Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung), die der Meinungsbildung dient

kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung), die der Meinungsbildung dient

14. Juli 2025

9 Kommentare

4,8(23.458 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der schwäbische Lebensmittelhändler L wirbt mit dem Slogan "(Schwäbischer) Geiz ist geil!". Durch die Werbekampagne erhofft sich B sowohl mehr Aufmerksamkeit als auch mehr Umsatz. Der Kontrolleur der Werbeaufsicht W hält den Slogan für wettbewerbswidrig.

Diesen Fall lösen 84,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung), die der Meinungsbildung dient

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Werbeslogan "(Schwäbischer) Geiz ist geil" stellt eine Meinungskundgabe im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG dar.

Genau, so ist das!

Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG setzt eine Meinungsäußerung voraus. Eine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst das Werturteil. Unter einem Werturteil versteht man alle Äußerungen, die durch ein subjektives Element der Stellungnahme oder des Dafürhaltens gekennzeichnet sind, ohne dass es auf die Qualität oder Richtigkeit der Äußerung ankommt. Die Werbeaussage nimmt positiv zum Geiz als gesellschaftliche Haltung Stellung und bewertet diesen. Mithin liegt ein Werturteil vor.
Grundrechte-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Grundrechte-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Nach einer Ansicht ist Wirtschaftswerbung vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) generell ausgeschlossen.

Ja, in der Tat!

Teile der Literatur zweifeln, ob für Wirtschaftswerbung der Schutzbereich eröffnet ist. So sei die Wirtschaftswerbung primär auf Absatzsteigerung gerichtet. Die Bewertung der Qualität eines Produktes sei nicht ausschlaggebend. Demnach entfalte die Meinungsfreiheit in diesen Fällen nicht ihre für die geistig-politische Auseinandersetzung unabdingbare Funktion. Die Meinungsfreiheit sei historisch betrachtet als politisches Grundrecht erkämpft worden, was rein ökonomische Werbeaussagen nicht erfasst. Letztlich solle Werbung als wirtschaftliche Betätigung nicht den erweiterten Grundrechtsschutz aus Art. 5 GG genießen, sondern an Art. 12 GG gemessen werden. Bei einem solchen Problem musst Du argumentieren.

3. Nach einer anderen Meinung ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) auch für kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung) eröffnet.

Ja!

Die Gegenansicht in der Literatur wendet ein, dass das BVerfG die Zweckfreiheit der Meinungsäußerung betont habe. Das Motiv der Meinungsäußerung sei daher irrelevant. Dazu stünde es in Widerspruch, wenn man Wirtschaftswerbung den Schutzbereich aus Art. 5 GG versagte. Zudem wird eingewendet, dass sich regelmäßig in Werbung wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Aussagen vermischen. Eine trennscharfe Abgrenzung sei deshalb unmöglich. Auch reine Wirtschaftswerbung genieße demnach den Schutz aus Art. 5 GG. Als weiteres Argument wird auf die Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK als „freedom of commercial speech“ Bezug genommen.

4. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist für Wirtschaftswerbung der Schutzbereich eröffnet, wenn sie wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat.

Genau, so ist das!

Die Rechtsprechung des BVerfG zur Wirtschaftswerbung ist bislang uneinheitlich. Die ältere Rechtsprechung maß wirtschaftliche Werbeaussagen nur an Art. 12 GG, neuere Entscheidungen beziehen auch Art. 5 GG mit ein. Das BVerfG stellte zuletzt wiederholt fest, dass die Wirtschaftswerbung den Schutz aus Art. 5 GG genießt, wenn sie "wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen" (BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 1 BvR 3362/14 u.a. - Werbetassen). Das BVerfG hat damit einen sachgerechten Mittelweg eingeschlagen, der in der Literatur überwiegend auf Zustimmung stößt.

5. Für die Wirtschaftswerbung mit dem Slogan "Geiz ist Geil" ist nach Ansicht des BVerfG der Schutzbereich der Meinungsfreiheit verschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem BVerfG und der hM ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet, wenn die Wirtschaftswerbung "wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen". Neben der verfolgten Absatzsteigerung und Gewinnerzielung forciert die Werbeaussage Geiz als etwas Positives und wirkt dadurch meinungsbildend. Hinzu kommt, dass den Schwaben - je nach Blickwinkel - Sparsamkeit bzw. Geiz nachgesagt wird, was die Werbeaussage erkennbar bewertet. Vorliegend müsste noch die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) geprüft werden.
Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAT

Matschegenga

11.12.2021, 16:42:48

Das vom BVerfG angelegte Erfordernis des "meinungsbildenden Inhalts" oder der "Angaben, die der Meinungsbildung dienen", erscheint mir redundant. Wenn beides nicht gegeben ist, dürfte wohl ohnehin keine Meinung vorliegen, ob

Wirtschaftswerbung

oder nicht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.12.2021, 10:50:21

Hallo Matschegenga, zugegebenermaßen wird die Abgrenzung, welche Werbung noch dem Schutzbereich unterfällt, durch diese Kriterien nicht wirklich vereinfacht. Insgesamt kann man sich aber grundsätzlich darauf besinnen, dass das das BVerfG recht großzügig mit der Eröffnung des Schutzbereiches im Bereich der Werbung ist (vgl. Benetton-Schockwerbung: BVerfG NJW 2001, 591). Eine Ausnahme hiervon hat es in jüngerer Zeit nur im Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht von Tabakherstellern auf Zigarettenpackungen gemacht (vgl. BVerfGE 95, 173). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

19.1.2025, 21:27:42

Im Klausurhinweis heißt es, dass auch noch die Pressefreiheit zu prüfen sei. Wie genau geworben wird, geht aus dem Sachverhaltstext nicht hervor. Aus der Grafik lässt sich allein eine Plaktwerbung entnehmen. Fällt das Werben mittels Plakaten schon in den Schutzbereich der Pressefreiheit?

Lota Coffee

Lota Coffee

15.4.2025, 14:31:19

Das würde mich bei kommerzieller Werbung wundern. Presse hat doch eigentlich eine berichterstattende und informative Funktion und wird u.a. zu Public Relations (PR) abgegrenzt.

LES

LessiN

24.4.2025, 13:08:16

push

RTLW

RTLW

10.6.2025, 12:33:21

Jedenfalls fehlt auch die Verlinkung zu Art. 5 GG

dolo agitation

dolo agitation

12.6.2025, 14:27:39

Ich konnte zu Plakatwerbung im Kontext der Pressefreiheit nichts finden. Interessant erscheint aber die bisherige Rechtsprechung aus anderen Kontexten. So schreibt das BVerfG in Rn. 39 folgenden Urteils https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2000/12/rs20001212_1bvr176295.html bezogen auf Werbung in einer Zeitschrift: "Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst den gesamten Inhalt eines Presseorgans, darunter auch Werbeanzeigen (vgl. BVerfGE 21, 271 <278 f.>; 64, 108 <114>). Soweit Meinungsäußerungen Dritter, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen, in einem Presseorgan veröffentlicht werden, schließt die Pressefreiheit diesen Schutz mit ein: Einem Presseorgan darf die Veröffentlichung einer fremden Meinungsäußerung nicht verboten werden, wenn dem Meinungsträger selbst ihre Äußerung und Verbreitung zu gestatten ist. In diesem Umfang kann sich das Presseunternehmen auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit Dritter in einer gerichtlichen Auseinandersetzung berufen.“ Angesichts dessen, dass es sich bei einem Plakat um ein reines Werbeprodukt handelt, liegt es für mich vorliegend fern die Pressefreiheit als betroffen anzusehen.

Nadim Sarfraz

Nadim Sarfraz

20.6.2025, 17:09:18

Lieber @[QuiGonTim](133054), hallo @[

dolo agit

ation](299940), vielen Dank für die Diskussion. Das Bundesverfassungsgericht stellte in der „Südkurier-Entscheidung“ (1967) jedenfalls lar, dass die Pressefreiheit auch den Anzeigenteil eines Publikationsmedium umfasst, da Anzeigen ebenfalls Informationen und Meinungen enthalten (können), die zur Kommunikationsaufgabe der Presse gehören und wirtschaftliche, kulturelle und politische Gegebenheiten widerspiegeln. In einem späteren Urteil (1983, "Chiffreanzeigen-Fall") wurde dies bekräftigt: Der Anzeigenteil sei nicht nur für die Information der Leser bedeutsam, sondern auch für die wirtschaftliche Grundlage und damit die Unabhängigkeit der Presse wesentlich. Vor diesem Hintergrund würde ich es auch als fernliegend bewerten, den Schutzbereich der Pressefreiheit bei Plakatwerbung zu bejahen; in einer Klausur müsste die Pressefreiheit mE dann auch nicht angeprüft werden. Auch wenn der Aufgabentext keine Aussage darüber traf, ob der Schutzbereich dann tatsächlich einschlägig ist, haben wir ihn entsprechend angepasst. Liebe Grüße, Nadim für das Jurafuchs-Team

PAUL1

paul1ne

1.7.2025, 00:01:31

Aus schwäbischer Sicht ist das sicher eher eine

Tatsachen

behauptung, gell?😉


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen