+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T verabredet sich am Abend mit F zu einem Autorennen. T fährt dabei auf der viel befahrenen Gegenfahrspur (167 km/h). O biegt auf diese Fahrspur ein, wobei sie ein Stoppschild übersieht. Als T die O einbiegen sieht, bremst er. Dennoch kommt es zur Kollision. O stirbt. T war davon ausgegangen, dass die Fahrer am Stoppschild stehen bleiben und die Gefahr dadurch erkennen und vermeiden würden.
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Einordnung des Falls
Vorliegend beschäftigt sich der BGH mit der Abgrenzung von Vorsatz zur bewussten Fahrlässigkeit bei Autorennen. Hiernach soll bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr bei der Beurteilung, ob Vorsatz vorliegt, auch die Vorstellungen des Angeklagten über das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer miteinbezogen werden. Gehe der Angeklagte davon aus, dass andere Verkehrsteilnehmer die Gefahr erkennen und sich dementsprechend kollisionsvermeidend verhalten, könne das voluntative Element des Vorsatzes fehlen. Der Täter wisse zwar von der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung (kognitives Element), vertraue aber auf dessen ausbleiben (voluntatives Element).
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte T sich wegen Mordes an O strafbar gemacht haben (§§ 212 Abs. 1, 211 StGB)?
Genau, so ist das!
Mörder ist, wer (1) einen anderen Menschen tötet und dabei (2) mindestens eines von neun "Mordmerkmalen" erfüllt.
T hat O durch die Kollision getötet. Ob er sich wegen Mordes strafbar gemacht hat, hängt davon ab, ob er zusätzlich zumindest eines der Mordmerkmale verwirklicht hat.
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2. Hat T die O mit einem gemeingefährlichen Mittels getötet (§§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB)?
Ja, in der Tat!
Ein gemeingefährliches Mittel liegt vor, wenn es in der konkreten Tatsituation Leib oder Leben einer unbestimmten Vielzahl von Menschen gefährdet, sofern der Täter die Gefahr nicht beherrscht.
T befuhr mit einem Kraftfahrzeug und dem Dreifachen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Gegenfahrbahn. Hierdurch schuf er eine Gefahr für einen Verkehrsunfall und dadurch eine Gefahr für eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib bzw. Leben. Aufgrund der Geschwindigkeit und der Verkehrsverhältnisse, konnte er diese Gefahr auch nicht beherrschen.
3. Hat T den Todeserfolg kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt?
Ja!
Eine Handlung ist kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. (= conditio-sine-qua-non-Formel). Ein Erfolg ist objektiv zurechenbar, wenn sich eine durch die Handlung gesetzte rechtlich missbilligte Gefahr in diesem konkreten tatbestandlichen Erfolg verwirklicht hat.
Das Steuern des Fahrzeugs kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod der O als Erfolg entfiele. T hat durch das Steuern des Kraftfahrzeugs mit einer hohen Geschwindigkeit auch die Gefahr einer Kollision und damit eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, die sich im Tod der O als tatbestandlichen Erfolg verwirklicht hat.
4. Müsste T zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 212 Abs. 1 StGB auch vorsätzlich gehandelt haben?
Genau, so ist das!
Ausgangspunkt ist § 15 StGB, wonach Straftatbestände, die nicht ausdrücklich fahrlässiges Handeln unter Strafe stellen, Vorsatzdelikte sind. Das bedeutet, hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes ist Vorsatz des Täters erforderlich. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatbestandsmerkmale.
T hatte jedenfalls keinen Vorsatz im Sinne von Absicht (Dolus directus 1. Grades). Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte gegeben, dass T den Erfolgseintritt zielgerichtet wollte. Es sind auch nicht genügend Angaben im Sachverhalt gegeben, um darauf zu schließen, dass der Täter sicher von dem Erfolgseintritt ausging. Somit liegt auch kein direkter Vorsatz (Dolus directus 2. Grades) vor. Demgemäß kommt allein bedingter Vorsatz in Betracht. 5. Liegt nach h.M. bedingter Vorsatz bereits vor, wenn der Täter den Eintritt für möglich hält?
Nein, das trifft nicht zu!
Vorsatz wird nach h.M. als der Wille zur Verwirklichung eines Straftabestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatbestandsmerkmale definiert. Der bedingte
Vorsatz setzt sich somit aus einem voluntativen und einem kognitiven Element zusammen.
Die Abgrenzung zur (bewussten) Fahrlässigkeit wird nach h.M. durch die Ernstnahmetheorie der hL bzw. der Billigungstheorie der Rspr. vorgenommen. Danach hat der Täter bedingten
Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie der hL) bzw. ihn billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.).
6. Kann bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er nur fahrlässig handelte?
Ja!
In der vorzunehmenden Gesamtabwägung kann eine fehlende Eigengefährdung als Indiz für einen bedingten
Vorsatz sprechen. Denn es liegt jedenfalls nahe, dass dem Täter der darauf vertraut, dass ihm in seinem Kraftfahrzeug selbst nichts passiert, auch einen möglichen Unfall in Kauf nimmt. Geht der Täter dagegen davon aus, dass er im Falle eines Unfalls selbst schaden erleiden könnte, so lässt dies eher auf bewusste Fahrlässigkeit schließen.
7. T hat schon allein aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt?
Nein, das ist nicht der Fall!
Die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist lediglich ein (starkes) Indiz für einen bedingten
Vorsatz. Trotz einer objektiv höchst gefährlichen Handlung kann bedingter
Vorsatz dennoch abgelehnt werden. Erforderlich ist stets eine Gesamtschau aller Umstände.
8. T handelte aufgrund der Gesamtumstände jedenfalls bedingt vorsätzlich?
Nein, das trifft nicht zu!
Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie der hL) bzw. ihn billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.).
T ging davon aus, dass der wartepflichtige Querverkehr grundsätzlich in der Lage gewesen ist, sein riskantes Fahrverhalten zu erkennen. Dadurch hätten die anderen Verkehrsteilnehmer sich auf die hieraus ergebenden Gefahrenlage einstellen können. BGH: Damit hinge das Risiko eines Zusammenstoßes gerade auch vom Ausbleiben eines für möglich erachteten kollisionsvermeidenden Verhaltens der anderen Verkehrsteilnehmer ab (RdNr. 12). T handelte somit nur bedingt fahrlässig. Die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) tritt hinter dem ebenfalls verwirklichten illegalen Kfz-Rennen mit Todesfolge zurück (§ 315d Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 5 StGB).