Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel

26. April 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gastwirtin G verteilt in ihrer Kneipe für jedes Getränk auf einem Bierdeckel Striche. Anhand des Deckels rechnet G am Ende ab. T hat sechs Alster getrunken, aber nur Geld für zwei Alster dabei. Sie kratzt vier Striche vom Deckel weg. Unter dessen Vorlage zahlt T zwei Alster.

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Einordnung des Falls

Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Strafbarkeit der T wegen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Bierdeckel eine Urkunde ist.

Ja, in der Tat!

Die Deliktsbezeichnung „Urkundenfälschung“ (§ 267 Abs. 1 StGB) umfasst drei Tatbestände: (1) Herstellen einer unechten Urkunde, (2) Verfälschen einer echten Urkunde und (3) Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde. Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs. § 267 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Eine Urkunde im Sinne des materiellen Strafrechts ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion), die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion) und die ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion).
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2. Der Bierdeckel ist eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung.

Ja!

Eine menschliche Gedankenerklärung ist die willentliche Entäußerung zur Nachrichtenübermittlung geeigneter und bestimmter Zeichen durch einen Menschen. Sie ist verkörpert, wenn sie eine hinreichend feste Verbindung mit einem körperlichen Gegenstand aufweist und visuell erfassbar ist. Mit den Strichen enthält der Bierdeckel den Gedanken, wie viele Getränke der Gast bestellt hat. Die Striche sind auf der Pappform aufgebracht und somit dauerhaft auf einem Gegenstand fixiert und sichtbar.

3. Der Bierdeckel ist zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet.

Genau, so ist das!

Zum Beweis für eine rechtlich erhebliche Tatsache geeignet (objektives Element) ist eine Gedankenerklärung bereits dann, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen bei der Überzeugungsbildung mitbestimmend ins Gewicht fallen kann. Sie muss nicht vollen Beweis erbringen. Der Deckel kann über die Höhe des von G erhobenen Zahlungsanspruchs Auskunft geben und ist zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet.

4. Der Bierdeckel ist zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt.

Ja, in der Tat!

Zum Beweis bestimmt (subjektives Element) ist eine Erklärung, wenn der Aussteller einen entsprechenden Willen bereits bei Herstellung der Urkunde hat (Absichtsurkunde oder originäre Urkunde) oder er oder ein Dritter nachträglich diesen Willen äußert (Zufallsurkunde oder nachträgliche Urkunde). Daran fehlt es bei Entwürfen. Der Aussteller muss nicht zielgerichtet handeln. Es reicht aus, dass er die Erklärung in den Rechtsverkehr einführt in dem Bewusstsein, dass ein anderer sie zu Beweiszwecken benutzen kann. Mit Aufzeichnen der Striche erklärt G, wie hoch die Zahlungsschuld des Gastes ist. Somit sind die Striche auch zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt.

5. Der Bierdeckel lässt seinen Aussteller erkennen.

Ja!

Eine Gedankenerklärung lässt ihren Aussteller erkennen, wenn sich die Identität des geistigen Urhebers zumindest für Beteiligte oder Eingeweihte aus der Urkunde selbst erschließt. Es genügt nicht, wenn die Feststellung nur anhand von Umständen möglich ist, die außerhalb der Urkunde liegen. Aussteller ist nach h.M. nicht derjenige, der sie körperlich hergestellt hat, sondern der geistig hinter der Erklärung steht (Geistigkeitstheorie).Zwar hat G den Deckel nicht unterzeichnet. Hier ergibt sich indes aus der Verkehrssitte in Gaststätten, dass der Gastwirt selbst oder die Bedienung als seine Vertretung Aussteller der Erklärung über die bestellten Getränke ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LENA8

Lena88

8.12.2022, 10:39:14

Dies verstehe ich nicht: ist denn die

Verkehrssitte

in Gaststätten nicht gerade ein Umstand außerhalb der

Urkunde

? Am Bierdeckel selbst ist ja nicht einmal zu erkennen, aus welcher Gaststätte er stammt… das scheint mir über ‚für Eingeweihte erkennbar‘ hinaus auf ‚von Eingeweihten vorausgesetzt‘ zu zu gehen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.12.2022, 17:55:05

Hallo Lena88, Früher wurde verlangt, dass der gedankliche Inhalt einer

Urkunde

sich vollständig aus dieser selbst ergeben müsse. Richtig ist zwar, dass sich mittels der

Urkunde

selbst die Existenz einer Erklärung beweisen lassen muss. Aber ebenso wie der Urheber einer Erklärung sich Abkürzungen bedienen kann, können auch solche Zeichen

Urkunde

neigenschaft begründen, die „nicht selbst sprechen“, aber mittels besonderer Auslegungsbehelfe eine Gedankenäußerung ihres Urhebers vermitteln. Nicht entscheidend, ist dass jeder ohne weiteres die Zeichen versteht, sondern dass die Beteiligten sich über die Bedeutung verständigt haben. Wenn es also üblich ist, dass Striche getrunkene Getränke repräsentieren, reicht der Strich als rechtserhebliche Erklärung aus. Die Umstände dürfen durchaus miteinbezogen werden, nur darf sich das Vorliegen einer Erklärung selber nicht erst im Zusammenhang mit etwas anderem ergeben. So kann zum Beispiel ein anonymer Brief ggfs. mittels Schriftvergleichung von Experten einer Person zugeordnet werden, dennoch ergibt sich die Urheberschaft nicht für die Beteiligten aus der

Urkunde

. Anders wenn jemand mit seinem Spitznahmen gezeichnet hat, z.B. Keule. Dieser mag nur wenigen Eingeweihten bekannt sein, sodass die Urheberschaft nur unter Zuhilfenahme dieser Tradition der Gruppe zu ermitteln ist. Aber für die Beteiligten ist die Urheberschaft erkennbar. Viele Grüße, Nora – für das Jurafuchs-Team

BABA

babakd

25.1.2025, 15:32:32

Inwiefern lässt sich aus dem Bierdeckel erkennen, wer dem Gaststättenbetreiber etwas schuldet? Wenn ich jetzt vor Gericht einen Bierdeckel vorlege und der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch macht oder abstreitet, verstehe ich nicht inwiefern der konkrete gedankliche Inhalt der

Urkunde

auf den beschuldigten Gast hinweist. Ich stehe da etwas auf dem Schlauch..

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

3.4.2025, 11:03:33

Hallo @[babakd](192464), eine absolut berechtigter Einwand! Wie der Beitrag meiner Kollegin @[

Nora Mommsen

](178057) von damals schon zeigt, ist die Abgrenzung nicht immer leicht und auch nicht immer trennscharf. Du hast hier mit Deiner Begründung aber definitiv einen Punkt und mit einem sehr ähnlichen Argument lehnt zB MüKoStGB/Erb, 4. Aufl 2022,

§ 267

Rn 24 mwN die

Urkunde

neigenschaft eines Bierdeckels mit Strichen ab: "In diesem Fall liegt entgegen verbreiteter Ansicht allerdings gleichwohl keine

Urkunde

vor, weil die Rechtserheblichkeit der Erklärung die Zuordnung zu einem bestimmten Gast voraussetzt, und diese ist nun einmal nicht mitverkörpert – es sei denn, der Bierdeckel würde am Gast fixiert!" Die wohl (noch) hM sieht es allerdings anders, wobei das letztlich auf ein mittlerweile sehr altes Urteil des RG zurückgeht (RG DStrZ 1916, 77), auf das man online gar nicht so leicht Zugriff zu haben scheint. Beachte allerdings, dass selbst nach MüKoStGB/Erb als insoweit kritische Stimme nicht entscheidend ist, dass die

Urkunde

flächendeckend, also auch nicht unbedingt im Gerichtssaal, sämtliche Voraussetzungen erfüllt. Es soll vielmehr genügen, dass eine Erklärung des Ausstellers "in einem räumlich begrenzten Ausschnitt des Rechtsverkehrs" diese Bedeutung hat. Beispiel nach MüKoStGB/Erb Preisetiketten auf einer Ware, die ohne Unternehmenszusatz nur innerhalb des jeweiligen Kaufhauses den Aussteller erkennen lassen - denn sonst könnte die Ware ja auch von irgendeinem anderen Kaufhaus stammen (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl 2022,

§ 267

Rn 24). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

LO

Lorenz

8.7.2024, 16:15:07

Ist wirklich der Bierdeckel die

Urkunde

, oder sind es nicht eher die Striche?

JUDI

judith

8.7.2024, 16:34:11

Die Gedankenerklärung bedarf zusätzlich noch der Verkörperung in einem dauerhaften Medium. Die striche selbst, sind der bloße Gedanke. Der Bierdeckel als solches der körperliche Erklärungsträger, der zur Begründung der unmittelbaren Rechtswirkung des Gedankeninhalts erforderlich ist.

FUCH

Fuchsfrauchen

1.2.2025, 11:12:31

Die Aufgabe/Frage "Der Bierdeckel ist eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung." wird mit "wahr" bewertet. Es kommt mE aber trotzdem viel mehr auf die Striche an. Der Bierdeckel ist lediglich das Trägermedium für die Gedankenerklärung. Im Ergebnis würde ich sagen, dass

eine zusammengesetzte Urkunde

vorliegt, weil beide Elemente erst gemeinsam die Beweiskraft ermöglichen.

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

17.3.2025, 09:22:59

@[Fuchsfrauchen](89264) ich war zunächst auch etwas verwirrt. Ich denke aber, dass „Der Bierdeckel…“ hier im Fall so viel bedeuten soll wie „Der konkrete Bierdeckel so wie er hier mit den Strichen vorliegt“. Dann würde es denke ich wieder passen :)

TI

Tinki

8.11.2024, 14:44:22

Gibt es noch andere Beispiele, in denen man ausreichen lässt, dass sich der Aussteller nicht aus der

Urkunde

, sondern aus der

Verkehrssitte

ergibt? Ist am Ende entscheidend, dass jemand als Garant für die Gedankenerklärung bereit stehen will? Vielen Dank und LG.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

3.4.2025, 11:13:23

Hallo @[Tinki](200906), mit einer Stellung als "Garant" (mit dem Begriff wäre ich vorsichtig, weil man ihn straf

rechtl

ich mit § 13 StGB verbindet) hat das mE weniger zu tun. Es geht vielmehr darum, wem man die Erklärung unter Berücksichtigung der Umstände vernünftigerweise zurechnen muss und kann. Beispiel nach MüKoStGB/Erb, 4. Aufl 2022,

§ 267

Rn 24: Preisetiketten auf einer Ware, wenn wir uns innerhalb dieses Kaufhauses befinden. Selbst bei einem "neutralen" Preisschild (ohne jeglichen Hinweis auf das Kaufhaus, also zB nur "1.000 €") wird man die Erklärung dem konkreten Kaufhaus zurechnen müssen, auch wenn das aus der

Urkunde

selbst nicht ersichtlich ist. Und es dürfte noch viele weitere Beispiele geben, in denen wir eine

Urkunde

aufgrund der Gesamtumstände annehmen, auch wenn sich der Aussteller nicht unmittelbar aus der

Urkunde

selbst ergibt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs


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