Strafrecht

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Konkurrenzverhältnis zwischen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - Jurafuchs

Konkurrenzverhältnis zwischen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - Jurafuchs

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A hält dem Amtstierarzt T eine Schusswaffe vor, während T das Grundstück des A betritt.

Der Amtstierarzt T möchte für die zuständige Veterinärbehörde bei A prüfen, ob und wie dieser auf seinem Grundstück Tiere hält. A droht ihm u.a. mit einem Schreckschussrevolver, sollte T das Grundstück betreten. T ist unbeeindruckt und prüft dennoch.

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Einordnung des Falls

In dieser Entscheidung beschäftigt sich der BGH mit dem Konkurrenzverhältnis zwischen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Täter hatte eine versucht, den Beamten zu nötigen und dadurch Widerstand geleistet. Strafbar ist der Täter aber nur wegen letzterem. Jedes Widerstandleisten verfolge nämlich zugleich den Zweck, den Beamten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Die Nötigung trete deshalb im Wege der Spezialität zurück.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A T ebenfalls genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB), die Prüfung zu unterlassen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Vollendet ist § 240 Abs. 1 StGB, wenn der Genötigte als Folge des auf ihn ausgeübten Drucks die ihm aufgezwungene Handlung vorgenommen oder zumindest mit ihrer Ausführung begonnen hat. Bei Nötigung zu einem Unterlassen ist Vollendung gegeben, wenn das Opfer die Handlung infolge des Zwangs entweder ganz unterlässt oder über den Zeitraum hinaus verschiebt, in welchem sie vorgenommen werden sollte (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 240 RdNr. 55-55a). Ungeachtet der Nötigungshandlung des A hat T die Prüfung – also die Handlung, zu deren Unterlassen der A den T nötigen wollte – durchgeführt.
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2. Hat A sich einer versuchten Nötigung (§§ 240 Abs. 1, 3, 22 StGB) strafbar gemacht?

Ja, in der Tat!

Eine versuchte Nötigung (strafbar gemäß § 240 Abs. 3 StGB) liegt vor, wenn der Täter mit der Anwendung der Nötigungsmittel beginnt, ohne dass diese zum Erfolg führen (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 240 RdNr. 56). T hat das Grundstück trotz Drohung betreten und seine Prüfung vorgenommen.

3. A wird nur nach § 113 Abs. 1 StGB bestraft. Treten §§ 240 Abs. 1, 3, 22 StGB im Konkurrenzwege zurück?

Ja!

BGH: „Da jedes Widerstandleisten zugleich den Zweck verfolgt, den betroffenen Beamten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen [...], tritt der Tatbestand des § 240 StGB [...] im Konkurrenzwege zurück. Dies führt dazu, dass § 113 StGB als lex specialis allein anzuwenden ist [...]. Die tateinheitliche Verurteilung wegen (versuchter) Nötigung muss daher entfallen.“ Vergiss in Deiner Klausur nie, auch nur kurz etwas zu den Konkurrenzen zu schreiben. Das bringt Dir wertvolle Punkte und Achtung ein.

4. Hat A T durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet (§ 113 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Widerstand leisten ist das – auch untaugliche oder erfolglose – Unternehmen, den Amtsträger durch ein aktives Vorgehen zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung als solcher zu nötigen oder diese zu erschweren (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 113 RdNr. 22). Drohung mit Gewalt: Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will. Gewalt ist ein Einsatz materieller Zwangsmittel durch tätiges Handeln gegen die Person des Vollstreckenden, der geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 113. RdNr. 23, 26; § 240 RdNr. 31). A hat es unternommen, die Prüfung zu verhindern, indem er mit dem Revolver Gesundheitsschäden angedroht hat.

5. Ist T Amtsträger (§ 113 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?

Ja, in der Tat!

Rechtsgut des § 113 StGB ist die Autorität staatlicher Vollstreckungsakte. Amtsträger (§ 11 Nr. 2 StGB) sind alle im Dienst des Bundes, der Länder, der Gemeinden, Gemeindeverbände und der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts tätigen Amtsträger. Nicht erfasst sind kirchliche Amtsträger (Fischer, StGB, 64. Aufl., 2017, § 11 RdNr. 12). T vertritt die zuständige Veterinärbehörde.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel)
      2. Nötigungserfolg: Handlung, Duldung, oder Unterlassung
      3. Nötigungsspezifischer Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und -erfolg
    2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (bzgl. Nötigungserfolgs ist die Vorsatzform str.)
  2. Rechtswidrigkeit
    1. Fehlen von Rechtfertigungsgründen
    2. Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB
  3. Schuld
  4. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle (§ 240 Abs. 4 StGB)

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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

13.6.2020, 08:57:59

Es ist doch widersprüchlich, dass man zuerst 240 I,22, 23 I bejaht und danach die Nötigung (zurecht!) aufgrund des lex specialis-Verhältnis zu 113 I verneint. Die Prüfung von 240 kann dann entfallen und führt nur zu Verwirrung.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

13.6.2020, 10:22:39

So wie ich das verstehe, wird der Tatbestand der versuchten Nötigung erfüllt. Er tritt nur im Wege der Konkurrenzen hinter 113 I zurück.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

13.6.2020, 23:35:42

Danke für die Anmerkung, Jana-Kristin! Genau, versuchte Nötigung tritt im Konkurrenzwege zurück. Schon aus didaktischen Gründen müssen wie die versuchte Nötigung prüfen. In der Klausur oder einem Rechtsgutachten je nach Situation u.U. auch, würden wir sagen.

HAGE

hagenhubl

17.9.2024, 10:33:35

Warum nehmt ihr nicht auch den Fall auf, wo im Rahmen einer Kontrolle der Bauer auf einen Tierschützer schoss und der Tierschützer eine Niere verlor? Dieser Fall kam damals in den Medien.


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