Wertersatz & Eingriffskondiktion

4. Juli 2025

14 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Handwerkerin H ist aktuell dabei, die Fenster ihres Hauses zu erneuern. In ihrem Lager befinden sich außerdem Fenster, die der A gehören. H vergreift sich und baut aus Versehen die Fenster der A in ihrem Haus ein.

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Einordnung des Falls

Wertersatz & Eingriffskondiktion

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist H Eigentümerin der Fenster der A geworden?

Ja, in der Tat!

Es könnte ein Eigentumserwerb nach § 946 BGB vorliegen, wenn eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt verbunden wird, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird. Auch wesentliche Bestandteile eines Gebäudes sind wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1). Wesentlicher Bestandteil eines Gebäudes ist alles, was zu dessen Herstellung (hierzu zählt auch die Modernisierung) eingefügt wird (§ 94 Abs. 2 BGB).Die Fenster sind wesentlicher Bestandteil des Gebäudes und damit auch wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. H wird durch den Einbau somit Eigentümerin der Fenster.
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2. A kann von H Wertersatz in Geld verlangen (§§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Nach § 951 Abs. 1 S. 1 BGB hat derjenige, der infolge der §§ 946ff. BGB einen Rechtsverlust erleidet, einen Anspruch auf Vergütung in Geld nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts. Es handelt sich nach h.M. um eine Rechtsgrundverweisung. D.h. die Voraussetzungen des Bereicherungsrechts müssen ebenfalls erfüllt sein.Streitig ist, ob nur auf die Nichtleistungs- oder auf beide Kondiktionsarten verwiesen wird.Indem H die Fenster in ihrem Haus eingebaut hat, hat A das Eigentum an den Fenstern verloren. Das Eigentum wurde also nicht durch Leistung des A übertragen, sondern auf sonstige Weise erworben. Dies erfolgte ohne Rechtsgrund.Da keine vorrangige Leistung vorliegt, muss der Streit nicht entschieden werden, ob § 951 BGB auch auf die Leistungskondiktion verweist.

3. Darf A die Fenster nach Ansicht der h.L. auch wieder ausbauen (§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB)?

Genau, so ist das!

§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB regelt nach der h.Lit. ein eigenständiges Wegnahmerecht für jeden, der einen Rechtsverlust infolge der §§946f. BGB erleidet. Dieser Anspruch setzt aber voraus, dass die Sache tatsächlich ausgebaut werden kann, ohne sie zu zerstören und dass dem Anspruchsteller ein Anspruch nach § 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zusteht.A hat infolge des § 946 BGB ihr Eigentum an den Fenstern verloren. Aufgrund dieses Rechtsverlusts steht ihr grundsätzlich auch ein Anspruch auf Vergütung in Geld zu. Die Fenster können auch tatsächlich ausgebaut werden, ohne dass sie dadurch zerstört würden.

4. Das Wegnahmerecht besteht zusätzlich zu dem Vergütungsanspruch.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Wegnahmerecht des § 951 Abs. 2 S. 2 BGB besteht jedenfalls nur als Alternative zu dem Vergütungsanspruch aus §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Mit der Wegnahme erlischt der Anspruch auf Entschädigung in Geld.

5. Auch nach Ansicht der Rechtsprechung darf A die Fenster ausbauen (§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB).

Nein!

Die Rechtsprechung sieht in § 951 Abs. 2 S. 2 BGB nur eine Erweiterung des Anspruchs aus § 997 BGB. Danach setze das Wegnahmerecht voraus, dass derjenige, der sein Recht verliert, zum Zeitpunkt der Verbindung unberechtigter Besitzer der Hauptsache ist. A war zu keinem Zeitpunkt unberechtigte Besitzerin des Hauses der H. Ihr steht somit nach Ansicht der Rechtsprechung kein Wegnahmerecht zu.Die Rechtsprechung begründet diese enge Auslegung damit, dass dass ansonsten die Wertung des § 951 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach die Wiederherstellung des früheren Zustands nicht verlangt werden kann, umgangen würde.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LexSuperior

LexSuperior

13.12.2023, 23:32:10

ich stehe auf dem Schlauch. wie lässt sich die Rechtsauffassung der h.L erklären? wenn die Bestandteile so einfach zu trennen sind dann fliegt man doch bereits beim Prüfungspunkt „

wesentlicher Bestandteil

“ raus, oder nicht ?😅

Paulah

Paulah

14.12.2023, 22:02:06

Kleiner Tipp: Der § 94 hat noch einen Absatz 2! ;-)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.12.2023, 09:48:30

Hi LexSuperior, wie Paulah schon erwähnt hat, geht es hier darum, dass die Fenster zum Baukörper gehören und damit wesentliche Bestandteile des Gebäudes darstellen (§ 94 Abs. 2 BGB) - auch wenn sie wieder ausgebaut werden können (vgl. MüKoBGB/Stresemann, 9. Aufl. 2021, BGB § 94 Rn. 23; LG Lübeck, Beschluß vom 01-07-1985 - 7 T 365/85 = NJW 1986, 2514). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LexSuperior

LexSuperior

18.12.2023, 23:43:44

Vielen Dank 😊

ajboby90

ajboby90

25.1.2024, 21:28:03

Eigentlich absurd, ein Wegnahmerecht aus §951 ii 2 anzunehmen, wo

§ 951

i 2 doch klipp und klar sagt: Der frühere Zustand kann nicht wiederhergestellt werden. Sicher, dass das nicht eine abwegige Sondermeinung mit wenig Relevanz darstellt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.1.2024, 15:40:31

Hallo ajboby90, danke für deine Frage. In der Tat gibt es ein Spannungsverhälntis zwischen

§ 951

Abs. 2 S. 2 und

§ 951

Abs. 1 S. 2. Dies entspringt allerdings aus dem Wortlaut der Norm, der da lautet "In den Fällen der §§ 946, 947 ist die Wegnahme nach den für das Wegnahmerecht des Besitzers gegenüber dem Eigentümer geltenden Vorschriften auch dann zulässig, ...". Erwirbt also der Eigentümer aufgrund der §§ 946, 947 das Eigentum an der verbundenen beweglichen Sache, so gestattet

§ 951

Abs. 2 S. 2 ein Wegnahmerecht, auch wenn der Besitzer der Hauptsache nicht selbst die Verbindung vorgenommen hat. Sinn dieser Vorschrift ist es, die enteignende Wirkung der §§ 946, 947 abzumildern. In Rechtsprechung und Literatur ist die Reichweite des Wegnahmerechts umstritten. Während die Literatur z.T. für einen eher weiten Anwendungsbereich plädiert, sieht die Rechtsprechung darin eine Umgehung des Grundsatzes des Wertersatzes aus

§ 951

Abs. 1. Genaueres dazu findest du in: MüKoBGB/Füller, 9. Aufl. 2023, BGB

§ 951

Rn. 42. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

FTE

Findet Nemo Tenetur

29.3.2025, 20:11:51

@[Nora Mommsen](178057) ich habe eine Frage zu deinem Satz “Erwirbt also der Eigentümer aufgrund der §§ 946, 947 das Eigentum…”. Es geht also um einen Fall, in dem eine von der Eigentümerin der Hauptsache verschiedene Person Besitz an derjenigen Sache hat, mit der dann etwas verbunden wird (also der Hauptsache). Und dann hat eine Dritte Person eine andere kleinere Sache damit verbunden? Dann verstehe ich nicht, wieso es auf den Besitzer der Hauptsache überhaupt ankommt?

LMA

Lt. Maverick

19.5.2025, 12:50:28

@[Findet

Nemo Tenetur

](254807) A ist Eigentümer eines Grundstücks nebst Haus. B ist Mieter des Grundstücks und Hauses. B klaut dem C Blumen und pflanzt sie im Garten des Hauses ein. A erwirbt gemäß §§ 946, 94 I S. 2 BGB Eigentum an den Blumen. C hat einen Rechtsverlust erlitten. Die Voraussetzungen des

§ 951

I S. 1 BGB liegen vor. Es stellt sich nur die Frage, ob C ein Wegnahmerecht zusteht. Ein spezielles Wegnahmerecht gemäß

§ 951

II S. 1 BGB ist nicht ersichtlich. Möglicherweise steht C ein Wegnahmerecht aus

§ 951

II S. 2 BGB zu. Problem: C ist nicht im Besitz des Hauses, Mieter B ist

unmittelbarer Besitzer

des Hauses. Eine Auffassung knüpft an § 9

97 BGB

, wonach der unberechtigte Besitzer gegen den Eigentümer ein Wegnahmerecht hat, soweit er die Verbindung selbst vorgenommen hat. Diese Auffassung erweitert § 9

97 BGB

durch

§ 951

II S. 2 BGB dahingehend, dass die „durch den Besitzer vorgenommene Verbindung“ z.B. auch von Dritten vorgenommene Verbindungen erfasst. Voraussetzung ist aber, dass der ursprüngliche Eigentümer der Sache, der einen Rechtsverlust erlitten hat, selbst Besitzer der Hauptsache ist. Das wäre dann anzunehmen, wenn B als unberechtigter Besitzer Eigentum an den Blumen hatte und z.B. X diese Blumen auf dem Grundstück des A eingepflanzt hätte. B hat dann durch Verbindung des X Eigentum an seinen Blumen an A verloren. § 9

97 BGB

wäre nicht direkt anwendbar, weil vorausgesetzt wird, dass der Besitzer selbst die Verbindung vornimmt. Hiernach könnte C lediglich Ausgleich gemäß

§ 951

I S. 1 BGB verlangen. Eine andere Auffassung versteht

§ 951

II S. 2 BGB hingegen so, dass selbst derjenige, der Nichtbesitzer der Hauptsache ist (im o.g. Fallbeispiel der C) ein Wegnahmerecht nach

§ 951

II S. 2 BGB habe. C könnte hiernach jetzt Anspruch auf Gestattung zum Betreten des Grundstücks gemäß §

§ 951

II S. 2, 997, 258 S. 2 BGB haben und seine Pflanzen wieder rausreißen.

OKA

okalinkk

16.3.2025, 20:22:07

“Die Rechtsprechung sieht in

§ 951

Abs. 2 S. 2 BGB nur eine Erweiterung des Anspruchs aus § 9

97 BGB

. Danach setze das Wegnahmerecht voraus, dass derjenige, der sein Recht verliert, zum Zeitpunkt der Verbindung unberechtigter Besitzer der Hauptsache ist.” das verstehe ich nicht so ganz, inwiefern soll 951 II 2 eine Erweiterung des 997 sein ynd wo genau laesst sich da das Erfordernis eines unberechtigten Besitzes ableiten? was ist denn der Sinn der Meinung der Rspr?

DI

Dini2010

22.3.2025, 20:05:32

Ich verstehe das so:

§ 951

II 1 erklärt die Vorschriften über das Recht zur Wegnahme für anwendbar,

§ 951

II 2 gewährt darüber hinaus in den Fällen der Verbindung §§ 946, 947 ein besonderes Wegnahmerecht. Das Wegnahmerecht richtet sich z.B. nach § 997. § 997 wiederum ist eine Norm des EBV, braucht also eine

Vindikationslage

, sprich, einen unberechtigten Besitzer (Besitzer ohne

Recht zum Besitz

). Daher das Erfordernis eines unberechtigten Besitzers. Laut BGH erfolgt eine Ergänzung/Erweiterung des § 997 durch

§ 951

II 2 in der Form, dass auch dann ein Wegnahmerecht für den unberechtigten Besitzer der Hauptsache gibt, wenn die Verbindung mit der Hauptsache durch einen Dritten erfolgt ist. Deshalb Erweiterung. Da gibt es nun einen Streit, ob das Wegnahmerecht auch auf einen Nichtbesitzer erstreckt werden soll, der sein Eigentum verloren hat. In dem Beispiel hier würde das auf die A zutreffen. Die Fenster waren im Besitz der H, sie selbst war zwar Eigentümerin, aber eben Nichtbesitzerin. Es gibt eine Ansicht, welche die Ausdehnung des Wegnahmerechts auf den Nichtbesitzer ausdehnt mit dem Argument, dass das Wegnahmerecht als

Rechtsfortwirkungsanspruch

jedem zustehen sollte, der sein Eigentum/sein Recht nach §§ 946 ff. verliert. Der BGH und ein Teil der Literatur lehnen das ab, insbesondere weil sonst der

§ 951

I 2 (Ausschluss Wiederherstellung des früheren Zustands) leer liefe. Ich hoffe, ich habe das zum einen richtig verstanden und, wenn ja, halbwegs verständlich wiedergegeben :)

FTE

Findet Nemo Tenetur

29.3.2025, 20:20:57

Wie ist denn das Wort “Hauptsache” hier zu verstehen? Ich dachte immer iSd § 947 II, also dass eigentlich die Hauptsache identisch ist mit der Sache, die von vornherein im Eigentum desjenigen stand, der letztlich auch Eigentum an der verbundenen Sache erlangt hat durch § 947 I. Wenn das der Fall ist, dann wäre aber doch die A gar nicht Nichtbesitzerin der Hauptsache (weil auch nicht Eigentümerin)?

DI

Dini2010

31.3.2025, 10:42:16

Hast recht, sorry, hatte einen falschen SV im Kopf. das Haus (die Hauptsache) gehörte ja H, nicht A


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