Referendariat
Die StA-Klausur im Assessorexamen
Das materielle Gutachten
Verstoß gegen Beweiserhebung, aber kein Beweisverwertungsverbot (Abwägungslehre)
Verstoß gegen Beweiserhebung, aber kein Beweisverwertungsverbot (Abwägungslehre)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Dealerin D gerät um 22 Uhr in eine Polizeikontrolle. Sie flieht zu Fuß. Auf der Rückbank ihres gestohlenen Autos finden die Beamten Ds Ausweis und eine Geldkassette, in der sie Drogen vermuten. Da kein Richter mehr erreichbar ist, ordnet der zuständige Staatsanwalt S die Öffnung der Kassette an und findet Heroin.
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Einordnung des Falls
Verstoß gegen Beweiserhebung, aber kein Beweisverwertungsverbot (Abwägungslehre)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Durchsuchung des Autos stellt eine Maßnahme zur Identitätsfeststellung dar (§ 163b Abs. 1 S. 3 StPO).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Auch das Durchsuchen der Geldkassette stellt noch eine Maßnahme zur Identitätsfeststellung dar.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Eine Durchsuchung beim Beschuldigten, die nicht der Identitätsfeststellung dient, bedarf grundsätzlich einer richterlichen Anordnung.
Ja!
4. Da in der Nacht kein Richter mehr erreichbar war, durfte die Anordnung ausnahmsweise durch den Staatsanwalt S erfolgen.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Führt ein Verstoß gegen die Beweiserhebung stets zu einem Beweisverwertungsverbot im Bezug auf die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Ist das aufgefundene Heroin als Augenscheinsobjekt in der Hauptverhandlung verwertbar, obwohl der Richtervorbehalt bei der Durchsuchung nicht gewahrt wurde?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Lorenz
19.10.2023, 10:58:32
Müsste es in der vorletzten Frage nicht unselbstständiges Beweisverwertungsverbot heißen?
Lukas_Mengestu
19.10.2023, 12:17:22
Hallo Lorenz, in der Frage wird lediglich auf den Begriff des
Beweisverwertungsverbotes abgestellt, ohne zu präzisieren, ob es sich dabei um ein unselbstständiges oder selbstständiges Verwertungsverbot handelt. Diese Kategorisierung ist letztlich ohne Bedeutung. In der Tat geht es hier aber um ein unselbstständiges Verwertungsverbot, da hier geprüft wird, ob aus einem Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften auch ein Beweisverwertungsverbot resultiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
vulpes iuris
14.10.2024, 14:17:26
Lorenz meinte die Antwort, vermute ich.
Dolusdave
1.1.2024, 19:35:34
mir fehlt in der Aufgabe die Information, dass das Auto sichergestellt wurde und deshalb eine richterliche Anordnung abgewartet werden kann.
Entenpulli
19.2.2024, 10:53:48
D flieht zu Fuß (das Auto ist also noch da) und man findet im Auto Gegenstände. Daraus ergibt sich mMn ausreichend, dass Polizisten das Auto sicherstellen konnten.
sy
1.4.2024, 23:50:43
Liebes Team, in der Aufgabe davor haben wir doch festgestellt, dass vorerst überhaupt der Rechtskreis des Beschuldigten betroffen sein muss, damit eine etwaige Abwägung nach BGH zu einer Verwertung führen oder auch nicht führen kann. Daraus hatte ich verstanden, dass stets festgehalten werden muss, ob die Norm, gegen welche die staatliche Obrigkeit verstoßen hat auch den Schutz des Beschuldigten - also sein Rechtskreis - betrifft. Frage: wieso haben wir hier kein Wort dazu verloren, ob eine Verfahrensvorschrift dem Schutz des Beschuldigten dient ?
Pit
22.5.2024, 13:31:33
Mir persönlich helfen normative Anknüpfungen in den Erläuterungen immer weiter, um es mir aus dem Gesetz selbst zu erschließen. Daher hier ergänzend und den BGH zitierend: "Die spätere Öffnung und Durchsuchung der Geldkassette war danach aber nicht mehr von § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO gedeckt. Dabei handelte es sich um eine Durchsuchung im Sinne der §§ 102, 105 StPO. Die Voraussetzungen dafür lagen nicht vor. Jedoch ergibt sich aus diesem
Verfahrensfehlerkein Beweisverwertungsverbot." >BGH, Urteil vom 17.02.2016 - 2 StR 25/15, Rn. 22 - https://openjur.de/u/889355.html < Hierbei ist hinsichtlich der Abwägung noch die folgende Passage aus dem Urteil (Rn. 26) interessant: "Dabei fällt ins Gewicht, dass es um den schwerwiegenden Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten geht, der einschlägig vorbestraft ist. Nachdem seine Identität durch Auffinden des Entlassungsscheins aus der Justizvollzugsanstalt, aus der er bedingt entlassen worden war, bekannt war, ist auch anzunehmen, dass ein Ermittlungsrichter in dem Fall, dass ein Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Geldkassette gestellt worden wäre, höchstwahrscheinlich einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Diese Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen." #Funfact: Herr Fischer hat an dem Urteil mitgewirkt.
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