Hallo in die Runde, danke für die Nachfrage. Die Schwierigkeit bei dem Thema besteht darin, dass es innerhalb der verschiedenen Ansichten ebenfalls weitere Ansichten gibt, die sich voneinander unterscheiden. Man muss hier zwei Fragen differenzieren:
1. Die Frage nach der Rechtsnatur des
Sofortvollzugs
-> nach inzwischen h.L reines Realhandeln
2. Die Frage nach dem richtigen Rechtsbehelf
-> hier besteht wegen § 18 Abs. 2 VwVG die Besonderheit, dass man sich - trotz der Einordnung des
Sofortvollzugs als
Realakt - weiterhin fragen muss, ob nicht doch der
Anfechtungswiderspruch, die
Anfechtungsklage bzw. die
Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht kommen. Diese Frage muss man sich in der Regel nicht stellen, „normalerweise“ gibt die rechtliche Qualität des Handelns der Behörde den statthaften Rechtsbehelf vor.
Es gibt also innerhalb der h.L., die den
Sofortvollzug als Realhandeln einordnet, wiederum Streit bzgl. des richtigen Rechtsbehelfs:
a) Hier wird einerseits auf den eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 2 VwVG abgestellt, mit der Konsequenz, dass ausnahmsweise gegen einen
Realakt die Rechtsbehelfe statthaft sind, die sonst nur gegen einen Verwaltungsakt statthaft wären (siehe z.B. Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 21.A. 2020). § 18 Abs. 2 VwVG findet über entsprechende Verweisungen bzw. als allgemein gültiger Rechtsgrundsatz entsprechend in den Ländern Anwendung (siehe z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 25.A. 2019, Anh. § 42 RdNr. 35). Siehe hierzu z.B. auch VG Berlin, Beschluss vom 12.01.2017, 24 L 302.16.
(Ob hier dann ein Widerspruchsverfahren notwendigerweise durchzuführen ist, ist auch wieder umstritten (siehe Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 19.A. 2019, RdNr. 455f.)
b) Eine andere Ansicht argumentiert dafür, dass § 18 Abs. 2 VwVG nicht angewendet werden darf. Die Norm sei durch die später in Kraft getretene VwGO „außer Kraft gesetzt“ worden. Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die VwGO abschließend die
Sachurteilsvoraussetzungen regele. Die Anwendung des § 18 Abs. 2 VwVG würde aber die
Anfechtungsklage ausdehnen auf Akte, die keine Verwaltungsakte seien. Dies führt dazu, dass ein Widerspruchsverfahren als Sach
urteilsvoraussetzung notwendig würde, wo die VwGO eigentlich gar kein Widerspruchsverfahren vorsieht (vgl. Pietzner, VerwArch 84, 261, 284f.).
Ihr müsst diese sehr theoretische Debatte nicht im Detail kennen! In der Klausur sollte es ausreichen, wenn Ihr folgende Punkte i.R.d. statthaften Klage- bzw.
Antragsart darstellt (vgl. hierzu eine Original-Examensklausur: Ogorek/Wessels, „,Über den Wolken‘ – Einsatz einer Flugsicherheitsbegleiterin“, JA 2024. 661):
1. Rechtsnatur des
Sofortvollzugs umstritten -> h.L. =
Realakt
Arg.: Kein Bedürfnis der Konstruktion einer „Duldungsanordnung“
2. Trotzdem: Anwendung § 18 Abs. 2 VwVG
Konsequenz:
Anfechtungsklage,
Fortsetzungsfeststellungsklage, §§ 80, 80a VwGO im einstweiligen Rechtsschutz (wobei dieser meistens nicht in Betracht kommt, da sich die Maßnahmen i.d.R. bereits erledigt haben)
Ich habe das Thema in der vorherigen Aufgabe noch etwas differenzierter dargestellt und hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen.
Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team