Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2017

Konkurrenzverhältnis zwischen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Konkurrenzverhältnis zwischen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

26. Juli 2023

4,5(31.436 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A hält dem Amtstierarzt T eine Schusswaffe vor, während T das Grundstück des A betritt.

Der Amtstierarzt T möchte für die zuständige Veterinärbehörde bei A prüfen, ob und wie dieser auf seinem Grundstück Tiere hält. A droht ihm u.a. mit einem Schreckschussrevolver, sollte T das Grundstück betreten. T ist unbeeindruckt und prüft dennoch.

Diesen Fall lösen 73,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

In dieser Entscheidung beschäftigt sich der BGH mit dem Konkurrenzverhältnis zwischen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Täter hatte eine versucht, den Beamten zu nötigen und dadurch Widerstand geleistet. Strafbar ist der Täter aber nur wegen letzterem. Jedes Widerstandleisten verfolge nämlich zugleich den Zweck, den Beamten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Die Nötigung trete deshalb im Wege der Spezialität zurück.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A T ebenfalls genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB), die Prüfung zu unterlassen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Vollendet ist § 240 Abs. 1 StGB, wenn der Genötigte als Folge des auf ihn ausgeübten Drucks die ihm aufgezwungene Handlung vorgenommen oder zumindest mit ihrer Ausführung begonnen hat. Bei Nötigung zu einem Unterlassen ist Vollendung gegeben, wenn das Opfer die Handlung infolge des Zwangs entweder ganz unterlässt oder über den Zeitraum hinaus verschiebt, in welchem sie vorgenommen werden sollte (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 240 RdNr. 55-55a). Ungeachtet der Nötigungshandlung des A hat T die Prüfung – also die Handlung, zu deren Unterlassen der A den T nötigen wollte – durchgeführt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Hat A sich einer versuchten Nötigung (§§ 240 Abs. 1, 3, 22 StGB) strafbar gemacht?

Ja, in der Tat!

Eine versuchte Nötigung (strafbar gemäß § 240 Abs. 3 StGB) liegt vor, wenn der Täter mit der Anwendung der Nötigungsmittel beginnt, ohne dass diese zum Erfolg führen (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 240 RdNr. 56). T hat das Grundstück trotz Drohung betreten und seine Prüfung vorgenommen.

3. A wird nur nach § 113 Abs. 1 StGB bestraft. Treten §§ 240 Abs. 1, 3, 22 StGB im Konkurrenzwege zurück?

Ja!

BGH: „Da jedes Widerstandleisten zugleich den Zweck verfolgt, den betroffenen Beamten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen [...], tritt der Tatbestand des § 240 StGB [...] im Konkurrenzwege zurück. Dies führt dazu, dass § 113 StGB als lex specialis allein anzuwenden ist [...]. Die tateinheitliche Verurteilung wegen (versuchter) Nötigung muss daher entfallen.“ Vergiss in Deiner Klausur nie, auch nur kurz etwas zu den Konkurrenzen zu schreiben. Das bringt Dir wertvolle Punkte und Achtung ein.

4. Hat A T durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet (§ 113 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Widerstand leisten ist das – auch untaugliche oder erfolglose – Unternehmen, den Amtsträger durch ein aktives Vorgehen zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung als solcher zu nötigen oder diese zu erschweren (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 113 RdNr. 22). Drohung mit Gewalt: Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will. Gewalt ist ein Einsatz materieller Zwangsmittel durch tätiges Handeln gegen die Person des Vollstreckenden, der geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 113. RdNr. 23, 26; § 240 RdNr. 31). A hat es unternommen, die Prüfung zu verhindern, indem er mit dem Revolver Gesundheitsschäden angedroht hat.

5. Ist T Amtsträger (§ 113 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

Ja, in der Tat!

Rechtsgut des § 113 StGB ist die Autorität staatlicher Vollstreckungsakte. Amtsträger (§ 11 Nr. 2 StGB) sind alle im Dienst des Bundes, der Länder, der Gemeinden, Gemeindeverbände und der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts tätigen Amtsträger. Nicht erfasst sind kirchliche Amtsträger (Fischer, StGB, 64. Aufl., 2017, § 11 RdNr. 12). T vertritt die zuständige Veterinärbehörde.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel)
      2. Nötigungserfolg: Handlung, Duldung, oder Unterlassung
      3. Nötigungsspezifischer Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und -erfolg
    2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (bzgl. Nötigungserfolgs ist die Vorsatzform str.)
  2. Rechtswidrigkeit
    1. Fehlen von Rechtfertigungsgründen
    2. Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB
  3. Schuld
  4. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle (§ 240 Abs. 4 StGB)
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

13.6.2020, 08:57:59

Es ist doch widersprüchlich, dass man zuerst 240 I,22, 23 I bejaht und danach die Nötigung (zurecht!) aufgrund des lex specialis-Verhältnis zu 113 I verneint. Die Prüfung von 240 kann dann entfallen und führt nur zu Verwirrung.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

13.6.2020, 10:22:39

So wie ich das verstehe, wird der Tatbestand der versuchten Nötigung erfüllt. Er tritt nur im Wege der Konkurrenzen hinter 113 I zurück.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

13.6.2020, 23:35:42

Danke für die Anmerkung, Jana-Kristin! Genau, versuchte Nötigung tritt im Konkurrenzwege zurück. Schon aus didaktischen Gründen müssen wie die versuchte Nötigung prüfen. In der Klausur oder einem Rechtsgutachten je nach Situation u.U. auch, würden wir sagen.

HAGE

hagenhubl

17.9.2024, 10:33:35

Warum nehmt ihr nicht auch den Fall auf, wo im Rahmen einer Kontrolle der Bauer auf einen Tierschützer schoss und der Tierschützer eine Niere verlor? Dieser Fall kam damals in den Medien.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs Illustration: Der betrunkene T hat ein Messer in der Hand und schreit dem toten, auf dem Boden liegenden O "Das zahl ich dir heim" zu.

Der Amputationsfall: Beachtlichkeit des dolus subsequens? - Jurafuchs

Das Konzidenzprinzip besagt, dass der Vorsatz zum Zeitpunkt der Tat vorhanden sein muss. Daher ist es irrelevant, ob der Vorsatz vor (dolus antecedens) oder nach der Tat (dolus subsequens) besteht. Es genügt jedoch, wenn Vorsatz zum Zeitpunkt des Eintritts in das Versuchsstadium vorliegt. Im vorliegenden, an den Jauchegrubenfall erinnernden, „Amputationsfall“ hatte der Täter jedoch zum Zeitpunkt der zuerst folgenden Körperverletzung keinen Tötungsvorsatz. Dieser folgte erst später und ist damit ein unbeachtlicher dolus subsequens.

Fall lesen

Jurafuchs Illustration: E steht verwundert vor einem explodierten Haus.

Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit - Jurafuchs

Der BGH beschäftigt sich hier mit der Abgrenzung von Eventualvorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit. Maßgeblich sei nach h.M. das voluntative Element, also das billigende in Kauf nehmen des tatbestandlichen Erfolgs im Gegensatz zum Vertrauen darauf, dass dieser ausbleibe. Dies sei unabhängig davon, ob der Erfolg auch erwünscht ist.

Fall lesen

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen