Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Patient P lässt sich im Krankenhaus B operieren. Bei der OP kommt es zu einem Behandlungsfehler. P schwebt mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr. K, die Ehefrau des P, erleidet dadurch massive psychische Beeinträchtigungen. K verlangt von B Schadensersatz.

Einordnung des Falls

Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Schadensersatzanspruch, wenn die psychischen Beeinträchtigungen der K eine Rechtsgutsverletzung ist und diese B zurechenbar sind (§ 823 Abs. 1 BGB).

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Ja, in der Tat!

Mögliche Anspruchsgrundlage ist § 823 Abs. 1 BGB. Voraussetzung dafür ist zunächst eine Rechtsgutsverletzung der K. Diese muss B zurechenbar sein. B muss die Rechtsgutsverletzung verschuldet haben. Schließlich muss der K ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein.

2. Die psychischen Beeinträchtigungen sind eine Rechtsgutsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.

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Ja!

BGH: Psychische Störungen von Krankheitswert könnten Gesundheitsverletzungen im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB und damit Rechtsgutsverletzungen darstellen. Dabei sei nicht erforderlich, dass die Beeinträchtigungen eine organische Ursache haben; es genüge grundsätzlich die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingte Gesundheitsschädigung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre (RdNr. 7).

3. Bei psychischen Beeinträchtigungen aufgrund von schweren Gesundheitsverletzungen einer anderen Person ist ein einfacher kausaler Zusammenhang i.S.d. Äquivalenztheorie für die Zurechnung ausreichend.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Im Hinblick auf die haftungsbegründende Kausalität muss die Rechtsgutsverletzung nicht nur äquivalent (=Verletzungshandlung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele) und adäquat (=mit der Verletzung war nach allgemeiner Lebenserfahrung zu rechnen und die Verletzung liegt nicht völlig außerhalb aller Wahrscheinlichkeit) kausal sein. Vielmehr muss die Verletzung auch vom Schutzzweck der entsprechenden Norm umfasst sein, wofür der BGH bei Schockschäden enge Grenzen setzt.

BGH: Wird eine andere Person verletzt oder getötet und löst dies eine psychische Beeinträchtigung bei einem nicht unmittelbar Beteiligten aus, so komme eine Haftung nur bei nahen Angehörigen des unmittelbar Verletzten in Betracht, beispielsweise - wie hier - bei einem Ehepartner (RdNr. 15). Bei diesen sogenannten Schockschäden

sei für eine Zurechnung zusätzlich zu einem kausalen Zusammenhang zu fordern, dass die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar ist und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehe, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind (RdNr. 7).
Die Voraussetzung, dass die Beeinträchtigung über das Normalmaß hinausgehen muss, hat der BGH mittlerweile aufgegeben. Mehr dazu: hier!

4. Die Rechtsprechung zu psychischen „Schockschäden“ durch Unfälle ist übertragbar auf fehlerhafte ärztliche Behandlungen.

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Ja, in der Tat!

BGH: Die Grundsätze des Schockschadens seien auch anzuwenden, wenn das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Es sei kein Grund erkennbar, denjenigen, die eine psychische Gesundheitsverletzung infolge eines Behandlungsfehlers an einem Angehörigen erleiden, anders zu behandeln als solche, die die psychische Schädigung infolge einer auf einem Unfallereignis beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft (RdNr. 8).K stehe daher wegen ihrer psychischen Beeinträchtigungen ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu.

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