+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Gegen A besteht Anfangsverdacht wegen BtMG-Straftaten. Observationen bleiben ohne Ergebnis. Der verdeckte Ermittler P täuscht A bewusst wahrheitswidrig vor, dass P sich in Lebensgefahr befände, wenn er Dritten kein Ecstasy liefere. A beschafft die Droge in nicht geringer Menge. Er erhält keine Vergütung.
Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Die Behandlung der Agent Provocateur Fälle, also eine unzulässige Tatprovokation durch verdeckte Ermittler, ist hoch umstritten. Während der erste Senat eine Strafmilderung vertritt, hält der zweite Senat ein Verfahrenshindernis für richtig. Aber wann liegt eigentlich eine solche unzulässige Tatprovokation vor? In dieser Entscheidung setzt der BGH Maßstäbe. Hiernach ist nötig, dass der Betroffene zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die er ohne die Einwirkung nicht begangen hätte, mit dem Zweck, diese Straftat nachzuweisen. Dies sei dann der Fall, wenn die Tatprovokation im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ sei (BGH) bzw. der Ermittler sich nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränke (EGMR). Maßgeblich seien das Ausmaß des Verdachts, Art und Intensität der Einflussnahme sowie die nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Verlockten.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist es nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH im Rahmen der Strafzumessung bei A strafmildernd zu berücksichtigen, wenn P den A rechtswidrig zur Tat provoziert hat?
Nein!
So bislang der BGH („Strafzumessungslösung“).
BGH neuerdings: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sieht in einer rechtswidrigen Tatprovokation eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Dies werde durch die Strafzumessungslösung nicht hinreichend gewürdigt. Denn die Verwendung von Beweismitteln, die durch rechtswidrige Tatprovokation erlangt wurden, setze den Beschuldigten der Gefahr aus, dass ihm von Beginn an kein faires Verfahren zuteilwird. Die Verwendung müsse daher ausgeschlossen sein. Dies sei bei der Strafzumessungslösung nicht gewährleistet (RdNr. 39ff.).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.
2. Folgt nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH ein umfassendes Beweisverwertungsverbot, wenn P den A rechtswidrig zur Tat provoziert hat?
Nein, das ist nicht der Fall!
Beweisverwertungsverbote verpflichten Gerichte dazu, existierende Beweise im Urteil unberücksichtigt zu lassen. Rechtsverstöße bei der Beweiserhebung führen nur selten zum Verwertungsverbot (Miebach, in: MüKo-StPO, 1.A. 2016, § 261 RdNr. 136 ff.). BGH: Ein Beweisverwertungsverbot liege zwar nach den Vorgaben des EGMR nahe, stehe jedoch nicht mit dem deutschen Strafrechtssystem in Einklang: (1) Aus einer Tatprovokation folge nicht bloß die rechtswidrige Erlangung von Beweismitteln, sondern die Tat als solche. (3) Ein Verbot zur Verwertung der durch die Tatprovokation erlangten Beweise schütze den Geständigen nicht ausreichend (RdNr. 50ff.).
3. Hat P den A rechtmäßig provoziert, weil der Anfangsverdacht gegen A stärker wog als die Einwirkungen des P auf den Tatentschluss des A?
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Ein
Anfangsverdacht habe zwar bestanden. Er sei angesichts der ergebnislosen Observation jedoch bloß vage gewesen. Dem gegenüber wirkte P auf psychische Weise massiv auf A ein und bewegte ihn erst dadurch zum Handeln. Zudem sei zu berücksichtigen, dass A keinen finanziellen Vorteil aus dem Geschäft zog. Aus alledem folge ein unvertretbares Übergewicht der staatlichen Einwirkung auf eine verdächtige Person gegenüber dem bestehenden
Anfangsverdacht (RdNr. 28, 34). Die Maßstäbe von BGH und EGMR kämen hier zum gleichen Ergebnis (RdNr. 35).
4. Hat A den Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29 Abs. 1 S. Nr. 1 Var. 3 BtMG, 27 Abs. 1 StGB) erfüllt?
Ja!
Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Var. 3 BtMG ist jedes eigennützige Bemühen, das darauf gerichtet ist, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern (Weber, BtMG, 5.A. 2017, § 29 RdNr. 168). Der Begriff wird weit ausgelegt. Der Tatbestand umfasst auch Vorbereitungshandlungen wie die Anbahnung eines Kaufs (Weber, aaO., § 29 RdNr. 167, 374). Die Abgrenzung der täterschaftlichen Begehung zur Teilnahme erfolgt nach allgemeinen Grundsätzen. Da A lediglich fremdes Tun fördern wollte (vgl. Heine/Weißner, in: Schönke/Schröder, StGB, 29.A. 2014, § 27 RdNr. 1) und uneigennützig handelte, hat A lediglich Beihilfe geleistet.
5. Liegt eine rechtswidrige Provokation des A durch P vor, wenn die Einwirkungen des P den Anfangsverdacht gegen A deutlich überwiegen?
Genau, so ist das!
Nach BGH und EGMR liegt eine rechtswidrige Tatprovokation vor, wenn der Betroffene zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die er ohne die Einwirkung nicht begangen hätte, mit dem Zweck, diese Straftat nachzuweisen. Dies sei dann der Fall, wenn die Tatprovokation im Verhältnis zum
Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ sei (BGH) bzw. der Ermittler sich nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränke (EGMR). Maßgeblich seien das Ausmaß des Verdachts, Art und Intensität der Einflussnahme sowie die nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Verlockten. Je stärker der Verdacht, desto mehr Provokation sei erlaubt (RdNr. 20ff.).
6. Wenn P den A rechtswidrig zur Tat provoziert hat, kann A nicht verurteilt werden. Wird das Verfahren dann eingestellt (Verfahrenshindernis nach § 206a, 260 Abs. 3 StPO)?
Ja, in der Tat!
Der Begriff des Verfahrenshindernisses wird in der StPO nicht definiert. Nach BGH existiert ein Verfahrenshindernis bei Umständen, die so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig gemacht werden muss (Wenske, in: MüKo-StPO, 1.A. 2016, § 206a RdNr. 27). BGH:
Strafverfolgungsbehörden hätten nicht die Aufgabe, Straftaten zu provozieren, sondern zu verhüten (RdNr. 20). Die rechtswidrige Tatprovokation durch Strafverfolgungsbehörden sei so gewichtig, dass sie ein Verfahrenshindernis zur Folge habe. Es führt zur Verfahrenseinstellung (§§ 206a, 260 Abs. 3 StPO) (RdNr. 54).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.