Bewerbungsgespräch (Schwangerschaft)

4. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M sitzt bei A im Bewerbungsgespräch. A fragt, ob M schwanger ist oder werden will, da er „keine Ausfälle gebrauchen kann“. M verneint dies, obwohl sie weiß, dass sie schon im zweiten Monat schwanger ist und fügt hinzu, dass sie Kinder nicht leiden kann. A stellt M daraufhin ein.

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Einordnung des Falls

Bewerbungsgespräch (Schwangerschaft)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat A arglistig getäuscht (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Tatsachen sind alle Umstände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Arglistig handelt zudem, wer weiß und will, dass der Getäuschte eine Willenserklärung abgibt, die er ohne Täuschung nicht abgegeben hätte. Eine Schwangerschaft ist ein solcher Umstand der Gegenwart. Ebenfalls handelt es sich bei der inneren Überzeugung in Bezug auf Kinder um einen Umstand, über den getäuscht werden kann. A hat deutlich gemacht, dass er keine Schwangere einstellen möchte. Trotzdem hat M die Unwahrheit behauptet. Damit hat sie arglistig getäuscht.
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2. Eine arglistige Täuschung muss auch rechtswidrig sein.

Ja, in der Tat!

Die Widerrechtlichkeit bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf die Drohung, weil der Gesetzgeber davon ausging, dass eine Täuschung immer widerrechtlich ist. Heutzutage ist jedoch anerkannt, dass die Widerrechtlichkeit auch ein Tatbestandsmerkmal der arglistigen Täuschung ist und damit in Ausnahmefällen ein Recht zur Lüge bestehen kann. Dies ist insbesondere im Arbeitsrecht der Fall. Danach ist eine arglistige Täuschung nicht rechtswidrig, wenn der Arbeitgeber Fragen stellt, die ohne berechtigtes Interesse in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifen, z.B. Sexualität, Parteizugehörigkeit, Konfession, etc.

3. A kann wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Nein!

Grundsätzlich trifft den Arbeitnehmer im Bewerbungsgespräch eine Wahrheitspflicht. Für die Grenzen der Wahrheitspflicht können die Wertungen spezieller Arbeitsschutzgesetze und die Vorgaben des AGG herangezogen werden. Die Frage nach einer bestehenden oder geplanten Schwangerschaft bedeutet eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts und ist damit diskriminierend (§ 1 AGG). Gleichzeitig entfaltet der Mutterschutz durch das MuSchG absoluten Schutz. Mithin sind Fragen nach der Schwangerschaft ohne Ausnahme unzulässig. Somit hat M ein Recht zur Lüge, wodurch die Täuschung nicht rechtswidrig ist. A kann nicht anfechten.

4. A kann wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Eigenschaftsirrtum berechtigt zur Anfechtung, wenn der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache oder Person irrt. Eigenschaften sind alle wertbildenden Faktoren, die einer Sache oder Person dauerhaft anhaften. In Bezug auf Personen kommen hier besondere Fähigkeiten oder sonstige Umstände in Betracht, die für die Ausübung eines Berufs erforderlich sind. Hier kommen unter anderem Ausbildung (z.B. universitärer Abschluss), Berechtigungen (z.B. Fahrerlaubnis) oder körperliche Fähigkeiten (keine Behinderung) in Betracht. Die Schwangerschaft haftet einer Frau aber schon nicht dauerhaft an und ist damit keine Eigenschaft.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

12.6.2023, 03:56:06

Fallen körperliche Fähigkeiten nicht auch unter das AGG?

CR7

CR7

26.8.2023, 15:36:13

Wenn du bestehende körperliche Einschränkungen (bspw. durch Behinderung) meinst, so dürfen diese nicht als Einstellungsvoraussetzung gelten (BAG 16.2.2012 – 6 AZR 553/10). Grund dafür ist, dass mögliche Benachteiligungen entstehen können. Erst, wenn der AV geschlossen wurde, darf danach gefragt werden, um bspw. festzulegen, wo der AN eingesetzt werden kann. Für behinderte AN besteht je nach

Einzelfall

eine Pflicht zur Einstellung bei entsprechender Qualifikation (§ 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Wenn aber die Arbeit bspw. nur verrichtet werden kann, wenn der AN körperlich uneingeschränkt ist, hat er auf eine bestehende Behinderung hinzuweisen.

CR7

CR7

26.8.2023, 15:38:24

Damit sind z.B. Fälle erfasst wie Pilot mit starker Sehschwäche, Lagerarbeiter ohne mit hälftiger Lähmung und aus eigener Erfahrung Heimpflegerin nach Schlaganfall mit körperlicher Beeinträchtigung

Pilea

Pilea

4.1.2024, 13:30:40

Hier verdecken die Buttons noch die Schrift.

GS99

GS99

7.1.2024, 13:47:58

Also kann eine

arglistige Täuschung

DOCH nicht rechtswidrig sein (z.B im Arbeitsrecht). Ich glaube da ist ein Fehler weil man antworten muss, dass eine

arglistige Täuschung

rechtswidrig sein muss.

Bubbles

Bubbles

7.1.2024, 15:48:36

Ich schätze die Frage „Eine

arglistige Täuschung

muss auch rechtswidrig sein“ ist hier so zu verstehen, dass die Rechtswidrigkeit auch bei der arglistigen Täuschung vorausgesetzt wird, obwohl der Worlaut des § 123 I dies nur für die

Drohung

normiert. Also nicht so, dass eine

arglistige Täuschung

ausnahmslos rechtswidrig ist.

PAUL1

paul1ne

18.7.2024, 19:20:14

Richtiger wäre „müsste rechtswidrig sein“

ROBE

Robert

9.8.2024, 13:32:45

Dogmatisch inkonsequent ist es auch, die Schwangerschaft als Eigenschaft einer Person abzulehnen, weil diese nicht dauerhaft ist, und gleichzeitig das Vorliegen einer Fahrerlaubnis als Eigenschaft anzunehmen. Den Führerschein kann man schneller machen, als ein Kind auszutragen. 

schwemmely

schwemmely

29.10.2024, 15:48:36

Ich glaube, vor dem Kontext der Schwangerschaft fließt überwiegend auch der Aspekt mit ein, dass dies sonst als Diskriminierung wegen des Geschlechts angesehen wird.

AN

Antonia

6.9.2024, 17:04:28

Man findet oft in Lehrbüchern etc für die Definition von Eigenschaft „wertbildende Faktoren, welche der Sache/Person **für eine gewisse Dauer anhaften**“, also nicht für immer, wie hier dargestellt. Welche Definition ist richtig und wenn „von gewisser Dauer“ ausreicht, welcher Zeitraum erfüllt dieses Merkmal? Z.B ab einem Jahr, fünf Jahren etc?


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