Altersdiskriminierung - immaterieller Schaden

19. Mai 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die S-GmbH schreibt eine Teilzeit-Stelle für eine junge, engagierte Englischlehrkraft (m/w/d) mit abgeschlossenem Hochschulstudium aus. Die 50-jährige Englischlehrerin B bewirbt sich. Stattdessen wird die 30-jährige C eingestellt. In den an B zurückgesendeten Bewerbungsunterlagen ist Bs Geburtstag markiert.

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Einordnung des Falls

Altersdiskriminierung - immaterieller Schaden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B könnte aufgrund der unterbliebenen Anstellung gegen die S-GmbH ein Anspruch auf Entschädigung ihres immateriellen Schadens aus § 15 Abs. 2 AGG zustehen.

Genau, so ist das!

Der Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG setzt voraus: I. Anwendbarkeit des AGG II. Verstoß gegen Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 AGG) III. Rechtzeitige schriftliche Geltendmachung (§ 15 Abs. 4 AGG) IV.Rechtsfolge: Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG)
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2. Das AGG ist anwendbar und eine Benachteiligung der B liegt vor.

Ja, in der Tat!

B ist als Bewerberin Beschäftigte im Sinne des AGG (§ 6 Abs. 1 S. 2 Var. 1 AGG). Die S-GmbH ist als juristische Person, die Arbeitnehmer beschäftigt, Arbeitgeber (§ 6 Abs. 2 S. 1 Var. 2 AGG). Der persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet. Der Zugang zu unselbstständiger Arbeit fällt zudem in den sachlichen Anwendungsbereich des AGG (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Es sprechen eine Reihe von Indizien (Markierung, Stellenanzeige, Einstellung jüngerer Bewerberin) für eine ungerechtfertigte, unmittelbare Benachteiligung wegen Bs Alters (§ 22 AGG, Beweislastumkehr) und damit einem Verstoß, gegen ein Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 AGG).

3. B kann den Entschädigungsanspruch innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren geltend machen (§ 15 Abs. 4 AGG).

Nein!

Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche aus dem AGG müssen grundsätzlich innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG). Die Frist beginnt zu laufen, sobald der Beschäftigte von der behaupteten Diskriminierung Kenntnis erlangt.Zum Zeitpunkt ihrer Ablehnung und der Rücksendung der Unterlagen beginnt die zweimonatige Ausschlussfrist zu laufen.Die Frist ist tarifdispositiv, d.h. Tarifvertragsparteien können vereinbaren, diese zu verkürzen oder zu verlängern (§ 15 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 AGG).

4. Unabhängig davon, ob B bei diskriminierungsfreier Auswahl berücksichtigt worden wäre, steht ihr ein Entschädigungsanspruch von bis zu drei Monatsgehältern zu (§ 15 Abs. 2 AGG).

Genau, so ist das!

Für die diskriminierende Nichteinstellung hat der Gesetzgeber eine Höchstgrenze von drei Monaten („Kappungsgrenze“) normiert (§ 15 Abs. 2 S. 2 AGG).Die Kriterien, die die Höhe der Entschädigung bestimmen ähneln denen des Schmerzensgeldes (vgl. § 253 Abs. 2 BGB). Abzustellen ist insoweit auf: - den Grad des Verschuldens, - die Schwere und Art der Beeinträchtigung, - Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen des Bewerbers sowie - Anlass und Beweggründe für das Handeln des Arbeitgebers.Aufgrund der geringeren Anforderungen spielt der Entschädigungsanspruch in der Praxis eine weitaus größere Rolle, als der materielle Schadensersatzanspruch aus § 15 Abs. 1 AGG.Damit erfasst § 15 Abs. 2 AGG lt. dem zweiten Satz nur jene Konstellationen, in denen eine Einstellung nicht erfolgt wäre. Die restlichen Konstellationen sind hingegen vom § 15 Abs. 1 AGG erfasst!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Skra8

Skra8

31.10.2023, 15:08:51

Bei der Frage, ob B den Entschädigungsanspruch innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren geltend machen kann, wird auf die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG verwiesen. Ich vermisse hier die Bezugnahme auf § 15 Abs. 4 Alt. 2 AGG, denn durch die derzeitige Formulierung, wird suggeriert, dass diese Frist uneingeschränkt gelte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.11.2023, 13:37:06

Hallo Skra8, vielen Dank für Deinen Hinweis. Wir haben einen Vertiefungshinweis dazu aufgenommen, dass es Tarifvertragsparteien frei steht, hiervon abzuweichen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LI

Lisa

11.11.2023, 13:01:02

Bei der Frage zu § 15 II AGG steht, der

Schaden

sersatzanspruch wäre unabhängig davon, ob bei benachteiligungsfreier Auswahl eine Einstellung erfolgt wäre, auf maximal drei Monatsgehälter begrenzt. Ich verstehe den Gesetzestext aber so, dass die Begrenzung nur dann besteht, wenn der/die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl *nicht* eingestellt worden wäre - im Umkehrschluss würde dann keinerlei Begrenzung bestehen, wenn bei benachteiligungsfreier Auswahl eine Rinstellug erfolgt wäre (was in der Praxis idR natürlich schwer nachweisbar wäre). Könntet Ihr mir da ggf. noch einen klarstellenden Hinweis zu geben, was nun richtig ist? Danke !!

LELEE

Leo Lee

11.11.2023, 15:33:31

Hallo Lisa, Vielen Dank für den Hinweis! In der Tat erfasst § 15 II 2 AGG spezifisch die von dir genannte Konstellation. Der Rest wird dann vom § 15 I AGG (ver

schuld

ensabhängig) erfasst. Wir haben dies nun als Klausurhinweis ergänzt und können vertiefend auch die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Thüsing §

15 AGG

Rn. 19 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Johannes Nebe

Johannes Nebe

14.2.2024, 10:38:13

Zwei Verständnisfragen: (1) Warum betont Leo Lee, dass der

Schaden

sersatz bei § 15 I AGG ver

schuld

ensabhängig ist? Das ist er bei Abs. 2 doch auch, oder? (2) Im Klausurhinweis wird für die Konstellation, dass der Bewerber nicht eingestellt worden wäre, auf den zweiten Satz des § 15 II AGG Bezug genommen. Ich dachte, es kommt dabei auf den Hinweis in Satz 1 an, dass der

Schaden

kein Vermögens

schaden

sein muss.

Johannes Nebe

Johannes Nebe

15.2.2024, 11:12:00

Teil (1) meiner Frage ziehe ich zurück. Der

Schaden

sersatz nach § 15 II AGG ist ver

schuld

ensunabhängig. 🙄

JUL

Julian

30.4.2025, 11:38:37

Hallo Lisa, ich sehe das genau so wie du und so ist es nach der einschlägigen Kommentarliteratur auch zu verstehen: Die (für den AG günstige) Begrenzung auf drei Monate greift nur, wenn der AN sowieso, nicht eingestellt worden wäre, unabhängig von der Diskriminierung. Der Telos der Norm ist, dass der AG von Vorhinein nicht diskriminieren soll, weswegen ihm eine ver

schuld

ensunabhängige SE Pflicht auferlegt wird. Sollte der Arbeitnehmer nun aber gerade wegen der Diskriminierung nicht eingestellt worden sein und hätte er aufgrund der besten Eignung, Voraussetzung, Werdegang etc. vernünftigerweise eingestellt werden müssen (Nachweis schwierig) so ist dem AN eine angemessene Entschädigung ohne Begrenzung zuzumessen. ( Eckert DStR 2006, 1991) @Leo Lee ich habe mir deinen Kommentarhinweis dazu durchgelesen und bin enttäuscht, nicht nur betrifft Randnummer den Fall der tatsächlichen Nicht-Besetzung der Stelle und die daraus resultierende mögliche verminderte SE Pflicht des AG, da NIEMAND die Stelle bekommen hat, sondern auch ist die Behauptung, dass sich die restlichen SE Ansprüche, nach denen Lisa gefragt hat nicht der Randnummer/ff. ergeben, auch ist die Antwort falsch (Begründung s.o.)

Juraddicted

Juraddicted

13.5.2025, 15:28:56

Danke Dir Julian für Deine Mühe! Ich habe mich dasselbe, wie Lisa, gefragt. Eine ergänzende Frage: angenommen, es scheitert ausschließlich an der (diskriminierten) Eigenschaft: ändert das etwas an der Einordnung als immaterieller oder wird es ein materieller

Schaden

? Vielen Dank :) Liebe Grüße

JUL

Julian

13.5.2025, 16:15:19

Hallo Juraddicted, gute Frage, aber m.E. nach müsste es sich (bezogen auf den SE Wegen nicht Einstellung) weiterhin um einen Nicht Vermögens

schaden

handeln. Die Unterscheidung zwischen den

Schaden

sarten beruht ja nicht auf den zugrundeliegenden AGL, sondern je nachdem wie der geschädigte den

Schaden

erlitten hat. Der Entschädigungsanspruch bezieht sich ja gerade auf die Verletzung der Persönlichkeit/Ehre/Diskriminierungsfreiheit..., diese bleiben unabhängig von der Höchstgrenze immaterielle Schäden. Trz. können AN natürlich auch noch die MATERIELLEN Schäden gem. 15 I sich ersetzen lassen, so lange sich der AG ein Ver

schuld

en vorzuwerfen hat. Ich hoffe ich konnte dir helfen :)


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