+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Polizist P wird langfristig mit neuer Identität in eine Drogendealer-Bande eingeschleust. P bedrängt Drogendealer D wochenlang vehement, bei dem vermeintlichen Lieferanten L – in Wahrheit: Polizist Z – zu bestellen, denn dieser habe ganz besonderes blaues Crystal Meth, was bei den Kunden sicher sehr gut ankomme. Irgendwann lässt sich D überreden und wird bei der Lieferung festgenommen.
Einordnung des Falls
Agent Provocateur-Fälle, also eine unzulässige Tatprovokation durch verdeckte Ermittler sich hoch umstritten. Insbesondere die deutsche Rechtsprechung dazu ist stark im Wandel und sich uneins. Während der erste Strafsenat des BGH noch eine Strafmilderungslösung vertritt, stellt sich der zweite Senat auf die Seite des EGMR und nimmt ein Verfahrenshindernis an.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Provoziert P den D zum Kauf des Crystal Meth?
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Ja!
Um eine Tatprovokation handelt es sich, wenn der Lockspitzel (Agent Provocateur) über das bloße Mitmachen hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. P schlägt dem D den Lieferanten vor und bedrängt ihn wochenlang, wirkt also erheblich stimulierend auf ihn ein.
2. Durfte P den D zum Kauf des Crystal Meth provozieren?
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Nein, das ist nicht der Fall!
Die Befugnisse des Verdeckten Ermittlers decken nur in engen Grenzen eine Tatprovokation ab. Die Provokation muss in Bezug auf eine Person erfolgen, gegen die wegen vergleichbarer Straftaten bereits ein Anfangsverdacht besteht oder die in einem vergleichbaren Grad verdächtig ist, zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein. Die Grenzen der zulässigen passiven Tatprovokation werden jedoch dann überschritten, wenn das tatprovozierende Verhalten ein solches Gewicht erlangt, dass demgegenüber der eigene Beitrag des Täters in den Hintergrund tritt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Täter zuvor unverdächtig und nicht tatgeneigt war oder er die Tat nur auf Grund nachhaltigen Drängens begeht, auch wenn ein Anfangsverdacht bestand. Hier begeht D die Tat nur aufgrund des wochenlangen Drängens des P, sein Verhalten hat erhebliches Übergewicht. Die Provokation war daher unzulässig.
3. Wird D wegen der Unzulässigkeit der Tatprovokation milder bestraft?
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Nein, das trifft nicht zu!
Noch in seinem Urteil vom 19.5.2015 hatte der erste Strafsenat vertreten, dass die unzulässige Tatprovokation – außer in extremen Ausnahmefällen – lediglich als Strafmilderungsgrund zugunsten des Täters strafmildernd bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist (Strafzumessungslösung). Dem hat sich der zweite Strafsenat unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 EMRK entgegengestellt und entschieden, dass eine unzulässige Tatprovokation zur Einstellung des Verfahrens führt
(Urt. v. 10.6.2015 - 2 StR 97/14, s. Aktuelle Rechtsprechung 2015).
Der EGMR (Urt. v. 15.10.2020 – 40495/15) hat kürzlich ebenfalls noch einmal klargestellt, dass eine Strafmilderung im Falle der unzulässigen Tatprovokation nicht genüge. Vielmehr erfordere das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) schärfere Konsequenzen, wie die Verfahrenseinstellung oder ein Beweisverbot.