Freiwilligkeitsvorbehalt

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

U hat Mitarbeitern fünf Jahre in Folge €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Am schwarzen Brett hat U stets den Hinweis ausgehängt, dass die Gewährung des Weihnachtsgeldes freiwillig und mit der Maßgabe erfolgt, dass auch eine wiederholte Zahlung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet. U unterlässt 2021 die Zahlung.

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Einordnung des Falls

Freiwilligkeitsvorbehalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Arbeitgeber kann durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht.

Ja!

Unter einer betrieblichen Übung versteht man im Arbeitsrecht ein regelmäßig wiederholtes und gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers, aus dem die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will und ihnen die entsprechende Leistung auf Dauer gewährt werde. Erforderlich ist insbesondere ein Verpflichtungswille des Arbeitgebers (§§ 133, 157 BGB).An einem Verpflichtungswillen fehlt es, wenn der Arbeitgeber klar und unmissverständlich kundtut, dass aus der Stetigkeit seines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung nicht entstehen soll. Ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt kann das Entstehen einer betrieblicher Übung also verhindern.
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2. Der Wirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts könnten die §§ 307ff. BGB entgegenstehen.

Genau, so ist das!

Damit eine Inhaltskontrolle nach §§ 307ff. BGB stattfinden kann, muss es sich bei dem Freiwilligkeitsvorbehalt (1) um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs.1 BGB) handeln, die (2) wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen worden ist (nach § 310 Abs. 4 S.2 BGB sind § 305 Abs.2, 3 BGB nicht anwendbar, sodass Einbeziehung durch Willensübereinstimmung der Vertragsparteien). Zudem darf es (3) keine überraschende Klausel sein (§ 305c Abs.1 BGB) und (4) keine vorrangige Individualabrede existieren (§ 305b BGB). Der Freiwilligkeitsvorbehalt, der am schwarzen Brett ausgehangen wurde, soll den Inhalt des Arbeitsvertrages gestalten. Er wurde von U einseitig gestellt und für eine Vielzahl von Arbeitsverträgen vorformuliert. Auch die sonstigen Voraussetzungen liegen vor.

3. Zudem ist hier der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs.3 BGB eröffnet.

Ja, in der Tat!

Die §§ 307 ff. BGB finden zudem nur Anwendung, wenn von Rechtsvorschriften abgewichen oder eine ergänzende Regelung vereinbart wird. Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Abs.3 BGB sind nicht nur Gesetzesbestimmungen, sondern auch allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze. Durch das einseitige Leistungsbestimmungsrecht des U, die Hauptleistungspflicht einzuschränken, wird vom allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ abgewichen. Folglich ist der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs.3 BGB eröffnet.

4. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist hier wegen Verstoßes gegen § 308 Nr.4 BGB unwirksam.

Nein!

Nach § 308 Nr. 4 BGB ist ein Änderungsvorbehalt nur zulässig, sofern die Vereinbarung der Änderung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist, wobei nach § 310 Abs.4 S.2 BGB stets die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Hier scheidet ein Verstoß gegen § 308 Nr.4 BGB aus, da dieser eine „versprochene“ Leistung erfordert. Ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt verhindert allerdings bereits das Entstehen des Anspruchs, sodass es an einer versprochenen Leistung gerade fehlt.

5. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs.1 S.1 BGB unwirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist unwirksam, wenn er eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners darstellt (§ 307 Abs.1 S.1 BGB). Eine solche liegt vor, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt ist grundsätzlich nur dann unangemessen, soweit das laufende Arbeitsentgelt betroffen ist. Da sich der Vorbehalt hier aber bloß auf eine zusätzliche Sondervergütung bezieht, handelt der Arbeitgeber nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er sich vorbehält, diese freiwillig und ohne Zukunftsbindung zu erbringen. Somit liegt keine unangemessene Benachteiligung vor.

6. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist aber wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs.1 S.2 BGB unwirksam, da er nicht klar und verständlich formuliert ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Transparenzgebot nach § 307 Abs.1 S.2 BGB setzt voraus, dass die Klausel klar und verständlich formuliert ist. Bei Freiwilligkeitsvorbehalten muss der Arbeitgeber hinreichend deutlich und klar verständlich machen, dass er sich für die Zukunft nicht binden will. Hier hat U mit dem Freiwilligkeitsvorbehalt in klarer und unmissverständlicher Weise auf die Freiwilligkeit der Zahlung des Weihnachtsgeldes hingewiesen, sodass kein Verstoß gegen § 307 Abs.1 S.2 BGB vorliegt. In der Praxis scheitern Freiwilligkeitsvorbehalte häufig an der unklaren Formulierung.

7. Hat A für das Jahr 2021 einen Anspruch gegen U auf Zahlung des Weihnachtsgeldes gemäß § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen der betrieblichen Übung?

Nein!

Ein Anspruch aus den Grundsätzen betrieblicher Übung besteht nur, wenn ein regelmäßig wiederholtes und gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers vorliegt, aus dem die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will und ihnen die entsprechende Leistung auf Dauer gewährt werde. Eine betriebliche Übung entsteht jedoch dann nicht, wenn ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt vorliegt. Hier ist ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt gegeben, sodass keine betriebliche Übung entstanden ist. A hat keinen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PACSE

Pacta sunt servanda

14.3.2023, 11:58:19

Das klingt so als sei ein Freiwilligkeitsvorbehalt (fast) immer wirksam. Das ist in der Praxis aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil sind dort derartige Vorbehalte oftmals unklar formuliert und daher unwirksam.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

14.3.2023, 13:29:46

Hallo Pacta sunt servanda, danke für das Feedback! Wenn du sagst dass Theorie und Praxis weit auseinanderliegen, dann gilt das leider nicht nur für diesen Bereich... :D Wir haben aber einen Hinweis mit in die Aufgabe aufgenommen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

STE

StellaChiara

1.9.2024, 11:58:14

Das habe ich auch so gelesen. Müsste in dem Freiwilligkeitsvorbehalt, so wie er in der Aufgabe steht, nicht explizit stehen, dass

Individualabrede

n bzgl des Weihnachtsgeldes hiervon ausgenommen sind, damit er wirksam ist?

MAT

Matschegenga

4.3.2024, 08:55:18

So, jetzt bin ich verwirrt: In den vorigen Lektionen hatte ich euch so verstanden, dass die Zusatzleistung eines Arbeitgebers NUR DANN zu einer Änderung des Arbeitsvertrags nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung führt, wenn die Leistung angesichts ihrer Regelmäßigkeit aus Sicht des Arbeitnehmers auf einen konkludent geäußerten Rechtsbindungswillen des Arbeitgebers schließen lässt (Vertragstheorie), bzw. ein schützwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers begründet (Vertrauenstheorie). Die Lösung zum vorliegenden Fall wirft bei mir folgende Fragen auf: Frage 1: Was ist die Rechtsnatur der Zusatzleistung, wenn KEINE betriebliche Übung begründet wird? Eine Schenkung? Eine

Gefälligkeit

? Jedenfalls aber doch kein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrages? Frage 2: Die AGB-Kontrolle setzt voraus, dass der Arbeitgeber überhaupt einen Vertragsschluss anbietet, zu dem er Bedingungen stellt. Somit ist VOR der Prüfung von §§ 307ff. BGB zu fragen, ob der Arbeitgeber konkludent ein Angebot auf Vertragsänderung gemacht hat. Das könnte sich hier aus den Grundsätzen der betrieblichen Übung ergeben. U hat hier aber mit dem „Freiwilligkeitsvorbehalt“ klar und ausdrücklich und im Rahmen seiner Privatautonomie einen Rechtsbindungswillen ausgeschlossen. Gem.

§§ 133, 157 BGB

auf ein Angebot zu schließen, verbietet sich daher. Auch wird angesichts des Ausschlusses kein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründet. Demnach kommt es erst garnicht zur AGB-Kontrolle. Zu einem anderen Ergebnis käme man nur, wenn man jede Zusatzleistung als Vertragsangebot sähe.

Uncle Ruckus

Uncle Ruckus

13.5.2024, 21:38:51

Ich habe es so verstanden dass zwar ein Änderungsvertrag vorgeschlagen wurde samt rechstbindungswillen an den sich der AG auch halten möchte dieser aber im hiesigen Fall unter einem wirksamen Vorbehalt verweilt

Uncle Ruckus

Uncle Ruckus

13.5.2024, 21:44:33

Ach nee! vergesst meinen Kommentar wieder, ich möchte mich enthalten und warte auf eine Antwort der Moderatoren und schaue in der Zwischenzeit in Kommentaren nach!

Paul

Paul

4.7.2024, 11:48:19

Hallo Matschegenga. Ich würde hier auf die in dem vorherigen Kapital angesprochene Gesamtzusage rekurrieren. In einer solche wird eine zusätzliche Leistung in allgemeiner an alle Arbeitnehmer gewährt. Im Weiteren wird auch hier herrschend die Vertragstheorie vertreten, sodass es zu einer Ergänzung des Arbeitsvertrags kommt. Das „Mehr“ bei einer betrieblichen Übung ist mE, dass eine solche auch Ansprüche für die Zukunft begründen kann, ohne dass eine erneute Zusage erfolgen muss. Fehlt es an einer Übung, so müsste für jedes Jahr das Geld neu gewährt werden. In Bezug auf die dogmatischen Bedenken muss mE der Bezugspunkt für den Freiwilligkeitsvorbehalt genau bestimmt werden. Dieser bezieht sich insoweit nicht auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen für dieses Angebot, sondern lediglich auf das Fehlen eines solchen Willens für eine zukünftige Bindung. Somit soll das Entstehen einer betrieblichen Übung durch konkludentes Verhalten verhindert werden. Aus dem Fall ergeben sich weiterführend mMn keine Anhaltspunkte einen Rechtsbindunswillen zu verneinen. Insbesondere soll der Anspruch auf das einmalige Weihnachtsgeld nach dem Willen des Arbeitgebers gerade gewährt werden. Sollte man dies verneinen, so müsste man iE zu einer

Gefälligkeit

gelangen, was mE weder den Parteiinteressen noch dem Umfang und wirtschaftlichen Relevanz gerecht wird. Auch würde dies im Widerspruch zu der sonstigen Dogmatik zu der Gesamtzusage und betrieblichen Übung stehen. Schließlich ist somit auch die AGB Kontrolle eröffnet. Ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen.

STE

StellaChiara

1.9.2024, 11:54:19

Hallo zusammen! Ich bin etwas verwirrt, was den Freiwilligkeitsvorbehalt angeht und habe dazu ein paar Fragen.... 1. Wenn er alleine im Arbeitsvertrag als AGB aufgeführt ist, verstehe ich das Ganze noch. Ich habe gelesen, dass wenn der Vorbehalt zusätzlich im Überweisungsträger oä bei jeder Zahlung erklärt wird, insgesamt gar keine AGB Prüfung mehr gemacht wird, auch nicht bzgl der Klausel im Arbeitsvertrag. Ist das so, und wenn ja wieso nicht? Ich habe in einem anderen Praxishinweis gelesen, dass zusätzlich zum Freiwilligkeitsvorbehalt immer nochmal ein Begleitschreiben oä beigefügt werden soll zur Zahlung, dass das Ganze freiwillig geschieht. Als was sind diese Hinweise zu qualifizieren und muss dann wirklich keine AGB Prüfung mehr durchgeführt werden? 2. Stimmt es, dass in einem Freiwilligkeitsvorbehalt, damit er wirksam ist, ausdrücklich erwähnt werden muss, dass Sonderzuwendungen aus

Individualabrede

n vom Vorbehalt ausgenommen sind? 3. Wenn ich im Sachverhalt einen unwirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt habe und danach noch eine einfache Schriftformklausel, dann muss ich die Schriftformklausel doch gar nicht mehr prüfen, weil diese die betriebliche Übung eh nicht vernichten kann, oder? Bei einem wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt ist die Prüfung einer anschließenden Schriftformklausel eh irrelevant, oder? Und die doppelte Schriftformklausel verhindert die betriebliche Übung auch, wenn der Freiwilligkeitsvorbehalt im AV unwirksam ist? Vielen Dank!


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