Examensrelevante Rechtsprechung

Rechtsprechung Strafrecht

Allgemeiner Teil

Unwissen schützt vor Strafe nicht – oder doch? Zurechnung beim Mittäterexzess

Unwissen schützt vor Strafe nicht – oder doch? Zurechnung beim Mittäterexzess

9. Mai 2023

25 Kommentare

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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) von zwei Beteiligten (T+M), wenn T täterschaftlich alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, M aber nicht?

  1. Strafbarkeit des tatnächsten T (normale Prüfung wie Alleintäter, ohne § 25 Abs. 2 StGB zu erwähnen)
  2. Strafbarkeit des M
    1. Tatbestandsmäßigkeit
      1. Feststellung: M hat den objektiven Tatbestand nicht selbst (vollständig) verwirklicht
      2. Prüfung: Kann M die Tathandlung des T über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden? (VSS.: Gemeinsame Tatausführung mit wesentlichen Tatbeiträgen + gemeinsamer Tatentschluss)
      3. Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale (die gegenseitige Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 StGB erstreckt sich nur auf obj. TBM; bes. subj. TBM müssen jeweils in der Person des Mittäters vorliegen, getrennt geprüft und festgestellt werden)
    2. Rechtswidrigkeit
    3. Schuld

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Raubes (§ 249 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Qualifiziertes Nötigungsmittel (Gewalt gegen Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib/Leben)
      3. Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme (Finalzusammenhang, subj. und zeitlicher und örtlicher Zusammenhang, obj.)
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Zueignungsabsicht
    3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

Wie prüfst Du den Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Grundtatbestand: §§ 249, 250 StGB
      2. Tod eines Menschen
      3. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. wenigstens Leichtfertigkeit hinsichtlich der Todesfolge
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A denkt daran, wie B den D erschießt.

A, B und C wollen D ausrauben. B und C gehen mit einer von A besorgten Pistole in das Geschäft des D, bedrohen ihn mit der Waffe und nehmen Schmuck an sich. Absprachewidrig erschießt B sodann den D. A wartet auf B und C und nimmt später den Schmuck entgegen, um ihn zu verkaufen. Den Erlös teilen sie auf. A erfährt erst später vom Tod des D.

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Einordnung des Falls

Jedem Mittäter kann nur das Handeln des Mittäters zugerechnet werden, welches auch von seinem Vorsatz und vom gemeinsamen Tatplan umfasst ist. Liegt eine wesentliche Abweichung vom Tatplan vor (Mittäterexzess), ist dies nicht zurechenbar. Diese grundlegenden Regeln zur Zurechnung von Tatbeiträgern bei der Mittäterschaft hat der BGH in dieser Entscheidung erneut bestätigt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist unter den Voraussetzungen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) eine Zurechnung arbeitsteiliger Tatanteile möglich?

Ja!

Wenn mehrere die Straftat gemeinschaftlich begehen, wird jeder als Täter bestraft. Die Voraussetzungen für gemeinschaftliches Handeln sind (1) eine gemeinsame Tatausführung mit jeweils wesentlichen Tatbeiträgen und (2) ein Entschluss zur gemeinsamen, arbeitsteilig auf vergleichbarer Augenhöhe begangenen Tat. Im Rahmen der Mittäterschaft können die jeweils arbeitsteilig ausgeführten Tatbeiträge der Mittäter zugerechnet werden.
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2. Macht sich des Raubes strafbar, wer mit Gewalt oder qualifizierter Drohung einem anderen eine fremde, bewegliche Sache in der Absicht wegnimmt, sie sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (§ 249 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Der Raubtatbestand setzt eine (1) Wegnahme (2) unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben voraus. Außerdem muss der Täter (3) vorsätzlich handeln und (4) die Absicht einer rechtswidrigen Zueignung haben. Zwischen der Wegnahme und dem Nötigungsmittel, also der Gewalt oder Drohung, muss ein sogenannter Finalzusammenhang bestehen, das bedeutet, das Nötigungsmittel muss eingesetzt werden, um die Wegnahme zu ermöglichen. Der Raub kann zum schweren oder besonders schweren Raub qualifiziert werden, wenn der Täter beispielsweise zur Nötigung eine Waffe verwendet oder das Opfer besonders schwer verletzt wird (§ 250 StGB).

3. Haben A, B und C sich wegen gemeinschaftlichen, besonders schweren Raubes strafbar gemacht (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB)?

Ja, in der Tat!

A, B und C haben gemeinsam den Tatplan gefasst, einen Raub zu begehen, wobei B und C die Tathandlungen Nötigung und Wegnahme ausführen sollten und A die Waffe besorgen und die Beute sichern und verwerten, mithin die Beendigung ausführen sollte. Die Nötigungshandlung und die Wegnahme durch B und C können dem A zugerechnet werden, da sie vom gemeinsamen Tatplan umfasst waren.

4. Hat B sich wegen Mordes strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 211 StGB)?

Ja!

Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet (§ 211 Abs. 2 StGB). Habgier ist das ungezügelte und rücksichtslose Streben nach Gewinn um jeden Preis, auch um den eines Menschenlebens. B tötete D vorsätzlich mit der Schusswaffe. Weiterhin liegt hier nahe, dass B den D auch tötete, um die Beute ungestört sichern zu können, also nur um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen (Gewinnstreben um jeden Preis) und somit aus Habgier (§ 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 3 StGB). B hat sich wegen Mordes strafbar gemacht.

5. Hat A sich wegen gemeinschaftlichen Mordes bzw. Totschlags strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 211, 25 Abs. 2 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Tatbeiträge können regelmäßig nur zugerechnet werden, wenn sie vom gemeinsamen Tatplan umfasst sind. Eine Handlung des Mittäters, die über den Plan hinausgeht, kann nur zugerechnet werden, wenn dadurch nicht wesentlich vom Tatplan abgewichen wird. Ansonsten handelt es sich um einen Mittäterexzess. BGH: Hier liege ein solcher Exzess vor. Geplant war nur, die Waffe zur Drohung einzusetzen. Allein der Umstand, dass es deliktstypisch sei, dass eine zur Drohung eingesetzte Waffe zur Tötung verwendet werde, wenn das Opfer sich wehrt, könne vorliegend nicht ausreichen, um dem A einen bedingten Vorsatz hinsichtlich des Todes von D nachzuweisen (RdNr. 22 ff.). Darüber hinaus hat B durch Tötung des D auch den Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) verwirklicht, der zum Mord in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) steht. Aufgrund der unterschiedlichen Strafbarkeit empfiehlt es sich in der Klausur den Exzesstäter (hier B) als erstes und allein zu prüfen.
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