Unmittelbarkeitszusammenhang - Schlag mit geladener Pistole

19. Februar 2025

14 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T schlägt O – ohne Tötungsvorsatz – mit einer geladenen Pistole auf den Kopf, sodass sich ein blauer Fleck bildet. Unbeabsichtigt löst sich ein Schuss. O verstirbt an dieser Schussverletzung.

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Einordnung des Falls

Unmittelbarkeitszusammenhang - Schlag mit geladener Pistole

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht haben. Setzt der Tatbestand von § 227 Abs. 1 StGB zunächst eine vorsätzliche Körperverletzung voraus?

Ja!

§ 227 Abs. 1 StGB setzt zunächst als Grunddelikt eine vorsätzliche Körperverletzung (§§ 223-226a StGB) voraus. Dazu kommt als weitere Voraussetzung die Todesverursachung des Opfers durch die Körperverletzung. Weil das qualifizierende (= strafschärfende) Merkmal der Tod des Verletzten ist, also ein besonderer Erfolg, spricht man von einem erfolgsqualifizierten Delikt. Es reicht aus, dass die schwere Folge fahrlässig verursacht wird (§ 18 StGB).
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2. Kann man Ts Schlag mit der Pistole wegdenken, ohne dass Os Tod in der konkreten Gestalt entfällt?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 227 StGB setzt weiterhin voraus, dass der Tod des Opfers durch die Körperverletzung eingetreten sein muss. Dies setzt zunächst voraus, dass die Körperverletzung kausal für den Tod war. Kausal im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte T den O nicht mit der Pistole geschlagen, hätte sich der Schuss nicht gelöst, der O getötet hat. Ts Schlag ist kausal für Os Tod.

3. § 227 Abs. 1 StGB setzt zudem voraus, dass der Tod des Opfers gerade auf dem spezifischen Unrecht der Körperverletzung beruht (= spezifischer Gefahrzusammenhang). „spezifischen Gefahrzusammenhang“ voraus: Der Tod des Opfers muss also auf dem spezifischen Unrecht der Körperverletzung beruhen.

Ja!

Aufgrund der Verknüpfung zweier Unrechtselemente (Körperverletzung und schwerer Folge, hier: Todesfolge) ist der Unrechtsgehalt bei Erfolgsqualifikationen wie § 227 Abs. 1 StGB erhöht. Dementsprechend fällt auch das angedrohte Strafmaß höher aus. Die erhöhte Strafandrohung führt wiederum dazu, dass man den Tatbestand von § 227 Abs. 1 StGB eng (= restriktiv) auslegen muss. Die (hohe) Strafe muss zu ihrem Anlass (= der Tat) in einem angemessenen Verhältnis stehen. Der Tatbestand des § 227 Abs. 1 StGB wird dadurch begrenzt, dass es einer engen Verknüpfung des Unrecht des Grunddelikts mit dem Unrecht der Herbeiführung der schweren Folge bedarf. Diese tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang liegt vor, wenn sich die spezifische Gefahr des Grunddelikts in dem Erfolg verwirklicht hat. Die Körperverletzung muss unmittelbar zum Tode führen. Kausalität allein reicht nicht.

4. Der vorsätzlich herbeigeführten Körperverletzungserfolg (blauer Fleck am Hinterkopf) führte zum Tod des O.

Nein, das ist nicht der Fall!

In der schweren Folge muss sich genau die spezifische Gefahr des Grunddelikts verwirklichen (tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang). Nach der Letalitätslehre ist der Anknüpfungspunkt der Erfolg des Grunddelikts. Für § 227 StGB heißt das, der Tod müsste unmittelbar auf dem Körperverletzungserfolg beruhen. Der vorsätzlich herbeigeführte Körperverletzungserfolg ist die Kopfverletzung des O durch den Schlag mit der Pistole. O stirbt allerdings nicht an dieser Verletzung, sondern an der durch den Schlag ausgelösten Schussverletzung. Es kommt vielmehr durch die Körperverletzungshandlung zum Tod des O. Nach der Letalitätslehre fehlt daher der Gefahrzusammenhang. Die Letalitätslehre wird als generelle Lehre für die Erfolgsqualifikationen abgelehnt. In Bezug auf § 227 StGB ist sie jedoch herrschende Meinung in der Literatur.

5. Die Rechtsprechung bejaht den tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang bereits dann, wenn der Tod aus der spezifischen Gefahr der Körperverletzungshandlung resultiert.

Ja, in der Tat!

Im Todeserfolg muss sich die spezifische Lebensgefahr der Körperverletzung verwirklichen. Nach der Rechtsprechung soll eine mit der Ausführung der vorsätzlichen Handlung verbundene Lebensgefahr für die Zurechnung des Todes im Rahmen von § 227 StGB ausreichen. Anknüpfungspunkt für den tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang kann nach der Rspr. auch die Körperverletzungshandlung sein, soweit bereits ihr das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Bei einem Schlag mit einer ungesicherten, geladenen Pistole kann sich sehr leicht ein Schuss lösen, der schwere Verletzungen, wie bei O eingetreten, hervorruft. Der spezifische Gefahrzusammenhang liegt daher vor. Die beiden Ansichten kommen hier zu verschiedenen Ergebnissen, sodass Du einen Streitentscheid führen müsstest. Folgst Du der Lit., ist die Prüfung von § 227 Abs. 1 StGB hier zu Ende. Wir prüfen mit der Rspr. weiter!

6. T handelte im Hinblick auf die schwere Folge zumindest fahrlässig (§ 18 StGB).

Ja!

Bei Erfolgsqualifikationen muss der Täter mindestens fahrlässig in Bezug auf die schwere Folge gehandelt haben (§ 18 StGB). Os Tod müsste auf einer objektiven und subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung des T beruhen und der Erfolg müsste objektiv und subjektiv vorhersehbar gewesen sein. Für Letzteres reicht es aus, dass der Erfolg nicht außerhalb aller Lebenserfahrung liegt. Die Sorgfaltspflichtverletzung liegt regelmäßig in der Begehung des Grunddelikts: Bei einem Schlag mit einer ungesicherten Pistole auf den Hinterkopf ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Schuss löst und dadurch eine schwere Verletzung eintritt. Der Todeserfolg war objektiv und für den T auch subjektiv vorhersehbar. Ebenfalls verwirklicht ist auch die fahrlässige Tötung nach § 222 StGB, die aber auf Konkurrenzebene hinter der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge zurücktritt (Spezialität).

7. Indem T den O mit der Pistole schlägt, fügt T dem O eine einfache Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zu.

Genau, so ist das!

Unter die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) fallen die körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) und die Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB). Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands. Durch den Schlag auf den Kopf hat T den O übel und unangemessen behandelt. Der folgende blaue Fleck ist ein pathologischer Zustand. Diesbezüglich handelte T auch vorsätzlich. Der Tatbestand von § 233 Abs. 1 StGB ist erfüllt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FI

Finalda

2.10.2023, 16:58:02

Wird die Unterscheidung beim

Unmittelbarkeitszusammenhang

zwischen Körperverletzungserfolg und -handlung nur bei § 227 vorgenommen? Bedeutet das, dass beim

Unmittelbarkeitszusammenhang

im Rahmen des § 226 auch an Erfolg und Handlung angeknüpft wird oder nur an den Erfolg? Ist quasi die Anknüpfung an Erfolg und Handlung im

Unmittelbarkeitszusammenhang

der Grundsatz und nur im Rahmen des § 227 wollen manche davon abweichen oder ist der allgemeine Grundsatz, dass nur auf den Erfolg geschaut wird und im Rahmen des § 227 die Rechtsprechung hier eine Ausnahme mit der Anknüpfung an Erfolg und Handlung vornimmt?

LELEE

Leo Lee

8.10.2023, 10:52:23

Hallo Finalda, in der Tat wird nur bei

§ 227 StGB

eine Unterscheidung (die sogleich im Streitstand mündet) vorgenommen. Dies ist der

Tatsache

ge

schuld

et, dass

§ 227 StGB

schlicht auf die „Körperverletzung“ i.S.d. §§ 223 bis 226a StGB verweist. Allerdings beinhalten §§ 223 bis

226 StGB

auch den § 223 II StGB, also die Versuchsvariante (wo es eben nur eine Handlung, jedoch keinen Erfolg gibt). D.h. diese Unterscheidung gibt es nur dann, wenn kein Erfolg vorliegt, sondern nur eine Handlung; also nur im Fall des erfolgsqualifizierten Versuchs i.R.d.

§ 227 StGB

. Bei

§ 226 StGB

bedeutet dies also, dass wenn der schwere Erfolg eingetreten ist, die Unterscheidung irrelevant ist. Liegt hingegen nur eine

versuchte schwere Körperverletzung

vor (§ 226 ist ein Verbrechen und ist somit immer strafbar!), so ist wiederum dieser Streit zu führen. Beachte i.Ü. noch, dass diese Streitigkeit bei anderen Qualifikationstatbeständen keine Rolle spielt. Bei § 251 StGB etwa ist eindeutig, dass nicht durch die

Wegnahme

bei Raub, sondern gerade durch die qualifizierte Handlung (Gewalt) die Todesfolge herbeigeführt werden muss (ansonsten hätte der Gesetzgeber auch den Diebstahl mit Todesfolge normiert). Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB 67. Auflage, § 227 Rn. 3a ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

EM

Emil

8.7.2024, 13:52:26

Handelt es sich bei dem Schlag mit einer Pistole nicht neben der einfachen Körperverletzung auch um eine gefährliche Körperverletzung? Dann würde man doch Nr.2 und dann auch Nr.5 aufgrund einer abstrakten Gefahrenlage bejahen. Wie würde man die gefährliche Körperverletzung als Qualifikation des § 223 dann in das Schema des § 227 integrieren?

JUDI

judith

8.7.2024, 20:18:52

Das Konkurrenzverhältnis von

§ 227 StGB

zu §

224 StGB

ist umstritten. Nach einer Ansicht verdrängt

§ 227 StGB

den §

224 StGB

, nach der Gegenansicht stehen §§ 224 und

227 StGB

grundsätzlich in

Tateinheit

. Die Rechtsprechung nimmt jedenfalls mit Bezug auf § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB (gemeinschaftliche Begehung) eine

Konsumtion

durch

§ 227 StGB

an, wenn die Gefahr für das Leben des Opfers gerade durch das gemeinschaftliche Zusammenwirken verursacht wurde14. Erst Recht ist eine

Konsumtion

des § 224 Abs. 1 Nr. 5 (das Leben gefährdende Behandlung) durch

§ 227 StGB

anzunehmen.

JO

jomolino

11.10.2024, 16:50:38

Wie genau beachte ich das allerdings in der Prüfung? Beziehe ich mich dennoch auf das qualifizierte Grunddelikt wenn ich dann den

§227

prüfe? Die

Konsumtion

bespreche ich ja nur im Rahmen der Konkurrenzen. ?

TI

Tinki

10.12.2024, 14:57:41

würde mich auch interessieren!

G0d0fMischief

G0d0fMischief

29.11.2024, 10:21:06

Wie ist das Verhältnis der Körperverletzung mit Todesfolge (und dem

Raub mit Todesfolge

) zu den Tötungsdelikten? Eine Körperverletzung mit Todesfolge verwirklicht sich doch „automatisch“ durch Verwirklichung eines Tötungsdelikts. Ist diese dann in unproblematischen Fällen in einem Satz zu bejahen und tritt dann ggfs. auf Konkurrenzebene im Wege materieller Subsidiarität zurück?

AME

Amelie7

2.12.2024, 19:00:07

Soweit ich weiß bleiben nur bei der fahrlässigen Tötung die erfolgsqualifizierten Delikte aus Klarstellungsgründen daneben stehen, oder?

MAG

Magnum

10.12.2024, 10:55:43

Hallo liebes Jurafuchs-Team, ich fände es sehr schön, wenn hier auch die Gegenmeinung (dass der Tod an den KV-Erfolg anknüpfen muss) angebracht würde sowie die verschiedenen Argumente zur sprache kämen. In einer Klausur würde das von uns ja vermutlich auch erwartet werden. Liebe Grüße!

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

18.12.2024, 17:47:48

Hallo Magnum, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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Bei der Gubener Hetzjagd-Fall setzt der BGH seine Rechtsprechung zu der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) fort, die er bereits durch den Pistolenschlag-Fall (BGHSt 14, 110) und den Rötzel-Fall (NJW 1971, 152) begründet hat. Dabei stellt er einerseits klar, dass ein erfolgsqualifizierter Versuch auch dann angenommen werden kann, wenn das Grunddelikt (hier die Körperverletzung nach § 223 StGB) lediglich versucht wurde. Andererseits präzisiert er seine Rechtsprechung zur Frage des Unmittelbarkeitszusammenhangs. Im Rötzel-Fall hatte er noch ausgeführt, dass der für die Erfolgsqualifikation notwendige Unmittelbarkeitszusammenhang fehle, wenn der Tod des Opfers durch sein eigenes (Flucht-) Verhalten herbeigeführt wird. Nunmehr stellte er klar, dass der Unmittelbarkeitszusammenhang aber jedenfalls dann nicht ausgeschlossen sei, wenn die Panikreaktion des Opfers, die zu seiner Selbstverletzung führt, geradezu deliktstypisch sei.

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