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D entwendet zwei Säcke mit leeren Flaschen vom Pfandlagerhof des Getränke-Einzelhändlers H, um sie anschließend zum Zwecke der Erlangung des Flaschen"pfandes" zurückzugeben. Es handelt sich um Individualflaschen. D geht davon aus, dass das Eigentum an den Flaschen in jedem Fall auf den Käufer übergegangen ist.

Einordnung des Falls

Pfandflaschen | Individualisierte Pfandflaschen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D hat eine fremde bewegliche Sache weggenommen im Sinne von § 242 Abs. 1 StGB.

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Ja, in der Tat!

Bei den Pfandflaschen handelt es sich um körperliche Gegenstände, die tatsächlich fortbewegt werden können, mithin umbewegliche Sachen. Diese stehen - unabhängig davon wem sie gehören - jedenfalls nicht im (Allein-)Eigentum des D und waren zudem auch nicht herrenlos, sind also fremd. Das Grundstück stellt eine Gewahrsamssphäre des H dar, weswegen sich dessen generalisierter Gewahrsam auch auf die einzelnen Flaschen erstreckte. Diesen Gewahrsam hat D gegen dessen Willen aufgehoben, also gebrochen.

2. Für die Zueignungsabsicht kommt es darauf an, ob D die Flaschen unter Leugnung fremden Eigentums zurückgeben wollte.

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Ja!

Zueignungsabsicht bezeichnet die Absicht der zumindest vorübergehenden Aneignung, verbunden mit dem (zumindest Eventual-)Vorsatz der dauerhaften Enteignung des Berechtigten. Ist von Anfang an die Rückführung der Sache an den Eigentümer geplant, ist entscheidend, ob diese Rückführung unter Anerkennung dessen Eigentums geschehen soll oder sich der Wegnehmende selbst wie ein Eigentümer geriert, indem er sich beispielsweise die Sache als seine eigene abkaufen lässt.

3. Als Käufer der Flasche wäre D auch die Flasche übereignet worden.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Hierfür spielt die - nicht unkomplizierte - Eigentumslage an Pfandflaschen eine Rolle, wobei die Entscheidung zwischen Einheits- und Individualflaschen maßgebend ist. Während bei Einheitsflaschen das Eigentum auf den Erwerber der Flaschen übergeht, verbleibt dies bei den Individualflaschen dauerhaft beim Hersteller. In letzterem Fall ist also im Akt der Rückgabe der Flasche objektiv nie die Anmaßung von Eigentums zu sehen. Vielmehr ist in der Wahrnehmung des Rücknahmesystems die Anerkennung fremden Eigentums zu sehen.

4. Da es auf die objektive Eigentumslage ankommt, handelte D nicht mit Zueignungsabsicht.

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Nein, das trifft nicht zu!

Während von der untergerichtliche Rechtsprechung früher die objektive Eigentumslage in den Blick genommen wurde, kommt es nach Ansicht des BGH richtigerweise auf die Tätervorstellung von der Eigentumslage an. D dachte, dass bei allen Flaschen der Käufer Eigentümer werde. Somit musste D sich an die Stelle des Käufers setzen um die Flaschen berechtigterweise zurückzugeben. Er handelte folglich in der Absicht zumindest vorübergehender Aneignung und mit dem Vorsatz dauernder Enteignung. Zueignungsabsicht liegt damit vor.

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MAR

Martymcfly

10.4.2021, 11:04:56

Also wenn das Eigentum bei den Indiviualflaschen beim Hersteller bleibt, liegt dann eine Unterschlagung vor, wenn ich diese behalte und daraus etwas bastel etc.?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.4.2021, 12:34:02

In der Tat, martymcfly. Zudem erfüllt es auch den objektiven Tatbestand einer Sachbeschädigung. Bis jetzt hätte es dir indes wohl an dem entsprechenden Vorsatz gefehlt, sofern du davon ausgegangen bist, durch den Kauf Eigentümer der Flasche geworden zu sein (Tatbestandsirrtum). Damit ist es wohl nun vorbei 😉 Die Staatsanwaltschaften dürften indes nicht allzu begierig sein, diese Taten zu verfolgen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

suessmaus

suessmaus

2.10.2023, 12:29:16

Wieso genau verbleibt denn das Eigentum beim Flaschenhersteller? Vielleicht könntet ihr das noch darstellen, ggf. auch im Sachenrecht Teil. Das wäre super!

LELEE

Leo Lee

8.10.2023, 10:52:43

Hallo suessmaus, das liegt daran, dass bei Individualflaschen (die eben nicht standardisiert sind – etwa Coca-Cola-Flaschen) rechtlich durch den Hersteller nur „verliehen“ wird an den Vertreiber (der Grund dahinter ist unbekannt, jedoch steht rechtlich fest, dass das Eigentum and diesen Flaschen nicht übertragen wird; vielmehr sammelt der Hersteller diese wieder ein, um sie z.B. wieder zu verwenden). Bei den Einheitsflaschen (also standardisiert) ist es für den Hersteller „egal“, ob genau diese oder ähnliche Flaschen (die ohnehin nicht unterscheidbar sind) zu ihm zurückkommen, Hauptsache er kriegt irgendwelche Einheitsflaschen. Somit wird hier nicht nur „verliehen“ (was höchst unpraktisch wäre, weil man diese Flaschen nicht auseinanderhalten kann), sondern gleich übereignet an den Vertreiber :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Gruttmann

Gruttmann

4.5.2024, 12:58:59

In der letzten Frage wird geschrieben, dass es laut BGH richtigerweise auf die Sicht und Vorstellung des Täters ankommt. Nun hat er Täter sich offensichtlich geirrt, indem er dachte, dass ein Käufer Eigentum an den Flaschen erlangen würde. Müsste man in einer Klausur dann diesen Irrtum gem. §16 Abs.1 S.1 StGB problematisieren, und ob es eine wesentliche oder unwesentliche Abweichung vom vorgestellten war ? Weil sagen wir, er wusste, dass man kein Eigentum erlangt bei Individualflaschen, dann irrt er sich darüber auch nicht und ein Diebstahl würde nicht in Betracht kommen oder lieg ich da jetzt ganz falsch?

L.G

L.Goldstyn

10.6.2024, 16:40:19

Hallo Gruttmann, eine interessante Frage! § 16 Abs. 1 StGB in direkter Anwendung nicht in Betracht, da sich der Täter über keinen Umstand des Tatbestandes irrt. Der Aspekt, dass der Täter glaubte, dass ein Käufer Eigentum an Indiviualflaschen erwirbt, wird erst im Rahmen der Zueignungsabsicht relevant. Ansprechen könnte man aus meiner Sicht möglicherweise eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 1 StGB (zu Gunsten des Täters), in der Literatur wird dies aber, soweit ich sehen kann, nicht vertreten. Einige (MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl. 2021, StGB § 242 Rn. 183) befürworten in diesen Fällen, den Täter nur wegen Versuchs zu bestrafen; leider fehlt aber eine dogmatische Begründung.


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