Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Angebot und Annahme
Annahme durch konkludentes Verhalten (Stromlieferungsvertrag)
Annahme durch konkludentes Verhalten (Stromlieferungsvertrag)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Pizzabäcker P ruft bei seinem Grundversorgungsenergieunternehmen E an und spricht diesem auf den Anrufbeantworter, dass dieser ihm Strom zum Grundversorgungspreis liefern soll. Als E diesen abhört, schaltet er die bis dahin abgestellte Stromleitung des P frei.
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Einordnung des Falls
Annahme durch konkludentes Verhalten (Stromlieferungsvertrag)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Strom ist eine Sache im Sinne von § 433 Abs. 1 BGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Auf den Stromlieferungsvertrag finden die Vorschriften des Kaufrechts entsprechende Anwendung.
Ja, in der Tat!
3. Der Zugang der Annahmeerklärung war entbehrlich (§ 151 S. 1 BGB), weil P darauf verzichtet hat.
Ja!
4. P hat ein Angebot auf Abschluss eines Stromlieferungsvertrags abgegeben.
Genau, so ist das!
5. Die konkludente Annahmeerklärung des E ist dem P im Zeitpunkt der Freischaltung der Stromleitung zugegangen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Indem E die Stromleitung des P freischaltete, hat er das Angebot des P konkludent angenommen.
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Anonym
13.1.2020, 07:24:54
Aber geht die
konkludente Annahmenicht dadurch zu, dass der Strom nun für P verfügbar ist?
Christian Leupold-Wendling
14.1.2020, 11:22:21
Alexander, gute Frage. Würden wir nicht sagen. Die
konkludente Annahmegeht nicht bereits dadurch zu, dass der Strom verfügbar ist. Sie geht erst dann zu, wenn P davon Kenntnis erlangt, oder E nach den erkennbaren Umständen keinen Zweifel daran haben konnte, dass P dies wahrgenommen hat. Beides ist uE im Zeitpunkt der Freischaltung des Stromes nicht unmittelbar der Fall, später sicher. Wir haben die dazu formulierte Aussage aber noch einmal präzisiert, um es eindeutiger zu machen. Ok?
J0K3R
7.9.2020, 19:17:58
mMn geht aus dem SV nicht hervor, dass P auf die Annahmeerklärung verzichtet hat. Nur weil er ab einem gewissen Zeitpunkt Strom hat heißt nicht, dass er seine Vertragsbedingungen zumindest nach Abschluss des Vertrages nicht wissen möchte. Etwa den Zeitpunkt des Beginns der Freischaltung. Wenn er etwa ab Freitag Abend den Strom freigeschaltet bekommt aber erst Montag morgen wieder da ist würde er (fälschlicherweise) davon ausgehen, sein Vertrag gilt ab Montag. Gerade bei Festlaufzeitverträgen könnte das zu Problemen etwa bei der Einhaltung der Kündigungsfrist führen.
AttorneyAtLaw
7.10.2020, 01:41:19
Sehe ich auch so. Aus dem Sachverhalt ergibt sich mMn auch nicht indizweise das P auf eine Annahmeerklärung verzichtet hätte. Dies wäre auch nicht lebensnah, da Einigungen über Stromlieferungen in der Regel die Eigenschaft haben recht formale Vorgänge zu sein. Schon gar nicht ist gemäß §151 S1. davon auszugehen, dass eine Annahme verkehrsunüblich wäre. Die Auflösung des Falls lässt im Übrigen auch nicht im Detail durchblicken, warum hier davon auszugehen ist, dass P verzichtet hat. Ich kann mich aber auch irren. Eine Aufklärung diesbezüglich wär' echt nett.
Eigentum verpflichtet 🏔️
18.12.2020, 01:12:52
Hallo ihr beiden, wir haben den Sachverhalt angepasst, sodass es nun klarer sein sollte.
Nani123
11.1.2023, 17:02:49
@[Eigentum verpflichtet 🏔️](99723) inwieweit hat sich etwas verändert? Ich kann aus dem SV nicht erkennen, dass P eine Annahmeerklärung verzichtet hätte..
kleinerPadawan
23.3.2023, 07:52:53
Würde mich auch interessieren :)
Paulah
10.6.2023, 07:48:31
Ich sehe den Verzicht auf die Annahmeerklärung auch nicht.
Lukas_Mengestu
15.6.2023, 10:17:01
Vielen Dank für eure guten Nachfragen! Beim Vertragsschluss gilt die Privatautonomie der Parteien, insofern geht ihr völlig zurecht davon aus, dass man die entsprechenden Willenserklärungen hier sauber auslegen muss! Bei einem Stromlieferungsvertrag mit dem Grundversorger gelten einige Besonderheiten, die letztlich dafür sprechen, hier von der Entbehrlichkeit des Zugangs auszugehen: (1) Für den Abschluss des Vertrages müsste P dem Versorger noch nicht einmal ein explizites Vertragsangebot unterbreiten. Vielmehr würde es sogar schon genügen, den Strom aus der Steckdose zu beziehen. Darin läge ein
konkludentes Vertragsangebot, den Strom zu den üblichen Grundversorgungskonditionen zu beziehen, der unmittelbar durch die Bereitstellung des Stroms angenommen wird. Die Grundversorger sind verpflichtet, die entsprechenden Konditionen öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen (vgl. § 36 EnWG). (2) Außerdem kann der Vertrag mit dem Grundversorger mit einer zweiwöchigen Kündigungsfrist gekündigt werden (§ 20 Abs. 1 StromGVV). Das Problem mit langen Festlaufzeitverträgen besteht hier insofern nicht. Diese Besonderheiten legen insofern nahe, dass es in diesem Fall keines Zugangs der Annahmeerklärung bedarf :-) Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas deutlicher geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Paulah
17.6.2023, 09:20:42
Danke für die Antwort. Meiner Meinung nach müsste es dann aber heißen "die Annahmeerklärung ist entbehrlich". Die vorgegebene Antwort lautet aber "er hat verzichtet" - das ist verwirrend.
Captain Stupid
29.12.2023, 21:17:35
Ich empfinde das auch als verwirrend und die Argumentation irgendwie auch als noch nicht ganz überzeugend. Insbesondere aufgrund der Beschreibung der Besonderheiten beim Vertragsschluss mit dem Grundversorger, die @[Lukas_Mengestu](136780) dankenswerterweise beschrieben hat. Da der P aber trotzdem ausdrücklich seinen Willen erklärt, liegt hier mE gerade KEIN
konkludenter Verzicht auf eine Annahmeerklärung vor. Zumindest wäre ich da nie von selbst drauf gekommen. Kann aber auch sein, dass ich hier ein Verständnisproblem habe...
Blotgrim
2.4.2024, 11:44:05
Ich sehe das ähnlich, ich verstehe warum der Zugang der Annahmeerklärung hier entbehrlich ist, aber einen explizit genannten oder
konkludenten Verzicht auf die Annahmeerklärung sehe ich absolut nicht
benjaminmeister
14.11.2024, 09:34:55
Glaube man sollte sich hier nicht zu sehr den Kopf daran zerbrechen, ob ein
konkludenter Verzicht vorliegt oder nach Verkehrssitte nicht erwartet werden kann. Die Rechtsfolge ist die selbe und wenn man beim Verzicht nach §§ 133, 157 BGB
konkludentauslegt zieht man ja auch die Verkehrsanschauung heran. Wichtig ist es nur die Norm zu kennen und zu berücksichtigen (insbesondere bei Bürgschaftsverträgen).
sinaaaa
27.12.2022, 21:05:06
Warum werden die Paragraphen 133,157 analog verwendet? Wieso analog?
Sambajamba10
29.12.2022, 19:03:40
§ 133 wird allgemein bei der Auslegung von (nicht-)empfangsbedürftigen Willenserklärung verwendet. Das bedeutet, dass man grundsätzlich ermittelt, was der wahre Wille des Erklärenden ist, was Ausdruck der Willenstheorie ist. § 157 bezieht sich hingegen nach dem Wortlaut lediglich auf die Auslegung von Verträgen. Als Ausdruck der Erklärungstheorie ist bei der Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen indes der objektive Horizont hinzuzuziehen, um dem Verkehrsschutz Geltung zu tragen. Da eine empfangsbedürftige Willenserklärung aber noch keinen Vertrag darstellt, ist § 157 nicht direkt, sondern eben analog zu verwenden. Analog bezieht sich also nur auf § 157.
QuiGonTim
30.8.2023, 09:17:38
Könnte mir bitte jemand etwas ausführlicher erklären, warum Strom zu den sonstigen Gegenständen iSd § 453 Abs. 1 S. 1 zählt? Wenn mich meine Allgemeinbildung nicht täuscht, ist Strom das Fließen von Elektronen. Ich kann darin keinen Gegenstand erkennen.
Nora Mommsen
30.8.2023, 10:45:59
Hallo QuiGonTim, die Variante der sonstigen Gegenstände hat eine Auffangfunktion. Erfasst werden Käufe von nicht als Sache oder Recht zu qualifizierendem Kaufgegenstand. Ein Fall der fehlenden Sachqualität fehlt kann z.B. bei fehlender Abgrenzbarkeit entstehen bei über Rohrleitungen geliefertem Wasser und Gas, oder wie im vorliegenden Fall mangels Körperlichkeit bei elektrischer Energie. Unter diesen Fall wird beispielsweise auch Wärme oder immaterielle Güter, wie Know-How oder Geschäftsideen gefasst. Mehr zu der Frage des Kaufs von Strom findest du auch in BGH NJW-RR 1994, 175, 177. Gegenstand ist also klar von dem Begriff der "Sache" zu unterscheiden. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Paul21
6.10.2023, 00:03:35
Woraus ergibt sich, dass P das Freischalten des Stroms nicht bemerkt hat und die
konkludente Annahmesomit nicht zugegangen ist?
Paulah
6.10.2023, 13:18:43
Ich würde mal ganz platt sagen: Es steht davon nichts im Sachverhalt und ich darf nichts hinzudichten, was eventuell gewesen sein könnte.
Leo Lee
7.10.2023, 14:27:26
Hallo Paul21, wie Paulah anmerkt, ergibt sich hier die Unkenntnis des P aus den fehlenden Angaben im Sachverhalt bzw. daraus, dass E den Strom nur „freischaltet“, was nach lebensnaher Auslegung in den wenigsten Fällen (bis man den Strom benutzt) „bemerkbar“ sein sollte :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
SaraSenu
26.11.2023, 18:39:40
Wieso liegt nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie kein Zugang vor? Der Energieversorger kann ja berechtigterweise davon aussgehen, dass dem P durch das Nutzen des Stroms die
konkludente Annahmeerklärung zugegangen ist. Liegt es hier daran, dass wir laut Sachverhalt gar nicht wissen, ob P den Strom jemals genutzt hat?
Paulah
5.12.2023, 09:17:17
Schau bitte mal in die anderen Threads zu deiner Frage. Dort findest du eine Antwort.
Pilea
9.2.2024, 21:02:40
Anfangs fehlt einmal ein 'BGB', sodass die Verlinkung auch nicht funktioniert.
Leo Lee
10.2.2024, 14:59:23
Hallo Pilea, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen, weshalb wir den Fehler nunmehr korrigiert haben. Wir möchten uns bei dir vielmals dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen und auf weitere Hinweise für Verbesserungswürdigkeiten :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
nullumcrimen
20.5.2024, 15:34:31
in den letzten Aufgaben stand, dass die nicht verkörperte WE erst zugeht wenn der Empfänger sie richtig wahrnimmt. Hier wird in der Definition jedoch betont, dass er sie nunmal nicht inhaltlich richtig wahrnehmen muss. Was davon stimmt nun?
Leo Lee
21.5.2024, 07:27:00
Hallo nullumcrimen, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, die Definition habe isch verändert. Beachte allerdings, dass diese Definition die Unbeachtlichkeit der inhaltlich richtigen Wahrnehmung nicht ausschließt (denn wenn man nur wahrnehmen muss aber nicht genau verstanden haben muss, muss man eben nicht inhaltlich richtig wahrnehmen) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
nullumcrimen
21.5.2024, 22:19:44
Ah ja jetzt habe ich es verstanden! Danke :)