Referendariat

Die zivilrechtliche Anwaltsklausur

Die Anwaltsklausur aus Beklagtensicht (Typ 2)

Mandant legt zugestellte Klage nach Ablauf der Frist des § 276 Abs. 1 ZPO vor - bei der Geschäftsstelle kann niemand erreicht werden

Mandant legt zugestellte Klage nach Ablauf der Frist des § 276 Abs. 1 ZPO vor - bei der Geschäftsstelle kann niemand erreicht werden

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mandant M legt Anwältin A eine ihm zugestellte Klage mit Versäumnisurteil-Antrag vor. Die ihm im schriftlichen Vorverfahren zur Verteidigungsanzeige gesetzte Frist hat M unverschuldet versäumt (§ 276 Abs. 1 ZPO). Bei der Geschäftsstelle ist niemand zu erreichen.

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Einordnung des Falls

Mandant legt zugestellte Klage nach Ablauf der Frist des § 276 Abs. 1 ZPO vor - bei der Geschäftsstelle kann niemand erreicht werden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A wird dem M raten, unverzüglich die Verteidigungsanzeige abzugeben und auf die Klage zu erwidern.

Genau, so ist das!

Da die Nachfrage bei der Geschäftsstelle mangels Erreichbarkeit erfolgslos blieb, steht nicht fest, ob dort bereits ein unterschriebenes Versäumnisurteil liegt. Daher sind Zweckmäßigkeitserwägungen (1) sowohl für den Fall, dass noch kein unterschriebenes Versäumnisurteil auf der Geschäftsstelle liegen sollte (2) als auch für den Fall, dass ein solches der Geschäftsstelle bereits übermittelt wurde, anzustellen. Nach § 331 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 ZPO kann auch eine verspätete Verteidigungsanzeige den Erlass des Versäumnisurteils verhindern, sofern diese bei Gericht eingeht, bevor das von den Richtern unterschriebene Versäumnisurteil der Geschäftsstelle übermittelt ist. Auch wenn unklar ist, ob der Geschäftsstelle bereits ein Versäumnisurteil von den Richtern übermittelt wurde, ist es zweckmäßig, unverzüglich die Verteidigungsanzeige gegenüber dem Gericht abzugeben und auf die Klage zu erwidern.
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2. Zugleich sollte hilfsweise für den Fall der bereits erfolgten Übermittlung des Versäumnisurteils an die Geschäftsstelle ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO gestellt werden.

Ja, in der Tat!

M hat die Frist zur Verteidigungsanzeige, mithin eine Notfrist nach § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO versäumt. Zudem war die Fristversäumnis unverschuldet. Für den Fall, dass das Versäumnisurteil bereits an die Geschäftsstelle übermittelt (=erlassen), aber dem Mandanten noch nicht zugestellt wurde, ist es daher aus anwaltlicher Vorsicht zweckmäßig, im Verteidigungsschriftsatz hilfsweise einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 233 ZPO zu stellen. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nur bei unverschuldeter Fristversäumnis sinnvoll. Andernfalls fehlt der Wiedereinsetzungsgrund.Entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO ("Notfrist") wird teilweise vertreten, dass eine Wiedereinsetzung nicht möglich sei, da hierfür das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Für die Wiedereinsetzung spricht indes, dass dadurch auch der Vollstreckungsschutz gestärkt wird (§ 719 Abs. 1 S. 2 ZPO).Vorsicht: Im Thomas/Putzo (§ 276 RdNr. 5) wird lediglich auf die Mindermeinung verwiesen!

3. Zudem ist es zweckmäßig bereits hilfsweise Einspruch einzulegen.

Nein!

Ein Einspruch ist nur gegen ein bereits existentes Versäumnisurteil statthaft, § 338 ZPO. Ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren wird erst durch Zustellung existent, § 310 Abs. 3 S. 1 ZPO. Selbst wenn die Übermittlung des Versäumnisurteils an die Geschäftsstelle bereits erfolgt wäre, ist es ohne Zustellung noch nicht existent (§ 310 Abs. 3 S. 1 ZPO). Ein Einspruch ginge ins Leere und ist somit zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht zweckmäßig. Sollte das Gericht ein der Geschäftsstelle übermitteltes Versäumnisurteil trotz des gestellten Wiedereinsetzungsantrags zustellen lassen oder wurde die Zustellung bereits zuvor veranlasst, läuft dagegen die Verteidigungsanzeige samt Wiedereinsetzungsantrag ins Leere. Dann kann aber nach Zustellung des Versäumnisurteils immer noch Einspruch eingelegt werden. Für diesen Fall ist der Mandant darauf hinzuweisen, sofort mitzuteilen, falls ihm ein Versäumnisurteil zugeht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Andeutungstheorie

Andeutungstheorie

29.5.2024, 15:10:22

Was nutzt einem hier der hilfsweise Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand? Fest steht: Die Frist zur Verteidigungsanzeige ist abgelaufen. Unklar ist: Ist das VU bereits auf dem Weg. Wurde das VU erlassen, bringt einem der Antrag nichts mehr. Wurde das VU noch nicht erlassen, ist der Antrag doch ebenfalls nicht nötig oder?

Nocebo

Nocebo

23.7.2024, 14:56:09

Ich finde das auch total sinnlos, ich glaube auch das geht gar nicht. Denn die Wiedereinsetzung ist ja mit der Handlung zu verbinden, hier ggf. dem Einspruch. Eine Wiedereinsetzung ohne Einspruch macht von vorneherein keinen Sinn.

Nocebo

Nocebo

28.7.2024, 09:09:34

Hierzu auch: "Nicht rechtzeitig ist sie, wenn sie nicht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen (§ 276 Abs. 1 S. 1) bei Gericht eingeht. Nach § 331 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 verhindert aber auch ein verspäteter Eingang der Verteidigungsanzeige den Erlass des Versäumnisurteils noch solange, wie das von den Richtern unterschriebene Versäumnisurteil noch nicht der Geschäftsstelle übermittelt wurde (das Gericht trifft insoweit aber keine Nachforschungspflicht, vgl. KG MDR 1989, 1003)." (BeckOK ZPO/Toussaint, 53. Ed. 1.7.2024, ZPO § 331 Rn. 18) Mir erschließt sich nicht, welchen Zweck die Wiedereinsetzung bzgl. der VERTEIDIGUNGSANZEIGE haben könnte. Und bzgl. der EINSPRUCHSFRIST wäre sie, wie schon gesagt, unbegründet, wenn nicht gleichzeitig auch Einspruch eingelegt werden würde.

Nocebo

Nocebo

28.7.2024, 09:13:47

Hier, wie von Jurafuchs angegeben, hätte ich mal sofort schauen sollen: "Im Gesetz ist auch die Frist zur Anzeige der Verteidigungsabsicht (§ 276 Abs. 1 S. 1) im schriftlichen Vorverfahren als Notfrist bezeichnet. Für diese Frist wird verschiedentlich gegen den eindeutigen Wortlaut von Abs. 1 die Möglichkeit der Wiedereinsetzung verneint, und zwar mit der Begründung, hierfür bestehe kein Bedürfnis, weil die Rechtsfolge der Fristversäumnis das Versäumnisurteil des schriftlichen Vorverfahrens sei (§ 331 Abs. 3) und gegen dieses Einspruch eingelegt werden könne. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Zwar ist die gesetzliche Regelung etwas systemfremd. Doch muss sie gleichwohl beachtet werden. Es trifft nicht zu, dass für die Wiedereinsetzung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Vor Erlass des Versäumnisurteils bleibt eine gewisse Zeitspanne (zwischen Übergabe des Urteils an die Geschäftsstelle und Zustellung), für die der Wiedereinsetzungsantrag sinnvoll ist. Nach Zustellung des Versäumnisurteils konkurriert der Wiedereinsetzungsantrag zwar mit dem Einspruch, dessen Einlegung zur Beseitigung des Versäumnisurteils unumgänglich ist. Die Wirkungen der Wiedereinsetzung gehen aber teilweise über den Einspruch hinaus. Mit der Wiedereinsetzung steht (rückwirkend) fest, dass das Versäumnisurteil zu Unrecht ergangen ist, denn die Partei war nicht säumig. Das bedeutet, dass gemäß § 719 Abs. 1 S. 2 der Vollstreckungsschutz gegen das Urteil gestärkt ist. Schon allein wegen dieser Unterschiede besteht kein ausreichender Grund, für den Antrag auf Wiedereinsetzung das Rechtsschutzbedürfnis generell zu versagen." (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 233 Rn. 19)


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