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V betreibt ein Handelsgewerbe, in dem sie Oldtimer in Kommission verkauft und repariert. Der im Eigentum der E stehende Mercedes-Benz SL 500 wurde von V repariert und steht abholbereit im Vorraum. Sammler K ist von dem Auto sofort begeistert. V veräußert es im Namen der E an K. K geht davon aus, dass V als Vertreterin berechtigt ist.

Einordnung des Falls

Einstiegsfall fehlende Vertretungsmacht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte von E Eigentum nach § 929 S. 1 BGB erworben haben.

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Genau, so ist das!

Eine Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1 BGB setzt (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe und (4) Verfügungsbefugnis voraus.E hat selbst zwar keine auf die Übertragung des Eigentums an K gerichtete Erklärung abgegeben. Die Erklärung der V wirkt jedoch für und gegen sie (§ 164 Abs.1 S. 1 BGB), wenn V sie wirksam vertreten hat.

2. Liegen die Voraussetzungen für eine wirksame Stellvertretung der E durch V vor (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine wirksame Stellvertretung setzt voraus (§ 164 BGB): (1) die Abgabe einer eigenen Willenserklärung (2) in fremdem Namen (Offenkundigkeitsprinzip) und (3) mit Vertretungsmacht. V hat eine eigene auf Eigentumsübertragung gerichtete Willenserklärung im Namen der E abgeben. V sollte den Oldtimer aber nur für E reparieren und ihr anschließend zurückgeben. E hat keine Vollmacht (§ 167 Abs. 1 BGB) zur Übereignung des Wagens erteilt. V handelte ohne Vertretungsmacht.

3. Hat K das Eigentum gutgläubig nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB erworben?

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Nein!

Der gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB hilft nur über die fehlende Verfügungsbefugnis des Veräußerers hinweg. Dieser Erwerbstatbestand wäre daher einschlägig, wenn V das Auto in eigenem Namen veräußern würde und sich als Eigentümer aufspielt. Hier veräußert V den Mercedes jedoch ausdrücklich im Namen der Eigentümerin E. Problematisch ist daher nicht, ob Verfügungsbefugnis bestand. Vielmehr steht bereits die Frage im Raum, ob - mangels Vertretungsmacht der V - überhaupt eine Einigung über den Eigentumsübergang zwischen Erwerber K und Eigentümerin E zustande gekommen ist. Über die mangelnde Vertretungsmacht hilft § 932 BGB nicht hinweg.

4. Kann § 366 Abs. 1 HGB analog nach hM auf die fehlende Vertretungsmacht angewendet werden?

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Genau, so ist das!

Nach herrschender Meinung wird über § 366 Abs. 1 HGB analog auch der gute Glaube an die Vertretungsmacht geschützt. Dieser sei nicht weniger schützenswert als der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis. Der Wortlaut spricht von einer Verfügung des unbefugten Kaufmanns. Die Befugnis über fremde Gegenstände zu verfügen, könne aber sowohl aus einer Ermächtigung im eigenen Namen zu verfügen als auch aus einer Bevollmächtigung in fremdem Namen zu verfügen, erwachsen. Das HGB trenne grundsätzlich nicht scharf zwischen Verfügungsbefugnis und Vertretungsmacht (§§ 49 Abs. 1, 54 Abs. 1, 56 Abs. 1, 125 Abs. 1 HGB). Für den Erwerber sei schlussendlich schwer festzustellen, ob der Verhandlungspartner im eigenen oder fremden Namen aufritt. Bei einer analogen Anwendung auf die Vertretungsmacht ergibt sich das Folgeproblem, ob dieser Erwerb kondiktionsfest ist, da § 366 Abs. 1 HGB (analog) nur das Verfügungsgeschäft wirksam macht, nicht dagegen das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft.

5. Ist V Kaufmann (§ 1 Abs. 1 HGB)?

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Ja, in der Tat!

Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB). V betreibt ein Handelsgewerbe (§ 1 Abs. 1 HGB). Sie ist Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes (§ 1 Abs. 1 HGB).

6. Hat V im Betrieb ihres Handelsgewerbes eine bewegliche Sache veräußert (§ 366 Abs. 1 HGB analog)?

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Ja!

Der Mercedes ist eine bewegliche Sache (§ 90 BGB). V hat ihn im Rahmen ihres Geschäfts an K veräußert.

7. K war gutgläubig hinsichtlich der Vertretungsmacht der V zur Veräußerung des Mercedes (§ 366 Abs. 1 HGB analog).

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Genau, so ist das!

§ 366 Abs. 1 HGB analog schützt den guten Glauben an die Vertretungsmacht eines Kaufmanns bei der Verfügung über fremde Sachen. Voraussetzungen: (1) Der Veräußerer ist Kaufmann (2) es wird eine bewegliche Sache (3) im Betrieb seines Handelsgewerbes veräußert (4) der Erwerber ist in gutem Glauben an die Vertretungsmacht des Kaufmanns und (5) kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 BGB) Guter Glaube liegt vor, wenn dem Erwerber nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt ist, dass der Veräußerer keine Vertretungsmacht hat (§ 932 Abs. 2 BGB, § 366 Abs. 1 HGB analog). K ging bei der Einigung davon aus, dass V als Vertreterin berechtigt ist und war damit gutgläubig hinsichtlich der Vertretungsmacht der V.

8. Kommt es für die Eigentumsübertragung noch darauf an, dass V zur Verfügung über den Mercedes befugt war?

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Nein, das trifft nicht zu!

Da die Verfügung über den Mercedes kraft wirksamer Stellvertretung für E erfolgte, kommt es auf die Verfügungsbefugnis der E an und nicht ihres „Stellvertreters“ V. E war Eigentümerin des Mercedes, weshalb sie auch verfügungsbefugt war.

9. Hat K hat Eigentum an dem Oldtimer von E gemäß § 929 S. 1 BGB, iVm § 366 HGB analog erworben.

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Ja!

V hat E bei der Einigung über den Eigentumsübergang wirksam vertreten (§ 164 Abs. 1 S.1 BGB, § 366 Abs. 1 HGB analog). Der Oldtimer wurde übergeben. In diesem Zeitpunkt waren E und V sich einig und E war verfügungsbefugt.

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AN

antonia0203

4.5.2024, 13:32:30

Bei der hier als h.M. dargestellte Ansicht handelt es sich in der Literatur zum jetzigen Stand um eine Mindermeinung. Nach h.M. ist eine analoge Anwendung nicht geboten.


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