Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Einführungsfall: Was ist das Widerspruchsverfahren?

Einführungsfall: Was ist das Widerspruchsverfahren?

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lawra (L) hat beim zuständigen Amt „BAföG“ beantragt, um ihr Studium finanzieren zu können. Behörde B lehnt den Antrag ab. In der Rechtsbehelfsbelehrung steht: „Sie können gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen.“ L fragt sich, was das bedeutet und was ihr das bringen würde.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall: Was ist das Widerspruchsverfahren?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mit dem Widerspruch wird das Vorverfahren (§ 68 VwGO) eingeleitet. Handelt es sich hierbei um ein gerichtliches Verfahren?

Nein, das trifft nicht zu!

Die (erfolglose) Durchführung eines Vorverfahrens ist in § 68 VwGO als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage normiert. Es handelt sich aber um ein behördliches Verfahren, nicht um ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Trotzdem gilt dafür gemäß § 79 Hs. 1 VwVfG die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Denn der Widerspruch, welcher das Vorverfahren einleitet, ist ein förmlicher Rechtsbehelf gegen Verwaltungsakte. Die Vorschriften des VwVfG gelten aber subsidiär (§ 79 Hs. 2 VwVfG), soweit sich in der VwGO keine speziellen Regelungen finden. Aufgrund dieses Zusammenspiels der VwGO und des VwVfG werden in der Prüfung des Vorverfahrens Vorschriften aus beiden Gesetzen relevant. Das schauen wir uns später genau an!
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2. Der Widerspruch hat in der Regel immer einen Verwaltungsakt zum Gegenstand. Da L einen Verwaltungsakt erhalten hat, ist der Widerspruch statthaft.

Ja!

Der Widerspruch ist grundsätzlich nur dann statthaft, wenn er sich gegen einen ergangenen Verwaltungsakt richtet. Ein Verwaltungsakt liegt auch in der behördlichen Ablehnung eines beantragten Verwaltungsakts. Der Widerspruch ist daher in zwei Formen denkbar: (1) als Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 VwGO) und (2) als Verpflichtungswiderspruch (§ 68 Abs. 2 VwGO). Der Bescheid der Behörde hat die Ablehnung des von L begehrten Leistungsbescheids zum Gegenstand. Der einzulegende Widerspruch wäre daher ein Verpflichtungswiderspruch, gerichtet auf den Erlass des begehrten, aber versagten Leistungsbescheid. Der Widerspruch richtet sich danach, welche Klage statthaft wäre. Hier begehrt L letztlich den Erlass eines Verwaltungsakts, nämlich des (versagten) BaföG-Leistungsbescheids. Statthaft wäre daher die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) und somit der Verpflichtungswiderspruch. Die Unterscheidung zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungswiderspruch ist – genau wie bei den entsprechenden Klagearten – entscheidend für Dein Prüfprogramm.

3. Mit dem Vorverfahren soll die Behörde die Möglichkeit bekommen, ihr Handeln selbst zu überprüfen.

Genau, so ist das!

Mit dem Vorverfahren soll der Verwaltung die Möglichkeit gegeben werden, ihre eigene Entscheidung erneut zu überprüfen. Stellt sich der Verwaltungsakt als unzweckmäßig oder gar rechtswidrig heraus, kann die Behörde ihren „Fehler“ selbst korrigieren, bevor es zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Zudem werden dadurch die Gerichte entlastet, da nicht jede Streitigkeit zwischen Bürger und Behörde zu einem Prozess wird. Erkennt die Behörde ihren „Fehler“, hilft die Behörde dem Widerspruch ab (§ 72 VwGO), d.h. sie hebt den angegriffenen Verwaltungsakt auf. Hält sie ihr Handeln weiterhin für richtig, muss sie den Widerspruch i.d.R. der nächsthöheren Behörde vorlegen (vgl. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO). Dazu später mehr!

4. Der Widerspruch ist außerdem – im Vergleich zur Klage – eine kostengünstige, niedrigschwellige Rechtsschutzmöglichkeit für den Bürger.

Ja, in der Tat!

Zum einen soll die Behörde im Rahmen des Vorverfahrens die Möglichkeit erhalten, ihr Handeln erneut selber auf Recht- und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Andererseits profitiert durch die Möglichkeit des Widerspruchs auch der Bürger: Das Vorverfahren bietet die Möglichkeit, den Verwaltungsakt aufheben zu lassen, ohne Klage zu erheben und damit ein Prozesskostenrisiko einzugehen. Zwar gibt es nach § 80 Abs. 1 S. 3 VwVfG auch ein bestimmtes Kostenrisiko für den Bürger, wenn der Widerspruch erfolglos bleibt. Die Kosten werden aber i.d.R. geringer sein, als die Kosten, die aus einem verlorenen Gerichtsprozess entstehen. Achtung Landesrecht: In 10 von 16 Bundesländern ist das Widerspruchsverfahren ganz oder teilweise abgeschafft. Weitgehend ausgeschlossen sind Vorverfahren in Niedersachsen (§ 80 Abs. 1 NJG) und Nordrhein-Westfalen (§ 110 Abs. 1 JustG NRW). Andere Länder wie Sachsen-Anhalt (§ 8a AG VwGO LSA) oder Bayern (Art. 12 Abs. 2 AGVwGO Bay) haben das Vorverfahren teilweise abgeschafft oder begrenzt. Dazu später mehr!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

robse27

robse27

4.7.2024, 13:34:11

Moin, erstmal super, dass es jetzt auch das Widerspruchsverfahren gibt. Danke! :) Im ersten Erklärungskasten ist von „

Verwaltungsprozessordnung

“ die Rede, bitte auf „Verwaltungsgerichtsordnung“ (oder einfach VwGO) korrigieren. Danke! :)

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

15.7.2024, 17:58:59

Hallo @[robse27](211434), danke für Dein positives Feedback und den Hinweis auf den Tippfehler. Ich habe das jetzt korrigiert. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team.


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