Wertersatz & Eingriffskondiktion

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Handwerkerin H ist aktuell dabei die Fenster ihres Hauses zu erneuern. In ihrem Lager befinden sich außerdem Fenster, die der A gehören. H vergreift sich und baut aus Versehen die Fenster der A in ihrem Haus ein.

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Einordnung des Falls

Wertersatz & Eingriffskondiktion

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist H Eigentümerin der Fenster der A geworden?

Ja, in der Tat!

Es könnte ein Eigentumserwerb nach § 946 BGB vorliegen, wenn eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt verbunden wird, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird. Auch wesentliche Bestandteile eines Gebäudes sind wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1). Wesentlicher Bestandteil eines Gebäudes ist alles, was zu dessen Herstellung (hierzu zählt auch die Modernisierung) eingefügt wird (§ 94 Abs. 2 BGB).Die Fenster sind wesentlicher Bestandteil des Gebäudes und damit auch wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. H wird durch den Einbau somit Eigentümerin der Fenster.
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2. A kann von H Wertersatz in Geld verlangen (§§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Nach § 951 Abs. 1 S. 1 BGB hat derjenige, der infolge der §§ 946ff. BGB einen Rechtsverlust erleidet, einen Anspruch auf Vergütung in Geld nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts. Es handelt sich nach h.M. um eine Rechtsgrundverweisung. D.h. die Voraussetzungen des Bereicherungsrecht müssen ebenfalls erfüllt sein.Streitig ist, ob nur auf die Nichtleistungs- oder auf beide Kondiktionsarten verwiesen wird.Indem H die Fenster in ihrem Haus eingebaut hat, hat A das Eigentum an den Fenstern verloren. Das Eigentum wurde also nicht durch Leistung des A übertragen, sondern auf sonstige Weise erworben. Dies erfolgte ohne Rechtsgrund.Da keine vorrangige Leistung vorliegt, muss der Streit nicht entschieden werden, ob § 951 BGB auch auf die Leistungskondiktion verweist.

3. Darf A die Fenster nach Ansicht der h.L. auch wieder ausbauen (§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB)?

Genau, so ist das!

§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB regelt nach der h.Lit. ein eigenständiges Wegnahmerecht für jeden, der einen Rechtsverlust in Folge der §§946f. BGB erleidet. Dieser Anspruch setzt aber voraus, dass die Sache tatsächlich ausgebaut werden kann, ohne sie zu zerstören und dass dem Anspruchsteller ein Anspruch nach § 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zusteht.A hat infolge des § 946 BGB ihr Eigentum an den Fenstern verloren. Aufgrund dieses Rechtsverlusts steht ihr grundsätzlich auch ein Anspruch auf Vergütung in Geld zu. Die Fenster können auch tatsächlich ausgebaut werden, ohne dass sie dadurch zerstört würden.

4. Das Wegnahmerecht besteht zusätzlich zu dem Vergütungsanspruch.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Wegnahmerecht des § 951 Abs. 2 S. 2 BGB besteht jedenfalls nur als Alternative zu dem Vergütungsanspruch aus §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Mit der Wegnahme erlischt der Anspruch auf Entschädigung in Geld.

5. Auch nach Ansicht der Rechtsprechung darf A die Fenster ausbauen (§ 951 Abs. 2 S. 2 BGB).

Nein!

Die Rechtsprechung sieht in § 951 Abs. 2 S. 2 BGB nur eine Erweiterung des Anspruchs aus § 997 BGB. Danach setze das Wegnahmerecht voraus, dass derjenige, der sein Recht verliert, zum Zeitpunkt der Verbindung unberechtigter Besitzer der Hauptsache ist. A war zu keinem Zeitpunkt unberechtigte Besitzerin des Hauses der H. Ihr steht somit nach Ansicht der Rechtsprechung kein Wegnahmerecht zu.Die Rechtsprechung begründet diese enge Auslegung damit, dass dass ansonsten die Wertung des § 951 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach die Wiederherstellung des früheren Zustands nicht verlangt werden kann, umgangen würde.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LexSuperior

LexSuperior

13.12.2023, 23:32:10

ich stehe auf dem Schlauch. wie lässt sich die Rechtsauffassung der h.L erklären? wenn die Bestandteile so einfach zu trennen sind dann fliegt man doch bereits beim Prüfungspunkt „wesentlicher Bestandteil“ raus, oder nicht ?😅

Paulah

Paulah

14.12.2023, 22:02:06

Kleiner Tipp: Der § 94 hat noch einen Absatz 2! ;-)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.12.2023, 09:48:30

Hi LexSuperior, wie Paulah schon erwähnt hat, geht es hier darum, dass die Fenster zum Baukörper gehören und damit wesentliche Bestandteile des Gebäudes darstellen (§ 94 Abs. 2 BGB) - auch wenn sie wieder ausgebaut werden können (vgl. MüKoBGB/Stresemann, 9. Aufl. 2021, BGB § 94 Rn. 23; LG Lübeck, Beschluß vom 01-07-1985 - 7 T 365/85 = NJW 1986, 2514). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LexSuperior

LexSuperior

18.12.2023, 23:43:44

Vielen Dank 😊

ajboby90

ajboby90

25.1.2024, 21:28:03

Eigentlich absurd, ein Wegnahmerecht aus §951 ii 2 anzunehmen, wo § 951 i 2 doch klipp und klar sagt: Der frühere Zustand kann nicht wiederhergestellt werden. Sicher, dass das nicht eine abwegige Sondermeinung mit wenig Relevanz darstellt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.1.2024, 15:40:31

Hallo ajboby90, danke für deine Frage. In der Tat gibt es ein Spannungsverhälntis zwischen § 951 Abs. 2 S. 2 und § 951 Abs. 1 S. 2. Dies entspringt allerdings aus dem Wortlaut der Norm, der da lautet "In den Fällen der §§ 946, 947 ist die Wegnahme nach den für das Wegnahmerecht des Besitzers gegenüber dem Eigentümer geltenden Vorschriften auch dann zulässig, ...". Erwirbt also der Eigentümer aufgrund der §§ 946, 947 das Eigentum an der verbundenen beweglichen Sache, so gestattet § 951 Abs. 2 S. 2 ein Wegnahmerecht, auch wenn der Besitzer der Hauptsache nicht selbst die Verbindung vorgenommen hat. Sinn dieser Vorschrift ist es, die enteignende Wirkung der §§ 946, 947 abzumildern. In Rechtsprechung und Literatur ist die Reichweite des Wegnahmerechts umstritten. Während die Literatur z.T. für einen eher weiten Anwendungsbereich plädiert, sieht die Rechtsprechung darin eine Umgehung des Grundsatzes des Wertersatzes aus § 951 Abs. 1. Genaueres dazu findest du in: MüKoBGB/Füller, 9. Aufl. 2023, BGB § 951 Rn. 42. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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