Beweislast / Eigentumsvermutung (§ 1362 BGB) bei Ehegatten


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eheleute S und D leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Zum Geburtstag schenkt S dem D ein Gemälde seines Lieblingskünstlers, das D im Wohnzimmer aufhängt. G, der eine titulierte Forderung gegen S hat, lässt das Gemälde pfänden. D will sich dagegen wehren.

Einordnung des Falls

Beweislast / Eigentumsvermutung (§ 1362 BGB) bei Ehegatten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D kann gegen die Pfändung mit der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) vorgehen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Vollstreckungserinnerung ist statthaft (§ 766 Abs. 1 S. 1 ZPO), wenn der Erinnerungsführer gegen Vollstreckungsmaßnahmen mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts vorgeht. Wird eine Sache gepfändet, an der ein Dritter (Mit-)Gewahrsam hat - so wie hier das Gemälde, an dem S und D Gewahrsam haben -, gilt grundsätzlich, dass der Dritte der Pfändung zustimmen muss (§ 809 ZPO). § 739 Abs. 1 ZPO stellt für Ehegatten aber eine unwiderlegliche Vermutung auf, hier: dass allein S Gewahrsamsinhaber des Gemäldes ist. Es liegt kein Verstoß gegen die formelle Vorschrift des § 809 ZPO vor. Materiell-rechtliche Fragen wie die des Eigentums prüft der Gerichtsvollzieher nicht.

2. Eine Drittwiderspruchsklage des D (§ 771 ZPO) gegen G ist zulässig.

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Ja!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist statthaft, wenn der Kläger als Dritter ein die Veräußerung hinderndes Recht (Interventionsrecht) geltend macht (§ 771 Abs. 1 ZPO). Das Eigentum des D stellt ein solches Interventionsrecht dar. Im Rahmen der Zulässigkeit muss D sein Eigentum nur behaupten. Ob ihm das Interventionsrecht tatsächlich zusteht und er dieses gegen die Pfändung vorbringen kann, prüfst Du erst in der Begründetheit.

3. Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist begründet, wenn D Eigentümer des Gemäldes ist.

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Genau, so ist das!

Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist begründet, wenn (1) dem Kläger ein Interventionsrecht tatsächlich zusteht und (2) der Beklagte keine Einwendungen hat. S hat ihm das Eigentum am Gemälde übertragen, sodass D Eigentümer des Gemäldes ist. Weil S und D im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben, haben die beiden kein Gesamtgut, das für Forderungen gegen nur einen Ehegatten haftet (vgl. §§ 1437, 1459 BGB). Stattdessen haftet S für Verbindlichkeiten nur mit ihrem Vermögen. D muss hingegen nicht mit seinem Vermögen für Verbindlichkeiten der S haften - G kann dementsprechend also keinen Missbrauchseinwand (§ 242 BGB) geltend machen.

4. D muss im Prozess beweisen, dass er Eigentümer des Bildes ist.

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Ja, in der Tat!

Wer im Prozess eine für ihn günstige Tatsache behauptet, trägt für diese nach allgemeinen Regeln die Beweislast. Dem Eigentümer, der gleichzeitig Besitzer der Sache ist, hilft dabei grundsätzlich die Eigentumsvermutung für Besitzer (§ 1006 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei zusammenlebenden Ehegatten wird § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB aber von § 1362 Abs. 1 BGB verdrängt. D muss im Prozess also trotz seines Besitzes an dem Gemälde den Vollbeweis seines Eigentums erbringen.

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BBE

bibu knows best

21.8.2022, 08:39:50

Ich verstehe nicht warum im vorherigen Fall die Erinnerung unstatthaft war und hier schon ? Auch hier hat doch der Gläubiger keinen Titel gegen beide Eheleute erwirkt ? Hab ich was wichtiges übersehen ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.9.2022, 12:05:56

Hallo bibu knows best, grundsätzlich müssen eigentumsrechtliche Fragen im Wege der Drittwiderspruchsklage geklärt werden, weswegen die Erinnerung unstatthaft ist. Anders ist dies nur dann, wenn die Eigentumslage evident ist (sehr selten) oder die Eheleute im Güterstand der Gütergemeinschaft leben. In diesem Güterstand sind die Eheleute gemeinsam Eigentümer am Gesamtgut. Hier ist nach § 740 Abs. 2 ZPO ein Titel gegen beide Partner notwendig. Fehlt es daran, ist die Erinnerung statthaft. Beim Güterstand der Zugewinngemeinschaft bleiben die Vermögen der Partner dagegen zunächst getrennt. Hier unterscheidet sich die Rechtslage zunächst also nicht von der Vollstreckung gegen den WG-Mitbewohner. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

10.9.2023, 18:42:37

Sprich, über die Fiktion in § 739 kommt man als Drittwiderspruchskläger nicht hinweg, über die Vermutung in § 1362 im Zweifel schon? Und orientiert sich die Beweislast von D dann an der Widerlegung der Vermutung des § 1362 oder an den Eigentumsverhältnissen generell? Ist es denn systematisch so, dass widerlegliche Vermutungen grundsätzlich von demjenigen zu beweisen sind, für den die Widerlegung positiv wäre?


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