Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Zwei Briefe (ohne Bezug aufeinander) / Kreuzofferte

Zwei Briefe (ohne Bezug aufeinander) / Kreuzofferte

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V schickt K einen Brief, in dem er ihm seine Vase für €300 zum Kauf anbietet. Währenddessen schreibt K an V, ohne dessen Brief zu kennen: "Mir hat Ihre Vase so gut gefallen, ich biete Ihnen dafür €300."

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Einordnung des Falls

Zwei Briefe (ohne Bezug aufeinander) / Kreuzofferte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Einer der beiden Briefe stellt eine ausdrückliche Annahmeerklärung dar (§ 146 BGB).

Nein!

Dem Wortlaut des § 146 BGB lässt sich entnehmen, dass Angebot und Annahme nacheinander erfolgen müssen und durch die Annahme der Antrag angenommen werden muss. Vorliegend handelt es sich um die Konstellation der sogenannten Kreuzofferte bei der sich zwei inhaltlich übereinstimmende Angebote buchstäblich kreuzen: Die Erklärungen beider Parteien werden in diesem Fall jeweils abgegeben, bevor die (inhaltlich kongruente) Erklärung der Gegenseite zugegangen ist bzw. während diese noch auf dem Weg ist. Eine Annahme nach § 146 BGB liegt damit - ungeachtet der inhaltlichen Identität - grundsätzlich nicht vor, da es an der Bezugnahme aufeinander fehlt. Vielmehr handelt es sich um zwei eigenständige Angebote.
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2. Spätestens wenn V, nachdem er den Brief von K erhalten hat, die Vase an K übersendet, kommt ein Kaufvertrag über die Vase zum Preis von €300 zustande.

Genau, so ist das!

Eine konkludente Willenserklärung liegt vor, wenn der Handelnde mit seinem Verhalten unmittelbar einen anderen Zweck verfolgt, mittelbar aber seinen Geschäftswillen zum Ausdruck bringt. Aus dem Verhalten ist dann auf den Geschäftswillen zu schließen. Indem V die Vase an K übersandt hat, hat er mittelbar zum Ausdruck gebracht, K’s Angebot annehmen und die ihn aus dem mit K geschlossenen Kaufvertrag treffende Pflicht zur Übergabe der Sache und Verschaffung des Eigentums an der Sache (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB) erfüllen zu wollen.

3. Da keine Annahme nach § 146 BGB vorliegt, scheidet ein Vertragsschluss nach allen hierzu vertretenen Auffassungen aus.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Vertrag kommt grundsätzlich durch mindestens zwei inhaltlich übereinstimmende, mit Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen zustande (Angebot und Annahme, §§ 145ff.). Ob bei Kreuzofferten auch ohne Annahme ein Vertragsschluss angenommen werden kann, ist indes umstritten.

4. Der Wortlaut der §§ 145 ff. BGB spricht dafür, dass bei Kreuzofferten ein Vertragsschluss zustande kommt.

Nein, das trifft nicht zu!

Da nach dem Wortlaut der § 145 ff. BGB ein Vertrag grundsätzlich aus Angebot und Annahme besteht, wird teilweise vertreten, dass es aufgrund des fehlenden formalen Konsenses an einem wirksamen Vertragsschluss fehlt (Brox/Walker).

5. Der Umstand, dass die Parteien inhaltlich identische Angebote abgegeben haben, spricht dafür, einen Vertragsschluss anzunehmen.

Ja!

Nach der “Theorie der materiellen Konsensbildung“ kann ausnahmsweise auch trotz der fehlenden Bezugnahme der Angebote aufeinander schon zum Zeitpunkt des Zugangs der beiden Briefe ein Vertragsschluss angenommen werden. Begründet wird dies damit, dass es sehr formalistisch erschiene, den Vertragsschluss nur deshalb scheitern zu lassen, weil es an dem formalen Konsens fehle. Denn der Vertragsschluss sei für die Parteien evident. Wollte man zudem auf dem Erfordernis eines förmlichen Konsenses durch Übersendung einer Annahmeerklärung bestehen, so bestünde zudem die Gefahr, dass bei zeitgleicher Übersendung der Annahmeerklärung durch beide Parteien plötzlich zwei Verträge abgeschlossen würden.

6. Sofern V und K nach der Übersendung einfach nichts gemacht hätten, könnte jedenfalls diese Untätigkeit als Annahme ausgelegt werden.

Genau, so ist das!

Eine vermittelnde Ansicht will bei Kreuzofferten den Vertragsschluss weder rundweg ablehnen noch pauschal annehmen, sondern eine Annahme durch beredtes Schweigen prüfen. Im Hinblick auf die vorangegangene Kreuzofferte dürfe ein Anbieter, der kurz darauf ein inhaltlich gleichlautendes Angebot der Gegenseite erhält, berechtigterweise erwarten, dass der Antragsempfänger (und Zweit-Anbieter) ausdrücklich ablehnen wird, sofern er mit dem fraglichen (Erst-)Angebot doch nicht einverstanden ist. Der Empfänger einer Kreuzofferte hat demnach immerhin die Möglichkeit zu widersprechen. Tut er dies nicht, so hat sein Schweigen den Erklärungswert einer Zustimmung, und der Vertrag, den beide Seiten gleichermaßen angeboten haben, kommt mit dem übereinstimmenden Inhalt zustande.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURA

Juragott

17.5.2020, 16:41:32

Kann hier nicht von einer sog. „

Kreuzofferte

“ ausgegangen werden, bei der aufgrund des Konsens der Parteien doch ein Kaufvertrag über die Vase für 300 € zustande kommen kann ?

LI

lillschi

7.1.2021, 13:13:20

Ich hab auch etwas gestutzt. Nach der “Theorie der materiellen Konsensbildung” kommt ein Vertrag zustande. Wenn ich nicht irgendwas übersehen habe, was hier anders gelagert ist. Ein weiterer Gedanke wäre ob im Zuge der §§ 133, 157 auch ein Vertragsschluss angenommen werden muss. Letztlich hapert es hier an formellen Problemen und nicht an materiellen. Schutzzweckerwägungen wurden mir hier auch nicht einfallen, die den Vertragsschluss scheitern lassen würden.

GEL

gelöscht

30.6.2021, 12:55:00

Vielleicht kann sich das Jurafuchs Team zur

Kreuzofferte

äußern? Würde ja schon vor einem Jahr angemerkt

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.7.2021, 12:39:47

Vielen Dank euch drei für diesen guten Einwand! Der Fall hatte bislang tatsächlich das Problem der

Kreuzofferte

noch nicht hinreichend beleuchtet. Wir haben die Fragen nunmehr deutlich erweitert und insbesondere die "Theorie der materiellen Konsensbildung" (Nachweise hierzu bei BeckOK-BGB/Möslein, 1.12.2018, § 146 Rn. 62) mit aufgenommen. Herzlichen Dank für eure Geduld und weiterhin viel Spaß mit Jurafuchs. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

juramen

juramen

27.12.2021, 20:32:17

Ich persönlich finde es problematisch, dass K seinen Angebotsbrief hier gerade noch schreibt. So hat V bisher ja gar nicht die Möglichkeit von dem kommenden Angebot des K Kenntnis zu erlangen, weshalb ich auch die Annahme eines Vertragsschluss durch Schweigen und die zustandekommende

Kreuzofferte

schwierig finde

DIAA

Diaa

1.8.2023, 23:05:42

Wer ist der Empfänger einer

Kreuzofferte

? Der Erstantragende oder der Zweitantragende?

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 14:28:15

Hallo Diaa, das ist eine nicht ganz leicht zu beantwortende Frage, zumal bei einer

Kreuzofferte

beide Parteien die antragende Partei ist. I. Z.T. wird verlangt, dass zumindest einer (ungeachtet dessen welche Partei) ein Verhalten zeigt, dass das Angebot des anderen Teils annimmt, wobei gem.

151 BGB

auf den Zugang dessen verzichtet wird. In diesem Fall wäre dann die Seite, die zuerst annimmt, die "Empfangspartei". II. Die H.M. lässt es demgegenüber genügen, dass beide Parteien nur die gleiche Rechtsfolge wollen. Welche Partei hier genau der "Initiator" sein muss, wird offen gelassen. Summa summarum: Bei einer

Kreuzofferte

gibt es nur zwei Angebote, weshalb keine Partei als die "antragende" Partei betrachtet werden kann. Somit "schwebt beiden Antragenden" vor, dass der Vertrag jeweils durch die Annahme der anderen Seite zustande kommen kann. Man könnte also sagen, dass der Empfänger - je nachdem wer zuerst "reagiert" - per Zufall bestimmt werden kann. Hierzu kann ich dir die Lektüre von Staudinger/Bork, 2020, § 146 Rn. 7 sehr empfehlen! Liebe Grüße Leo

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 16:39:54

@[Lukas_Mengestu](136780)

DIAA

Diaa

2.8.2023, 19:44:22

@[Leo Lee](213375) das hilft mir auf jeden Fall weiter, vielen Dank :)

SI

silasowicz

5.8.2023, 21:00:56

Was wäre im Beispiel dann der unmittelbar verfolgte andere Zweck?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

7.9.2023, 14:48:49

Die Übergabe/

Übereignung
UGE

Ugento

4.9.2024, 08:23:46

Die vermittelnde Theorie?

LELEE

Leo Lee

9.9.2024, 09:02:00

Hallo Ugento, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat ist die vermittelnde Ansicht (wie in den meisten Fällen) die wohl h.M. :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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