+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Gegen den vielfach vorbestraften T wird erneut Anklage erhoben. Aus diesem Anlass ordnet die Polizei die Anfertigung von Fingerabdrücken nach § 81b Alt. 2 StPO an. T erhebt Widerspruch, wird aber vor Erlass des Widerspruchsbescheids in derselben Sache rechtskräftig verurteilt.
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Einordnung des Falls
Erkennungsdienstliche Maßnahmen nach Verurteilung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Da die Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung § 81b Alt. 2 StPO ist, ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet (§ 23 Abs. 1 EGGVG).
Nein!
§ 81b StPO ermächtigt dazu, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufzunehmen. § 81b enthält in seiner Alt. 1 eine strafprozessuale Maßnahme („für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens“) und in Alt. 2 eine Maßnahme der Gefahrenabwehr („für die Zwecke des Erkennungsdienstes“). Bei Alt. 2 handelt es sich um die sog. Strafverfolgungsvorsorge. Diese ist aber, anders als Maßnahmen nach Alt. 1, im Schwerpunkt präventiv.Somit ist § 23 Abs. 1 EGGVG nicht einschlägig und der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (Trück, in: MüKo-StPO, 1.A. 2014, § 81b RdNr. 14).
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2. T war bei Erlass der Anordnung „Beschuldigter“ im Sinne des § 81b Alt. 2 StPO, obwohl zuvor gegen ihn Anklage erhoben wurde.
Genau, so ist das!
Der Wortlaut des § 81b Alt. 2 StPO verlangt, dass T "Beschuldigter" ist. Beschuldigter ist im Strafprozessrecht derjenige, gegen den aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte das Strafverfahren betrieben wird.Durch die gegen ihn erhobene öffentliche Klage wurde T nach § 157 StPO zum Angeschuldigten im strafprozessualen Sinne. Das BVerwG legt bei § 81b Alt. 2 StPO jedoch einen weiten Beschuldigtenbegriff zugrunde, der auch Angeschuldigte und Angeklagte nach § 157 StPO umfasst (RdNr. 13).
3. T wurde vor Erlass des Widerspruchsbescheids rechtskräftig verurteilt. Dies lässt seine Beschuldigteneigenschaft und damit eine Tatbestandsvoraussetzung des § 81b Alt. 2 StPO endgültig entfallen.
Nein, das trifft nicht zu!
BVerwG: Anders als bei § 81b Alt. 1 StPO würden Maßnahmen nach § 81b Alt. 2 StPO nicht für die Zwecke eines aktuell gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens vorgenommen, sondern nur anlässlich dessen. Sie dienten der Strafverfolgungsvorsorge durch Bereitstellung von Hilfsmitteln zur Erforschung und Aufklärung von unbestimmten Straftaten (RdNr. 16). Die gesetzliche Zweckbestimmung gebiete eine Abkoppelung der Beschuldigteneigenschaft vom konkreten Strafverfahren. Der Betroffene müsse daher nur bei Erlass der Anordnung Beschuldigter sein, nicht auch noch beim Ergehen des Widerspruchsbescheids (RdNr. 17).
4. Alternativ hätte die Polizei die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch auf entsprechende präventive polizeiliche Befugnisnormen stützen können (etwa § 20 Abs. 1 Nr. 2 SächsPolG).
Nein!
Maßnahmen zur Strafverfolgungsvorsorge nach § 81b Alt. 2 StPO finden ihre kompetenzrechtliche Ermächtigung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, während präventiv-polizeiliche Maßnahmen der Länder auf Art. 70 GG beruhen (Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 10.A. 2018, RdNr. 126). Eine Austauschbarkeit der Ermächtigungsgrundlagen besteht deshalb nicht. Landesrechtliche Regelungen zur Gefahrenabwehr sind nur dann anwendbar, wenn die betroffene Person im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme nicht Beschuldigter in einem Strafverfahren ist (RdNr. 19).
5. Die Anordnung zur Anfertigung von Fingerabdrücken ist ein Eingriff in das Grundrecht des T auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Genau, so ist das!
Der Schutz der informationellen Selbstbestimmung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Es beinhaltet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen. Anordnungen nach § 81b Alt. 2 StPO greifen in den Schutzbereich dieses Grundrechts ein, da persönliche Daten (z.B. Fingerabdrücke) erhoben und gespeichert werden.
6. Die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen wie die Anfertigung von Fingerabdrücken und der damit verbundene Grundrechtseingriff sind gerechtfertigt, wenn sie nach § 81b StPO "notwendig" sind.
Ja, in der Tat!
Das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit in § 81b StPO ist eine einfachgesetzliche Normierung des verfassungsrechtlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit. Die Notwendigkeit bemisst sich danach, ob der Sachverhalt, aus dessen Anlass die Maßnahme angeordnet wurde, Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig potenziell an Straftaten beteiligt sein könnte und die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten (RdNr. 20ff.).
7. Die Anordnung zur Anfertigung von Fingerabdrücken des T war "notwendig“ im Sinne des § 81b StPO.
Ja!
BVerwG: Die Maßnahme sei zur Vorsorge für künftige Ermittlungen notwendig gewesen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass der T bereits vor der Anlasstat vielfach verurteilt war. Es bestünden ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass T künftig wieder als Verdächtiger anderer Straftaten in Betracht kommt und die erkennungsdienstlichen Unterlagen dann förderlich sein könnten (RdNr. 22ff.). Die Maßnahme war im Übrigen auch ermessensfehlerfrei (RdNr. 25ff.).