Versicherungsfall (-)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Der bei U beschäftigte Arbeitnehmer A rutscht auf dem nassen Boden der Personaltoiletten aus und bricht sich den Arm. U hatte vergessen Warntafeln, die auf Rutschgefahr hinweisen, aufzustellen. A fordert nun von U Schadensersatz. U beruft sich allerdings auf den Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII.

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Einordnung des Falls

Versicherungsfall (-)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte gegen Arbeitgeber U einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 280 Abs.1, 241 Abs.2 BGB haben.

Ja, in der Tat!

Zwischen U und A besteht ein Arbeitsverhältnis nach § 611a Abs.1 BGB. Indem U es unterließ, Sicherungsvorkehrungen hinsichtlich des nassen Bodens (Gefahrenquelle) zu ergreifen (z.B. Aufstellen von Warntafeln), kam er seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nach und hat daher eine Schutzpflicht aus § 241 Abs.2 BGB verletzt. Das Vertretenmüssen der Schutzpflichtverletzung wird vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Da U durch die fehlenden Warntafeln jedenfalls die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und damit fahrlässig gehandelt hat (§ 276 Abs.1, Abs. 2 BGB), kann er sich auch nicht exkulpieren. Zudem ist A durch den Armbruch ein Schaden entstanden. Folglich liegen alle Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach §§ 280 Abs.1, 241 Abs. 2 BGB vor.
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2. Die Haftung des Unternehmers wegen As Personenschaden könnte jedoch nach § 104 SGB VII ausgeschlossen sein.

Ja!

Der Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII greift ein, wenn (1) der Arbeitgeber einen Versicherungsfall verursacht hat (§§ 7, 8 SGB VII), (2) ein Versicherter betroffen ist, der im Rahmen einer versicherungspflichtigen Tätigkeit für den Arbeitgeber gehandelt hat und (3) der Arbeitgeber weder vorsätzlich handelte noch sich der Versicherungsfall auf einem nach § 8 Abs.2 Nr.1-4 SGB VII versicherten Weg ereignet hat.

3. Der geschädigte A gehört zum versicherten Personenkreis iSd. SGB VII.

Genau, so ist das!

Bei dem durch das schädigende Ereignis in seiner körperlichen Integrität Verletzten, muss es sich um eine Person gehandelt haben, die zum Unfallzeitpunkt gesetzlich Unfallversicherter war. Dies ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bei Beschäftigten des Unternehmers zu bejahen. A ist Arbeitnehmer des U und somit Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, sodass er zum versicherten Personenkreis gehört.

4. Es liegt ein Arbeitsunfall, mithin ein Versicherungsfall vor.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Haftungsausschluss setzt weiter voraus, dass ein Versicherungsfall vorliegt. Wichtigster Versicherungsfall ist der Arbeitsunfall (§ 7 SGB VII). Dies meint ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper wirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod eines Menschen führt (§ 8 SGB VII). Dabei muss das schädigende Ereignis in einem rechtlich wesentlichen Ursachenzusammenhang zu der versicherten Tätigkeit stehen. Dies ist im Rahmen einer wertende Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Eigenwirtschaftliche Tätigkeiten (wie Essen, Trinken, usw.) sind nicht versichert. Der Aufenthalt in den Räumlichkeiten der Toilettenanlage steht in keinem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, sodass das Ausrutschen keinen Arbeitsunfall darstellt. Allerdings besteht nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein Versicherungsschutz für den Weg zur Toilette. Er endet jedoch an der Toilettentür.

5. U kann sich auf einen Haftungsausschluss nach § 104 SGB VII berufen.

Nein!

Mangels Vorliegens eines Arbeitsunfalls und damit mangels Vorliegens eines Versicherungsfalls, sind die Voraussetzungen des § 104 SGB VII nicht erfüllt. U kann sich nicht auf einen Haftungsausschluss berufen, sodass A ihm gegenüber seinen Schadensersatzanspruch geltend machen kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KAT

Kassandra von Troja

17.7.2023, 14:01:02

Gibt es hier auch andere Ansichten? Schließlich hat der Arbeitnehmer keinen Einfluss auf die Gestaltung der Toiletten und kann auch schlecht zwischendurch den Arbeitsplatz verlassen, um wo anders auf die Toilette zu gehen. Da kommt mir diese Unterscheidung sehr willkürlich vor.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.10.2023, 09:40:54

Hallo Kassandra, der Arbeitnehmer ist in jedem Fall geschützt. Der Haftungsausschluss des Unternehmers führt allenfalls dazu, dass nicht er selbst, sondern die Unfallversicherung für den Schaden aufkommt. Liegt indes - wie hier - kein Arbeitsunfall vor und ist der Unternehmer für den Schaden verantwortlich, so kann der Arbeitnehmer ihm gegenüber seinen Anspruch geltend machen. Fehlt es an der Verantwortlichkeit des Unternehmers, so ist der Arbeitnehmer immer noch krankenversichert. Insoweit ist er in jeder denkbaren Situation geschützt. A muss also nicht mit dem Toilettenbesuch warten, bis er wieder zuhause ist ;-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

23.9.2023, 21:05:46

Steht der AN dann schutzlos da?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.10.2023, 09:42:18

Hallo Diaa, wenn der Haftungsausschluss des Unternehmers nicht greift, dann ist er schadensersatzpflichtig, wenn er - wie hier - den Schaden des Arbeitnehmers zu verantworten hat. Der Arbeitnehmer ist also nicht schutzlos, sondern kann ihm gegenüber den Schaden geltend machen. Hätte der Haftungsausschluss gegriffen, so könnte er statt des Arbeitgebers die Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

7.10.2023, 19:04:47

Und auf welche Toilettentür kommt es an? Die Wasserlache war doch auf dem Weg.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.10.2023, 10:04:53

Hallo IsiRider, hier dürfte die Außentür des Toilettenraumes maßgeblich sein. Der Weg bis dahin steht rechtlich noch in einem wesentlichen inneren Zusammenhang zur Betriebstätigkeit (vgl. BSG zum Weg zwischen Kantine und Dienstzimmer, BSG, Urteil vom 05.08.1993 – 2 RU 2/93). Der Aufenthalt auf der Toilette selbst gehört dagegen regelmäßig zu den eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, die nicht versichert sind (aA aber gut vertretbar, insbesondere wenn sich - wie hier - im Toilettenraum eine besondere betriebliche Gefahr (zB glatter Boden) konkretisiert). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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