Beschuhter Fuß als gefährliches Werkzeug

12. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und O streiten sich. Dabei schlägt T den O, sodass dieser hinfällt. Als O sich wieder aufrichten will, tritt T ihm mit Anlauf ins Gesicht. T trägt dabei einen Turnschuh mit weicher Sohle. O bleibt kurzzeitig bewusstlos liegen.

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Einordnung des Falls

Beschuhter Fuß als gefährliches Werkzeug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T O ins Gesicht getreten hat, hat T den O körperlich misshandelt (§ 223 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Integrität nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Durch den Tritt ins Gesicht, erlitt O Schmerzen. Schmerz ist eine unangenehme körperliche Empfindung, wodurch das körperliche Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt wird. Ist eine Beeinträchtigung z.B. durch einen ganz leichten Tritt oder eine leichte Ohrfeige nur geringfügig, erreicht sie die Erheblichkeitsschwelle nicht und § 223 Abs. 1 StGB ist nicht einschlägig. Möglicherweise ist dann aber der Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) erfüllt.Auch der vorangegangene Schlag stellt eine vollendete Körperverletzung dar.
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2. T könnte diese Körperverletzung auch „mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges“ i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB begangen haben.

Ja, in der Tat!

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB qualifiziert solche Taten, bei denen sich eine besondere Gefährlichkeit aus der Verwendung eines (anders als in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) von außen auf den Körper einwirkenden Tatmittels ergibt. Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und nach der konkreten Art der Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (potentielle Gefährlichkeit).

3. Ein „beschuhter Fuß“ ist stets ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB.

Nein!

Rspr. und h.M. schließen aus dem Wortlaut der Norm (Werkzeug), dass eigene Körperteile den Qualifikationstatbestand grundsätzlich nicht erfüllen. Anders kann dies nach ständiger BGH-Rechtsprechung allerdings beim „beschuhten Fuß“ sein. Ob der beschuhte Fuß ein gefährliches Werkzeug darstellt, hängt danach von der Beschaffenheit des Schuhes ab und davon, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Körperteil getreten wird.Ein Tritt in das Gesäß ist z.B. weniger geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen als ein vergleichbarer Tritt ins Gesicht oder den Unterleib des Opfers.

4. Reicht Ts Tritt mit seinem Turnschuh aus, um die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs zu erfüllen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

Nach der ständigen Rechtsprechung kann der mit Straßenschuhen von üblicher Beschaffenheit „beschuhte Fuß“ dann ein gefährliches Werkzeug sein, wenn mit ihm Tritte gegen besonders empfindliche Körperteile (z.B. Gesicht, Knie) ausgeführt werden. Gleiches ist nach dem BGH für Turnschuhe der heutigen Art anzunehmen (RdNr. 4). Allein der Umstand, dass T „normale“ Turnschuhe trägt, schließt die Annahme des gefährlichen Werkzeugs nicht aus. Für die Qualifikation kommt es in diesem Fall maßgeblich darauf an, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Teil des Körpers T den O getreten hat. T hat O mit Anlauf ins Gesicht getreten. Hieraus ergibt sich eine besondere Gefährlichkeit seines beschuhten Fußes. T hat somit ein gefährliches Werkzeug genutzt. Anders als der BGH hatte das LG Braunschweig den Turnschuh allein wegen seiner weichen Sohle nicht als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen.

5. T hat die Körperverletzung an O auch „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen.

Ja, in der Tat!

Rspr. und h.L verlangen eine Begehungsweise, die nach den Umständen des konkreten Falles, wie der Art, Dauer und Stärke der Einwirkung objektiv generell geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. Eine konkrete Lebensgefahr sei nicht erforderlich. T hat dem O mit Anlauf ins Gesicht getreten. Solche Tritte gegen den Kopf sind für das Leben des Betroffenen generell gefährlich. Vorliegend war O in Folge des Tritts sogar kurz bewusstlos. Ein Teil der Literatur setzt voraus, dass das Opfer durch die Körperverletzung in eine wirkliche (konkrete) Lebensgefahr gekommen ist. Systematische Gründe sprechen mit Blick auf den Unrechtsgehalt der übrigen Nummern des § 224 Abs. 1 StGB allerdings dafür, auf den Eintritt einer konkreten Lebensgefahr zu verzichten und damit gegen diese Auffassung.

6. T hat sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB)

Ja!

T handelte vorsätzlich hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Zudem handelte er auch rechtswidrig und schuldhaft. In dieser Entscheidung befasste sich der BGH einmal mehr mit der Frage, wann ein „beschuhter Fuß“ die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. StGB erfüllt. Hierzu kannst Du Dir merken, dass “normalen” Straßen- oder Turnschuhen der heutigen Art jedenfalls dann gefährliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sein können, wenn mit ihnen gegen das Gesicht oder andere besonders empfindliche Körperteile getreten wird.Referendare aufgepasst! In einer ähnlich gelagerten Konstellation hat das BayObLG der Revision gegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung stattgegeben. Der entscheidende Unterschied? Aus den Urteilsfeststellungen hatte sich nicht ergeben, dass der Kopf tatsächlich getroffen worden war. Es hieß lediglich, der Tritt erfolgte „in Richtung des Kopfes“. Damit hatte die Sachrüge aufgrund von Darstellungsmängeln Erfolg.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Meisterr

Meisterr

4.9.2024, 16:31:53

Hallo, ich finde die Erklärung, warum jetzt gerade der Turnschuh per se die Annahme des gef. Werkzeugs rechtfertigt, etwas dünn. Die Ausführungen "(...) mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Körperteils des O (...)" hat ja mit dem Schuh als Werkzeug nichts zu tun. Die Gefährlichkeit muss ja gerade durch die

Beschaffenheit

des Turnschuhs´ erhöht werden. Dass sich die besondere Gefährlichkeit des beschuhtes Fußes daraus ergibt, dass er dem O mit Anlauf ins Gesicht tritt, hat mE nach auch wenig mit der Eigenschaft des Schuhs zu tun un mehr mit der Art und Weise der Handlung des T. Ist das die genau Argumentation auch des BGH? Viele Grüße

JES

jess11O

11.9.2024, 16:48:05

Ich habe es gerade nachgelesen und das ist tatsächlich die Argumentation. Der BGH führt lediglich aus, dass es auf das betroffene Körperteil und die Wucht des Tritts ankommt, ob es sich beidem weichbesohlten Schuh um ein gefährliches Werkzeug handelt. Ich finde das macht auch Sinn, weil es bei der Gefährlichkeit ja gerade auch auf die spezifische Verwendung ankommt.


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