Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Abberufung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags
Abberufung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B, Abgeordneter der A-Fraktion, wird vom Rechtsausschuss des Bundestages als Vorsitzender abgewählt. Neben dem bereits anhängigen Organstreitverfahren begehrt die A-Fraktion vor dem BVerfG, dem B einstweilen zu ermöglichen, seinen Posten wieder effektiv wahrnehmen zu können.
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Einordnung des Falls
Abberufung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Statthaft ist hier ein Antrag der A-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Antrag ist von vornherein unzulässig, da im Organstreitverfahren aufgrund dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung ein Eilrechtsschutz nicht in Betracht kommt.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist unzulässig, wenn das BVerfG die begehrte Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren gar nicht bewirken kann.
Ja!
4. Der Antrag der A-Fraktion ist unzulässig, da er auf eine Rechtsfolge gerichtet ist, die im Hauptsacheverfahren nicht bewirkt werden kann.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist begründet, wenn sich der angegriffene Hoheitsakt nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Fraktionen im Bundestag haben ein Recht auf Gleichbehandlung bzw. auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung.
Ja!
7. Die Bildung und Ausübung einer organisierten politischen Opposition wird vom Grundgesetz gewährleistet (sog. Grundsatz effektiver Opposition).
Genau, so ist das!
8. Der Verfahrensausgang in der Hauptsache ist somit nicht von vornherein unzulässig und unbegründet.
Ja, in der Tat!
9. Die Doppelhypothese verlangt eine Abwägung zwischen den Folgen des Ergehens der einstweiligen Anordnung bei Erfolglosigkeit der Hauptsache und den Folgen einer Versagung bei Erfolg in der Hauptsache.
Ja!
10. Erginge die Anordnung nicht und hätte der Hauptantrag Erfolg, wäre B einstweilen daran gehindert, ein ihm rechtlich zustehendes Amt auszuüben.
Genau, so ist das!
11. Erginge die Anordnung und wäre die Hauptsache später erfolglos, würde der Rechtsausschuss wieder von B geleitet und es entstünden keine Nachteile.
Nein, das trifft nicht zu!
12. Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegt das Interesse der A-Fraktion, sodass B sein Amt wieder aufnehmen darf.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Camus
2.5.2021, 19:46:36
"Im Organstreitverfahren kann nur die Verletzung organschaftlicher Rechte festgestellt werden. BVerfG: Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreit, in dem z.B. um die Unanwendbarkeit einer Norm gestritten wird, komme daher nicht in Betracht." Wie habe ich diese Begründung zu verstehen? Schließlich kann auch der Erlass einer Norm als rechtserhebliche Maßnahme eine Verletzung organschaftlicher Rechte bewirken.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 12:30:01
Hallo Camus, vielen Dank für Deine Nachfrage. Das BVerfG hat sich an dieser Stelle etwas kurz gehalten und im Wesentlichen auf eine andere Entscheidung verwiesen hat (Beschluss v. 12.03.2019 - 2 BvQ 91/18, BVerfGE 151, 58). Im Kern hat das BVerfG dort ausgeführt, dass das Organstreitverfahren für eine Normenkontrolle unstatthaft ist. Denn es gehe hier vordringlich um die Abgrenzungen von Kompetenzen und der Klärung der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht dagegen um eine allgemeine Verfassungsaufsicht. Dies zeige sich letztlich auch an den Rechtsfolgen, da im Rahmen des Organstreits lediglich die Feststellung erfolgt, ob eine Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Dieser Feststellung kommt indes keine kassatorische oder
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 12:40:46
rechtsgestaltende Wirkung zu. Vielmehr obliege es dem jeweiligen Staatsorgan dann selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden. Das heißt natürlich nicht, dass man sich als Organ nicht gegen eine verfassungswidrige Norm wenden kann. Hierfür ist aber dann eben nicht das Organstreitverfahren statthaft, sondern ggfs. die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) bzw. die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, sofern sich 1/4 des Bundestages dem anschließt). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Cajetan
16.1.2022, 10:57:40
Aber wo ist denn da der Unterschied zur Entscheidung im vorliegenden Fall? Hier könnte in der HS doch eigentlich auch nur die Verfassungswidrigkeit festgestellt werden, im Eilverfahren soll aber eine einstweilige Anordnung möglich sein? Verstehe die unterschiedliche Behandlung von Streitigkeiten über Normen und solchen über Handlungen nicht.
Bibcrush
24.7.2021, 20:32:20
Hi liebes Team, ich habe letztens hier einen Fall gehabt, der am Ende nochmal den Aufbau der
Begründetheitabgefragt hat und fande das super gut um die ganzen Fragen einzuordnen in den Prüfungsaufbau. Ich wollte also mal lieb vorschlagen, ob man das für weitere Fälle, wie den hier, auch einrichten könnte. Beste Grüße
Lukas_Mengestu
27.7.2021, 11:56:29
Hallo Bibcrush, erst einmal herzlich willkommen bei Jurafuchs und vielen Dank für Deine super Anmerkung. Sehr gerne werden wir zukünftig vermehrt noch eine abschließende Frage zur Wiederholung des Aufbaus mit aufnehmen. Gerne kannst Du uns insoweit auch an anderen Stellen einen entsprechenden Hinweis geben, wenn Dir dort noch etwas fehlt. Beste Grüße und weiterhin viel Spaß, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp Paasch
10.10.2022, 00:09:30
Könntet ihr den Unterschied zwischen der Doppelhypothese und der summarischen Prüfung erklären?
Lukas_Mengestu
10.10.2022, 09:37:45
Hallo Philipp, der Unterschied liegt hier in der Frage, was Gegenstand der Prüfung ist. Die
summarische Prüfungwird im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren relevant. Das angerufene Gericht prüft dabei die Erfolgsaussichten des Beg
ehrens des Antragsstellers in der Hauptsache "summarisch", d.h. insbesondere ohne bereits eine umfangreiche Beweisaufnahme durchzuführen. Die Prüfung des BVerfG ist dagegen auf die Folgen der "fehlerhaften" Eilentscheidung gerichtet. Verglichen wird die Situation, bei der das BVerfG eine entsprechende Anordnung erlässt, der Antrag sich später aber als unbegründet herausstellt (Hypothese 1) verglichen mit der Situation, wo das BVerfG dem Eilantrag nicht stattgibt, er sich aber später im Hauptsacheverfahren als begründet herausstellt (Hypothese 2). Je nachdem, welches Szenario die gravierenderen Folgen bereithält, wird dem Eilantrag stattgegeben oder nicht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team