+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B betreibt ein Recyclingunternehmen. Mitarbeiter M zerkleinert mit einem Bagger auf dem Grundstück des B ein Stück Beton, in das ein von außen nicht sichtbarer Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg eingeschlossen ist. Die Bombe explodiert und richtet Schäden auf dem Nachbargrundstück des K an.
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Einordnung des Falls
Keine verschuldensunabhängige Haftung eines Recyclingunternehmens oder des Grundstückseigentümers bei Detonation einer Weltkriegsbombe
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat gegen B einen Schadensersatzanspruch, wenn B die Sprengstoffexplosion mindestens fahrlässig verursacht hat (§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 308 Abs. 1, Abs. 5 StGB, "Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion").
Ja!
Mögliche Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch ist § 823 Abs. 1 BGB. Voraussetzung ist, dass B vorsätzlich oder fahrlässig ein Rechtsgut des K verletzt hat und dem K dadurch ein Schaden entstanden ist. Der Anspruch könnte sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben, wenn B gegen ein Schutzgesetz verstoßen hat. Ein solches Schutzgesetz ist § 308 Abs. 1, Abs. 5 StGB, der das fahrlässige Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion unter Strafe stellt. Auch hier ist Voraussetzung, dass das Handeln des B als fahrlässig zu bewerten wäre.
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2. B hat fahrlässig gehandelt, weil er vor der Zerkleinerung keine Untersuchung der Betonstücke angeordnet hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fahrlässigkeit (§ 276 Absatz 2 BGB) liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wird.BGH: Es könne nicht jeder abstrakten Gefahr vorgebeugt werden. Angesichts der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von Bomben in zu recycelnden Betonteilen sei auch von einem verständigen Recyclingunternehmer keine generelle Untersuchung aller Teile auf Explosivkörper zu verlangen. Eine solche Untersuchungspflicht sei nur dann erforderlich und zumutbar, wenn der zu verarbeitende Bauschutt bekanntermaßen aus einer Abbruchmaßnahme stammt, bei der mit dem Vorhandensein von Blindgängern gerechnet werden muss (RdNr. 17-19).
3. K hat gegen B einen Schadensersatzanspruch aus § 831 BGB.
Nein, das trifft nicht zu!
Eine Haftung nach § 831 BGB setzt voraus:
(1) Schädiger ist Verrichtungsgehilfe,
(2) unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen (muss nicht schuldhaft erfolgt sein),
(3) in Ausführung der Verrichtung,
(4) keine Exkulpation.
Das Fehlen des Verschuldens kann dazu führen, dass der Geschäftsherr haftet, obwohl sich der Gehilfe korrekt verhalten hat. Der BGH behilft sich damit, den Schutzzweck der Norm zu verneinen, wenn sich der Verrichtungsgehilfe verkehrsrichtig verhalten hat.Mitarbeiter M ist weisungsgebunden und damit Verrichtungsgehilfe. Er hat in Ausführung seiner Arbeit für B das Nachbargrundstück des N beschädigt. Ob B sich exkulpieren kann, kann offen bleiben. BGH: M habe sich verkehrsrichtig verhalten, eine Haftung scheide aus mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm aus (RdNr. 20).
4. K hat gegen B einen Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.
Nein!
Muss ein Grundstückseigentümer eine wesentliche Beeinträchtigung nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB dulden, obwohl er dagegen eigentlich nach § 1004 BGB vorgehen könnte, steht ihm ein Aufopferungsanspruch zu (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB). § 906 Abs. 2 BGB scheidet aber nach seinem Wortlaut aus, wenn der Eigentümer die Beeinträchtigung nicht nach § 906 Abs. 2 S. 1 dulden muss, ein Vorgehen nach § 1004 BGB aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.Hier muss K die Schäden durch die Explosion nicht nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB dulden. Er kann sie aber nicht nach § 1004 BGB verhindern. In solchen Fällen wendet die Rechtsprechung § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog an.
5. K steht gegen B ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zu, wenn das Risiko der Explosion eines Blindgängers in der Grundstücksnutzung durch B angelegt ist.
Genau, so ist das!
Ein Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog setzt voraus:
(1) rechtswidrige Einwirkung von einem Grundstück auf ein anderes,
(2) keine Duldungspflicht,
(3) keine Unterbindungsmöglichkeit,
(4) Nachteil.Diese Voraussetzungen liegen hier grundsätzlich vor. Weil sich der Anspruch nur aus einer analogen Anwendung des Gesetzes ergibt, schränkt der BGH jedoch den Anwendungsbereich ein. BGH: Nur wenn eine Explosion in der Nutzung des Grundstücks angelegt sei - etwa dann, wenn Bauschutt verarbeitet wird, der in Verdacht steht, Blindgänger zu enthalten - führe eine analoge Anwendung zu einer sachgerechten Verantwortungszuweisung (RdNr. 34ff.).
6. Die Explosion eines Blindgängers ist ein typisches Risiko der Nutzung eines Grundstücks durch ein Recyclingunternehmen, das "normalen" Bauschutt verarbeitet.
Nein, das trifft nicht zu!
Der Eigentümer steht dem verwirklichten Risiko nicht näher als seine Nachbarn, wenn die Explosion eines Blindgängers nicht in der Grundstücksnutzung angelegt ist. BGH: Wenn kein Verdacht auf Blindgänger im Bauschutt bestehe, sei eine Explosion nicht in der Nutzung des Grundstücks angelegt. Die Explosion einer Weltkriegsbombe treffe alle Beteiligten gleichermaßen zufällig und schicksalhaft. Es sei daher nicht sachgerecht, dem Eigentümer ohne Rücksicht auf sein Verschulden ein als Spätfolge des Zweiten Weltkriegs gesamtgesellschaftliches Risiko anzulasten. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch des K gegen B bestehe daher nicht (RdNr. 38f.).