+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Aufgrund verdeckter Ermittlungen erhält die Polizei Hinweise auf einen Drogentransport. Sie bringt daher einen Peilsender am Fahrzeug des T an und lässt es – ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss – bei einer „zufälligen“ Verkehrskontrolle anhalten und durchsuchen.
Einordnung des Falls
Legendierte Polizeikontrolle
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Fahrzeugdurchsuchung ist eine sog. doppelfunktionale Maßnahme, da die Polizei sowohl repressiv als auch präventiv tätig wird.
Ja!
Eine doppelfunktionale Maßnahme beschreibt das Zusammentreffen von Gefahrenabwehrrecht (präventiv) und Strafprozessrecht (repressiv) bei ein und derselben polizeilichen Maßnahme im Rahmen eines einheitlichen Lebenssachverhalts. Die Fahrzeugdurchsuchung dient einerseits der Beweissicherung in einem potenziellen Strafverfahren gegen T und seine Hinterleute und andererseits der Gefahrenabwehr, denn das Inverkehrbringen einer großen Menge von gefährlichen Betäubungsmitteln soll verhindert werden. Damit handelt es sich um eine doppelfunktionale Maßnahme (RdNr. 20).
2. Nach der Rechtsprechung des BVerwG richtet sich die Zuordnung einer doppelfunktionalen Maßnahme zum Straf- oder zum Gefahrenabwehrrecht nach dem Schwerpunkt der Maßnahme (sog. Schwerpunkttheorie).
Genau, so ist das!
Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die von der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur geteilt wird, erfolgt die rechtliche Zuordnung einer doppelfunktionalen Maßnahme danach, ob der Schwerpunkt der Maßnahme auf dem repressiven oder dem präventiven Handeln liegt. Für die Beurteilung kommt es darauf an, wie sich die Maßnahme für einen objektiven Beobachter nach ihrem Gesamteindruck darstellt. Ergänzend ist auf den Willen des Polizeibeamten abzustellen (Kissel/Mayer, GVG, 9.A. 2018, § 23 EGGVG RdNr. 18).
3. Der Schwerpunkt der doppelfunktionalen Maßnahme ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ausschlaggebend dafür, ob das Verwaltungs- oder das ordentliche Gericht zuständig ist.
Ja, in der Tat!
Nach st. Rspr. des BVerwG und h.M. ist die Schwerpunkttheorie ausschlaggebend für die Rechtswegzuständigkeit bei doppelfunktionalen Maßnahmen. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten sind dem Verwaltungsrechtsweg zugeordnet (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO), sofern keine abdrängende Sonderzuweisung besteht. Ist die Maßnahme (eher) präventiv, richtet sich der Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Ist die Maßnahme (eher) repressiv, gilt die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG, wonach Maßnahmen von Justizbehörden dem ordentlichen Rechtsweg zugewiesen sind. Teile der Literatur räumen hinsichtlich des Rechtswegs bei doppelfunktionalen Maßnahmen dagegen ein Wahlrecht ein.
4. Die Fahrzeugdurchsuchung bei T dient schwerpunktmäßig der Strafverfolgung, also repressiven Zwecken.
Ja!
Aufgrund der vorangegangenen (verdeckten) strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen gegen T, inklusive der Anbringung eines Peilsenders (§ 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO), ist die Durchsuchung nach der Schwerpunkttheorie dem repressiven Bereich zuzuordnen.
5. Da bereits ein Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) gegen T vorlag, kann die Polizei ihr Vorgehen auf die Ermächtigungsgrundlage zur Durchsuchung bei Beschuldigten (§ 102 StPO) stützen.
Nein, das ist nicht der Fall!
§ 102 StPO ist keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Durchsuchung, denn das Strafprozessrecht verlangt dafür eine richterliche Durchsuchungsanordnung (§ 105 StPO). Diese lag hier nicht vor und war auch nicht wegen Gefahr im Verzug entbehrlich. Der Zugriff bei T war geplant und die vorherige Einholung einer richterlichen Anordnung wäre ohne Weiteres möglich gewesen. Sie unterblieb nur aus ermittlungstaktischen Erwägungen, da die rechtsmittelfähige richterliche Durchsuchungsanordnung dem T hätte bekannt gegeben werden müssen, wodurch T und seine Hinterleute auf die verdeckten Ermittlungen aufmerksam geworden wären.
6. Trotz des Schwerpunkts im repressiven Bereich kann die Maßnahme nach Ansicht des BGH auf die polizeirechtliche Befugnisnorm zur Durchsuchung (im Ausgangsfall § 37 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 Heiz-SOG) gestützt werden.
Ja, in der Tat!
Nach der Schwerpunkttheorie wäre nur die schwerpunktmäßig einschlägige (hier repressive) Rechtsgrundlage anwendbar. Anders der BGH: Bei doppelfunktionalen Maßnahmen seien Gefahrenabwehrrecht und Strafprozessrecht nebeneinander anwendbar. Eine starre Verweisung auf die StPO machte es unmöglich, adäquat und flexibel auf neue Gefahren zu reagieren (RdNr. 25ff.). Die Gefahr der bewussten Umgehung strafprozessualer Beschuldigtenrechte durch Anwendung des Polizeirechts werde erst bei der Beweisverwertung im Strafverfahren relevant (RdNr. 32). Damit lehnt der BGH die Schwerpunkttheorie ausdrücklich ab. Es bleibt abzuwarten, wie die Verwaltungsgerichte auf diese - weithin kritisierte - Entscheidung reagieren.