Heranziehung zu den Kosten der Ersatzvornahme

14. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E häuft Bauschutt an der Uferböschung seines Grundstücks an einer Wasserstraße auf. Ihm wird die Beseitigung aufgegeben. Nach Fristablauf erfolgt eine Androhung der Ersatzvornahme ohne weitere Fristsetzung. Mittels Bescheid wird er für die Kosten der Ersatzvornahme herangezogen.

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Einordnung des Falls

Heranziehung zu den Kosten der Ersatzvornahme

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Widerspruch gegen die Grundverfügung, die Zwangsmittelandrohung sowie gegen den Kostenbescheid erhebt E Klage. Statthaft ist jeweils die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

Ja!

K begehrt die Aufhebung eines Verwaltungsakts durch das Gericht. Daher ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Als. 1 VwGO) statthaft. Sie ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Grundverfügung und die Zwangsmittelandrohung wurden für sofort Vollziehbar erklärt. Das Klageverfahren gegen diese beiden VA ruht im Einvernehmen beider Parteien. Basis der zugrundeliegenden Entscheidung ist die Anfechtungsklage gegen den Kostenbescheid!
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2. Rechtsgrundlage für die Heranziehung zu den Kosten der Ersatzvornahme ist § 10 VwVG.

Genau, so ist das!

Wird die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch einen anderen möglich ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt, so kann die Vollzugsbehörde einen anderen mit der Vornahme der Handlung auf Kosten des Pflichtigen beauftragen (§ 10 VwVG). Dies umfasst die Befugnis, die Erstattung der Kosten vom Pflichtigen durch einen Leistungsbescheid zu fordern. Die Beseitigung des Bauschutts stellt offenkundig eine vertretbare Handlung dar. Die VwVG der Länder enthalten eine entsprechende Regelung für die Ersatzvornahme. Hier war wegen der Bundeswasserstraße eine Bundesbehörde zuständig, sodass das VwVG direkte Anwendung findet.

3. Die materielle Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids setzt die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung voraus.

Ja, in der Tat!

Im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung unterscheidet man zwischen der Primärebene (Vollstreckungshandlung zur Gefahrenabwehr) und der Sekundärebene (gerechte Kostenverteilung). Der Kostenbescheid muss formell und materiell rechtmäßig sein, sich gegen den richtigen Kostenschuldner richten und die erhobenen Kosten müssen erstattungsfähig sein. Der Anspruch eines Hoheitsträgers zur Erstattung der Vollstreckungskosten kann aber nur bei einer rechtmäßigen Vollstreckungshandlung bestehen. Dies stellt daher den Maßstab für die materielle Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids dar.

4. Die zuständige Behörde hat im Wege des gestreckten Vollstreckungsverfahrens agiert. Rechtsgrundlage für die Ersatzvornahme, deren Androhung und Festsetzung ist daher §§ 6 Abs. 1, 9 a, 10, 13, 14 VwVG.

Ja!

Es wird zwischen dem gestreckten (§ 6 Abs. 1 VwVG) und dem gekürzten Vollstreckungsverfahren (§ 6 Abs. 2 VwVG) unterschieden. Das gestreckte Verfahren setzt einen wirksamen und vollziehbaren Verwaltungsakt voraus, der auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichtet ist. Die Vollziehbarkeit ergibt sich durch Bestandskraft, die Anordnung der sofortigen Vollziehung oder weil dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zukommt. Das richtige Zwangsmittel muss ausgewählt, angedroht (§ 13 VwVG), festgesetzt (§ 14 VwVG) und verhältnismäßig angewendet werden (§ 15 VwVG).

5. Die Grundverfügung sowie die Androhung und Festsetzung der Ersatzvornahme stellen einen vollziehbaren VA i.S.v. § 6 Abs. 1 VwVG dar.

Genau, so ist das!

Zwangsmittel müssen schriftlich angedroht werden, wenn sie nicht sofort angewendet werden können. Dabei ist eine Frist für die Erfüllung der Pflicht zu bestimmen (§ 13 Abs. 1 VwVG). Die Androhung kann mit der Grundverfügung verbunden werden (§ 13 Abs. 2 S. 1 VwVG). Wird die Pflicht nicht innerhalb der Frist erfüllt, setzt die Behörde das Zwangsmittel fest (§ 14 S. 1 VwVG). Der zu vollstreckende Verwaltungsakt sowie die Androhung und Festsetzung müssen wirksam (§ 43 Abs. 1 VwVfG) sein. Das ist hier durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe gegenüber E der Fall. Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung aller VA sind diese auch vollziehbar.

6. Nach der h. M. kommt es für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung nicht auf die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung an. Maßgeblich ist allein deren Wirksamkeit und Vollziehbarkeit.

Ja, in der Tat!

Sofern die Grundverfügung bereits bestandskräftig ist, kommt es auf deren Rechtmäßigkeit unstreitig nicht mehr an. Die h. M. geht davon auch bei einem noch nicht bestandskräftigen, aber für sofort vollziehbaren Verwaltungsakt aus. Dafür spricht neben dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 VwVG („vollziehbar“) die Tatbestandswirkung der Grundverfügung. Diese besteht unabhängig von deren Rechtmäßigkeit. Der Pflichtige ist nicht schutzlos gestellt. Einwendungen können gegen den jeweiligen Hoheitsakt erhoben werden. Nach h. M. gilt dies auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids.

7. E hat gegen alle vorausgegangenen VA Klage erhoben. Bei Erfolg würde die Grundlage der Vollstreckungshandlung zum Erlasszeitpunkt entfallen. Daher muss die Rechtmäßigkeit geprüft werden.

Ja!

So das OVG: Die Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme setzt auch die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung, der Androhung sowie der Festsetzung voraus. Diese wurden rechtzeitig angefochten und wurden nicht bestandskräftig. Eine Aufhebung würde auf den Zeitpunkt ihres Erlasses zurückwirken, sodass rückwirkend die Voraussetzungen der Vollstreckung entfallen würden. Dies ist die Folge der ungewöhnlichen Vorgehensweise, im Einverständnis mit den Parteien die Klage gegen den Kostenbescheid vorrangig zu entscheiden und das Verfahren gegen die vorausgegangenen VA ruhen zu lassen. Infrage steht lediglich die Rechtmäßigkeit der Androhung der Ersatzvornahme.

8. Die Androhung eines Zwangsmittels (§ 13 Abs. 1 VwVG) soll eine Frist zur Erfüllung der Verpflichtung enthalten.

Genau, so ist das!

Zwangsmittel müssen, wenn sie nicht sofort angewendet werden können, schriftlich angedroht werden (§ 13 Abs. 1 S. 1 VwVG). Hierbei ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann (§ 13 Abs. 1 S. 2 VwVG). Die Vollstreckungsbehörde muss bei Androhung eines Zwangsmittels eine Frist setzen. Der Betroffene soll die finanziellen Auswirkungen seines Nichthandelns überblicken können und die Ersatzvornahme abwenden können. Wenn die Fristsetzung fehlt, ist die Androhung rechtswidrig.

9. Die Beseitigungsanordnung setzte E eine Frist. Auch wenn diese bei Erlass der Androhung der Ersatzvornahme bereits abgelaufen war, bedurfte es daher keiner neuen Fristsetzung.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Zwangsmittelandrohung kann mit der Grundverfügung verbunden werden (§ 13 Abs. 2 S. 1 VwVG). Das ist hier aber explizit nicht erfolgt. Die Behörde versah die Grundverfügung mit einer Frist. Nach Ablauf wurde die Zwangsgeldandrohung entgegen § 13 Abs. 1 S. 2 VwVG ohne neue Fristsetzung erlassen. Insofern konnte die Frist ihre Funktion gar nicht mehr erfüllen. Die faktische Möglichkeit, bis zum Beginn der Ersatzvornahme die Bereitschaft zur Beseitigung gegenüber der Behörde anzuzeigen, genügt ebenfalls nicht. Das Ende dieses Zeitfensters war für E im Voraus nicht ersichtlich. Es hätte eine neue Fristsetzung erfolgen müssen.

10. E hat gegen alle VA Rechtsbehelfe eingelegt und die Ersatzvornahme durch das Bereiten von Hindernissen verzögert. Eine Fristsetzung war daher ausnahmsweise nicht erforderlich.

Nein!

Nach der Rechtsprechung des BVerwG kann eine Fristsetzung entbehrlich sein, wenn der Pflichtige sich ernsthaft und endgültig verweigert, der Grundverfügung nachzukommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Annahme ist der Erlass der Androhung. Sofern der Pflichtige beharrlich davon ausgeht, rechtmäßig zu handeln, genügt dies allein nicht. Das Einlegen von Rechtsbehelfen lässt ebenfalls nicht den Schluss zu, E würde auch bei einer Niederlage der Grundverfügung nicht nachkommen. E hat zwar den Beginn der Ersatzvornahme verzögert, dies geschah aber zwangsläufig nach Erlass der Androhung. Es liegt kein ernsthaftes und endgültiges Verweigern vor.

11. Sofern eine Grundverfügung vorliegt, ist eine Vollstreckung im gekürzten Verfahren (§ 6 Abs. 2 VwVG) ausgeschlossen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das gekürzte Verfahren (§ 6 Abs. 2 VwVG) ist auf Eilsituationen ausgelegt, sodass typischerweise noch keine Grundverfügung erlassen wurde. Für die Bestimmung des einschlägigen Vollstreckungsverfahrens kommt es daher darauf an, ob ein Verwaltungsakt vorliegt. Im gekürzten Verfahrens muss das Zwangsmittel weder angedroht (§ 13 Abs. 1 S. 1 VwVG) noch festgesetzt (§ 14 S. 2 VwVG) werden. Aus dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 VwVG ergibt sich jedoch, dass die Vollstreckung trotz eines vorliegenden Verwaltungsakts auch im gekürzten Verfahren erfolgen kann. Spitzt sich eine Situation zu, kann die Vollstreckungsbehörde in das gekürzte Verfahren übergehen.

12. Eine Fristsetzung war hier entbehrlich, weil die zuständige Behörde im gekürzten Verfahren hätte agieren können.

Nein, das trifft nicht zu!

OVG: Selbst wenn die Voraussetzungen des gekürzten Verfahrens vorlägen, kann sich die Behörde darauf nicht berufen. Die Verwaltungsgerichte überprüfen das Handeln der Behörde, nicht ein hypothetisches rechtmäßiges Alternativverhalten. Gegen einen nachträglichen Austausch des Vollstreckungsverfahrens sprechen auch der Grundsatz der Formenstrenge der Verwaltungsvollstreckung. Hier ist die Behörde eindeutig im gestreckten Verfahren (§ 6 Abs. 1 VwVG) vorgegangen und wollte erkennbar nicht in das gekürzte Verfahren wechseln. Dafür sprechen die Androhung und Festsetzung der Ersatzvornahme. Die Androhung hätte eine Fristsetzung enthalten müssen.

13. Die Klage des E ist unbegründet.

Nein!

Die Androhung der Ersatzvornahme ist mangels Fristsetzung rechtswidrig. Daher sind die Voraussetzungen des gestreckten Vollstreckungsverfahrens (§ 6 Abs. 1 VwVG) nicht erfüllt und die Vollstreckungshandlung ist rechtswidrig. Daraus folgt die materielle Rechtswidrigkeit des Kostenbescheids. Der Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt E in seinen Rechten. Die Klage ist begründet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AR

ArneKa96

16.9.2023, 01:40:52

Hallo liebes Jurafuchs-Team! Widerspricht dieses Urteil nicht der st. Rspr. zum möglichen Austausch einer

Ermächtigungsgrundlage

bis in den verwaltungsgerichtlichen Prozess? (Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.12.2015 - 15 A 121/15)

AR

ArneKa96

21.9.2023, 01:15:49

Oder ist mir da ein Denkfehler unterlaufen?

G2MI

G2Mira

3.3.2024, 12:54:27

hallo liebes team, soweit ich das richtig gesehen habe, steht auf einem Slide § 6 I VwGO, obwohl wahrscheinlich VwVG gemeint ist. Liebe Grüße und danke für die super Aufarbeitung, Mira

LELEE

Leo Lee

4.3.2024, 09:14:39

Hallo G2Mira, vielen Dank für dein Feedback und deine lieben Worte! Worte wie deine treiben uns täglich dazu an, immer mehr solcher Fälle ins Leben zu rufen. Deshalb möchten wir uns auch bei dir bedanken dafür, dass du uns mit diesem großartigen Kompliment bedenkst! Wir haben den Fehler nunmehr korrigiert! Falls du weitere Anliegen/Feedbacks hast, freuen wir uns sehr darüber! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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