Strafrecht
BT 6: Urkundsdelikte u.a.
Urkundenfälschung (§ 267 StGB)
Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel
Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel
26. April 2025
10 Kommentare
4,8 ★ (18.030 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Gastwirtin G verteilt in ihrer Kneipe für jedes Getränk auf einem Bierdeckel Striche. Anhand des Deckels rechnet G am Ende ab. T hat sechs Alster getrunken, aber nur Geld für zwei Alster dabei. Sie kratzt vier Striche vom Deckel weg. Unter dessen Vorlage zahlt T zwei Alster.
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Einordnung des Falls
Erkennbarkeit des Ausstellers – Bierdeckel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Strafbarkeit der T wegen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Bierdeckel eine Urkunde ist.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Bierdeckel ist eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung.
Ja!
3. Der Bierdeckel ist zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet.
Genau, so ist das!
4. Der Bierdeckel ist zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt.
Ja, in der Tat!
5. Der Bierdeckel lässt seinen Aussteller erkennen.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Lena88
8.12.2022, 10:39:14
Dies verstehe ich nicht: ist denn die
Verkehrssittein Gaststätten nicht gerade ein Umstand außerhalb der
Urkunde? Am Bierdeckel selbst ist ja nicht einmal zu erkennen, aus welcher Gaststätte er stammt… das scheint mir über ‚für Eingeweihte erkennbar‘ hinaus auf ‚von Eingeweihten vorausgesetzt‘ zu zu gehen.

Nora Mommsen
8.12.2022, 17:55:05
Hallo Lena88, Früher wurde verlangt, dass der gedankliche Inhalt einer
Urkundesich vollständig aus dieser selbst ergeben müsse. Richtig ist zwar, dass sich mittels der
Urkundeselbst die Existenz einer Erklärung beweisen lassen muss. Aber ebenso wie der Urheber einer Erklärung sich Abkürzungen bedienen kann, können auch solche Zeichen
Urkundeneigenschaft begründen, die „nicht selbst sprechen“, aber mittels besonderer Auslegungsbehelfe eine Gedankenäußerung ihres Urhebers vermitteln. Nicht entscheidend, ist dass jeder ohne weiteres die Zeichen versteht, sondern dass die Beteiligten sich über die Bedeutung verständigt haben. Wenn es also üblich ist, dass Striche getrunkene Getränke repräsentieren, reicht der Strich als rechtserhebliche Erklärung aus. Die Umstände dürfen durchaus miteinbezogen werden, nur darf sich das Vorliegen einer Erklärung selber nicht erst im Zusammenhang mit etwas anderem ergeben. So kann zum Beispiel ein anonymer Brief ggfs. mittels Schriftvergleichung von Experten einer Person zugeordnet werden, dennoch ergibt sich die Urheberschaft nicht für die Beteiligten aus der
Urkunde. Anders wenn jemand mit seinem Spitznahmen gezeichnet hat, z.B. Keule. Dieser mag nur wenigen Eingeweihten bekannt sein, sodass die Urheberschaft nur unter Zuhilfenahme dieser Tradition der Gruppe zu ermitteln ist. Aber für die Beteiligten ist die Urheberschaft erkennbar. Viele Grüße, Nora – für das Jurafuchs-Team
babakd
25.1.2025, 15:32:32
Inwiefern lässt sich aus dem Bierdeckel erkennen, wer dem Gaststättenbetreiber etwas schuldet? Wenn ich jetzt vor Gericht einen Bierdeckel vorlege und der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch macht oder abstreitet, verstehe ich nicht inwiefern der konkrete gedankliche Inhalt der
Urkundeauf den beschuldigten Gast hinweist. Ich stehe da etwas auf dem Schlauch..

Sebastian Schmitt
3.4.2025, 11:03:33
Hallo @[babakd](192464), eine absolut berechtigter Einwand! Wie der Beitrag meiner Kollegin @[
Nora Mommsen](178057) von damals schon zeigt, ist die Abgrenzung nicht immer leicht und auch nicht immer trennscharf. Du hast hier mit Deiner Begründung aber definitiv einen Punkt und mit einem sehr ähnlichen Argument lehnt zB MüKoStGB/Erb, 4. Aufl 2022,
§ 267Rn 24 mwN die
Urkundeneigenschaft eines Bierdeckels mit Strichen ab: "In diesem Fall liegt entgegen verbreiteter Ansicht allerdings gleichwohl keine
Urkundevor, weil die Rechtserheblichkeit der Erklärung die Zuordnung zu einem bestimmten Gast voraussetzt, und diese ist nun einmal nicht mitverkörpert – es sei denn, der Bierdeckel würde am Gast fixiert!" Die wohl (noch) hM sieht es allerdings anders, wobei das letztlich auf ein mittlerweile sehr altes Urteil des RG zurückgeht (RG DStrZ 1916, 77), auf das man online gar nicht so leicht Zugriff zu haben scheint. Beachte allerdings, dass selbst nach MüKoStGB/Erb als insoweit kritische Stimme nicht entscheidend ist, dass die
Urkundeflächendeckend, also auch nicht unbedingt im Gerichtssaal, sämtliche Voraussetzungen erfüllt. Es soll vielmehr genügen, dass eine Erklärung des Ausstellers "in einem räumlich begrenzten Ausschnitt des Rechtsverkehrs" diese Bedeutung hat. Beispiel nach MüKoStGB/Erb Preisetiketten auf einer Ware, die ohne Unternehmenszusatz nur innerhalb des jeweiligen Kaufhauses den Aussteller erkennen lassen - denn sonst könnte die Ware ja auch von irgendeinem anderen Kaufhaus stammen (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl 2022,
§ 267Rn 24). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Lorenz
8.7.2024, 16:15:07
judith
8.7.2024, 16:34:11
Die Gedankenerklärung bedarf zusätzlich noch der Verkörperung in einem dauerhaften Medium. Die striche selbst, sind der bloße Gedanke. Der Bierdeckel als solches der körperliche Erklärungsträger, der zur Begründung der unmittelbaren Rechtswirkung des Gedankeninhalts erforderlich ist.
Fuchsfrauchen
1.2.2025, 11:12:31
Die Aufgabe/Frage "Der Bierdeckel ist eine verkörperte menschliche Gedankenerklärung." wird mit "wahr" bewertet. Es kommt mE aber trotzdem viel mehr auf die Striche an. Der Bierdeckel ist lediglich das Trägermedium für die Gedankenerklärung. Im Ergebnis würde ich sagen, dass
eine zusammengesetzte Urkundevorliegt, weil beide Elemente erst gemeinsam die Beweiskraft ermöglichen.
Rechtsanwalt B. Trüger
17.3.2025, 09:22:59
@[Fuchsfrauchen](89264) ich war zunächst auch etwas verwirrt. Ich denke aber, dass „Der Bierdeckel…“ hier im Fall so viel bedeuten soll wie „Der konkrete Bierdeckel so wie er hier mit den Strichen vorliegt“. Dann würde es denke ich wieder passen :)
Tinki
8.11.2024, 14:44:22
Gibt es noch andere Beispiele, in denen man ausreichen lässt, dass sich der Aussteller nicht aus der
Urkunde, sondern aus der
Verkehrssitteergibt? Ist am Ende entscheidend, dass jemand als Garant für die Gedankenerklärung bereit stehen will? Vielen Dank und LG.

Sebastian Schmitt
3.4.2025, 11:13:23
Hallo @[Tinki](200906), mit einer Stellung als "Garant" (mit dem Begriff wäre ich vorsichtig, weil man ihn straf
rechtlich mit § 13 StGB verbindet) hat das mE weniger zu tun. Es geht vielmehr darum, wem man die Erklärung unter Berücksichtigung der Umstände vernünftigerweise zurechnen muss und kann. Beispiel nach MüKoStGB/Erb, 4. Aufl 2022,
§ 267Rn 24: Preisetiketten auf einer Ware, wenn wir uns innerhalb dieses Kaufhauses befinden. Selbst bei einem "neutralen" Preisschild (ohne jeglichen Hinweis auf das Kaufhaus, also zB nur "1.000 €") wird man die Erklärung dem konkreten Kaufhaus zurechnen müssen, auch wenn das aus der
Urkundeselbst nicht ersichtlich ist. Und es dürfte noch viele weitere Beispiele geben, in denen wir eine
Urkundeaufgrund der Gesamtumstände annehmen, auch wenn sich der Aussteller nicht unmittelbar aus der
Urkundeselbst ergibt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs