Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung), die der Meinungsbildung dient

kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung), die der Meinungsbildung dient

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der schwäbische Lebensmittelhändler L wirbt mit dem Slogan "(Schwäbischer) Geiz ist geil!". Durch die Werbekampagne erhofft sich B sowohl mehr Aufmerksamkeit als auch mehr Umsatz. Der Kontrolleur der Werbeaufsicht W hält den Slogan für wettbewerbswidrig.

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Einordnung des Falls

kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung), die der Meinungsbildung dient

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Werbeslogan "(Schwäbischer) Geiz ist geil" stellt eine Meinungskundgabe im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG dar.

Genau, so ist das!

Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG setzt eine Meinungsäußerung voraus. Eine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst das Werturteil. Unter einem Werturteil versteht man alle Äußerungen, die durch ein subjektives Element der Stellungnahme oder des Dafürhaltens gekennzeichnet sind, ohne dass es auf die Qualität oder Richtigkeit der Äußerung ankommt. Die Werbeaussage nimmt positiv zum Geiz als gesellschaftliche Haltung Stellung und bewertet diesen. Mithin liegt ein Werturteil vor.
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2. Nach einer Ansicht ist Wirtschaftswerbung vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) generell ausgeschlossen.

Ja, in der Tat!

Teile der Literatur zweifeln, ob für Wirtschaftswerbung der Schutzbereich eröffnet ist. So sei die Wirtschaftswerbung primär auf Absatzsteigerung gerichtet. Die Bewertung der Qualität eines Produktes sei nicht ausschlaggebend. Demnach entfalte die Meinungsfreiheit in diesen Fällen nicht ihre für die geistig-politische Auseinandersetzung unabdingbare Funktion. Die Meinungsfreiheit sei historisch betrachtet als politisches Grundrecht erkämpft worden, was rein ökonomische Werbeaussagen nicht erfasst. Letztlich solle Werbung als wirtschaftliche Betätigung nicht den erweiterten Grundrechtsschutz aus Art. 5 GG genießen, sondern an Art. 12 GG gemessen werden. Bei einem solchen Problem musst Du argumentieren.

3. Nach einer anderen Meinung ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) auch für kommerzielle Werbung (Wirtschaftswerbung) eröffnet.

Ja!

Die Gegenansicht in der Literatur wendet ein, dass das BVerfG die Zweckfreiheit der Meinungsäußerung betont habe. Das Motiv der Meinungsäußerung sei daher irrelevant. Dazu stünde es in Widerspruch, wenn man Wirtschaftswerbung den Schutzbereich aus Art. 5 GG versagte. Zudem wird eingewendet, dass sich regelmäßig in Werbung wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Aussagen vermischen. Eine trennscharfe Abgrenzung sei deshalb unmöglich. Auch reine Wirtschaftswerbung genieße demnach den Schutz aus Art. 5 GG. Als weiteres Argument wird auf die Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK als „freedom of commercial speech“ Bezug genommen.

4. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist für Wirtschaftswerbung der Schutzbereich eröffnet, wenn sie wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat.

Genau, so ist das!

Die Rechtsprechung des BVerfG zur Wirtschaftswerbung ist bislang uneinheitlich. Die ältere Rechtsprechung maß wirtschaftliche Werbeaussagen nur an Art. 12 GG, neuere Entscheidungen beziehen auch Art. 5 GG mit ein. Das BVerfG stellte zuletzt wiederholt fest, dass die Wirtschaftswerbung den Schutz aus Art. 5 GG genießt, wenn sie "wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen" (BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 1 BvR 3362/14 u.a. - Werbetassen). Das BVerfG hat damit einen sachgerechten Mittelweg eingeschlagen, der in der Literatur überwiegend auf Zustimmung stößt.

5. Für die Wirtschaftswerbung mit dem Slogan "Geiz ist Geil" ist nach Ansicht des BVerfG der Schutzbereich der Meinungsfreiheit verschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem BVerfG und der hM ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet, wenn die Wirtschaftswerbung "wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen". Neben der verfolgten Absatzsteigerung und Gewinnerzielung forciert die Werbeaussage Geiz als etwas Positives und wirkt dadurch meinungsbildend. Hinzu kommt, dass den Schwaben - je nach Blickwinkel - Sparsamkeit bzw. Geiz nachgesagt wird, was die Werbeaussage erkennbar bewertet. Vorliegend müsste auch die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2) geprüft werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAT

Matschegenga

11.12.2021, 16:42:48

Das vom BVerfG angelegte Erfordernis des "meinungsbildenden Inhalts" oder der "Angaben, die der Meinungsbildung dienen", erscheint mir redundant. Wenn beides nicht gegeben ist, dürfte wohl ohnehin keine Meinung vorliegen, ob Wirtschaftswerbung oder nicht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.12.2021, 10:50:21

Hallo Matschegenga, zugegebenermaßen wird die Abgrenzung, welche Werbung noch dem Schutzbereich unterfällt, durch diese Kriterien nicht wirklich vereinfacht. Insgesamt kann man sich aber grundsätzlich darauf besinnen, dass das das BVerfG recht großzügig mit der Eröffnung des Schutzbereiches im Bereich der Werbung ist (vgl. Benetton-Schockwerbung: BVerfG NJW 2001, 591). Eine Ausnahme hiervon hat es in jüngerer Zeit nur im Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht von Tabakherstellern auf Zigarettenpackungen gemacht (vgl. BVerfGE 95, 173). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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