Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Angebot und Annahme
Zwei Briefe (ohne Bezug aufeinander) / Kreuzofferte
Zwei Briefe (ohne Bezug aufeinander) / Kreuzofferte
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V schickt K einen Brief, in dem er ihm seine Vase für €300 zum Kauf anbietet. Währenddessen schreibt K an V, ohne dessen Brief zu kennen: "Mir hat Ihre Vase so gut gefallen, ich biete Ihnen dafür €300."
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Einordnung des Falls
Zwei Briefe (ohne Bezug aufeinander) / Kreuzofferte
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Einer der beiden Briefe stellt eine ausdrückliche Annahmeerklärung dar (§ 146 BGB).
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Spätestens wenn V, nachdem er den Brief von K erhalten hat, die Vase an K übersendet, kommt ein Kaufvertrag über die Vase zum Preis von €300 zustande.
Genau, so ist das!
3. Da keine Annahme nach § 146 BGB vorliegt, scheidet ein Vertragsschluss nach allen hierzu vertretenen Auffassungen aus.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Der Wortlaut der §§ 145 ff. BGB spricht dafür, dass bei Kreuzofferten ein Vertragsschluss zustande kommt.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Der Umstand, dass die Parteien inhaltlich identische Angebote abgegeben haben, spricht dafür, einen Vertragsschluss anzunehmen.
Ja!
6. Sofern V und K nach der Übersendung einfach nichts gemacht hätten, könnte jedenfalls diese Untätigkeit als Annahme ausgelegt werden.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Juragott
17.5.2020, 16:41:32
Kann hier nicht von einer sog. „
Kreuzofferte“ ausgegangen werden, bei der aufgrund des Konsens der Parteien doch ein Kaufvertrag über die Vase für 300 € zustande kommen kann ?
lillschi
7.1.2021, 13:13:20
Ich hab auch etwas gestutzt. Nach der “Theorie der materiellen Konsensbildung” kommt ein Vertrag zustande. Wenn ich nicht irgendwas übersehen habe, was hier anders gelagert ist. Ein weiterer Gedanke wäre ob im Zuge der §§ 133, 157 auch ein Vertragsschluss angenommen werden muss. Letztlich hapert es hier an formellen Problemen und nicht an materiellen. Schutzzweckerwägungen wurden mir hier auch nicht einfallen, die den Vertragsschluss scheitern lassen würden.
gelöscht
30.6.2021, 12:55:00
Vielleicht kann sich das Jurafuchs Team zur
Kreuzofferteäußern? Würde ja schon vor einem Jahr angemerkt
Lukas_Mengestu
21.7.2021, 12:39:47
Vielen Dank euch drei für diesen guten Einwand! Der Fall hatte bislang tatsächlich das Problem der
Kreuzoffertenoch nicht hinreichend beleuchtet. Wir haben die Fragen nunmehr deutlich erweitert und insbesondere die "Theorie der materiellen Konsensbildung" (Nachweise hierzu bei BeckOK-BGB/Möslein, 1.12.2018, § 146 Rn. 62) mit aufgenommen. Herzlichen Dank für eure Geduld und weiterhin viel Spaß mit Jurafuchs. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
juramen
27.12.2021, 20:32:17
Ich persönlich finde es problematisch, dass K seinen Angebotsbrief hier gerade noch schreibt. So hat V bisher ja gar nicht die Möglichkeit von dem kommenden Angebot des K Kenntnis zu erlangen, weshalb ich auch die Annahme eines Vertragsschluss durch Schweigen und die zustandekommende
Kreuzofferteschwierig finde
Diaa
1.8.2023, 23:05:42
Wer ist der Empfänger einer
Kreuzofferte? Der Erstantragende oder der Zweitantragende?
Leo Lee
2.8.2023, 14:28:15
Hallo Diaa, das ist eine nicht ganz leicht zu beantwortende Frage, zumal bei einer
Kreuzoffertebeide Parteien die antragende Partei ist. I. Z.T. wird verlangt, dass zumindest einer (ungeachtet dessen welche Partei) ein Verhalten zeigt, dass das Angebot des anderen Teils annimmt, wobei gem.
151 BGBauf den Zugang dessen verzichtet wird. In diesem Fall wäre dann die Seite, die zuerst annimmt, die "Empfangspartei". II. Die H.M. lässt es demgegenüber genügen, dass beide Parteien nur die gleiche Rechtsfolge wollen. Welche Partei hier genau der "Initiator" sein muss, wird offen gelassen. Summa summarum: Bei einer
Kreuzoffertegibt es nur zwei Angebote, weshalb keine Partei als die "antragende" Partei betrachtet werden kann. Somit "schwebt beiden Antragenden" vor, dass der Vertrag jeweils durch die Annahme der anderen Seite zustande kommen kann. Man könnte also sagen, dass der Empfänger - je nachdem wer zuerst "reagiert" - per Zufall bestimmt werden kann. Hierzu kann ich dir die Lektüre von Staudinger/Bork, 2020, § 146 Rn. 7 sehr empfehlen! Liebe Grüße Leo
Leo Lee
2.8.2023, 16:39:54
@[Lukas_Mengestu](136780)
Diaa
2.8.2023, 19:44:22
@[Leo Lee](213375) das hilft mir auf jeden Fall weiter, vielen Dank :)
silasowicz
5.8.2023, 21:00:56
Was wäre im Beispiel dann der unmittelbar verfolgte andere Zweck?
ehemalige:r Nutzer:in
7.9.2023, 14:48:49
Die Übergabe/
ÜbereignungUgento
4.9.2024, 08:23:46
Die vermittelnde Theorie?
Leo Lee
9.9.2024, 09:02:00
Hallo Ugento, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat ist die vermittelnde Ansicht (wie in den meisten Fällen) die wohl h.M. :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo