hM (vgl. BGH 16.9.1987, BGHZ 11, 337 = NJW 1988, 52 unter Hinweis auf die Gesetzessystematik sowie Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 377; Oetker/Koch, 8. Aufl. 2024, HGB § 377 Rn. 5 mwN) in diesem Bereich dürfte aber auch in guten Klausuren eine ausführliche Diskussion nicht erwartet werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Major Tom(as)

Major Tom(as)

27.11.2024, 15:08:46

@[Lukas_Mengestu](136780) In anderen Fällen schreibt ihr dann als Disclaimer "nach ganz h.M." vor die Lösung. Das wäre, finde ich, auch hier super :) Es bereiten sich dann doch einige User hier auf die Examina vor, in denen solche Kenntnisse noch eher erwartet werden/ "beeindruckend" wirken. (Wen es nicht interessiert, kann einen etwaigen Vertiefungshinweis ja skippen und auch den könnt ihr wegen mir weglassen, den Zusatz, dass dies hier nicht umstritten ist, fände ich aber super (inbs. schreibst du ja selbst, es darf eine "ausführliche Diskussion nicht erwartet werden", nicht aber, dass niemand es ansprechen würde.)) Das wäre richtig lieb, danke!

Dua

Dua

7.9.2024, 22:34:01

Hilfe, ich bin verwirrt. In welchen Fällen ist das Deliktsrecht denn genau anwendbar? Dass es auf den Mangel selbst nicht anwendbar ist, ist mir soweit klar, ansonsten stehe ich echt auf dem Schlauch 🤔

TI

Timurso

8.9.2024, 09:33:25

Ich würde es so fassen: Hinsichtlich der Beschädigung der mangelhaften Sache selbst liegt keine Rechtsgutsverletzung vor, da der Käufer nie Eigentümer der mangelfreien Sache war, bevor sie beschädigt wurde. Werden durch den Mangel dagegen andere Sachen im Eigentum des Käufer beschädigt, liegt eine Rechtsgutsverletzung vor, hier können Ansprüche aus Deliktsrecht bestehen. An der Anwendbarkeit des Deliktsrechrs dürfte es in der Regel nicht scheitern, wir haben ja kein EBV oder ähnliches.

Dua

Dua

8.9.2024, 17:26:43

Ahh, jetzt macht es für mich mehr Sinn! Danke, die Info hat mir gerade sehr geholfen 🙂

johannes.fr

johannes.fr

14.3.2025, 15:17:38

Stünde einer Genehmigungsfiktion der Ware nach § 377 Abs. 2 HGB nicht § 377 Abs.

5 HGB

entgegen, da H die Ware bei der Lieferung beschädigt hat und die Beschädigung verschwiegen hat?

LI

Lindasey

13.6.2025, 14:08:56

Hier wurde ja erst der

Schaden

sersatzsanspruch geprüft und anschließend aber festgestellt, dass der

Mangelfolgeschaden

ausgeschlossen ist. Soll dass dann so auch in der Prüfung gemacht werden oder reicht ein direkter Verweis auf den Ausschluss des

Mangelfolgeschaden

s?


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