Grundfall: Erlass eines Kostenbescheids

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Grundstückseigentümerin E ist im Sabbatical. Behörde B lässt währenddessen im Sofortvollzug einen Baum auf Es Grundstück fällen, der sich gefährlich auf die Straße neigt, und erlässt einen formell rechtmäßigen Bescheid, wonach E die Kosten der Maßnahmen zu tragen hat. E ist empört.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Erlass eines Kostenbescheids

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat den Baum im Rahmen einer Ersatzvornahme fällen lassen.

Ja, in der Tat!

Die Zwangsmittel der Verwaltungsvollstreckung sind in § 9 VwVG (bzw. in den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften) abschließend aufgeführt. Eine Ersatzvornahme (§ 10 VwVG) liegt vor, wenn die Behörde eine vertretbare Handlung selbst oder durch einen von der Behörde beauftragten Dritten durchführt. Vertretbar ist die Handlung, wenn sie nicht vom Pflichtigen höchstpersönlich erfüllt werden muss bzw. nur dieser die Handlung vornehmen kann. Der Baum kann nicht nur von E gefällt werden. Es handelt sich um eine vertretbare Handlung. B hat den Baum fällen lassen und damit eine Ersatzvornahme durchgeführt. Da E im Sabbatical war, konnte vor der Maßnahme kein Verwaltungsakt gegenüber E erlassen werden. B handelte hier nach § 6 Abs. 2 VwVG im Sofortvollzug.
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2. Die Kosten des Verwaltungszwangs trägt immer der Staat.

Nein!

Die Vollstreckung eines Verwaltungsakts ist regelmäßig mit Kosten verbunden. Nach den jeweils einschlägigen (landesrechtlichen) Regelungen hat der Vollstreckungsschulder bzw. der Pflichtige die Kosten der Zwangsvollstreckung zu tragen (vgl. § 19 Abs. 1 S. 1 VwVG, § 77 Abs. 1 S. 1 VwVG NRW, § 67 Abs. 1 S. 1 NVwVG, § 74 Abs. 1 S. 1 VwVG LSA). Die Normen verweisen in der Regel auf Kostenordnungen, in denen die Kostentragungspflicht näher geregelt wird. Der Staat (und damit die Allgemeinheit) sollen nicht deswegen mit Kosten belastet werden, weil jemand seiner Pflicht nicht nachgekommen ist. Wäre dies der Fall, könnten Verwaltungsakte ohne Konsequenzen für den Adressaten durch diesen „ignoriert“ werden.

3. Die Ermächtigung für den Erlass des Kostenbescheids ergibt sich aus § 6 Abs. 2 VwVG

Nein, das ist nicht der Fall!

4. Der Kostenbescheid ist formell rechtmäßig. Müsste der Kostenbescheid auch materiell rechtmäßig sein?

Ja, in der Tat!

Die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids prüfst Du im gewohnten Dreischritt: (1) Ermächtigungsgrundlage, (2) Formelle Rechtmäßigkeit, (3) Materielle Rechtmäßigkeit. Der Kostenbescheid ist formell rechtmäßig, wenn die Behörde die Zuständigkeits -, Verfahrens - und Formvorschriften eingehalten hat. Die Zuständigkeit ergibt sich aus der jeweils einschlägigen (landesrechtlichen) Norm. Zuständig ist die Behörde, die Kostengläubiger ist, also die die Amtshandlung vorgenommen hat, durch die die Kosten entstanden sind (vgl. z.B. § 77 Abs. 1 S. 1 VwVG NRW). Bezüglich des Verfahrens und der Form sind die üblichen Normen aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht einzuhalten (insbesondere § 28 Abs. 1 VwVfG, § 37 VwVfG, § 41 VwVfG). Laut Sachverhalt ist der Kostenbescheid formell rechtmäßig. Im nächsten Schritt kommt es auf dessen materielle Rechtmäßigkeit an.

5. Die jeweils einschlägigen Normen (z.B. § 19 Abs. 1 S. 1 VwVG) setzen ihrem Wortlaut nach ausdrücklich voraus, dass die Behörde rechtmäßig vollstreckt hat.

Nein!

Die Normen zur Kostentragungspflicht enthalten keine ausdrücklich Aussage dazu, ob die Vollstreckungsmaßnahme rechtmäßig sein muss. Man könnte daher davon ausgehen, dass dies für die Kostentragungspflicht des Pflichtigen nicht entscheidend ist, dieser also auch die Kosten einer rechtswidrigen Vollstreckung tragen muss. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht mit den Grundsätzen des Rechtsstaats zu vereinbaren. Zudem spricht die Formulierung „Amtshandlungen nach diesem Gesetz” dafür, dass davon nur rechtmäßige Amtshandlungen umfasst sind. Die Rechtmäßigkeit von Bs Kostenbescheid setzt zunächst voraus, dass die Vollstreckungsmaßnahme nach § 6 Abs. 2 VwVG rechtmäßig war. An dieser Stelle musst Du also inzident die Rechtmäßigkeit des Verwaltungszwangs prüfen. Hier wird der Schwerpunkt Deiner Prüfung liegen!

6. Der Kostenbescheid müsste weiterhin gegenüber dem richtigen Schuldner ergangen sein, sowie fällige und erstattungsfähige Kosten enthalten. Zudem muss der Bescheid verhältnismäßig sein.

Genau, so ist das!

Die materielle Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids setzt neben der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme voraus, dass fällige und erstattungsfähige Kosten gefordert werden. Dies richtet sich nach den Normen der jeweiligen Kosten- bzw. Abgabenordnung (vgl. z.B. § 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 VO VwVG NRW). Weiterhin gelten allgemeine Grundsätze, z.B. dass der Bescheid ermessensfehlerfrei (§ 40 VwVfG) ergangen ist. Dies erfordert insbesondere, dass die Behörde den richtigen Schuldner ausgewählt hat und die Auferlegung der Kosten verhältnismäßig ist. Die Klausur würde an dieser Stelle mehr Details für die materielle Prüfung enthalten. Uns kommt es hier erstmal darauf an, dass Du die Prüfungsstruktur nachvollziehen kannst!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸

Burumar🐸

28.1.2024, 10:54:02

Bei einer Frage fehlt der Antworttext

ALE

Aleks_is_Y

29.2.2024, 14:10:07

In einem früheren Kapitel habt ihr die Abgrenzung anhand des Interesses des Pflichtigen vorgenommen: Fiktive/ hypothetische Zustimmung zur

Ersatzvornahme

, bzw. Handeln im Interesse des Pflichtigen. Hier könnte man doch Annehmen, dass die Fällung des Baums im Interesse der Pflichtigen lag und somit eigentlich ein ASOG Fall vorliegt, oder habe ich etwas falsch verstanden?


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