Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2021
Verteidigungswille als einziges Handlungsmotiv?
Verteidigungswille als einziges Handlungsmotiv?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Erkennbar unter Drogen stehend, nimmt A dem B sein Sparschwein weg und flüchtet. Um es zurückzuerhalten und um A Schmerzen zuzufügen, schlägt B mit einem zerbrochenen Besenstiel auf As Kopf ein. A hält schützend ein Messer vor sich, wird aber dennoch getroffen und erleidet eine Platzwunde.
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Einordnung des Falls
Die Notwehr fordert als subjektives Notwehrelement einen Verteidigungswillen. Dieser muss allerdings nicht das einzige Motiv für die Handlung sein. Allerdings hat der Verteidigungswille das prägende Motiv sein – so der BGH in dieser Entscheidung. Die anderen Beweggründe dürfen hierbei nicht so dominant sein, dass der Wille, sich gegen den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen, in den Hintergrund rückt.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat B den Tatbestand der einfachen Körperverletzung erfüllt, indem er mit dem Besenstiel auf A einschlug (§ 223 Abs.1 StGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist der zerbrochene Besenstiel ein anderes gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs.1 Nr.2 Alt.2 StGB)?
Genau, so ist das!
3. Stellen die Schläge eine das Leben gefährdende Behandlung dar (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB)?
Ja, in der Tat!
4. Bestand eine Notwehrlage (§ 32 StGB)?
Ja!
5. Hätte B A in einen weniger sensiblen Körperbereich schlagen müssen?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Kann das Notwehrrecht gegenüber schuldunfähigen Personen eingeschränkt sein?
Ja, in der Tat!
7. War das Notwehrrecht des B in diesem Fall eingeschränkt, da A unter dem Einfluss von Drogen stand?
Nein!
8. Mangelte es ihm am subjektiven Notwehrelement (Verteidigungswillen), da B die A auch schlug um ihr Schmerzen zuzufügen?
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Hat B sich der gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die gefährliche Körperverletzung mittels Waffe/gefährlichen Werkzeugs (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
- Objektiver Tatbestand
- Körperliche Misshandlung / Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 StGB)
- Kausalität und objektive Zurechnung
- Begehung der Körperverletzung mittels Waffe oder gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Wie prüfst Du die Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 StGB)?
- Notwehrlage
- Angriff
- Gegenwärtigkeit
- Rechtswidrigkeit
- Notwehrhandlung
- Erforderlichkeit
- Gebotenheit
- Subjektives Rechtfertigungselement ("Verteidigungswille")
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
I-m-possible
14.5.2022, 21:12:26
A nimmt B das Sparschwein weg und flüchtet. Ich finde es hier bereits schwierig von einem noch andauernden Angriff zu sprechen. Wie ist hier bitte die genaue Abgrenzung? Reicht hier eine örtliche Nähe aus und gibt es dazu Genaueres? Danke vorab
Fffff
14.5.2022, 23:15:39
Aus dem Stegreif hätte ich gesagt, dass der Angriff im Falle eines Diebstahls so lange andauert, bis der Täter das Diebesgut in Sicherheit geschafft hat. Dem Opfer, das den Täter auf frischer Tat ertappt und gegebenenfalls verfolgt und den Täter schließlich stellt, das Notwehrrecht zu versagen, widerspricht meinem Judiz.
Philipp Paasch
14.5.2022, 23:51:15
Richtig, der Diebstahl ist zwar vollendet, aber nicht beendet. Außerdem dauert die Rechtsgutsverletzung weiterhin an.
Patrick
27.5.2022, 00:18:43
lennart20
4.5.2023, 22:12:29
mE ist die Besitzkehr nur subsidär zur Notwehr, weil die Notwehr weitaus weitereilender ist.
Philipp Paasch
14.5.2022, 23:58:34
Hallo, guter Fall. Bei den Definitionen kenne ich aber andere. Bei Körperlicher Misshandlung könnte man eine leichtere Definition schreiben: "Jede erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und des Wohlbefindens." Die Definiton von Misshandlung und Behandlung ist pleonastisch. Man könnte in einem 2. Satz schreiben, das Präfix "miss" bedeutet übel und unangemessen (vgl. auch Puppe). Das gefährlich Werlzeug wird gemeinhin definiert als "Jeder körperliche bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven
Beschaffenheitund der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, gefährliche Verletzungen hervorzurufen (wobei ersteres in den Hintergrunf tritt.)." Besser scheint wohl, jeder Gegenstand, der zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benutzt wird.
Lukas_Mengestu
16.5.2022, 14:45:22
Hallo Philipp, vielen Dank für Deinen Hinweis. Selbstverständlich sind an dieser Stelle auch alternative Definitionen der Begriffe möglich. Im Hinblick auf die gefährliche Körperverletzung haben wir den Maßstab noch etwas präzisiert. Danke Dir! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
many
14.5.2023, 17:49:12
Lukas_Mengestu
15.5.2023, 15:37:38
Hallo many, vielen Dank für Deine Frage und herzlich willkommen im Forum! Zu der Frage, ob ein (lediglich entschuldigender) Notw
ehrexzess vorliegt, kommst Du nur, wenn nicht bereits die Rechtfertigung aufgrund von Notwehr eingreift. Hier handelte B im Hinblick auf die Schläge gerechtfertigt, da eine Notwehrlage vorlag, die Schläge (nach Auffassung des BGH) geeignet und erforderlich waren und auch ein
Verteidigungswillen vorlag. Grundsätzlich wäre es aber auch vertretbar, die Notwehr hier mangels Erforderlichkeit der Schläge abzulehnen (so tatsächlich noch die Vorinstanz). In einer Klausur kommt es zentral darauf an, dass Du alle Sachverhaltsinformationen sorgfältig auswertest und bei Deiner Subsumtion berücksichtigst. Sofern Du hier also sorgfältig argumentierst, ist auch ein abweichendes Ergebnis zulässig. Dann müsstest Du Dich in der Tat damit auseinandersetzen, ob die Voraussetzungen für einen Notw
ehrexzess vorlagen und insbesondere asthenische Gründe (Verwirrung, Furcht, Schrecken) vorlagen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team