Jacke als gefährliches Werkzeug
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T tritt der O mit seinem Turnschuh ins Gesäß. Dies ist zwar schmerzhaft, weitere Folgen erleidet O allerdings nicht. Aus Angst vor schlimmeren Taten ruft O um Hilfe. Um sie ruhig zu stellen, drückt T ihr seine Jacke auf das Gesicht. Sie kommt in Atemnot und verliert kurzzeitig das Bewusstsein.
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Einordnung des Falls
Jacke als gefährliches Werkzeug
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat O körperlich misshandelt (§ 223 Abs. 1 StGB), indem er sie ins Gesäß getreten hat.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. T könnte diese Körperverletzung auch “mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges” i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB begangen haben.
Ja, in der Tat!
3. Der „beschuhte Fuß“ ist stets ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB.
Nein!
4. Reicht Ts Tritt mit seinem Turnschuh aus, um die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs zu erfüllen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Hat T die O an der Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 StGB), indem er ihr die Jacke ins Gesicht presste?
Ja, in der Tat!
6. T hat die Körperverletzung an O “mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen.
Ja!
7. T könnte die Körperverletzung auch “mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ begangen haben (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB).
Genau, so ist das!
8. Alltagsgegenstände und grundsätzlich ungefährliche Gegenstände können aufgrund ihrer Beschaffenheit nach der h.M. nie gefährliche Werkzeuge sein.
Nein, das trifft nicht zu!
9. Die Jacke ist vorliegend als gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB zu klassifizieren.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jacob
5.8.2023, 15:09:21
Ich finde die Argumention schwer nachvollziehbar, dass ein Schuh, dann ein gefährliches Werkzeug sein soll, wenn damit eine empfindliche Stelle getroffen wird. Schließlich ist dies ein objektives Merkmal. Wenn jemandem mit einem beschuhten Fuß in den Bauch oder ins Gesicht getreten wird, dann ist dies eine Gefährliche Körperverletzung mit einem „objektiv“ gefährlichen Werkzeug. Wenn der Täter sich jetzt nun noch zusätzlich entschließt dem Opfer auf den Fuß oder nur den kleinen Zeh zu treten, dann ist dies „nur“ eine einfache Körperverletzung, denn der beschuhte Fuß ist dann objektiv kein gefährliches Werkzeug mehr.
Leo Lee
11.8.2023, 14:12:32
Hallo Jacob, die Argumentation mag zwar auf den ersten Blick willkürlich scheinen. Beachte jedoch, dass das TBM gef. Werkzeug (also obj. TBM) in OBJEKTIVER Weise auf I. Die
BeschaffenheitUND II. Konkrete Verwendung abstellt. Sprich, ob ein Werkzeug gefährlich ist, ist immer eine Summe aus dem jeweiligen Aspekt. Je "gefährlicher" die
Beschaffenheitist (etwa Stahlkappenschuhe), desto "weniger" gefährlich muss die konkrete Verwendung sein (etwa Tritt gegen Knie). Andersrum ebenfalls: Je "weniger" gefährlich die
Beschaffenheitist (normale Turnschuhe), desto "gefährlicher" muss die Verwendung wiederum sein (etwa durch das Drücken des Schuhs gegen den Hals, um Luftzufuhr zu unterbrechen). D.h., dass es - leider wie so oft in der Juristerei - auf den Einzelfall ankommt. Deshalb sind deine Beispiele und die damit zu vorhebende Varianz völlig zutreffend. Als grobe Leitlinie kannst du dir merken, dass es auf die Erheblichkeit der Verletzung (h.M.) ankommt, die durch
Beschaffenheit+ konkrete Verwendung im Einzelfall verursacht wurde; hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB, 69. Auflage, § 224 Rn. 14 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo