Strafrecht

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Entscheidungen von 2023

„Geldzauberei“: Betrug oder Diebstahl? Unmittelbares Ansetzen?(OLG Hamm, Urt. v. 07.12.2023 - 4 ORs 111/23)

„Geldzauberei“: Betrug oder Diebstahl? Unmittelbares Ansetzen?(OLG Hamm, Urt. v. 07.12.2023 - 4 ORs 111/23)

22. Januar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und O wollen einen Kaufvertrag abwickeln. T sagt O, er habe die hierfür mitgebrachten Geldscheine chemisch behandelt, um nicht mit dieser Menge Bargeld aufzufallen. T zeigt O schwarzes Papier. T tröpfelt Flüssigkeit auf ein Papier, das scheinbar zu €50 wird. In echt tauscht T das Papier gegen einen Geldschein.

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Einordnung des Falls

„Geldzauberei“: Betrug oder Diebstahl? Unmittelbares Ansetzen?(OLG Hamm, Urt. v. 07.12.2023 - 4 ORs 111/23)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 23 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T sagt zu O, er brauche €500, um das restliche Geld „umzuwandeln“. O gibt T das Geld, T verschwindet (wie geplant) damit. Könnte sich T wegen Diebstahl strafbar gemacht haben (§ 242 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls setzt im Tatbestand voraus: (1) Objektiver Tatbestand: Wegnahme einer fremden beweglichen Sache. (2) Subjektiver Tatbestand (a) Vorsatz (b) Zueignungsabsicht (3) Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz (4) Rechtswidrigkeit (5) Schuld. Beachte ggf. die besonders schweren Fälle (§ 243 StGB) i.R.d. Strafzumessung. Diese prüfst Du nach der Schuld.
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2. O hat die €500 in bar bei dem Treffen dabei. Handelt es sich bei den Geldscheinen um für T fremde bewegliche Sachen i.S.d. § 242 Abs. 1 StGB?

Ja!

Sachen sind körperliche Gegenstände. Eine Sache ist beweglich, wenn sie tatsächlich fortgeschafft werden kann. Eine Sache ist für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist. Ein Geldschein ist ein körperlicher Gegenstand und kann fortgeschafft werden. Das Geld stand im Alleineigentum des O und war damit für den T fremd. Bei den Geldscheinen handelt es sich um fremde bewegliche Sachen.

3. T hat den O durch eine Lüge dazu bewegt, ihm die €500 zu geben, um dann damit zu verschwinden. Könnte hierin eine Wegnahme durch T liegen?

Genau, so ist das!

In Fällen, in denen der Täter dem Opfer etwas vorspielt, um das Opfer zu bewegen, ihm etwas zu geben, musst du immer an die Abgrenzung von Trick-Diebstahl und Sachbetrug denken. Dies sprichst Du entweder i.R.d. der Wegnahme (wenn Du – wie hier – zuerst § 242 StGB prüfst) oder aber am Merkmal der Vermögensverfügung i.R.v. § 263 StGB. Betrug und Diebstahl stehen nach ganz h.M. in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander. Das hängt mit der Schädigungsart der Delikte zusammen: Der Betrug ist ein Selbstschädigungsdelikt, der Diebstahl ein Fremdschädigungsdelikt. Die h.M. verlangt deshalb, dass für die Verwirklichung des Betruges das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung vorliegt. Eine tatbestandsmäßige Handlung kann nach h.M. nur entweder als Diebstahl oder Betrug strafbar sein. Das Exklusivitätsverhältnis von Betrug und Diebstahl entspricht der ganz herrschenden Meinung. Du solltest dem in der Klausur unbedingt folgen und die Abgrenzung zwischen den Delikten auf jeden Fall thematisieren, sofern im Sachverhalt diesbezüglich Probleme angelegt sind.

4. Die Abgrenzung von (Sach-)Betrug und (Trick-)Diebstahl nimmst Du entweder beim Tatbestandsmerkmal „Wegnahme“ i.R.d. Diebstahl oder bei der „Vermögensverfügung“ i.R.d. Betruges vor.

Ja, in der Tat!

Es kommt darauf an, welches Delikt Du zuerst prüfst. Fängst Du – wie hier – mit dem Diebstahl an, prüfst Du die Abgrenzung i.R.d. Wegnahme. Du solltest die Abgrenzung nicht „im luftleeren Raum“ (abstrakt) vornehmen, sondern zeigen, dass Du verstanden hast, wo man diese dogmatisch anknüpft. Über das Merkmal der Wegnahme sowie der Vermögensverfügung lässt sich das Fremd- vom Selbstschädigungsdelikt abgrenzen. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Eine durch Täuschung erleichterte Wegnahme liegt insbesondere vor, wenn der Gewahrsam unbewusst aufgegeben wurde. Dann liegt lediglich eine Gewahrsamslockerung vor. Eine Vermögensverfügung ist dagegen jedes freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Beim Sachbetrug ist stets ein Verfügungsbewusstsein des Opfers erforderlich. Eine Vermögensverfügung ist insbesondere gegeben, wenn der Getäuschte den Gewahrsam bewusst und freiwillig überträgt. Freiwilligkeit bestimmt sich dabei nach der inneren Willensrichtung des Opfers. Keine Vermögensverfügung liegt vor, wenn das Opfer sich aus seiner Sicht in einer Zwangslage befindet (sog. Beschlagnahmefälle).

5. O gibt dem T seine €500 zur Umwandlung des eingefärbten Geldes. Könnte, grundsätzlich eine Wegnahme vorliegen, obwohl O dem T sein Geld übergibt?

Ja!

Ein Gewahrsamsbruch kann im Falle der Gewahrsamslockerung auch dann vorliegen, wenn das Opfer dem Täter selbst die Sache gibt. Fehlt dem Opfer das Bewusstsein, seinen Gewahrsam an einer Sache vollständig aufzugeben, so liegt lediglich eine diebstahlerleichternde Gewahrsamslockerung vor. Häufig schließt sich daran die eigentliche Wegnahme an. Klassisches Beispiel ist die Bitte, kurz ein Handy zum Telefonieren zu nutzen, um dann mit dem fremden Handy abzuhauen. Eine Gewahrsamslockerung ist anzunehmen, wenn an einem bereits bestehenden Gewahrsamsverhältnis lediglich eine vorübergehende Verhinderung an der Ausübung der unmittelbaren tatsächlichen Gewalt eintritt. In diesem Fall besteht der Gewahrsam nach wie vor fort. Damit könnte grundsätzlich ein Gewahrsamsbruch und damit eine Wegnahme vorliegen, auch wenn O dem T selbst die Geldscheine gibt.

6. Nachdem O dem T seine Geldscheine gegeben hat, schlagen beide ein, verabschieden sich und T geht. Liegt hier lediglich eine Gewahrsamslockerung vor?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Gewahrsamslockerung ist anzunehmen, wenn an einem bereits bestehenden Gewahrsamsverhältnis lediglich eine vorübergehende Verhinderung an der Ausübung der unmittelbaren tatsächlichen Gewalt eintritt. Als O dem T sein Geld gegeben hat, wollte er, dass T dies dafür benutzt, das schwarz gefärbte Geld in echtes Geld umzuwandeln. Dafür sollte T selbst Gewahrsam an den Geldscheinen erlangen. Dafür spricht, dass O nach der Geldübergabe mit T einschlug. Es lag nicht nur eine vorübergehende Verhinderung an der Ausübung der unmittelbaren tatsächlichen Gewalt vor. Damit liegt keine Wegnahme vor. Im Originalfall führte das OLG Hamm aus, dass ein Trickdiebstahl vorläge, wenn der Täter das Opfer durch die Vortäuschung der Fähigkeit und Bereitschaft, Geldscheine zu vermehren dazu bewegen wolle, seinen Gewahrsam an den Scheinen lediglich zu lockern, um dann unbemerkt die Geldscheine an sich zu nehmen (RdNr. 18).

7. Da ein Diebstahl ausscheidet, muss Du prüfen, ob T sich wegen Betruges gegenüber und zulasten des O strafbar gemacht hat (§ 263 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Der Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB setzt voraus: (1) Objektiver Tatbestand (a) Täuschung über Tatsachen (b) Irrtum (c) Vermögensverfügung (d) Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (2) Subjektiver Tatbestand (a) Vorsatz (b) Bereicherungsabsicht (3) Rechtswidrigkeit (4) Schuld Auch hier musst Du ggf. i.R.d. Strafzumessung die besonders schweren Fälle (§ 263 Abs. 3 StGB) ansprechen. Beginne bei der Abgrenzung von § 242 StGB / § 263 StGB klausurtaktisch mit dem Delikt, welches nicht vorliegt und diskutiere die Abgrenzungsproblematik dort im entsprechenden Tatbestandsmerkmal. Schließe dann die Prüfung des Delikts an, das tatsächlich vorliegt. Solltest Du starke Zeitprobleme haben, kannst Du auch direkt mit dem Delikt beginnen, welches Du bejahen möchtest. Im zweiten Examen prüfst Du direkt das Delikt, welches Du bejahen willst.

8. Hat T den O über Tatsachen getäuscht, indem er O sagte, er könne das schwarze Papier in Geld umwandeln?

Ja!

Tatsachen sind dem Beweis zugängliche Ereignisse oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit. Täuschung ist die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel bewusster Irreführung. T hat O gesagt, bei dem schwarzen Papier handle es sich in echt um Geldscheine und dass er diese mithilfe von Chemikalien in Geld zurückumwandeln könne. Ob es sich bei dem schwarzen Papier tatsächlich um Geld oder nur um schwarzes Papier handelt, ist eine Tatsache, die dem Beweis zugänglich ist. Indem T sagte, er könne das schwarze Papier durch chemische Behandlung zu Geld umwandeln und dies vorführte, hat er O getäuscht. Damit hat T den O über Tatsachen getäuscht.

9. Unterlag der O durch Ts Täuschung auch einem Irrtum?

Genau, so ist das!

Irrtum bezeichnet das Auseinanderfallen von subjektiver Vorstellung und objektiver Wirklichkeit. O dachte infolge von Ts Täuschung, dass es sich bei dem schwarzen Papier tatsächlich um Geldscheine handle und dass T diese in echtes Geld umwandeln würde, wenn er ihm Geld zur Besorgung der Chemikalien geben würde. Dies entsprach nicht der objektiven Wirklichkeit. Damit unterlag O einem Irrtum infolge der Täuschung durch den T.

10. Hat O infolge seines Irrtums über sein Vermögen verfügt, als er dem T seine Geldscheine im Wert von €500 gab?

Ja, in der Tat!

Eine Vermögensverfügung ist jedes freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Beim Sachbetrug ist stets ein Verfügungsbewusstsein des Opfers erforderlich. Freiwilligkeit bestimmt sich nach der inneren Willensrichtung des Opfers. O kam es hier darauf an, T sein Geld zu geben, damit er aus dem schwarzen Geld echtes Geld mache. Dafür war er damit einverstanden, dass T sein Geld mit sich nimmt. Dafür spricht, dass T und O eingeschlagen haben, nachdem O dem T seine Geldscheine gab. Damit hat er T freiwillig und bewusst sein Geld überlassen. Im Originalfall führte das OLG Hamm aus, dass ein Betrug vorläge, wenn das Opfer durch die Täuschung dazu bewegt werden solle, nicht nur seinen Gewahrsam zu lockern, sondern dem Täter eigenen Gewahrsam an dem Geld einzuräumen (RdNr. 23).

11. Ist bei O infolge seiner Vermögensverfügung (nach einer Gesamtsaldierung) ein Vermögensschaden eingetreten?

Ja!

Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt. Es ist nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung die Gesamtheit aller mit der Vermögensverfügung verbundenen Zu- und Abflüsse des Vermögens abzustellen. Indem O dem T die Geldscheine gab, sind Os Vermögens €500 abgeflossen. O hat für diesen Abfluss keinen Ausgleich erhalten und somit einen Vermögensschaden erlitten.

12. Subjektiv handelte T aber eindeutig ohne Bereicherungsabsicht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bereichungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der Verfügungsgegenstand muss unmittelbar vom Vermögen des Geschädigten in das Vermögens des Täter verschoben werden (sog. Stoffgleichheit). Stoffgleichheit liegt vor, wenn Vorteil und Schaden auf derselben Vermögensverfügung beruhen (Vorteil ist die Kehrseite des Schadens). Das Merkmal der Stoffgleichheit verdeutlicht, dass der Betrug ein Vermögensverschiebungsdelikt ist. T wollte sich Os €500 verschaffen. Die €500 standen T nicht zu, was er auch wusste. Ferner liegt zwischen Os Schaden und Ts Vorteil Stoffgleichheit vor. T handelte mit Bereicherungsabsicht.

13. T hat O dazu bewegt, ihm €500 zu geben, damit er die für O bestimmten Geldscheine umwandeln könne. für die vorgespiegelte Umwandlung der Scheine zu geben. Hat T sich eines Betrugs strafbar gemacht (§ 263 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

T handelte – mangels anderer Anhaltspunkte – auch rechtswidrig und schuldhaft. T hat sich wegen Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Die Abgrenzung von (Trick-)Diebstahl und (Sach-)Betrug ist ein klassisches Examensproblem, das du kennen und beherrschen solltest. Mehr dazu findest Du hier in unserem Kurs zum Strafrecht-BT. Weil die Kernfrage im Originalfall nicht die Abgrenzung von § 242 Abs. 1 StGB und § 263 Abs. 1 StGB betraf, ließ das OLG offen, ob ein Betrug oder ein Diebstahl vorlag.

14. Angenommen, das Gericht kann nicht sicher feststellen, ob T das Geld weggenommen oder durch Os Vermögensverfügung erlangt hat – sicher ist aber, dass T eins von beiden getan hat. Kann das Gericht den T in diesem Fall nur freisprechen?

Nein!

Grundsätzlich musst Du in den Konstellationen, in denen nicht sicher feststeht, ob oder welcher Tatbestand erfüllt ist, an einen Freispruch „in dubio pro reo“ denken. Wenn aber feststeht, dass sich der Täter auf jeden Fall strafbar gemacht hat, erscheint ein Freispruch aber „ungerecht“. In diesem Fall solltest Du an die Wahlfeststellung denken. Die Rechtsprechung hat das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung entwickelt: Wenn das Gericht den Sachverhalt nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten so weit aufgeklärt hat, dass sicher feststeht, dass der Täter einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen erfüllt hat, kann das Gericht den Täter alternativ nach beiden Tatbeständen verurteilen. Es muss dazu aber sicher ausgeschlossen sein, dass eine Sachverhaltsgestaltung möglich ist, in der der Täter straflos bleibt. Die Wahlfeststellung kommt immer (nur) dann in Betracht, wenn Sachverhalt nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten zwar nicht so weit aufgeklärt werden kann, dass die Feststellung eines bestimmten Straftatbestands möglich ist. Denn sonst würde das Gericht den Täter „normal“ nach diesem bestimmten Straftatbestand verurteilen.

15. Es kommt Ts Verurteilung nach den Grundsätze der Wahlfeststellung in Betracht. Muss man zwischen der echten und der unechten Wahlfeststellung unterscheiden?

Genau, so ist das!

Es gibt die echte (sog. ungleichartige) Wahlfeststellung und die unechte (sog. gleichartige) Wahlfeststellung. Bei der echten Wahlfeststellung bleibt in tatsächlicher Hinsicht unklar, welches von bestimmten verschiedenen Delikten der Täter begangen hat. Dies ist z.B. (wie hier) der Fall, wenn nicht feststeht, ob das Verhalten des Täters den Tatbestand des Betrugs oder des Diebstahls erfüllt hat. Bei der unechten Wahlfeststellung steht fest, dass der Täter einen Straftatbestand verwirklicht hat, es steht aber nicht fest, durch welche Handlung er diesen verwirklicht hat. Dies liegt etwa vor, wenn ein Zeuge im Strafverfahren zuerst sagt, er habe den Angeklagten an einem bestimmten Abend in einer Bar gesehen, später jedoch sagt, er habe diesen an besagtem Abend doch nicht in der Bar gesehen. Logisch ist eine der Aussagen falsch, so dass § 153 StGB erfüllt ist.

16. Hier liegt ein Fall der echten Wahlfeststellung vor. Muss das Gericht noch weitere Voraussetzungen des Instituts der Wahlfeststellung prüfen?

Ja, in der Tat!

Zunächst stellst Du fest, dass eine Verurteilung nach den Grundsätzen der (echten) Wahlfeststellung in Betracht kommt. Dann musst Du noch prüfen, ob die Voraussetzungen für eine solche Verurteilung auch in Bezug auf die in Betracht kommenden Straftatbestände vorliegen. Bei der echten (auch „ungleichartige“) Wahlfeststellung ist erforderlich, dass die Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind. Rechtsethische Gleichwertigkeit setzt voraus, dass die Straftatbestände nach dem allgemeinen Rechtsempfinden in Art und Schwere gleichwertig beurteilt werden. Psychologische Gleichwertigkeit erfordert eine einigermaßen gleichgeartete innere Beziehung des Täters zu den möglichen Verhaltensweisen. Das Gericht kann T nur verurteilen, wenn Betrug und der Diebstahl rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind.

17. Der Betrug schützt nach Ansicht des BGH andere Rechtsgüter als der Diebstahl. Spricht dies für die rechtsethische Gleichwertigkeit der beiden Delikte?

Nein!

Rechtsethische Gleichwertigkeit setzt voraus, dass die Straftatbestände nach dem allgemeinen Rechtsempfinden in Art und Schwere gleichwertig beurteilt werden. Daneben erfordert die psychologische Gleichwertigkeit eine einigermaßen gleichgeartete innere Beziehung des Täters zu den möglichen Verhaltensweisen. Nach Ansicht des BGH schütze § 242 StGB das Eigentum und den Gewahrsam, § 263 StGB dagegen das Vermögen, womit die Delikte rechtsethisch nicht vergleichbar seien. Weiter sei sowohl Angriffsrichtung als auch der Täterwille nicht vergleichbar, da bei dem Diebstahl der Täter eigenmächtig das Opfer schädigt, während bei dem Betrug das Opfer sich durch die Verfügung selbst schädigt. Daher läge auch keine psychologische Gleichwertigkeit vor. Eine Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Betrug sei daher nicht möglich. Umstritten ist allerdings, ob eine Wahlfeststellung bei Trickdiebstahl und Betrug möglich ist. Der BGH ließ dies bisher offen. Nach OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.12.1975 – 1 Ss 343/75 soll eine Wahlvorstellung bei Trickdiebstahl und Betrug jedoch ausnahmsweise nicht ausgeschlossen sein. Im Originalfall kam es nicht auf die Wahlfeststellung an – dazu gleich mehr in der Abwandlung!

18. Abwandlung: O wird misstrauisch und informiert frühzeitig die Polizei. Bei T und Os Treffen zur Geldübergabe reden sie bis zum Eingreifen der Polizei über Alltägliches. Liegt unproblematisch eine Versuchsstrafbarkeit vor (§§ 263 Abs. 1, 22, 23 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Hier musst Du den Versuch von einer reinen Vorbereitungshandlung abgrenzen. Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat aufgrund eines unbedingten Tatentschlusses unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt. Vorbereitungen liegen vor, wenn die vorgenommenen Handlungen zwar auf die Verwirklichung des Tatbestandes abzielen, dazu aber noch nicht unmittelbar ansetzen. T hat O in einem ersten Treffen der chemischen Behandlung der Geldscheine gezeigt und ihn dazu bewegt, ein zweites Treffen zur Geldübergabe auszumachen. T und O haben in dem zweiten Treffen zunächst nur über Alltägliches gesprochen. Problematisch ist, ob in T mit seinen Handlungen schon die Schwelle zum strafbaren Versuch überschritten hat.

19. Für die Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch ist das Vorstellungsbild des Opfers maßgeblich.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch richtet sich nach dem Vorstellungsbild des Täters von der konkreten Tat. Nach dem Tatplan des Täters bestimmt sich, ob eine Handlung schon auf die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals gerichtet ist oder lediglich der Vorbereitung der Tat dient. Bereitet der Täter etwa vergiftetes Essen zu, um es später dem Opfer aufzutischen, liegt darin nur eine Vorbereitungshandlung. Stellt er es schon auf den Tisch mit dem Plan, dass das Opfer von selbst isst, ist ein Versuchsbeginn anzunehmen, sobald nach Tatplan das Opferverhalten unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung münden soll.

20. Der Versuchstäter muss unmittelbar zur Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals angesetzt haben. Reicht es dafür aus, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten hat?

Nein!

Der Täter setzt unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die nach seiner Vorstellung von der Tat bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Es reicht nicht aus, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten hat. Zusätzlich sind objektive Handlungen des Täters erforderlich, die nach seiner Vorstellung von der Tat in die Tatbestandsverwirklichung münden sollen. In der Klausur solltest du also auf jeden Fall die vollständige Definition kennen. Es reicht nicht, wenn du nur schreibst, der Täter habe unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt, wenn er die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten hat.

21. T täuschte O schon im ersten Gespräch, das Geld sollte O aber erst in einem zweiten Treffen übergeben. Reicht die Täuschung im ersten Gespräch unproblematisch für Ts unmittelbares Ansetzen aus?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein unmittelbares Ansetzen kann insbesondere bei zeitlich gestreckten Handlungsabläufen, bei denen zwischen vorbereitenden Handlungen und der eigentlichen Erfolgsherbeiführung noch eine Mehrzahl von Handlungsschritten erforderlich ist, fehlen. Daher solltest du vor allem bei Abläufen wie hier, die sich über einen längeren Zeitraum strecken, das unmittelbare Ansetzen thematisieren, sobald eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht kommt.

22. Wenn wir tatbestandlich von einem Betrug ausgehen, könnte das unmittelbares Ansetzen darin liegen, dass T den O schon dahingehend täuschte, er könne aus den schwarzen Scheinen Geld machen.

Ja, in der Tat!

Das OLG hat im Originalfall offengelassen, ob es sich um einen Betrug oder einen Diebstahl handelt. Wir schauen uns deswegen beides an! Ein Versuch beginnt bei dem Betrug mit der Täuschung, die das Betrugsopfer unmittelbar zur Vermögensverfügung bestimmen soll. Schon im Täuschen kann ein Versuch liegen. Allerdings muss man nach dem BGH das, „was der Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens getan hat, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand und dessen beabsichtigter Verwirklichung in Beziehung“ setzen (RdNr. 24). Bei mehraktigen Geschehen sei erst diejenige Täuschungshandlung maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar zur Vermögensverfügung bestimmen soll. T hat O bei ihrem ersten Treffen zwar dahingehend getäuscht, dass er aus dem schwarzen Papier Geld machen könne und dafür Os Geld benötige. Die erste Täuschung sollte nach Ts Plan jedoch noch nicht unmittelbar zu einer Vermögensverfügung und einem Vermögensschaden führen. Die erste Täuschungshandlung diente daher nach Ts Vorstellung nur der Vorbereitung der Tat. T hat damit noch nicht unmittelbar zum Betrug angesetzt.

23. Wenn wir tatbestandlich von einem Diebstahl ausgehen, wäre ein unmittelbares Ansetzen erst dann gegeben, wenn T zur Wegnahme unmittelbar angesetzt hätte. Ist dies hier der Fall?

Nein!

Der Versuch beginnt beim Diebstahl mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Wegnahme. Davon sind Vorbereitungen abzugrenzen. Bei Täuschungshandlungen, die einen Diebstahl ermöglichen sollen, handelt es sich lediglich um Vorbereitungshandlungen. Bei einem Trickdiebstahl setzt ein unmittelbares Ansetzen voraus, dass sich eine Gewahrsamslockerung hinsichtlich der betroffenen Sache jedenfalls anbahnt (RdNr. 20). Im vorliegenden Fall wäre es nach Ts Tatplan weiter erforderlich gewesen, dass O ihm die Geldscheine überhaupt einmal präsentiert und auch dazu bereit gewesen wäre, diese aus seiner Hand zu geben (RdNr.  21). T und O sprachen jedoch bis zum Polizeieingriff nur über alltägliches. Es ist schon nicht zu einer Präsentation seiner Geldscheine durch den O gekommen. T hat daher weder zum Betrug, noch zum Diebstahl unmittelbar angesetzt. Da T weder zum Betrug, noch zu einem Diebstahl unmittelbar angesetzt hat, kommt auch eine Wahlfeststellung von Anfang an nicht in Betracht. T war freizusprechen. Das OLG Hamm bestätigte damit die Entscheidung des LG Münster, welches die Berufung der Staatsanwaltschaft verwarf. Im Ergebnis bleibt damit der Freispruch in der ersten Instanz (AG Rheine) bestehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo

Nocebo

6.1.2025, 13:05:38

Ich habe es an anderer Stelle schon einmal kommentiert, aber die "objektive" Komponente des

unmittelbares Ansetzen

s ist ebenfalls aus Tätersicht zu beurteilen! Ansonsten könnte man bspw. einen untauglichen Versuch gar nicht erklären.

Susan

Susan

7.1.2025, 10:22:06

finde die aufgabe sehr gut, insb die fragen sind super gestellt!!

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

7.1.2025, 16:01:45

Hallo Susan, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

kithorx

kithorx

7.1.2025, 17:26:10

Eine lehrreiche, aber sehr umfangreiche Einheit. An einigen Stellen haben mich die Sachverhaltseinzelheiten arg verwirrt, die Details hierzu würde ich mir besser dargestellt wünschen. Die Fragen müssen hinsichtlich Rechtschreibung und Grammatik überarbeitet werden, insbesondere ab etwa der Mitte der Einheit.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

7.1.2025, 18:07:24

Hey @[kithorx](196930), danke für dein Feedback. Es wäre super hilfreich, wenn Du Deine Kritik bezüglich der verwirrenden Sachverhaltsdarstellung noch etwas konkretisierst, damit wir da gezielter nachschärfen können. Die Rechtschreibung überprüfen wir noch einmal. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

DO

Doli

7.1.2025, 19:12:11

Die Rechtschreibfehler oder Punkte mitten im Satz (und darauffolgend neuer Halbsatz) wollte ich auch bemängeln. Zudem fehlt in der Überschrift die Angabe um welches OLG es sich handelt

DO

Doli

7.1.2025, 19:09:54

Hi, bitte geht doch die Aufgabe noch mal durch. Manchmal haben Wörter falsche Endungen. Bei einer Aufgabe endet ein Satz mit einem Punkt und danach kommt noch ein (wiederholender) Halbsatz…


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