Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

Grundfall verächtliche Werturteile: klarer Fall der Schmähkritik

Grundfall verächtliche Werturteile: klarer Fall der Schmähkritik

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Neider N hasst alle Unternehmer. Deshalb fertigt er Plakate an, auf denen er Unternehmerin U als kopulierendes Schwein dargestellt ist. Darüber malt er den Schriftzug „Alle Unternehmer sind dreckige Schweine!“ U meint, solch verunglimpfende Kritik geht zu weit, und erstattet Anzeige.

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Einordnung des Falls

Grundfall verächtliche Werturteile: klarer Fall der Schmähkritik

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Meinungsäußerungen mit beleidigendem Inhalt fallen grundsätzlich aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Schranke im Recht der persönlichen Ehre. Aus einem Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 2 Var. 3 GG ergibt sich daher, dass Meinungsäußerungen nicht bereits aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG herausfallen, wenn sie scharf oder verletzend formuliert werden. Weiterhin spricht auch der für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstitutive Zweck der Meinungsfreiheit dafür, überspitzten, polemischen oder verletzenden Äußerungen nicht generell den grundrechtlichen Schutz zu versagen. Verletzende Meinungsäußerungen und Schmähkritik sind Klausurklassiker. Aufpassen!
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2. Im Fall der Schmähkritik steht die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund.

Nein!

Unter Schmähkritik versteht man Äußerungen, bei denen nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Die Äußerung oder Darstellung dient in diesen Fällen also in erster Linie der Verunglimpfung, Diffamierung und Herabwürdigung des Adressaten. Für die Abgrenzung zwischen überspitztem Werturteil und Schmähkritik sind sämtliche Begleitumstände einzubeziehen.Hast Du eine beleidigende oder herabwürdigende Äußerung in einer Klausur, musst Du in einem ersten Schritt prüfen, ob darin eine Schmähkritik zu erkennen ist, bevor Du in einem zweiten Schritt die Schmähkritik rechtlich einordnest (dazu sogleich). Bitte hier sauber vorgehen. Meistens wird schon keine Schmähkritik vorliegen!

3. Ob auch für eindeutige Fälle der Schmähkritik der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet ist, ist umstritten.

Genau, so ist das!

Auch polemische, geschmacklose oder überspitzte Werturteile unterfallen dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Bei Äußerungen, bei denen keinerlei Bezug zu einer sachlichen oder themenbezogenen Auseinandersetzung zu erkennen ist und allein die Diffamierung im Vordergrund steht (Schmähkritik), ist umstritten, ob der Schutzbereich eröffnet ist. Für die Eröffnung des Schutzbereichs selbst in Fällen der Schmähkritik spricht die herausragende Bedeutung der Meinungsfreiheit sowie die teilweise schwierige Abgrenzung. Auch die Rechtsprechung des BVerfG ist hierzu nicht einheitlich. Rein klausurtaktisch solltest Du eine Schmähkritik nicht bereits auf Ebene des Schutzbereichs ausschließen, sonst schneidest Du Dir weitere Prüfungspunkte ab.

4. Die Darstellung der U und die dazu gesetzte Bezeichnung stellen einen Fall eindeutiger Schmähkritik dar.

Ja, in der Tat!

Unter Schmähkritik versteht man Äußerungen, bei denen nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Gerade die sexualisierte Darstellung der U als koppullierendes Schwein lässt erkennen, dass nicht die sachliche Kritik der U intendiert ist. Auch das verunglimpfende Pauschalurteil hinsichtlich aller Unternehmer untermauert diese Intention. Demnach steht allein die Verunglimpfung und Herabwürdigung der U als Person im Vordergrund. Ns Plakat beinhaltet einen schweren Angriff auf Us Ehre. Hält man selbst im Fall der Schmähkritik - mit überzeugenden Gründen - den Schutzbereich der Meinungsfreiheit für eröffnet, tritt auf Ebene der Rechtfertigung Ns Meinungsfreiheit in diesem Fall eindeutig hinter Us Ehrschutz zurück.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

20.1.2022, 11:02:05

Ich habe im Urteilen bisher immer nur gesehen, dass schmähkritik im Rahmen der VHMK angesprochen wurde und dann eben ohne Abwägung zurücktreten musste (hinter dem

APR

in der Regel). Wie passt das zu der Tatsache dass es nicht im sSchutzbereich ist? Dann würde ich ja gar nicht erst bis zur Abwägung kommen.

VIC

Victor

20.1.2022, 13:58:55

Richtig soweit. Allerdings muss es sich dabei um eindeutige und offensichtliche Schmähkritik handeln. Das wird idR nicht der Fall sein. Schon oft nicht aus klausurtaktischer Sicht. Zudem wird der Schutzbereich nicht zuu eng ausgelegt aufgrund der Bedeutung des Grundrechts. Daher ist im Zweifel der Schutzbereich eröffnet und man kommt nachher zu einer Abwägung

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

20.1.2022, 18:15:10

Hallo nomamo, hallo Viktor, danke für eure Beiträge! Zur Klarstellung: ob im Falle der Schmähkritik der Schutzbereich der Meinungsfreiheit bereits nicht eröffnet ist oder ob die Schmähkritik erst auf Ebene der Rechtfertigung als unzulässig eingestuft wird, ist umstritten. Selbst das Bundesverfassungsgericht handhabt dies nicht einheitlich. Die herausragende Bedeutung der Meinungsfreiheit spricht dafür, dass der Schutzbereich auch in Fällen der Schmähkritik eröffnet ist. Dafür spricht auch die mitunter schwierige Abwägung zwischen Schmähkritik und überspitztem Werturteil. Wir haben die Aufgabe präzisiert. Hoffe das hilft! Beste Grüße – Wendelin für das Jurafuchs-Team


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