Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

Grundfall 3a: Eingriff durch Urteil eines Strafgerichts

Grundfall 3a: Eingriff durch Urteil eines Strafgerichts

5. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Sicherungsverwahrte S ist wütend auf die JVA-Mitarbeiterin M. Aufgrund von Computerprobleme wurde S nicht rechtzeitig sein Taschengeld zur Verfügung gestellt. S beschwert sich bei M und bezeichnet diese im Rahmen dessen als „Trulla“. S wird wegen Beleidigung verurteilt.

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Einordnung des Falls

Grundfall 3a: Eingriff durch Urteil eines Strafgerichts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Meinungsäußerungen mit beleidigendem Inhalt fallen grundsätzlich aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein!

Aus einem Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 2 Var. 3 GG ergibt sich, dass Meinungsäußerungen nicht bereits aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG herausfallen, wenn sie scharf oder verletzend formuliert werden. Weiterhin spricht auch der für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstitutive Zweck der Meinungsfreiheit dafür, überspitzten, polemischen oder verletzenden Äußerungen nicht generell den grundrechtlichen Schutz zu versagen. Das Wort „Trulla“ hat grundsätzlich einen ehrverletzenden Charakter. Dies schließt S‘ Aussage aber nicht aus dem Schutzbereich des Grundrechts aus. S Äußerung ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Hier liegt ein irgendwie nachvollziehbarer Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung vor (über die Computerprobleme). Deshalb liegt keine – von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht geschützte – reine Schmähkritik vor. Verletzende Meinungsäußerungen und Schmähkritik sind Klausurklassiker. Aufpassen!
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2. Die strafrechtliche Verurteilung greift in S‘ Meinungsfreiheit ein (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

Genau, so ist das!

Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit liegt vor, wenn eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt die Meinungsäußerung oder Meinungsverbreitung durch Ge- oder Verbote beeinträchtigt. Die strafrechtliche Verurteilung beschränkt S in seiner Meinungsäußerung und stellt daher einen Eingriff in seine Meinungsfreiheit dar. Ob ein Eingriff in ein Grundrecht vorliegt, ist meist wenig problematisch und kann oftmals kurz festgestellt werden. Die Rechtfertigung stellt regelmäßig den Klausurschwerpunkt dar.Im zugrundeliegenden Ausgangsfall hatte es das Amtsgericht versäumt, eine konkrete Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beamtin und der Meinungsfreiheit vorzunehmen, weshalb das BVerfG die Entscheidung aufhob und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwies.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

inchen9

inchen9

27.8.2024, 14:53:41

Hallo, ich frage mich gerade im Zusammenhang mit den davor gestellen Fragen, wie eine Prüfung der Rechtfertigung aussähe, wenn m

ehre

re Eingriffe vorliegen würden. Also Eingriffe aufgrund eines schutzbereichsbeschränkenden Urteils, Gesetzes und eines Aktes der öffentlichen Gewalt. Sieht die Prüfung der Rechtfertigung dann so aus, dass die Rechtfertigung „jedes Eingriffes“ inzident und alleine zu prüfen ist? Vielen Dank im Voraus

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

30.8.2024, 12:03:19

Hallo @[inchen9](230171), danke für Deine Frage. Eine Fallkonstellation, in der wegen des gleichen Sachverhalts zugleich Eingriffe durch ein Urteil, durch ein Gesetz und durch eine Maßnahme der vollziehenden Gewalt (z.B. Verwaltungsakt) vorliegen, kann ich mir ehrlich gesagt nicht so ganz vorstellen. Hast Du einen Fall vor Augen? Solltest Du einen Fall haben, in dem der

Grundrechtsträger

von einem ihn belastenden Verwaltungsakt betroffen ist (Grundrechtseingriff), das auf einem ihn belastenden Gesetz beruht (Grundrechtseingriff), und in dem der

Grundrechtsträger

gegen den Verwaltungsakt geklagt hat, aber vor Gericht unterliegt (Grundrechtseingriff), so prüfst Du in Deiner Klausur typischerweise entweder ein Rechtsmittel gegen das Urteil (also z.B. Berufung zum OVG / VGH bzw. Beschwerde bei Eilrechtsschutz) oder eine Urteilsverfassungsbeschwerde. Im Rechtsmittel prüfst Du dann, ob der belastende Verwaltungsakt rechtswidrig und der

Grundrechtsträger

durch ihn in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Ist das der Fall (und ist die Berufung zugelassen), ist das erstinstanzliche Urteil aufzuheben. Du prüfst aber hier keine typisch grundrechtliche Eingriffsdogmatik, sondern Du prüfst klassisch die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nach dem Schema (1) Ermächtigungsgrundlage, (2) formelle Rechtmäßigkeit des VA, (3) materielle Rechtmäßigkeit des VA. Auf die Grundrechte gehst Du dann nur in der Verhältnismäßigkeit ein. In der Urteilsverfassungsbeschwerde prüfst Du, ob das Urteil spezifisches Verfassungsrecht verletzt. Hier prüfst Du dann nach der klassischen grundrechtlichen Eingriffsdogmatik. Der Eingriff, den Du prüfst, liegt hier aber in dem Urteil, also dass das Gericht bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts spezifisches Verfassungsrecht verletzt hat. In beiden Konstellationen muss das zugrunde liegende Gesetz seinerseits rechtmäßig / verfassungsmäßig sein. Das prüfst Du (inzident) aber nur dann, wenn in Deiner Klausur Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes vorliegen. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

HockHex

HockHex

15.10.2024, 22:44:24

So wie ich das Kapitel zum Schutzbereich bei beleidigenden Aussagen verstanden habe fällt - entgegen dem Vertiefungshinweis bei der ersten Frage hier - Schmähkritik nach dem BVerfG und auch nach der hier grundsätzlich vertretenen Auffassung doch in den Schutzbereich und tritt erst auf Rechtfertigungsebene hinter (idR dem

APR

) zurück oder nicht?


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