Wie prüfst Du die gefährliche Körperverletzung mittels Waffe/gefährlichen Werkzeugs (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
- Objektiver Tatbestand
- Körperliche Misshandlung / Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 StGB)
- Kausalität und objektive Zurechnung
- Begehung der Körperverletzung mittels Waffe oder gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Wie prüfst Du die Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 StGB)?
- Notwehrlage
- Angriff
- Gegenwärtigkeit
- Rechtswidrigkeit
- Notwehrhandlung
- Erforderlichkeit
- Gebotenheit
- Subjektives Rechtfertigungselement ("Verteidigungswille")
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Erkennbar unter Drogen stehend, nimmt A dem B sein Sparschwein weg und flüchtet. Um es zurückzuerhalten und um A Schmerzen zuzufügen, schlägt B mit einem zerbrochenen Besenstiel auf As Kopf ein. A hält schützend ein Messer vor sich, wird aber dennoch getroffen und erleidet eine Platzwunde.
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Einordnung des Falls
Die Notwehr fordert als subjektives Notwehrelement einen Verteidigungswillen. Dieser muss allerdings nicht das einzige Motiv für die Handlung sein. Allerdings hat der Verteidigungswille das prägende Motiv sein – so der BGH in dieser Entscheidung. Die anderen Beweggründe dürfen hierbei nicht so dominant sein, dass der Wille, sich gegen den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen, in den Hintergrund rückt.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat B den Tatbestand der einfachen Körperverletzung erfüllt, indem er mit dem Besenstiel auf A einschlug (§ 223 Abs.1 StGB)?
Ja!
Der Tatbestand der Körperverletzung setzt eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung voraus. Eine körperliche Misshandlung ist ein übles, unangemessenes Behandeln, das entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinflusst. Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustandes. Die Tathandlung dürfte nicht hinweggedacht werden können, ohne das der Erfolg entfiele und B müsste vorsätzlich gehandelt haben.
B schlug mit einem Besenstiel auf den Kopf der A ein und verursachte dadurch willentlich eine Platzwunde.
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2. Ist der zerbrochene Besenstiel ein anderes gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs.1 Nr.2 Alt.2 StGB)?
Genau, so ist das!
Ein gefährliches Werkzeug ist jeder körperliche, bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, gefährliche Verletzungen hervorzurufen.
B schlug mit einem zerbrochenen Besenstiel auf den Kopf der A ein. Solche Schläge mit einem zerbrochener Besenstiel können schwerwiegende Verletzungen hervorrufen.Im Gegensatz zu Waffen sind andere gefährliche Gegenstände nicht bereits ihrer Art nach dazu bestimmt Verletzungen zu verursachen. 3. Stellen die Schläge eine das Leben gefährdende Behandlung dar (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB)?
Ja, in der Tat!
Eine Behandlung ist nach überwiegender Ansicht lebensgefährdend, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. Teilweise wird verlangt, dass das Opfer durch die Körperverletzung auch in eine wirkliche (konkrete) Lebensgefahr gekommen ist. Systematische Gründe sprechen mit Blick auf den Unrechtsgehalt der übrigen Nummern des § 224 Abs. 1 StGB allerdings dafür, auf den Eintritt einer konkreten Lebensgefahr zu verzichten.
B schlug mit dem zerbrochenen Besenstiel auf den Kopf der A ein. A erhielt dadurch eine Platzwunde, welche nicht konkret lebensgefährlich war. Allerdings können Schläge mit harten und spitzen Gegenständen in den Kopfbereich tödliche verlaufende Hirnverletzungen hervorrufen
4. Bestand eine Notwehrlage (§ 32 StGB)?
Ja!
Eine Notwehrlage setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff voraus. Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Er ist rechtswidrig, wenn er objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht.. Gegenwärtigkeit ist gegeben, wenn der Angriff unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch andauert.
A nahm dem B rechtswidrig das Sparschwein weg. Sie befand sich noch in unmittelbarer Nähe und hatte das Sparschwein noch in ihrem Besitz, sodass der Angriff noch andauerte.
Um Inzidentprüfungen zu vermeiden, solltest Du die Strafbarkeit des Angreifers im Gutachten zuerst prüfen. 5. Hätte B A in einen weniger sensiblen Körperbereich schlagen müssen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Notwehrhandlung ist erforderlich, wenn sie geeignet ist, den Angriff zu beenden und die vom Täter gewählte Verteidigung das mildeste unter gleich tauglichen Mitteln ist. Der Angegriffene muss sich nicht auf das Risiko einer unzureichenden Abwehrhandlung einlassen. BGH: Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürften an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (RdNr. 16).
Für B wäre es zwar möglich gewesen auf die Arme der A zu schlagen. Jedoch wäre dies ein unkalkulierbares Risiko für B gewesen, da A ein Messer zur Verteidigung vor sich hielt. 6. Kann das Notwehrrecht gegenüber schuldunfähigen Personen eingeschränkt sein?
Ja, in der Tat!
Die Gebotenheit einer Verteidigungshandlung setzt voraus, dass sie nicht rechtsmissbräuchlich ist. Das Notwehrrecht kann bei aufgrund von Drogenmissbrauch schuldunfähigen Personen eingeschränkt werden. Ob das Notwehrrecht im Einzelfall eingeschränkt ist, hängt davon ab, inwieweit die Angreiferin Ausfallerscheinungen zeigt. Ist sie trotz Drogenmissbrauchs noch leistungsfähig, so besteht das Notwehrrecht weiterhin uneingeschränkt.
7. War das Notwehrrecht des B in diesem Fall eingeschränkt, da A unter dem Einfluss von Drogen stand?
Nein!
Ob das Notwehrrecht im Einzelfall eingeschränkt ist, hängt davon ab, inwieweit die Angreiferin Ausfallerscheinungen zeigt. Ist sie trotz Drogenmissbrauchs noch leistungsfähig, so besteht das Notwehrrecht weiterhin uneingeschränkt.A stand zwar erkennbar unter Drogeneinfluss. Dennoch war sie in der Lage gewesen, das Sparschwein an sich zu nehmen, zu flüchten und das Messer als Verteidigungsmittel schützend vor sich halten. Insofern zeigte sie noch ein hinreichendes Leistungsvermögen.
8. Mangelte es ihm am subjektiven Notwehrelement (Verteidigungswillen), da B die A auch schlug um ihr Schmerzen zuzufügen?
Nein, das ist nicht der Fall!
BGH: Das subjektive Notwehrelement sei auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv gegeben, wenn neben den Verteidigungswille noch andere Motive hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant seien, dass der Verteidigungswillen gänzlich in den Hintergrund trete, könne von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (RdNr. 11). Die Tat des Angegriffenen ist dann nicht durch Notwehr gerechtfertigt.
B schlug die A zum einen um sein Sparschwein zurückzuerlangen, zum anderen um ihr Schmerzen zuzufügen. Der Verteidigungswillen trat insofern nicht gänzlich in den Hintergrund. 9. Hat B sich der gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
B erfüllte den Tatbestand des Grunddelikts und der Qualifikation. Allerdings handelte er gerechtfertigt, sodass die Strafbarkeit entfällt.Im Originalfall schlug B auch noch auf A ein, als die Notwehrlage bereits beendet war (A hatte die entwendete Geldtasche zurückgegeben). Im Hinblick auf diese nachfolgenden Schläge kam eine Rechtfertigung nicht mehr in Betracht, weswegen sich B bezüglich der weiteren Schläge der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat.