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Klassisches Klausurproblem

T schlägt O – ohne Tötungsvorsatz – mit einer geladenen Pistole auf den Kopf, sodass sich ein blauer Fleck bildet. Unbeabsichtigt löst sich ein Schuss. O verstirbt an dieser Schussverletzung.

Einordnung des Falls

Unmittelbarkeitszusammenhang - Schlag mit geladener Pistole

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Tatbestandverwirklichung der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) setzt zunächst eine vorsätzliche Körperverletzung voraus.

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Ja!

§ 227 Abs. 1 StGB setzt als Grunddelikt eine vorsätzliche Körperverletzung (§§ 223-226a StGB) voraus. Dazu kommt als weitere Voraussetzung die Todesverursachung des Opfers durch die Körperverletzung. Weil das qualifizierende (= strafschärfende) Merkmal der Tod des Verletzten ist, also ein besonderer Erfolg, spricht man von einem erfolgsqualifizierten Delikt. Es reicht aus, dass die schwere Folge fahrlässig verursacht wird (§ 18 StGB).

2. Indem T den O mit der Pistole schlägt, fügt T dem O eine einfache Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zu.

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Genau, so ist das!

Unter die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) fallen die körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) und die Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB). Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Durch den Schlag auf den Kopf kommt es zumindest zu einer üblen und unangemessenen Behandlung des O. Diesbezüglich handelte T auch vorsätzlich.

3. Die Körperverletzung ist für den Tod des O kausal.

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Ja, in der Tat!

Als weitere Voraussetzung muss die Todesverursachung des Opfers durch die Körperverletzung eingetreten sein. Kausal im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte T den O nicht mit der Pistole geschlagen, hätte sich kein Schuss gelöst, der O getötet hätte.

4. § 227 Abs. 1 StGB setzt auch den "grunddeliktischen Gefahrzusammenhang" voraus: Der Tod des Opfers muss also auf dem spezifischen Unrecht der Körperverletzung beruhen.

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Ja!

Aufgrund der Verknüpfung zweier Unrechtselemente (Körperverletzung und schwerer Folge (hier: Todesfolge)) ist der Unrechtsgehalt bei Erfolgsqualifikationen wie § 227 Abs. 1 StGB höher und damit einhergehend auch das angedrohte Strafmaß. Die hohen Strafandrohungen führen dazu, die Tatbestände eng ("restriktiv") auszulegen, denn die Strafe muss zu ihrem Anlass, der Tat, in einem angemessenen Verhältnis stehen. Es bedarf einer wirklich engen Verknüpfung des grunddeliktischen Unrechts mit dem Unrecht der Herbeiführung der schweren Folge (tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang).

5. Durch den vorsätzlich herbeigeführten Körperverletzungserfolg (blauer Fleck am Hinterkopf) kommt es zum Tod des O.

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Nein, das ist nicht der Fall!

In der schweren Folge muss sich genau die spezifische Gefahr verwirklichen, die mit dem Grunddelikt verbunden ist (tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang). Der vorsätzlich herbeigeführte Körperverletzungserfolg ist die Kopfverletzung des O durch den Schlag mit der Pistole. O stirbt allerdings nicht wegen dieser Verletzung, sondern durch die mit dem Schlag verbundene Schussverletzung. Es kommt viel mehr durch die Körperverletzungshandlung zum Tod des O.

6. Die Rspr. bejaht den grunddeliktischen Gefahrzusammenhang bereits dann, wenn der Tod aus der spezifischen Gefahr der Körperverletzungshandlung resultiert.

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Ja, in der Tat!

Im Todeserfolg muss sich die spezifische Lebensgefahr der grunddeliktischen Körperverletzung verwirklichen. Dieser Zusammenhang wird auch dahingehend formuliert, dass die Körperverletzung unmittelbar zum Tode führen muss. Nach der Rechtsprechung soll eine mit der Ausführung der vorsätzlichen Handlung verbundene Lebensgefahr für die Zurechnung des Todes im Rahmen von § 227 StGB ausreichen. Anknüpfungspunkt kann also auch die Körperverletzungshandlung sein, soweit bereits ihr das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Bei einem Schlag mit einer ungesicherten Pistole kann sich sehr leicht ein Schuss lösen, der schwere Verletzungen, wie die hier eingetretene hervorruft. Der spezifische Gefahrzusammenhang liegt daher vor.

7. Es liegt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges vor.

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Ja!

Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung liegt regelmäßig in der Begehung des Grunddelikts. Bei einem Schlag mit einer ungesicherten Pistole auf den Hinterkopf ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Schuss löst und dadurch eine schwere Verletzung eintritt. Der Todeserfolg war objektiv vorhersehbar.

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FI

Finalda

2.10.2023, 16:58:02

Wird die Unterscheidung beim Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Körperverletzungserfolg und -handlung nur bei § 227 vorgenommen? Bedeutet das, dass beim Unmittelbarkeitszusammenhang im Rahmen des § 226 auch an Erfolg und Handlung angeknüpft wird oder nur an den Erfolg? Ist quasi die Anknüpfung an Erfolg und Handlung im Unmittelbarkeitszusammenhang der Grundsatz und nur im Rahmen des § 227 wollen manche davon abweichen oder ist der allgemeine Grundsatz, dass nur auf den Erfolg geschaut wird und im Rahmen des § 227 die Rechtsprechung hier eine Ausnahme mit der Anknüpfung an Erfolg und Handlung vornimmt?

LL

Leo Lee

8.10.2023, 10:52:23

Hallo Finalda, in der Tat wird nur bei § 227 StGB eine Unterscheidung (die sogleich im Streitstand mündet) vorgenommen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass § 227 StGB schlicht auf die „Körperverletzung“ i.S.d. §§ 223 bis 226a StGB verweist. Allerdings beinhalten §§ 223 bis 226 StGB auch den § 223 II StGB, also die Versuchsvariante (wo es eben nur eine Handlung, jedoch keinen Erfolg gibt). D.h. diese Unterscheidung gibt es nur dann, wenn kein Erfolg vorliegt, sondern nur eine Handlung; also nur im Fall des erfolgsqualifizierten Versuchs i.R.d. § 227 StGB. Bei § 226 StGB bedeutet dies also, dass wenn der schwere Erfolg eingetreten ist, die Unterscheidung irrelevant ist. Liegt hingegen nur eine versuchte schwere Körperverletzung vor (§ 226 ist ein Verbrechen und ist somit immer strafbar!), so ist wiederum dieser Streit zu führen. Beachte i.Ü. noch, dass diese Streitigkeit bei anderen Qualifikationstatbeständen keine Rolle spielt. Bei § 251 StGB etwa ist eindeutig, dass nicht durch die Wegnahme bei Raub, sondern gerade durch die qualifizierte Handlung (Gewalt) die Todesfolge herbeigeführt werden muss (ansonsten hätte der Gesetzgeber auch den Diebstahl mit Todesfolge normiert). Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB 67. Auflage, § 227 Rn. 3a ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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