Zivilrechtliche Nebengebiete
Arbeitsrecht
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Freiwilligkeitsvorbehalt
Freiwilligkeitsvorbehalt
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
U hat Mitarbeitern fünf Jahre in Folge €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Am schwarzen Brett hat U stets den Hinweis ausgehängt, dass die Gewährung des Weihnachtsgeldes freiwillig und mit der Maßgabe erfolgt, dass auch eine wiederholte Zahlung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet. U unterlässt 2021 die Zahlung.
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Einordnung des Falls
Freiwilligkeitsvorbehalt
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Arbeitgeber kann durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Wirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts könnten die §§ 307ff. BGB entgegenstehen.
Genau, so ist das!
3. Zudem ist hier der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs.3 BGB eröffnet.
Ja, in der Tat!
4. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist hier wegen Verstoßes gegen § 308 Nr.4 BGB unwirksam.
Nein!
5. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs.1 S.1 BGB unwirksam.
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist aber wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs.1 S.2 BGB unwirksam, da er nicht klar und verständlich formuliert ist.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Hat A für das Jahr 2021 einen Anspruch gegen U auf Zahlung des Weihnachtsgeldes gemäß § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen der betrieblichen Übung?
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Pacta sunt servanda
14.3.2023, 11:58:19
Das klingt so als sei ein
Freiwilligkeitsvorbehalt(fast) immer wirksam. Das ist in der Praxis aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil sind dort derartige Vorbehalte oftmals unklar formuliert und daher unwirksam.
Nora Mommsen
14.3.2023, 13:29:46
Hallo Pacta sunt servanda, danke für das Feedback! Wenn du sagst dass Theorie und Praxis weit auseinanderliegen, dann gilt das leider nicht nur für diesen Bereich... :D Wir haben aber einen Hinweis mit in die Aufgabe aufgenommen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
StellaChiara
1.9.2024, 11:58:14
Das habe ich auch so gelesen. Müsste in dem
Freiwilligkeitsvorbehalt, so wie er in der Aufgabe steht, nicht explizit stehen, dass
Individualabredenbzgl des Weihnachtsgeldes hiervon ausgenommen sind, damit er wirksam ist?
Matschegenga
4.3.2024, 08:55:18
So, jetzt bin ich verwirrt: In den vorigen Lektionen hatte ich euch so verstanden, dass die Zusatzleistung eines Arbeitgebers NUR DANN zu einer Änderung des Arbeitsvertrags nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung führt, wenn die Leistung angesichts ihrer Regelmäßigkeit aus Sicht des Arbeitnehmers auf einen
konkludentgeäußerten
Rechtsbindungswillen des Arbeitgebers schließen lässt (Vertragstheorie), bzw. ein schützwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers begründet (Vertrauenstheorie). Die Lösung zum vorliegenden Fall wirft bei mir folgende Fragen auf: Frage 1:
Was ist die Rechtsnaturder Zusatzleistung, wenn KEINE betriebliche Übung begründet wird? Eine Schenkung? Eine
Gefälligkeit? Jedenfalls aber doch kein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrages? Frage 2: Die AGB-Kontrolle setzt voraus, dass der Arbeitgeber überhaupt einen Vertragsschluss anbietet, zu dem er Bedingungen stellt. Somit ist VOR der Prüfung von §§ 307ff. BGB zu fragen, ob der Arbeitgeber
konkludentein Angebot auf Vertragsänderung gemacht hat. Das könnte sich hier aus den Grundsätzen der betrieblichen Übung ergeben. U hat hier aber mit dem „
Freiwilligkeitsvorbehalt“ klar und ausdrücklich und im Rahmen seiner Privatautonomie einen
Rechtsbindungswillen ausgeschlossen. Gem.
§§ 133, 157 BGBauf ein Angebot zu schließen, verbietet sich daher. Auch wird angesichts des Ausschlusses kein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründet. Demnach kommt es erst garnicht zur AGB-Kontrolle. Zu einem anderen Ergebnis käme man nur, wenn man jede Zusatzleistung als Vertragsangebot sähe.
Moltisanti
13.5.2024, 21:38:51
Ich habe es so verstanden dass zwar ein Änderungsvertrag vorgeschlagen wurde samt rechstbindungswillen an den sich der AG auch halten möchte dieser aber im hiesigen Fall unter einem wirksamen Vorbehalt verweilt
Moltisanti
13.5.2024, 21:44:33
Ach nee! vergesst meinen Kommentar wieder, ich möchte mich enthalten und warte auf eine Antwort der Moderatoren und schaue in der Zwischenzeit in Kommentaren nach!
Paul
4.7.2024, 11:48:19
Hallo Matschegenga. Ich würde hier auf die in dem vorherigen Kapital angesprochene Gesamtzusage rekurrieren. In einer solche wird eine zusätzliche Leistung in allgemeiner an alle Arbeitnehmer gewährt. Im Weiteren wird auch hier herrschend die Vertragstheorie vertreten, sodass es zu einer Ergänzung des Arbeitsvertrags kommt. Das „Mehr“ bei einer betrieblichen Übung ist mE, dass eine solche auch Ansprüche für die Zukunft begründen kann, ohne dass eine erneute Zusage erfolgen muss. Fehlt es an einer Übung, so müsste für jedes Jahr das Geld neu gewährt werden. In Bezug auf die dogmatischen Bedenken muss mE der Bezugspunkt für den
Freiwilligkeitsvorbehaltgenau bestimmt werden. Dieser bezieht sich insoweit nicht auf einen fehlenden
Rechtsbindungswillen für dieses Angebot, sondern lediglich auf das Fehlen eines solchen Willens für eine zukünftige Bindung. Somit soll das Entstehen einer betrieblichen Übung durch
konkludentes Verhalten verhindert werden. Aus dem Fall ergeben sich weiterführend mMn keine Anhaltspunkte einen Rechtsbindunswillen zu verneinen. Insbesondere soll der Anspruch auf das einmalige Weihnachtsgeld nach dem Willen des Arbeitgebers gerade gewährt werden. Sollte man dies verneinen, so müsste man iE zu einer
Gefälligkeitgelangen, was mE weder den Parteiinteressen noch dem Umfang und wirtschaftlichen Relevanz gerecht wird. Auch würde dies im Widerspruch zu der sonstigen Dogmatik zu der Gesamtzusage und betrieblichen Übung stehen. Schließlich ist somit auch die AGB Kontrolle eröffnet. Ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen.
StellaChiara
1.9.2024, 11:54:19
Hallo zusammen! Ich bin etwas verwirrt, was den
Freiwilligkeitsvorbehaltangeht und habe dazu ein paar Fragen.... 1. Wenn er alleine im Arbeitsvertrag als AGB aufgeführt ist, verstehe ich das Ganze noch. Ich habe gelesen, dass wenn der Vorbehalt zusätzlich im Überweisungsträger oä bei jeder Zahlung erklärt wird, insgesamt gar keine AGB Prüfung mehr gemacht wird, auch nicht bzgl der Klausel im Arbeitsvertrag. Ist das so, und wenn ja wieso nicht? Ich habe in einem anderen Praxishinweis gelesen, dass zusätzlich zum
Freiwilligkeitsvorbehaltimmer nochmal ein Begleitschreiben oä beigefügt werden soll zur Zahlung, dass das Ganze freiwillig geschieht. Als was sind diese Hinweise zu qualifizieren und muss dann wirklich keine AGB Prüfung mehr durchgeführt werden? 2. Stimmt es, dass in einem
Freiwilligkeitsvorbehalt, damit er wirksam ist, ausdrücklich erwähnt werden muss, dass Sonderzuwendungen aus
Individualabredenvom Vorbehalt ausgenommen sind? 3. Wenn ich im Sachverhalt einen unwirksamen
Freiwilligkeitsvorbehalthabe und danach noch eine
einfache Schriftformklausel, dann muss ich die
Schriftformklauseldoch gar nicht mehr prüfen, weil diese die betriebliche Übung eh nicht vernichten kann, oder? Bei einem wirksamen
Freiwilligkeitsvorbehaltist die Prüfung einer anschließenden
Schriftformklauseleh irrelevant, oder? Und die
doppelte Schriftformklauselverhindert die betriebliche Übung auch, wenn der
Freiwilligkeitsvorbehaltim AV unwirksam ist? Vielen Dank!