Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Verwaltungsvollstreckung

Rechtsschutz gegen Zwangsmittel im Sofortvollzug

Rechtsschutz gegen Zwangsmittel im Sofortvollzug

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aus As geparkten Auto läuft Öl auf die Straße. Weil A nicht erreichbar ist, lässt Polizistin P das Auto von Unternehmerin U abschleppen. A war nur kurz beim Bäcker und ist der Meinung, dass P noch länger hätte warten müssen.

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Einordnung des Falls

Rechtsschutz gegen Zwangsmittel im Sofortvollzug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach einer Ansicht ist das Abschleppen eine Zwangsmaßnahme.

Ja, in der Tat!

Das Verhältnis zwischen den polizeirechtlichen Standardmaßnahmen und den Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ist umstritten. Nach einer Ansicht enthalten die Standardmaßnahmen sowohl die sog. Anordnungs- als auch die Ausführungsbefugnis. Die Ermächtigungsgrundlage umfasse daher nicht nur die Verfügung, sondern auch den Vollzug. Danach müsste kein Zwangsverfahren iSd. VwVG durchgeführt werden. Nach einer anderen Ansicht enthalten die Standardmaßnahmen nur die Anordnungsbefugnis. Bei der Ausführung handelt es sich daher um eine Zwangsmaßnahme. Nach der zweiten Ansicht hat P hier eine Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug (§ 6 Abs. 2 VwVG) durchgeführt.
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2. Die Rechtsnatur des sofortigen Vollzugs ist umstritten.

Ja!

Die Rechtsnatur des sofortigen Vollzugs ist entscheidend für den statthaften Rechtsbehelf. Nach der früheren herrschenden Meinung enthält der Sofortvollzug einen (konkludenten oder fiktiven) Verwaltungsakt. Für diese Ansicht spricht der eindeutige Wortlaut von § 18 Abs. 2 VwVG, wonach gegen die Maßnahmen im Sofortvollzug die Rechtsbehelfe statthaft sind, die auch gegen Verwaltungsakte statthaft sind. Die inzwischen h.L. ordnet den Sofortvollzug – trotz § 18 Abs. 2 VwVG – als schlichtes Realhandeln ein. Dafür spricht, dass es dem sofortigen Vollzug an einer Regelungswirkung fehlt.

3. Nach § 18 Abs. 2 VwVG kann A die Fortsetzungsfestellungsklage erheben.

Genau, so ist das!

Die inzwischen h.L. ordnet den Sofortvollzug – trotz § 18 Abs. 2 VwVG – zwar als schlichtes Realhandeln ein. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 2 VwVG sind dennoch die Rechtsbehelfe statthaft, die gegen Verwaltungsakte zur Verfügung stehen, also die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) und die Fortsetzungsfeststellungsklage (analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Eine andere Auffassung verweist trotz § 18 Abs. 2 VwVG auf die gegen Realakte gegebene Rechtsbehelfe (allgemeine Leistungsklage, Feststellungsklage). Diese Auffassung ist mit dem eindeutigen Wortlaut der Norm nicht vereinbar.A kann die Rechtswidrigkeit der – inzwischen erledigten – Zwangsmaßnahme mit der Fortsetzungsfestellungsklage feststellen lassen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KO

Kon

22.5.2024, 15:34:43

Ist diese Darstellung der h.L. nicht ein Widerspruch zu der vorherigen Darstellung der hL? In einer vorherigen Antwort heißt es: "Die inzwischen h.L. ordnet den

Sofortvollzug

als schlichtes Realhandeln ein. Die Betroffenen können daher Leistungsklage, gerichtet auf Rückgängigmachung einzelner Maßnahmen erheben oder aber die

Feststellungsklage

(§ 43 VwGO) gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme."

in persona

in persona

29.7.2024, 16:26:36

push

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

22.8.2024, 10:50:11

Hallo in die Runde, danke für die Nachfrage. Die Schwierigkeit bei dem Thema besteht darin, dass es innerhalb der verschiedenen Ansichten ebenfalls weitere Ansichten gibt, die sich voneinander unterscheiden. Man muss hier zwei Fragen differenzieren: 1. Die Frage nach der Rechtsnatur des

Sofortvollzug

s -> nach inzwischen h.L reines Realhandeln 2. Die Frage nach dem richtigen Rechtsbehelf -> hier besteht wegen § 18 Abs. 2 VwVG die Besonderheit, dass man sich - trotz der Einordnung des

Sofortvollzug

s als

Realakt

- weiterhin fragen muss, ob nicht doch der

Anfechtungswiderspruch

, die Anfechtungsklage bzw. die Fortsetzungs

feststellungsklage

in Betracht kommen. Diese Frage muss man sich in der Regel nicht stellen, „normalerweise“ gibt die rechtliche Qualität des Handelns der Behörde den statthaften Rechtsbehelf vor. Es gibt also innerhalb der h.L., die den

Sofortvollzug

als Realhandeln einordnet, wiederum Streit bzgl. des richtigen Rechtsbehelfs: a) Hier wird einerseits auf den eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 2 VwVG abgestellt, mit der Konsequenz, dass ausnahmsweise gegen einen

Realakt

die Rechtsbehelfe statthaft sind, die sonst nur gegen einen

Verwaltungsakt

statthaft wären (siehe z.B. Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 21.A. 2020). § 18 Abs. 2 VwVG findet über entsprechende Verweisungen bzw. als allgemein gültiger Rechtsgrundsatz entsprechend in den Ländern Anwendung (siehe z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 25.A. 2019, Anh. § 42 RdNr. 35). Siehe hierzu z.B. auch VG Berlin, Beschluss vom 12.01.2017, 24 L 302.16. (Ob hier dann ein Widerspruchsverfahren notwendigerweise durchzuführen ist, ist auch wieder umstritten (siehe Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 19.A. 2019, RdNr. 455f.)) b) Eine andere Ansicht argumentiert dafür, dass § 18 Abs. 2 VwVG nicht angewendet werden darf. Die Norm sei durch die später in Kraft getretene VwGO „außer Kraft gesetzt“ worden. Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die VwGO abschließend die Sachurteilsvoraussetzungen regele. Die Anwendung des § 18 Abs. 2 VwVG würde aber die Anfechtungsklage ausdehnen auf Akte, die keine

Verwaltungsakt

e seien. Dies führt dazu, dass ein Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung notwendig würde, wo die VwGO eigentlich gar kein Widerspruchsverfahren vorsieht (vgl. Pietzner, VerwArch 84, 261, 284f.). Ihr müsst diese sehr theoretische Debatte nicht im Detail kennen! In der Klausur sollte es ausreichen, wenn Ihr folgende Punkte i.R.d. statthaften Klage- bzw. Antragsart darstellt (vgl. hierzu eine Original-Examensklausur: Ogorek/Wessels, „,Über den Wolken‘ – Einsatz einer Flugsicherheitsbegleiterin“, JA 2024. 661): 1. Rechtsnatur des

Sofortvollzug

s umstritten -> h.L. =

Realakt

Arg.: Kein Bedürfnis der Konstruktion einer „Duldungsanordnung“ 2. Trotzdem: Anwendung § 18 Abs. 2 VwVG Konsequenz: Anfechtungsklage, Fortsetzungs

feststellungsklage

, §§ 80,

80a VwGO

im einstweiligen Rechtsschutz (wobei dieser meistens nicht in Betracht kommt, da sich die Maßnahmen i.d.R. bereits erledigt haben) Ich habe das Thema in der vorherigen Aufgabe noch etwas differenzierter dargestellt und hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team


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