Strafrecht
BT 6: Urkundsdelikte u.a.
Urkundenfälschung (§ 267 StGB)
Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel
Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel
2. April 2025
8 Kommentare
4,8 ★ (17.311 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Gastwirtin G verteilt in ihrer Kneipe für jedes Getränk auf einem Bierdeckel Striche. Anhand des Deckels rechnet G am Ende ab. T hat sechs Alster getrunken, aber nur Geld für zwei Alster dabei. Sie kratzt vier Striche vom Deckel weg. Unter dessen Vorlage zahlt T zwei Alster.
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Einordnung des Falls
Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Strafbarkeit der T wegen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Bierdeckel eine Urkunde ist.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Bierdeckel ist eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung.
Ja!
3. Der Bierdeckel ist zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet.
Genau, so ist das!
4. Der Bierdeckel ist zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt.
Ja, in der Tat!
5. Der Bierdeckel lässt seinen Aussteller erkennen.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Lena88
8.12.2022, 10:39:14
Dies verstehe ich nicht: ist denn die
Verkehrssittein Gaststätten nicht gerade ein Umstand außerhalb der
Urkunde? Am Bierdeckel selbst ist ja nicht einmal zu erkennen, aus welcher Gaststätte er stammt… das scheint mir über ‚für Eingeweihte erkennbar‘ hinaus auf ‚von Eingeweihten vorausgesetzt‘ zu zu gehen.

Nora Mommsen
8.12.2022, 17:55:05
Hallo Lena88, Früher wurde verlangt, dass der gedankliche Inhalt einer
Urkundesich vollständig aus dieser selbst ergeben müsse. Richtig ist zwar, dass sich mittels der
Urkundeselbst die Existenz einer Erklärung beweisen lassen muss. Aber ebenso wie der Urheber einer Erklärung sich Abkürzungen bedienen kann, können auch solche Zeichen
Urkundeneigenschaft begründen, die „nicht selbst sprechen“, aber mittels besonderer Auslegungsbehelfe eine Gedankenäußerung ihres Urhebers vermitteln. Nicht entscheidend, ist dass jeder ohne weiteres die Zeichen versteht, sondern dass die Beteiligten sich über die Bedeutung verständigt haben. Wenn es also üblich ist, dass Striche getrunkene Getränke repräsentieren, reicht der Strich als rechtserhebliche Erklärung aus. Die Umstände dürfen durchaus miteinbezogen werden, nur darf sich das Vorliegen einer Erklärung selber nicht erst im Zusammenhang mit etwas anderem ergeben. So kann zum Beispiel ein anonymer Brief ggfs. mittels Schriftvergleichung von Experten einer Person zugeordnet werden, dennoch ergibt sich die Urheberschaft nicht für die Beteiligten aus der
Urkunde. Anders wenn jemand mit seinem Spitznahmen gezeichnet hat, z.B. Keule. Dieser mag nur wenigen Eingeweihten bekannt sein, sodass die Urheberschaft nur unter Zuhilfenahme dieser Tradition der Gruppe zu ermitteln ist. Aber für die Beteiligten ist die Urheberschaft erkennbar. Viele Grüße, Nora – für das Jurafuchs-Team
babakd
25.1.2025, 15:32:32
Inwiefern lässt sich aus dem Bierdeckel erkennen, wer dem Gaststättenbetreiber etwas schuldet? Wenn ich jetzt vor Gericht einen Bierdeckel vorlege und der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch macht oder abstreitet, verstehe ich nicht inwiefern der konkrete gedankliche Inhalt der
Urkundeauf den beschuldigten Gast hinweist. Ich stehe da etwas auf dem Schlauch..
Lorenz
8.7.2024, 16:15:07
judith
8.7.2024, 16:34:11
Die Gedankenerklärung bedarf zusätzlich noch der Verkörperung in einem dauerhaften Medium. Die striche selbst, sind der bloße Gedanke. Der Bierdeckel als solches der körperliche Erklärungsträger, der zur Begründung der unmittelbaren Rechtswirkung des Gedankeninhalts erforderlich ist.
Fuchsfrauchen
1.2.2025, 11:12:31
Die Aufgabe/Frage "Der Bierdeckel ist eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung." wird mit "wahr" bewertet. Es kommt mE aber trotzdem viel mehr auf die Striche an. Der Bierdeckel ist lediglich das Trägermedium für die Gedankenerklärung. Im Ergebnis würde ich sagen, dass
eine zusammengesetzte Urkundevorliegt, weil beide Elemente erst gemeinsam die Beweiskraft ermöglichen.
Rechtsanwalt B. Trüger
17.3.2025, 09:22:59
@[Fuchsfrauchen](89264) ich war zunächst auch etwas verwirrt. Ich denke aber, dass „Der Bierdeckel…“ hier im Fall so viel bedeuten soll wie „Der konkrete Bierdeckel so wie er hier mit den Strichen vorliegt“. Dann würde es denke ich wieder passen :)
Tinki
8.11.2024, 14:44:22
Gibt es noch andere Beispiele, in denen man ausreichen lässt, dass sich der Aussteller nicht aus der
Urkunde, sondern aus der
Verkehrssitteergibt? Ist am Ende entscheidend, dass jemand als Garant für die Gedankenerklärung bereit stehen will? Vielen Dank und LG.