Altersdiskriminierung - materieller Schaden

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Die S-GmbH schreibt eine Teilzeit-Stelle für eine junge, engagierte Englischlehrkraft (m/w/d) mit abgeschlossenem Hochschulstudium aus. Die 50-jährige Englischlehrerin B bewirbt sich. Stattdessen wird die 30-jährige C eingestellt. In den an B zurückgesendeten Bewerbungsunterlagen ist Bs Geburtstag markiert.

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Einordnung des Falls

Altersdiskriminierung - materieller Schaden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B könnte aufgrund der unterbliebenen Anstellung gegen die S-GmbH ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 15 Abs. 1 S. 1 AGG zustehen.

Ja!

Der Schadensersatzanspruch aus § 15 Abs. 1 S. 1 AGG setzt voraus: I. Anwendbarkeit des AGG II. Verstoß gegen Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 AGG) III. Vertretenmüssen des Verstoßes (§ 15 Abs. 1 S. 2 AGG) (streitig) IV. Rechtzeitige schriftliche Geltendmachung (§ 15 Abs. 4 AGG) V.Rechtsfolge: Schadensersatz (§ 15 Abs. 1 AGG)
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2. Da das AGG nur auf „Beschäftigte“ anwendbar ist, findet es auf Bewerber:innen in einem Bewerbungsprozess generell keine Anwendung (§ 6 AGG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Damit das AGG anwendbar ist, muss der persönliche (§ 6 AGG) und sachliche Anwendungsbereich (§ 2 AGG) des Gesetzes eröffnet sein. Beschäftigt im Sinne des Gesetzes sind dabei auch Bewerberinnen für ein Beschäftigungsverhältnis (§ 6 Abs. 1 S. 2 Var. 1 AGG). B ist als Bewerberin Beschäftigte im Sinne des AGG (§ 6 Abs. 1 S. 2 Var. 1 AGG). Die S-GmbH ist als juristische Person, die Arbeitnehmer beschäftigt, Arbeitgeber (§ 6 Abs. 2 S. 1 Var. 2 AGG). Der persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet. Der Zugang zu unselbstständiger Arbeit fällt zudem in den sachlichen Anwendungsbereich des AGG (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG).

3. Wenn B wegen ihres Alters nicht eingestellt wurde, so liegt hier ein Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot vor (§ 7 Abs. 1 Hs. 1 AGG).

Ja, in der Tat!

Beschäftigte dürfen wegen eines pönalisierten Merkmals (§ 1 AGG) weder unmittelbar (§ 3 Abs. 1 AGG) noch mittelbar (§ 3 Abs. 2 AGG) benachteiligt werden (§ 7 Abs. 1 AGG), sofern es hierfür keine Rechtfertigung gibt (§§ 8 ff. AGG).Das Alter stellt ein grundsätzlich unzulässiges Differenzierungsmerkmal dar. Sollte B allein wegen ihres Alters nicht eingestellt worden sein, so liegt darin eine unmittelbare Benachteiligung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit als Lehrerin hier ein bestimmtes (junges) Alter erfordert, sodass für die Benachteiligung auch keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind (vgl. §§ 8, 10 AGG).

4. Trägt B die volle Beweislast dafür, dass die S-GmbH gegen das Diskriminierungsverbot aus § 7 Abs. 1 Hs. 1 AGG verstoßen hat (§ 22 AGG)?

Nein!

Es genügt, dass die diskriminierte Person Indizien beweist, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Diese liegen vor, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Die andere Partei trägt dann die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorgelegen hat (§ 22 AGG).Vorliegend wurde Bs Alter markiert. Die Stellenanzeige wurde durch den Zusatz „jung“ diskriminierend ausgeschrieben (§§ 11, 7 Abs. 1 Hs. 1 AGG) und letztlich eine zwanzig Jahre jüngere Bewerberin eingestellt. Damit liegen Indizien vor, die eine Benachteiligung der B wegen ihres Alters vermuten lassen.Regelmäßig wird es Arbeitgebern nicht gelingen, eine einmal begründete Vermutung zu entkräften.

5. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 2 AGG muss der Arbeitgeber die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben.

Genau, so ist das!

Nach dem Wortlaut setzt der Ersatz des materiellen Schadens ein Verschulden des Arbeitgebers voraus, das aber gesetzlich vermutet wird („nicht zu vertreten hat“). Nach verbreiteter Ansicht ist diese Einschränkung aber europarechtswidrig und nicht anwendbar. Die europäische Gender-Richtlinie (RL 2002/73/EG) verpflichte den nationalen Gesetzgeber zwar nicht zur Schaffung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen. Führe er aber solche Ansprüche ein, so müssen sie verschuldensunabhängig sein.Es fehlt an entgegenstehenden Umständen, sodass das Verschulden der S-GmbH vermutet wird. Es kann also dahinstehen, ob § 15 Abs. 1 S. 2 AGG trotz des Verstoßes gegen die Richtlinie anwendbar ist. Die Voraussetzung ist jedenfalls erfüllt.

6. Kann B als Schadensersatz verlangen, eingestellt zu werden (§ 15 Abs. 6 AGG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vor, hat der Arbeitgeber den aus der Benachteiligung entstandenen Schaden zu ersetzen. Explizit ausgeschlossen ist dabei die Verpflichtung ein Beschäftigungsverhältnis zu begründen (§ 15 Abs. 6 AGG). In Betracht kommt insoweit allein ein Schadensersatz in Geld.B kann nicht verlangen, als Englischlehrerin eingestellt zu werden. Als Schadensersatz kann sich insoweit nur finanzielle Schäden verlangen.

7. B kann nicht beweisen, dass sie bei diskriminierungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre. Kann sie trotzdem einen Teil des Arbeitsentgelts als Schaden nach § 15 Abs. 1 S. 1 AGG verlangen?

Nein!

Im Hinblick auf den entstandenen materiellen Schaden greift zugunsten des benachteiligten Bewerbers keine Beweislastumkehr. Er ist also vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass ihm durch die Nichteinstellung ein kausaler materieller Schaden entstanden ist.Kann B also nicht beweisen, dass sie besser qualifiziert ist und deshalb bei diskriminierungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre, so fehlt es am notwendigen Schaden.In Betracht kommt dann allerdings eine Entschädigung für den immateriellen Schaden, der durch die Diskriminierung entstanden ist (§ 15 Abs. 2 AGG). Dazu gleich mehr!
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