Zivilrecht

ZPO II: Zwangsvollstreckungsrecht

Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO

Rechtsschutzbedürfnis / Zwangsvollstreckung „droht“ / Rückgabe des Titels

Rechtsschutzbedürfnis / Zwangsvollstreckung „droht“ / Rückgabe des Titels

3. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G verklagt S erfolgreich auf Zahlung von €10.000. G lässt sich eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils erteilen. Ein Gerichtsvollzieher pfändet im Auftrag von G €10.000 in bar bei S. G bleibt im Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils.

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Einordnung des Falls

Rechtsschutzbedürfnis / Zwangsvollstreckung „droht“ / Rückgabe des Titels

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S kann mit der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) gegen eine mögliche Zwangsvollstreckung vorgehen.

Ja!

Die Vollstreckungsabwehrklage ist statthaft (§ 767 Abs. 1 ZPO), wenn der Kläger als Schuldner des Vollstreckungsverfahrens gegen den Beklagten als Vollstreckungsgläubiger materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch erhebt. S kann den materiell-rechtlichen Einwand geltend machen, er habe den Anspruch bereits erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Pfändung von Bargeld gilt als Zahlung durch den Schuldner (§ 815 Abs. 3 ZPO). Die Vollstreckungsabwehrklage ist für S statthaft.
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2. Mit der Ablieferung des Geldes bei G entfällt das Rechtsschutzbedürfnis des S für eine Vollstreckungsabwehrklage.

Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Zwangsvollstreckung droht oder schon begonnen hat und noch nicht beendet ist. Zwar endet die Zwangsvollstreckung grundsätzlich mit der Ablieferung des gepfändeten Geldes bei dem Gläubiger. Hier hat der Gerichtsvollzieher aber entgegen § 757 Abs. 1 ZPO dem S nicht die vollstreckbare Ausfertigung übergeben. Solange G diese noch in den Händen hält, könnte er damit nochmals vollstrecken. Die Zwangsvollstreckung „droht“ also weiterhin und das Rechtsschutzbedürfnis des S besteht fort.

3. S kann die Vollstreckungsabwehrklage mit einer Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils verbinden.

Ja, in der Tat!

Es hilft dem Schuldner wenig, wenn das Gericht auf seine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) hin die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, der Gläubiger aber die vollstreckbare Ausfertigung behalten und damit weiter vollstrecken könnte. S hat daher einen Anspruch auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung (§ 371 S. 1 BGB analog). Diesen Anspruch kann S - bei Vorliegen der Voraussetzungen einer objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) - als Leistungsklage zusammen mit der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) einklagen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

9.9.2023, 12:00:27

Ich verstehe nicht ganz, warum hier nicht die Vollstreckungserinnerung § 766 einschlägig ist, schließlich verletzt doch der Gerichtsvollzieher seine Pflicht aus § 757 zur Übergabe des Titels und Quittung und somit ist doch auch die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betroffen. Oder muss man hier ganz pragmatisch sagen, dass der Vollstreckungsgläubiger ja im Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung ist und deswegen er der richtige

Anspruchsgegner

ist, weil der Vollstreckungsschuldner einen

Herausgabeanspruch

gegen ihn auf

Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung

hat? Weiterhin verstehe ich nicht, wieso man auf § 371 analog abstellt und nicht auf sachenrechtliche Herausgabeansprüche.

VALA

Vanilla Latte

7.10.2023, 22:15:35

Das habe ich mich gerade auch gefragt

flari0n

flari0n

24.3.2024, 17:28:53

Gute Frage, die stellt sich mir auch. Grds. würde man ja denken, dass hier die Vollstreckungserinnerung statthaft sein müsste (was auch Seiler, inRn.Thomas/Putzo, 43. Aufl. 2022, § 757 Rn. 5 vertritt). Dann würde es sich nicht um Urteils-, sondern um ein Beschlussverfahren handeln, sodass die Voraussetzungen für eine Klagehäufung nicht vorliegen würden (wenn ich das in den Lektionen zuvor richtig verstanden habe). Wenn man aber davon ausgeht, dass ein Anspruch aus § 371 S. 1 BGB analog vorliegt, dann wäre dieser ja im Wege einer

Leistungsklage

, also eines Urteilsverfahrens geltend zu machen, was wiederum für eine objektive Klagehäufung mit der

Vollstreckungsabwehrklage

geeignet wäre. Ne Einschätzung von den JF-Menschen wäre sehr hilfreich! :)

indubischubidu

indubischubidu

28.8.2024, 19:29:04

Ich schließe mich der Frage an ⬆️

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

27.9.2024, 11:26:06

Hallo @[evanici](214760), danke Dir für die guten Fragen und den anderen für die weiteren und ergänzenden Hinweise! Die Antwort von @[flari0n](207363) geht hier schon in die richtige Richtung. Ich werde mal versuchen, das noch etwas weiter aufzuklären. § 757 I ZPO ist tatsächlich eine Verfahrensvorschrift, gegen die die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO nicht grds ausgeschlossen ist. Das hilft unserem Schuldner im vorliegenden Fall aber leider nur sehr begrenzt weiter. Zum einen ist das kein Einwand, den er in einem laufenden, zweiten Zwangsvollstreckungsverfahren geltend machen könnte. Wenn er die erste Zwangsvollstreckung angreift und Recht bekommt, wird ja höchstens die erste Zwangsvollstreckung für

unzulässig

erklärt. Zum anderen verhilft dem Schuldner die Erinnerung auch nicht zur

Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung

, er hat also im Hinblick auf zukünftige Zwangsvollstreckungen keine Ruhe. Der Gerichtsvollzieher kann die Ausfertigung ohnehin nicht herausgeben, weil sie im Besitz des Gläubigers ist. Solange das der Fall ist, könnte der Gläubiger immer wieder die Zwangsvollstreckung anstoßen, gegen die sich der Schuldner dann erstmal w

ehre

n muss. Der Anspruch auf

Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung

ist allerdings ein materiell-rechtlicher, den der Schuldner nicht einfach mit der Erinnerung verknüpfen kann (und eine isolierte Herausgabeklage analog § 371 S 1 BGB ist grds

unzulässig

). Deswegen ist die

Vollstreckungsabwehrklage

, verbunden mit dem Anspruch auf

Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung

, der rechtsschutzintensivere und richtige Weg. Und auf § 371 S 1 BGB analog müssen wir deshalb abstellen, weil wir keine andere passende AGL haben. § 757 I ZPO selbst ist nach hM nur Verfahrensvorschrift und keine eigene AGL. Du, evanici, bringst sachenrechtliche Ansprüche ins Spiel, aber was soll denn hier konkret passen? Der Schuldner ist nicht/war nie Eigentümer oder Besitzer der vollstreckbaren Ausfertigung. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

SDEE

SDee

20.3.2024, 10:10:19

Wie ist der Meinungsstand zur hier zitierten ASGL aus

§ 371 BGB

analog?

§ 371 BGB

analog scheint eher zu passen, wenn die Urkunde beim Gläubiger verbleibt. § 757 ZPO analog hingegen auf den hiesigen Fall, in dem der Gerichtsvollzieher die vollstreckbare Ausfertigung einbehält.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

27.9.2024, 11:42:21

Hallo @[SDee](210296), § 757 I ZPO ist nach jedenfalls hM unabhängig von der konkreten Vollstreckungssituation keine eigene AGL (auch nicht analog), sondern bloße Verfahrensvorschrift (vgl nur BeckOKZPO/Ulrici, 53. Ed, Stand 1.7.24, § 757 Rn 2). In unserem Fall gibt der Gerichtsvollzieher zwar die vollstreckbare Ausfertigung nicht an den Schuldner heraus, sie bleibt aber laut der Sachverhaltsdarstellung im Besitz des Gläubigers, der Gerichtsvollzieher selbst hat sie also ohnehin nicht mehr. Dem Gläubiger kann er die Ausfertigung auch nicht einfach wegnehmen, zumal er ihm ggü vor dem Hintergrund des Antragsgrundsatzes grds weisungsgebunden ist (§ 31 II Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher, vgl auch §§ 753, 754 ZPO). Es bleibt daher bei § 371 S 1 BGB analog. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

SDEE

SDee

20.3.2024, 10:13:37

Lt. BGH muss der Schuldner meines Wissens nach zunächst eine Vollstreckungsgegenklage durchführen, bevor er den Titel herausverlangen kann. Zulässig, da prozessökonomisch, ist aber, beides gleichzeitig zu erheben. Diesen Hinweis vielleicht ergänzen, da genau dies hier ja erfolgen soll?


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