Strafrecht

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Unwissen schützt vor Strafe nicht – oder doch? Zurechnung beim Mittäterexzess

Unwissen schützt vor Strafe nicht – oder doch? Zurechnung beim Mittäterexzess

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A denkt daran, wie B den D erschießt.

A, B und C wollen D ausrauben. B und C gehen mit einer von A besorgten Pistole in das Geschäft des D, bedrohen ihn mit der Waffe und nehmen Schmuck an sich. Absprachewidrig erschießt B sodann den D. A wartet auf B und C und nimmt später den Schmuck entgegen, um ihn zu verkaufen. Den Erlös teilen sie auf. A erfährt erst später vom Tod des D.

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Einordnung des Falls

Jedem Mittäter kann nur das Handeln des Mittäters zugerechnet werden, welches auch von seinem Vorsatz und vom gemeinsamen Tatplan umfasst ist. Liegt eine wesentliche Abweichung vom Tatplan vor (Mittäterexzess), ist dies nicht zurechenbar. Diese grundlegenden Regeln zur Zurechnung von Tatbeiträgern bei der Mittäterschaft hat der BGH in dieser Entscheidung erneut bestätigt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist unter den Voraussetzungen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) eine Zurechnung arbeitsteiliger Tatanteile möglich?

Ja!

Wenn mehrere die Straftat gemeinschaftlich begehen, wird jeder als Täter bestraft. Die Voraussetzungen für gemeinschaftliches Handeln sind (1) eine gemeinsame Tatausführung mit jeweils wesentlichen Tatbeiträgen und (2) ein Entschluss zur gemeinsamen, arbeitsteilig auf vergleichbarer Augenhöhe begangenen Tat. Im Rahmen der Mittäterschaft können die jeweils arbeitsteilig ausgeführten Tatbeiträge der Mittäter zugerechnet werden.
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2. Macht sich des Raubes strafbar, wer mit Gewalt oder qualifizierter Drohung einem anderen eine fremde, bewegliche Sache in der Absicht wegnimmt, sie sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (§ 249 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Der Raubtatbestand setzt eine (1) Wegnahme (2) unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben voraus. Außerdem muss der Täter (3) vorsätzlich handeln und (4) die Absicht einer rechtswidrigen Zueignung haben. Zwischen der Wegnahme und dem Nötigungsmittel, also der Gewalt oder Drohung, muss ein sogenannter Finalzusammenhang bestehen, das bedeutet, das Nötigungsmittel muss eingesetzt werden, um die Wegnahme zu ermöglichen. Der Raub kann zum schweren oder besonders schweren Raub qualifiziert werden, wenn der Täter beispielsweise zur Nötigung eine Waffe verwendet oder das Opfer besonders schwer verletzt wird (§ 250 StGB).

3. Haben A, B und C sich wegen gemeinschaftlichen, besonders schweren Raubes strafbar gemacht (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB)?

Ja, in der Tat!

A, B und C haben gemeinsam den Tatplan gefasst, einen Raub zu begehen, wobei B und C die Tathandlungen Nötigung und Wegnahme ausführen sollten und A die Waffe besorgen und die Beute sichern und verwerten, mithin die Beendigung ausführen sollte. Die Nötigungshandlung und die Wegnahme durch B und C können dem A zugerechnet werden, da sie vom gemeinsamen Tatplan umfasst waren.

4. Hat B sich wegen Mordes strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 211 StGB)?

Ja!

Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet (§ 211 Abs. 2 StGB). Habgier ist das ungezügelte und rücksichtslose Streben nach Gewinn um jeden Preis, auch um den eines Menschenlebens. B tötete D vorsätzlich mit der Schusswaffe. Weiterhin liegt hier nahe, dass B den D auch tötete, um die Beute ungestört sichern zu können, also nur um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen (Gewinnstreben um jeden Preis) und somit aus Habgier (§ 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 3 StGB). B hat sich wegen Mordes strafbar gemacht.

5. Hat A sich wegen gemeinschaftlichen Mordes bzw. Totschlags strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 211, 25 Abs. 2 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Tatbeiträge können regelmäßig nur zugerechnet werden, wenn sie vom gemeinsamen Tatplan umfasst sind. Eine Handlung des Mittäters, die über den Plan hinausgeht, kann nur zugerechnet werden, wenn dadurch nicht wesentlich vom Tatplan abgewichen wird. Ansonsten handelt es sich um einen Mittäterexzess. BGH: Hier liege ein solcher Exzess vor. Geplant war nur, die Waffe zur Drohung einzusetzen. Allein der Umstand, dass es deliktstypisch sei, dass eine zur Drohung eingesetzte Waffe zur Tötung verwendet werde, wenn das Opfer sich wehrt, könne vorliegend nicht ausreichen, um dem A einen bedingten Vorsatz hinsichtlich des Todes von D nachzuweisen (RdNr. 22 ff.). Darüber hinaus hat B durch Tötung des D auch den Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) verwirklicht, der zum Mord in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) steht. Aufgrund der unterschiedlichen Strafbarkeit empfiehlt es sich in der Klausur den Exzesstäter (hier B) als erstes und allein zu prüfen.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) von zwei Beteiligten (T+M), wenn T täterschaftlich alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, M aber nicht?

  1. Strafbarkeit des tatnächsten T (normale Prüfung wie Alleintäter, ohne § 25 Abs. 2 StGB zu erwähnen)
  2. Strafbarkeit des M
    1. Tatbestandsmäßigkeit
      1. Feststellung: M hat den objektiven Tatbestand nicht selbst (vollständig) verwirklicht
      2. Prüfung: Kann M die Tathandlung des T über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden? (Vss.: Gemeinsame Tatausführung mit wesentlichen Tatbeiträgen + gemeinsamer Tatentschluss)
      3. Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale (die gegenseitige Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 StGB erstreckt sich nur auf obj. TBM; bes. subj. TBM müssen jeweils in der Person des Mittäters vorliegen, getrennt geprüft und festgestellt werden)
    2. Rechtswidrigkeit
    3. Schuld

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Raubes (§ 249 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Qualifiziertes Nötigungsmittel (Gewalt gegen Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib/Leben)
      3. Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme (Finalzusammenhang, subj. und zeitlicher und örtlicher Zusammenhang, obj.)
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Zueignungsabsicht
    3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

Wie prüfst Du den Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Grundtatbestand: §§ 249, 250 StGB
      2. Tod eines Menschen
      3. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. wenigstens Leichtfertigkeit hinsichtlich der Todesfolge
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Milian

Milian

31.7.2021, 09:38:57

Bei der ersten Frage mit der Definition des Raubes muss Gewalt als solche gegen eine Person definiert werden und auch die

Drohung

als solche mit Gewalt gegen Leib oder Leben einer Person. Derzeit beschreibt die Frage nur eine einfache Nötigung, durch die ein Diebstahl ermöglicht wird, nicht zwangsläufig einen Raub.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.10.2021, 14:59:20

Danke Milan! Wir haben die Frage im Hinblick auf die

Drohung

ergänzt, um schon in der Frage deutlich zu machen, dass nicht jede

Drohung

genügt, sondern diese sich gegen die

Rechtsgüter

Leben und körperliche Unversehrtheit richten muss. Im Hinblick auf die Gewalt ergibt sich auch ohne gesonderten Zusatz aus der Definition des Begriffes, dass diese - wie auch bei der Nötigung - gegen eine Person gerichtet sein muss. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.10.2021, 14:59:22

Danke Milan! Wir haben die Frage im Hinblick auf die

Drohung

ergänzt, um schon in der Frage deutlich zu machen, dass nicht jede

Drohung

genügt, sondern diese sich gegen die

Rechtsgüter

Leben und körperliche Unversehrtheit richten muss. Im Hinblick auf die Gewalt ergibt sich auch ohne gesonderten Zusatz aus der Definition des Begriffes, dass diese - wie auch bei der Nötigung - gegen eine Person gerichtet sein muss. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

VO

Vojtech

17.9.2021, 00:31:31

Hi, ich hätte eine Frage bzgl. der

Habgier

. Dem Sachverhalt kann man nicht klar entnehmen, dass B den D vor der Ansichnahme des Schmuckes erschoss. Würde es an dem Ergebnis etwas ändern? Ich bin nämlich davon ausgegangen, dass B den D erst nach der Ansichnahme erschoss und somit weder

Habgier

(denn nach der Ansichnahme kann er die Beute lediglich sichern, aber nicht erlangen) noch Heimtücke angenommen werden kann. Danke LG Vojtech

VIC

Victor

17.9.2021, 07:47:23

Denke in beiden Fällen ist es

Habgier

. Er tötet um den vermögenswerten Vorteil zu behalten. Heimtücke wäre eine andere Argumentation aber nicht einschlägig.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.10.2021, 15:03:44

Hallo Vojtech, wie Victor zurecht ausgeführt hat, kommt es hierauf nicht entscheidend an. Das Behaltenwollen ist dabei nicht weniger

verwerflich

als das Habenwollen (Köhne, Die Mordmerkmale "

Habgier

" und "sonst aus niedrigen Beweggründen", Jura 2008, 805). Deshalb erkennt der BGH in beiden Fällen das Mordmerkmal der

Habgier

als verwirklicht an (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 235). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lilli

Lilli

25.9.2021, 17:12:50

Warum ist in diesem Zusammenhang nicht auf die Erfolgsqualifikation aus § 251 StGB eingegangen worden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.10.2021, 18:55:37

Hallo Lilli, Schwerpunkt des Originalfalles war vor allem der Umstand, dass der

Mittäterexzess

den Mittätern nicht zugerechnet werden kann. Aus didaktischen Gründen haben wir deshalb zunächst nur den besonders schweren Raub geprüft, der ja für alle Mittäter gleich ist, um anschließend auf den Exzess einzugehen. Richtig ist aber, dass sich B auch des Raubes mit Todesfolge strafbar gemacht hat. Wir haben das noch mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SEM

Semi

10.1.2022, 12:48:38

Wäre es nicht im Rahmen der Mittäterschaftsproblematiken interessanter den § 251 StGB nicht nur für B sondern für A zu aufzunehmen, der ja immerhin auch die Tatwaffe organisiert hatte? :)

Sambadi

Sambadi

31.3.2022, 21:41:26

Hatte ich mich auch gefragt. Wegen § 29 StGB kann man A die schwere Folge (Tod des D) aber nicht einfach im Wege der Mittäterschaft zurechnen. Vielmehr muss dem A zumindest auch Fahrlässigkeit hinsichtlich des Grunddelikts angelastet werden können, vgl. § 18 StGB. Damit ist gemeint ob A mit dem mittäterschaftlich begangenen (besonders schwerem) Raum eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt wurde und A hätte voraussehen können, dass D dadurch sterben könnte. Würde ich jetzt mal vermuten in diesem Fall, aber der Sachverhalt bietet hier nicht all zu viel Information (z.B. dass der B in der Vergangenheit schon öfter mal sehr gewalttätig wurde oder dergleichen).

Max.S

Max.S

23.1.2022, 13:10:36

Bei solchen Strafrechtlichen Fällen fände ich es gar nicht mal so verkehrt, dass was man daraus schließen konnte aus den Erklärungen am Ende des Falls nochmal zu vertiefen, mit zusätzlichen Aufgaben (z.B. aufbauen des Gutachtenstils) damit auch Nichtjuristen, die Vorgehensweise nachvollziehen können. Oder auch Zuweisen was Unterschiede zwischen schweren Raubes und besonders schweren Raubes wäre, dass wäre auch sehr vorteilhaft die Tatbestandsmerkmale zu vertiefen. Liebe Grüße Max

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.1.2022, 12:28:51

Vielen Dank für Deinen Hinweis, Max. Um die Rechtsprechungskapitel nicht zu überfrachten, setzen wir hier ein gewisses Basiswissen voraus. Weitergehende und vertiefte Informationen findest Du aber immer in den dazu passenden systematischen Kursen. Wir nehmen die Anregung dennoch gerne auf und werden überlegen, ob wir darüber hinaus noch weitere Funktionen bereitstellen können. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Max.S

Max.S

24.1.2022, 13:09:03

Für Nichtjuristen wäre dies eine sehr anspruchsvolle, aber auch Hilfreiche Variante die Rechtssprechung und alle Fachbegriffe zu verstehen und zu verinnerlichen. Da es ja doch einige Sachverhalte gibt, die nicht so oft vorkommen, wäre eine Idee auch eine Sammlung vllt anzufertigen die man sich immer wieder anschauen kann und kleine Tipps, wie man sich es am besten merken könnte, um nicht immer nachzudenken was jetzt nochmal alles da drinne stand was z.B. zum Hausfriedensburch dazugehört oder beim Raub oder Erpressung oder sogar Nötigung... etc. Würde mich auch sehr freuen, wenn man sowas umsetzen könnte. Liebe Grüße

Jura-Dino

Jura-Dino

25.3.2024, 21:47:11

Hey, wie verhält es sich denn aber mit der Strafbarkeit des C? Immerhin war er direkt am Streitgespräch beteiligt. Und zu A: Wie verhält es sich mit einer mittäterschaftlichen Bestrafung nach §§ 227, 222, 25 II?


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