Einstiegsfall fehlende Vertretungsmacht

14. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V betreibt ein Handelsgewerbe, in dem sie Oldtimer in Kommission verkauft und repariert. Der im Eigentum der E stehende Mercedes-Benz SL 500 wurde von V repariert und steht abholbereit im Vorraum. Sammler K ist von dem Auto sofort begeistert. V veräußert es im Namen der E an K. K geht davon aus, dass V als Vertreterin berechtigt ist.

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Einordnung des Falls

Einstiegsfall fehlende Vertretungsmacht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte von E Eigentum nach § 929 S. 1 BGB erworben haben.

Genau, so ist das!

Eine Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1 BGB setzt (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe und (4) Verfügungsbefugnis voraus.E hat selbst zwar keine auf die Übertragung des Eigentums an K gerichtete Erklärung abgegeben. Die Erklärung der V wirkt jedoch für und gegen sie (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB), wenn V sie wirksam vertreten hat.
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2. Liegen die Voraussetzungen für eine wirksame Stellvertretung der E durch V vor (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine wirksame Stellvertretung setzt voraus (§ 164 BGB): (1) die Abgabe einer eigenen Willenserklärung (2) in fremdem Namen (Offenkundigkeitsprinzip) und (3) mit Vertretungsmacht. V hat eine eigene auf Eigentumsübertragung gerichtete Willenserklärung im Namen der E abgeben. V sollte den Oldtimer aber nur für E reparieren und ihr anschließend zurückgeben. E hat keine Vollmacht (§ 167 Abs. 1 BGB) zur Übereignung des Wagens erteilt. V handelte ohne Vertretungsmacht.

3. Hat K das Eigentum gutgläubig nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB erworben?

Nein!

Der gutgläubige Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB hilft nur über die fehlende Verfügungsbefugnis des Veräußerers hinweg. Dieser Erwerbstatbestand wäre daher einschlägig, wenn V das Auto in eigenem Namen veräußern würde und sich als Eigentümer aufspielt. Hier veräußert V den Mercedes jedoch ausdrücklich im Namen der Eigentümerin E. Problematisch ist daher nicht, ob Verfügungsbefugnis bestand. Vielmehr steht bereits die Frage im Raum, ob - mangels Vertretungsmacht der V - überhaupt eine Einigung über den Eigentumsübergang zwischen Erwerber K und Eigentümerin E zustande gekommen ist. Über die mangelnde Vertretungsmacht hilft § 932 BGB nicht hinweg.

4. Kann § 366 Abs. 1 HGB analog nach h.M. auf die fehlende Vertretungsmacht angewendet werden?

Genau, so ist das!

Nach herrschender Meinung wird über § 366 Abs. 1 HGB analog auch der gute Glaube an die Vertretungsmacht geschützt. Dieser sei nicht weniger schützenswert als der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis. Der Wortlaut spricht von einer Verfügung des unbefugten Kaufmanns. Die Befugnis, über fremde Gegenstände zu verfügen, könne aber sowohl aus einer Ermächtigung, im eigenen Namen zu verfügen, als auch aus einer Bevollmächtigung, in fremdem Namen zu verfügen, erwachsen. Das HGB trenne grundsätzlich nicht scharf zwischen Verfügungsbefugnis und Vertretungsmacht (§§ 49 Abs. 1, 54 Abs. 1, 56 Abs. 1, 125 Abs. 1 HGB). Für den Erwerber sei schlussendlich schwer festzustellen, ob der Verhandlungspartner im eigenen oder fremden Namen aufritt. Bei einer analogen Anwendung auf die Vertretungsmacht ergibt sich das Folgeproblem, ob dieser Erwerb kondiktionsfest ist, da § 366 Abs. 1 HGB (analog) nur das Verfügungsgeschäft wirksam macht, nicht dagegen das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft.

5. Ist V Kaufmann (§ 1 Abs. 1 HGB)?

Ja, in der Tat!

Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB). V betreibt ein Handelsgewerbe (§ 1 Abs. 1 HGB). Sie ist Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes (§ 1 Abs. 1 HGB).

6. Hat V im Betrieb ihres Handelsgewerbes eine bewegliche Sache veräußert (§ 366 Abs. 1 HGB analog)?

Ja!

Der Mercedes ist eine bewegliche Sache (§ 90 BGB). V hat ihn im Rahmen ihres Geschäfts an K veräußert.

7. K war gutgläubig hinsichtlich der Vertretungsmacht der V zur Veräußerung des Mercedes (§ 366 Abs. 1 HGB analog).

Genau, so ist das!

§ 366 Abs. 1 HGB analog schützt den guten Glauben an die Vertretungsmacht eines Kaufmanns bei der Verfügung über fremde Sachen. Voraussetzungen: (1) Der Veräußerer ist Kaufmann (2) es wird eine bewegliche Sache (3) im Betrieb seines Handelsgewerbes veräußert (4) der Erwerber ist in gutem Glauben an die Vertretungsmacht des Kaufmanns und (5) kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 BGB) Guter Glaube liegt vor, wenn dem Erwerber nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt ist, dass der Veräußerer keine Vertretungsmacht hat (§ 932 Abs. 2 BGB, § 366 Abs. 1 HGB analog). K ging bei der Einigung davon aus, dass V als Vertreterin berechtigt ist und war damit gutgläubig hinsichtlich der Vertretungsmacht der V.

8. Kommt es für die Eigentumsübertragung noch darauf an, dass V zur Verfügung über den Mercedes befugt war?

Nein, das trifft nicht zu!

Da die Verfügung über den Mercedes kraft wirksamer Stellvertretung für E erfolgte, kommt es auf die Verfügungsbefugnis der E an und nicht ihres „Stellvertreters“ V. E war Eigentümerin des Mercedes, weshalb sie auch verfügungsbefugt war.

9. Hat K hat Eigentum an dem Oldtimer von E gemäß § 929 S. 1 BGB, iVm § 366 HGB analog erworben.

Ja!

V hat E bei der Einigung über den Eigentumsübergang wirksam vertreten (§ 164 Abs. 1 S.1 BGB, § 366 Abs. 1 HGB analog). Der Oldtimer wurde übergeben. In diesem Zeitpunkt waren E und V sich einig und E war verfügungsbefugt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AN

antonia0203

4.5.2024, 13:32:30

Bei der hier als h.M. dargestellte Ansicht handelt es sich in der Literatur zum jetzigen Stand um eine Mindermeinung. Nach h.M. ist eine analoge Anwendung nicht geboten.

Dogu

Dogu

23.6.2024, 20:14:56

Kannst Du eine Quelle nennen? Prof. Rüßmann: Die herrschende Meinung wendet dennoch §

366 HGB

analog auf den Fall des guten Glaubens an die Vertretungsmacht an https://ruessmann.jura.uni-saarland.de/bvr2006/Vorlesung/366HGB.htm Danach schon seit 2006 hM.

AL

alina2010

5.8.2024, 17:08:37

Ich habe es tatsächlich auch so wie antonia0203 gelernt. Die hM lehnt eine Analogie ab, da allein eine tatsächliche Abgrenzungsschwierigkeit keine Modifikation begründe

BRSA

BrSa

30.8.2024, 12:54:01

Kurzer Blick in die Vorlesungsfolien von Prof. Bitter, S. 74, bestätigt auch, dass die hM den §

366 HGB

analog anwendet. :) https://www.jura.uni-mannheim.de/media/Lehrstuehle/jura/Bitter/handelsrecht-folien-2022-layout-mbs.pdf

Dogu

Dogu

30.8.2024, 16:43:31

Also passt die Darstellung in Jurafuchs :)

WASAB

wasabi

3.9.2024, 14:05:59

Einfach in den Raum zu werfen, dass es sich nicht mehr um die hM handeln würde, ohne Quellen zu nennen bringt echt niemanden weiter. Inbs. mit einem pauschalen Verweis auf "die Literatur".

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

28.9.2024, 22:49:19

Hallo @[antonia0203](249064), vielen Dank für den Hinweis und danke an die anderen für die ergänzenden Hinweise und die gute Diskussion. Von ganz eindeutigen Fällen einmal abgesehen ist es rein tatsächlich häufig schwierig, die "hM" genau zu bestimmen. Das liegt an der fehlenden Eindeutigkeit des Begriffs: Was vor und im 1. Examen noch die "hM" sein mag, nämlich die mehrheitlich vertretene Auffassung, ist nach dem 1. Examen zB manchmal nur noch die "hL", ein "TdL" oder schlicht die "aA" - denn hM ist dann bekanntlich nur noch die Rspr. Gleichzeitig kann niemand sämtliche Literaturquellen und Meinungen zu einer bestimmten Frage auswerten, zahlenmäßig ggü stellen und dann am besten noch qualitativ gewichten, weil die akademisch saubere "Hochreck"-Argumentation von Prof X mehr wert ist als die pragmatische von Rechtsanwalt Y. Dazu kommt, dass natürlich nicht wenige Publikationen gerne für sich in Anspruch nehmen (möchten), die "hM" zu vertreten, schließlich verleiht das der eigenen Argumentation direkt ein gewisses Gewicht. Nicht jeder, der von sich behauptet, die "hM" zu vertreten, tut das also auch. Im Fall der analogen Anwendung von §

366 HGB

dürfte das nach meiner kurzen Recherche eine recht knappe Sache sein. Es sieht mir aber danach aus, als wäre die Anwendung der Norm (auch) auf die fehlende Vertretungsmacht tatsächlich (noch?) die überwiegende Auffassung. Dementsprechend möchte ich das für den Moment in unserer Aufgabe so stehen lassen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

robse27

robse27

6.10.2024, 02:13:46

Moin zusammen, für die „aA“ (dh Analogie (-)) möchte ich hier als Fundstelle Canaris, § 27 Rn. 16f. ins Feld führen. Ich sehe es so wie er und finde diese Ansicht auch überzeugender. Das Wichtigste (mal in eigenen Worten grob) zusammengefasst: - der Typ sieht doch, dass jemand im fremden Namen handelt, soll er sich halt erkundigen (d.h. der Dude ist nicht schutzwürdig und insoweit besteht nicht mal eine vergleichbare Interessenlage im Vergleich zu Leuten, die idR im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung veräußern, wo man das ja gerade nicht erkennt) - daraus ergibt sich zugleich ein schwächerer Rechtsschein; gerade bei Leuten, bei denen das nicht so geläufig ist, im fremden Namen zu veräußern, ist größere Vorsicht geboten - mit § 75h kennt das HGB sehr wohl die Differenz zwischen Vertretungsmacht und Veräußerungsbefugnis - nach § 812 I 1 Alt. 1 hätte der Dude das eh wieder zurückzugeben; nach der aA („hM“?) müsste dann § 179 I als Rechtsgrund zum Behalten gegenüber dem Vertretenen (!) sein, schließlich kann der Vertrag als eigentlich normaler Rechtsgrund nicht über § 366 I HGB „geheilt werden“ (sowas wäre zudem mMn ein Fall einer gesetzlich nicht vorgesehenen Verpflichtungsermächtigung)?! Für mich insgesamt sehr überzeugend. LG :)

BRSA

BrSa

30.8.2024, 12:51:25

Hi, aus dem Sachverhalt ging für mich nicht hervor, dass der Verkäufer nicht auch das Auto der E auf Kommission verkaufen soll. Könntet ihr das klarstellen?


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