+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B ist Bucheigentümer eines Grundstücks, wahrer Eigentümer ist E. B verkauft das Grundstück an die gutgläubige G, bewilligt dieser eine Vormerkung, welche im Grundbuch eingetragen wird, und erklärt die Auflassung. Später erwirkt E die Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch. Anschließend wird G als Eigentümerin eingetragen.
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Einordnung des Falls
Eigentumserwerb an einem Grundstück nach §§ 873, 925 BGB – Maßgeblicher Zeitpunkt bei Widerspruch vor Eintragung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. G hat Eigentum nach §§ 873, 925 BGB erlangt.
Nein, das trifft nicht zu!
Der Eigentumserwerb an einem Grundstück nach §§ 873, 925 BGB setzt voraus: (1) Einigung über den Eigentumsübergang am Grundstück (Auflassung, § 925 BGB), (2) Eintragung ins Grundbuch, (3) Einigsein, § 873 Abs. 2 BGB, (4) Verfügungsberechtigung des Veräußerers. Die Voraussetzungen (1) bis (3) liegen vor. B war als bloßer Bucheigentümer jedoch nicht verfügungsbefugt.
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2. G könnte Eigentum nach §§ 873, 925, 892 BGB erlangt haben.
Ja!
Neben den Grundvoraussetzungen der §§ 873, 925 BGB setzt der gutgläubige Erwerb nach § 892 Abs. 1 BGB voraus: (1) Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts, (2) Unrichtigkeit des Grundbuchs, (3) Legitimation des Verfügenden durch das Grundbuch, (4) Gutgläubigkeit des Erwerbers, (5) Kein eingetragener Widerspruch im Grundbuch, (6) Eintragung des zu erwerbenden Rechts.
Ein Rechtsgeschäft zwischen B und G liegt vor. Nicht B, sondern E war Eigentümer des Grundstücks, womit das Grundbuch unrichtig war. B war durch die Eintragung im Grundbuch als Verfügender legitimiert. G war auch gutgläubig. Ferner wurde G als Eigentümerin eingetragen. Die Voraussetzungen (1) bis (4) und (6) liegen vor. Allerdings war hier ein Widerspruch des E eingetragen. Fraglich ist, ob G diesen Widerspruch hier überwinden kann.
3. G hat gegen E einen Anspruch auf Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs aus § 894 BGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
Der Anspruch auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung aus § 894 BGB setzt voraus:
(1) Unrichtigkeit des Grundbuchs,
(2) Anspruchsberechtigung,
(3) Buchberechtigter als Verpflichteter,
(4) Keine Einwendungen.
Das Grundbuch ist unrichtig, wenn eine Divergenz zwischen formeller und materieller Grundbuchlage besteht. Die unrichtige Grundbucheintragung muss ein Recht an einem Grundstück, ein Recht an einem solchen Recht oder eine Verfügungsbeschränkung iSd § 892 Abs. 1 S. 2 (relative Verfügungsbeschränkung) betreffen.
Der Widerspruch ist weder ein Recht an einem Grundstück noch ein Recht an einem solchen Recht. Er ist auch keine Verfügungsbeschränkung. Weitere Verfügungen des Berechtigten sind trotz Widerspruch möglich im Fall der Unrichtigkeit des Widerspruchs von Anfang an wirksam. Der Berechtigte ist durch einen unrichtigen Widerspruch daher nicht beschränkt. § 894 BGB kann daher nicht unmittelbar auf den zu Unrecht eingetragenen Widerspruch angewendet werden. 4. Der eingetragene Widerspruch des E könnte nach § 883 Abs. 2 S. 1 BGB unbeachtlich sein.
Ja!
Für die Frage, ob ein Widerspruch eingetragen ist, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs maßgeblich. § 892 Abs. 2 BGB ist insoweit weder direkt noch analog anwendbar, da es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung nur für den Zeitpunkt der Kenntnis der Unrichtigkeit des Grundbuchs, also für die Gutgläubigkeit, handelt. Möglicherweise könnte sich jedoch eine Vormerkung gegen einen später eingetragenen Widerspruch durchsetzen. Dann wäre ausnahmsweise doch nicht der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs maßgeblich. Dafür ist erforderlich, dass
(1) G eine Vormerkung erworben hat und
(2) § 883 Abs. 2 S. 1 BGB auf den nach erworbener Vormerkung eingetragenen Widerspruch anwendbar ist.
Mehr zu der Frage der Anwendbarkeit von § 892 Abs. 2 BGB hier. 5. G hat eine Vormerkung vom Berechtigten B erworben.
Nein, das ist nicht der Fall!
Der Erwerb einer Vormerkung (§ 883 ff. BGB) setzt voraus: (1) Bestehen eines sicherungsfähigen Anspruchs, § 883 Abs. 1 BGB, (2) Bewilligung der Vormerkung, (3) Eintragung ins Grundbuch, §§ 883, 885 BGB, (4) Berechtigung des Bewilligenden.Der Anspruch auf Eigentumsverschaffung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB ist ein sicherungsfähiger Anspruch. Die Vormerkung wurde von B bewilligt und auch eingetragen. B war als bloßer Bucheigentümer jedoch nicht verfügungsbefugt und damit Nichtberechtigter.
6. Ein gutgläubiger Erwerb einer Vormerkung ist nicht möglich.
Nein, das trifft nicht zu!
Bei dem gutgläubigen Erwerb einer Vormerkung ist zu unterscheiden zwischen dem gutgläubigen Ersterwerb (= Erwerb vom vermeintlichen Eigentümer bei der erstmaligen Bestellung des Rechts) und dem gutgläubigen Zweiterwerb (= Erwerb vom vermeintlichen Rechtsinhaber bei der Übertragung des Rechts). Ein gutgläubiger Ersterwerb ist unstreitig möglich. Umstritten ist nur die dogmatische Begründung: § 892 Abs. 1 S. 1 BGB erfasst seinem Wortlaut nach nur die Fälle, in denen es sich um den Erwerb eines dinglichen Rechts handelt. Nach einer Mindermeinung ist die Vormerkung ein solches dingliches Recht, da sie nach § 883 Abs. 2 BGB auch Wirkungen im Verhältnis zu Dritten entfalten könne. Dies ist jedoch mit der ganz h.M. abzulehnen: Die Vormerkung ist ein Sicherungsmittel eigener Art. Durch sie hat der Inhaber nur ein Recht auf ein Grundstück, nicht an einem Grundstück. Die Vormerkung hat keine den dinglichen Rechten typische absolute Wirkung. Da sie aber nach § 883 Abs. 2 S. 1 BGB in gewissem Rahmen relative dingliche Wirkungen entfaltet, ist sie eine Belastung des Grundstücksrechts. Als Belastung eines Rechts stellt die Bestellung einer Vormerkung daher eine Verfügung dar, auf die nach § 893 Alt. 2 BGB § 892 BGB entsprechend anzuwenden ist.
Ein gutgläubiger Zweiterwerb ist problematischer. Besteht schon der gesicherte Anspruch nicht, scheitert ein Erwerb bereits an der Akzessorietät der Vormerkung. Besteht aber der gesicherte Anspruch, ist die Möglichkeit eines gutgläubigen Zweiterwerbs umstritten. Mehr dazu hier. 7. G hat die Vormerkung nach §§ 893 Alt. 2, 892 Abs. 1 BGB gutgläubig erworben.
Ja!
Der gutgläubige Ersterwerb einer Vormerkung nach §§ 893 Alt. 2, 892 Abs. 1 BGB setzt voraus:
(1) Grundvoraussetzungen nach §§ 883 Abs. 1, 885 BGB,
(2) Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts,
(3) Unrichtigkeit des Grundbuchs,
(4) Legitimation des Verfügenden durch das Grundbuch,
(5) Gutgläubigkeit des Erwerbers,
(6) Kein eingetragener Widerspruch im Grundbuch.
G will von dem vermeintlichen Eigentümer B erstmals eine Vormerkung erwerben, es handelt sich demnach um einen gutgläubigen Ersterwerb. Wie bereits geprüft, sind die Voraussetzungen nach §§ 883 Abs. 1, 885 BGB mit Ausnahme der Berechtigung erfüllt. Ein Rechtsgeschäft zwischen B und G liegt vor. Nicht B, sondern E war Eigentümer des Grundstücks, womit das Grundbuch unrichtig war. B war durch die Eintragung im Grundbuch als Verfügender legitimiert. G war auch gutgläubig. Ein Widerspruch war zum Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung noch nicht eingetragen. Damit hat G die Vormerkung gutgläubig erworben.
8. Der Widerspruch ist als Verfügung nach § 883 Abs. 2 S. 1 BGB der G gegenüber unwirksam.
Nein, das ist nicht der Fall!
Ein Widerspruch ist keine Verfügung! Eine Verfügung ist ein Rechtsgeschäft, durch das ein bestehendes Recht unmittelbar aufgehoben, übertragen, belastet oder inhaltlich verändert wird. Nichts davon trifft auf den Widerspruch zu. Mit dem Widerspruch protestiert der Eintragende nur gegen die Richtigkeit der momentanen Eintragung im Grundbuch. Ein eingetragener Widerspruch verhindert einen gutgläubigen Erwerb aufgrund unrichtigen Grundbuchinhalts. Ist das Grundbuch unrichtig, so steht dem Eingetragenen aber in Wirklichkeit kein Recht zu. Daher kann es auch nicht aufgehoben, übertragen, belastet oder inhaltlich verändert werden. Ist das Grundbuch dagegen richtig (und damit der Widerspruch unrichtig), ändert ein Widerspruch ohnehin nichts an der Rechtsposition des Eingetragenen. Insbesondere kann er als Berechtigter weiterhin über das Grundstück verfügen.
9. § 883 Abs. 2 S. 1 BGB ist auf den nach erworbener Vormerkung eingetragenen Widerspruch aber analog anzuwenden.
Ja, in der Tat!
Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus.
Das Verhältnis zwischen Vormerkung und Widerspruch ist vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Insoweit liegt eine Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber hat mit § 883 Abs. 2 S. 1 BGB das Problem nachträglicher Veränderungen, die dem Rechtserwerb trotz Vormerkung im Weg stehen, grundsätzlich gesehen und zugunsten des Vormerkungsinhabers gelöst. Bei systematischer
Betrachtung kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Vormerkungsinhaber gegen einen Widerspruch schutzlos stellen wollte. Die Lücke ist daher auch planwidrig. Es liegt auch eine vergleichbare Interessenlage vor: Ebenso wie in dem Fall einer vormerkungswidrigen Verfügung wird der Rechtserwerb durch den Widerspruch unmöglich. § 883 Abs. 2 S. 1 BGB bringt für die Verhinderung des Erwerbs trotz Vormerkung aber zum Ausdruck, dass die Vormerkung sich durchsetzen soll. Der Vormerkung soll eine umfassende Sicherungswirkung zukommen. Diese kann sie nur entfalten, wenn sie sich gegen Erwerbsbeeinträchtigungen generell und nicht nur gegen Verfügungen durchsetzt. Daher ist nach § 883 Abs. 2 S. 1 BGB auf den Widerspruch analog anzuwenden.
Die hier einschlägige analoge Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB unterscheidet sich insoweit von der Diskussion der analogen Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB auf eine vormerkungswidrige Vermietung. Die Vermietung führt nicht zur Unmöglichkeit des Rechtserwerbs, sondern "nur" dazu, dass der Erwerber statt unvermietetem Eigentum vermietetes Eigentum erhält. Beim Widerspruch ist dies anders, da hier der Vormerkungsinhaber überhaupt kein Eigentum erhalten würde, der Rechtserwerb also unmöglich wäre. Mehr zur vormerkungswidrigen Vermietung hier. 10. Der eingetragene Widerspruch ist nach § 883 Abs. 2 S. 1 BGB analog unbeachtlich. G hat daher Eigentum nach §§ 873, 925, 892 BGB erworben.
Ja!
Der zum Zeitpunkt des Rechtserwerb eingetragene Widerspruch, der für einen gutgläubigen Erwerb nach § 892 Abs. 1 BGB normalerweise schädlich ist, wird nach § 883 Abs. 2 S. 1 BGB analog von der Vormerkung überwunden. Auch die übrigen Voraussetzungen der §§ 873, 925, 892 BGB liegen wie geprüft vor. G hat daher Eigentum nach §§ 873, 925, 892 BGB erworben.
11. § 894 BGB ist auf den zu Unrecht eingetragenen Widerspruch aber analog anzuwenden.
Genau, so ist das!
Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus.
Das Gesetz sieht für den wahren Berechtigten für einen Anspruch auf Erteilung der nach § 19 GBO erforderlichen Erklärung gegen den Begünstigten bei einem zu Unrecht eingetragenen Widerspruch keine Anspruchsgrundlage vor. Es existiert eine Regelungslücke. Dass der Gesetzgeber den lediglich formell Benachteiligten anders als bei einer Rechtsbeeinträchtigung komplett schutzlos stellen wollte, ist nicht ersichtlich. Die Lücke ist daher auch planwidrig. Hinsichtlich der Interessenlage ist der Schutzzweck des § 894 BGB zu bedenken: § 894 BGB bezweckt neben der Beseitigung der Gefahr eines gutgläubigen Erwerbs weitergehend den Schutz des wahren Rechtsinhabers vor Nachteilen durch die falsche Eintragung. Der wahre Berechtigte ist durch falsche Eintragungen in seinen Verfügungsmöglichkeiten zu Unrecht eingeschränkt. Der nur durch einen Widerspruch beeinträchtigte Berechtigte kann insoweit zwar an und für sich ungehindert verfügen. Allerdings schreckt die Gefahr, dass das Grundbuch tatsächlich unrichtig ist, viele Interessenten ab. Sollte das Grundbuch nämlich tatsächlich unrichtig sein, wäre aufgrund des Widerspruchs ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich. Dieses aus Interessentensicht bestehende Risiko wird kaum jemand eingehen. Die Verfügungsfähigkeit ist somit zwar nicht rechtlich, aber faktisch stark eingeschränkt. Damit liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. § 894 BGB ist daher analog anzuwenden. 12. G hat gegen E einen Anspruch auf Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs aus § 894 BGB analog.
Ja, in der Tat!
Abgesehen vom abweichenden Objekt der Eintragung müssen für den Anspruch aus § 894 BGB analog dieselben Voraussetzungen erfüllt sein:
(1) Unrichtigkeit des Grundbuchs hinsichtlich des Widerspruchs,
(2) Anspruchsberechtigung,
(3) Durch den Widerspruch Begünstigter als Verpflichteter,
(4) Keine Einwendungen.
Ein Widerspruch ist materiell unrichtig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 899 Abs. 1 BGB wegfallen oder von Anfang an keinen Bestand hatten.
In dem Zeitraum, in dem G lediglich Inhaberin einer Vormerkung, aber noch nicht Eigentümerin war, war der Widerspruch analog § 883 Abs. 2 S. 1 BGB nur der G gegenüber relativ unwirksam. Da G aber dank § 883 Abs. 2 S. 1 BGB analog trotz des Widerspruchs gutgläubig Eigentum erwerben konnte, änderte sich zu diesem Zeitpunkt ihre Rechtsposition. Die Ausweisung der G als Eigentümerin im Grundbuch ist materiell richtig und der Widerspruch damit unrichtig. Ab diesem Zeitpunkt ist der Widerspruch daher nicht nur G gegenüber, sondern gegenüber allen unrichtig. Das Grundbuch ist daher hinsichtlich des Widerspruchs unrichtig. G ist als wahre Berechtigte anspruchsberechtigt, E der durch den Widerspruch Begünstigte. E stehen auch keine Einwendungen zu. G hat daher einen Anspruch gegen E auf Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs aus § 894 BGB analog.
Wäre in der Klausur nur nach einem Berichtigungsanspruch gefragt, müsstest du die Prüfung des Erwerbs der Vormerkung und des Eigentums inzident bei der Frage der Unrichtigkeit vornehmen. Vergleiche zu einem solchen Aufbau den anspruchsvollen Fall des gutgläubigen Zweiterwerbs einer Vormerkung hier. Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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Jurastudium und Referendariat.