+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T tritt der O mit seinem Turnschuh ins Gesäß. Dies ist zwar schmerzhaft, weitere Folgen erleidet O allerdings nicht. Aus Angst vor schlimmeren Taten ruft O um Hilfe. Um sie ruhig zu stellen, drückt T ihr seine Jacke auf das Gesicht. Sie kommt in Atemnot und verliert kurzzeitig das Bewusstsein.

Einordnung des Falls

Jacke als gefährliches Werkzeug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat O körperlich misshandelt (§ 223 Abs. 1 StGB), indem er sie ins Gesäß getreten hat.

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Genau, so ist das!

Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Integrität nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Indem T O ins Gesäß tritt, erleidet diese Schmerzen. Schmerz ist eine unangenehme körperliche Empfindung, wodurch das körperliche Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt wird. Ist eine Beeinträchtigung z.B. durch einen ganz leichten Tritt oder eine leichte Ohrfeige nur geringfügig, erreicht sie die Erheblichkeitsschwelle nicht. Es kann nicht nach § 223 Abs. 1 StGB bestraft werden, möglicherweise ist aber der Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) erfüllt.

2. T könnte diese Körperverletzung auch “mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges” i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB begangen haben.

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Ja, in der Tat!

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB qualifiziert solche Taten, bei denen sich eine besondere Gefährlichkeit aus der Verwendung eines (anders als in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) von außen auf den Körper einwirkenden Tatmittels ergibt.Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und nach der konkreten Art der Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (potentielle Gefährlichkeit).

3. Der „beschuhte Fuß“ ist stets ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB.

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Nein!

Rspr. und h.M. schließen aus dem Wortlaut der Norm (Werkzeug), dass eigene Körperteile den Qualifikationstatbestand grundsätzlich nicht erfüllen. Anders ist dies nach ständiger BGH-Rechtsprechung allerdings beim „beschuhten Fuß“. Ob der Schuh hier ein gefährliches Werkzeug darstellt, hänge von der Beschaffenheit des Schuhes ab und darauf, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Körperteil getreten wird. Während leichte Stoffschuhe (z.B. Ballettschuhe) regelmäßig schon nach ihrer objektiven Beschaffenheit nicht dazu geeignet sind, erhebliche Verletzungen beim Opfer hervorzurufen, ist dies bei festerem, schwerem Schuhwerk (z.B. Springerstiefel) durchaus anders zu beurteilen. Aber auch normale Straßen- und Turnschuhe können ein gefährliches Werkzeug sein, wenn mit ihnen Tritte gegen besonders empfindliche Körperteile (z.B. Gesicht, Knie) ausgeführt werden.

4. Reicht Ts Tritt mit seinem Turnschuh aus, um die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs zu erfüllen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Straßen- und Turnschuhe können ein gefährliches Werkzeug sein, wenn mit ihnen Tritte gegen besonders empfindliche Körperteile (z.B. Gesicht, Knie) ausgeführt werden.T trug Turnschuhe der üblichen Beschaffenheit, sodass es für die Qualifikation als gefährliches Werkzeug darauf ankommt, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Teil des Körpers er die O getreten hat. Ein Tritt in das Gesäß ist weniger geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen als ein vergleichbarer Tritt ins Gesicht oder den Unterleib des Opfers. Mithin hat T ein eher unempfindliches Körperteil getroffen. Aus der Verwendung der Beschuhung ergibt sich vorliegend daher keine besondere Gefährlichkeit. T hat durch den Tritt nicht den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt.

5. Hat T die O an der Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 StGB), indem er ihr die Jacke ins Gesicht presste?

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Ja, in der Tat!

Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines pathologischen Zustandes. Durch das Drücken der Jacke auf ihr Gesicht, wird die O bewusstlos. Die Bewusstlosigkeit stellt einen pathologischen, d.h. vom Normalzustand abweichenden Zustand dar, sodass eine Gesundheitsschädigung und folglich auch eine Körperverletzung vorliegt.

6. T hat die Körperverletzung an O “mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen.

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Ja!

Rspr. und h.L verlangen eine Begehungsweise, die nach den Umständen des konkreten Falles, wie der Art, Dauer und Stärke der Einwirkung objektiv generell geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. Eine konkrete Lebensgefahr sei nicht erforderlich. Die Atemwege mit einem Gegenstand zuzudrücken, kann zum Ersticken führen und lebensgefährdend wirken. T hat die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen. Ein Teil der Literatur setzt voraus, dass das Opfer durch die Körperverletzung in eine wirkliche (konkrete) Lebensgefahr gekommen ist. Systematische Gründe sprechen mit Blick auf den Unrechtsgehalt der übrigen Nummern des § 224 Abs. 1 StGB allerdings dafür, auf den Eintritt einer konkreten Lebensgefahr zu verzichten und damit gegen die Literatur.

7. T könnte die Körperverletzung auch “mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ begangen haben (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB).

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Genau, so ist das!

Ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und nach der konkreten Art seiner Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen

8. Alltagsgegenstände und grundsätzlich ungefährliche Gegenstände können aufgrund ihrer Beschaffenheit nach der h.M. nie gefährliche Werkzeuge sein.

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Nein, das trifft nicht zu!

Ob Alltagsgegenstände ein gefährliches Werkzeug sein können, ist umstritten. Zwar sprechen der allgemeine Sprachgebrauch und auch der Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dagegen, an sich ungefährliche Gegenstände als gefährliche Werkzeuge zu verstehen. Jedoch können bei einer Zweckentfremdung auch mit an sich ungefährlichen Gegenständen erhebliche Verletzungen verursacht werden. So z.B. mit einem an sich harmlos scheinenden Bleistift, der jemanden ins Auge gestochen wird. Die h.M. bestimmt daher die Gefährlichkeit nur nach dem konkreten Gebrauch der Sache und verzichtet auf eine Beurteilung nach der generellen Gefahrenneigung.

9. Die Jacke ist vorliegend als gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB zu klassifizieren.

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Ja!

Nach der ganz h.M. komme es für die Qualifizierung eines Gegenstands als gefährliches Werkzeug maßgeblich auf den gefährlichen Gebrauch statt auf dessen objektive Beschaffenheit an. Sei der konkrete Gebrauch des Werkzeugs geeignet, erhebliche Verletzungen zu verursachen, so müsse die objektive Beschaffenheit es logischerweise auch sein. Indem T der O die Jacke fest auf ihr Gesicht drückt, kann er ihr erhebliche Verletzungen wie Atemnot und Bewusstlosigkeit zuführen. Die Jacke ist daher im vorliegenden Fall ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB. Diese Entscheidung bestätigt noch einmal, dass auch ungefährlich wirkende Alltagsgegenstände wie Jacken, im Einzelfall gefährliche Werkzeuge darstellen können. Arbeite insofern stets die genauen Umstände des Falles sauber heraus!

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JACOB

Jacob

5.8.2023, 15:09:21

Ich finde die Argumention schwer nachvollziehbar, dass ein Schuh, dann ein gefährliches Werkzeug sein soll, wenn damit eine empfindliche Stelle getroffen wird. Schließlich ist dies ein objektives Merkmal. Wenn jemandem mit einem beschuhten Fuß in den Bauch oder ins Gesicht getreten wird, dann ist dies eine Gefährliche Körperverletzung mit einem „objektiv“ gefährlichen Werkzeug. Wenn der Täter sich jetzt nun noch zusätzlich entschließt dem Opfer auf den Fuß oder nur den kleinen Zeh zu treten, dann ist dies „nur“ eine einfache Körperverletzung, denn der beschuhte Fuß ist dann objektiv kein gefährliches Werkzeug mehr.

LELEE

Leo Lee

11.8.2023, 14:12:32

Hallo Jacob, die Argumentation mag zwar auf den ersten Blick willkürlich scheinen. Beachte jedoch, dass das TBM gef. Werkzeug (also obj. TBM) in OBJEKTIVER Weise auf I. Die Beschaffenheit UND II. Konkrete Verwendung abstellt. Sprich, ob ein Werkzeug gefährlich ist, ist immer eine Summe aus dem jeweiligen Aspekt. Je "gefährlicher" die Beschaffenheit ist (etwa Stahlkappenschuhe), desto "weniger" gefährlich muss die konkrete Verwendung sein (etwa Tritt gegen Knie). Andersrum ebenfalls: Je "weniger" gefährlich die Beschaffenheit ist (normale Turnschuhe), desto "gefährlicher" muss die Verwendung wiederum sein (etwa durch das Drücken des Schuhs gegen den Hals, um Luftzufuhr zu unterbrechen). D.h., dass es - leider wie so oft in der Juristerei - auf den Einzelfall ankommt. Deshalb sind deine Beispiele und die damit zu vorhebende Varianz völlig zutreffend. Als grobe Leitlinie kannst du dir merken, dass es auf die Erheblichkeit der Verletzung (h.M.) ankommt, die durch Beschaffenheit + konkrete Verwendung im Einzelfall verursacht wurde; hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB, 69. Auflage, § 224 Rn. 14 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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