+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K und Maklerin M schließen einen Maklervertrag. Ein Jahr später vereinbaren sie eine von M regelmäßig verwendete „Reservierungsvereinbarung“. M verpflichtet sich darin, für K ein Haus einen Monat zu reservieren. Hierfür soll K €4.000 zahlen, die M erfolgsunabhängig erhält. Bei Zustandekommen des Kaufvertrags soll das Geld auf Ms Provision angerechnet werden. Als Ks Finanzierung scheitert, nimmt er vom Kauf Abstand und verlangt das gezahlte Geld zurück.

Einordnung des Falls

Reservierungsgebühren bei Maklerverträgen

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Niedersachsen 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte gegen M einen Anspruch auf Rückzahlung der zur Reservierung gezahlten €4.000 aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB haben.

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Ja, in der Tat!

Für einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB müsste M (1) etwas erlangt haben, (2) dies müsste durch Leistung und (3) ohne Rechtsgrund geschehen sein.

2. M hat durch Zahlung des K die Reservierungsgebühr erlangt.

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Ja!

Etwas Erlangtes im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Je nachdem, ob K die €4.000 überwiesen oder bar gezahlt hat, hat M entweder einen Gutschrift auf ihrem Konto (§ 675t Abs. 1 S. 1 BGB) erlangt oder Eigentum und Besitz an den Geldscheinen. Dies geschah auch durch Leistung, da K bewusst zum Zwecke der Erfüllung der vermeintlichen Verbindlichkeit aus dem Reservierungsvereinbarung gehandelt hat.

3. Die Pflicht zur Zahlung einer Reservierungsgebühr an den Makler ist im BGB gesetzlich normiert und bildet daher den Rechtsgrund im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (§§ 652ff. BGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die Pflicht zur Zahlung einer Reservierungsgebühr ergibt sich nicht bereits aus dem Maklervertrag (§§ 652ff. BGB). Dieser ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, zwischen einem Makler und seinem Kunden, der sich verpflichtet dem Makler im Erfolgsfall für seine Leistung eine Vergütung (Provision) zu zahlen. Die Maklerleistung besteht dabei in einem Nachweis oder in der Vermittlung eines Vertragsabschlusses. Es besteht ohne weitere Vereinbarung im Einzelfall weder eine Pflicht des Maklers zur Reservierung noch eine Pflicht des Kunden zur Zahlung einer Reservierungsgebühr.

4. Handelt es sich bei der Reservierungsvereinbarung um AGB (§ 305 Abs. 1 BGB)?

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Ja, in der Tat!

AGB sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Geschäftspartei (Verwender) der anderen bei Vertragsabschluss stellt, § 305 Abs. 1 BGB. BGH: Die Reservierungsvereinbarung sei für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert worden und die K habe keinen Einfluss auf die Gestaltung der Vereinbarung nehmen können. Es handele sich daher um AGB. Diese wurden auch von M gestrellt (vgl. § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB) und wirksam einbezogen (§ 305 Abs. 2 BGB).

5. Wenn es sich bei dem Reservierungsvertrag um eine selbstständige Regelung handelt, ist die Reservierungsgebühr als Hauptleistungspflicht der Inhaltskontrolle entzogen (§ 307 Abs. 3 BGB).

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Ja!

Nicht jede Klausel ist einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307ff. BGB zugänglich (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB). Es entspricht - ohne dass sich dies dem § 307 Abs. 3 BGB unmittelbar entnehmen ließe - ständiger Rspr., dass nur jene Klauseln kontrollfähig sind, die die Bedingungen der Leistungserbringung regeln, nicht aber solche, die bloß die zu erbringende Leistung selbst beschreiben. Eine Inhaltskontrolle findet daher nicht bei Bestimmungen statt, die Art und Umfang von Leistung und Gegenleistung unmittelbar regeln. Kontrollierbar sind hingegen Abreden, die die Leistungspflicht der Parteien einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren.

6. Weil die Reservierungsvereinbarung erst mehr als ein Jahr nach dem Maklervertrag geschlossen wurde, ist sie keine Nebenabrede zu diesem, sondern stellt einen eigenständigen Vertrag dar.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nebenabreden sind diejenigen Vereinbarungen in einem Vertrag, die sich nicht auf die wesentlichen (Haupt-)inhalte des Geschäfts beziehen. BGH: Die Maklerleistung stelle die Hauptleistung der M dar und mit dieser stehe die Reservierungsvereinbarung in einem unmittelbaren Zusammenhang, sodass es sich um eine maklerrechtliche Zusatzleistung handele (RdNr. 15ff.). Durch Zahlung der Reservierungsgebühr solle die Verpflichtung des Maklers, die Immobilie vorzuhalten, honoriert werden. Eine solche Vereinbarung sei ohne den Maklervertrag sinnlos. Ferner ergebe sich dies daraus, dass die Gebühr im Erfolgsfall auf die Provision angerechnet werde. Dass die Reservierung deutlich nach dem Maklervertrag und räumlich getrennt in einem gesonderten Dokument vereinbart wurde, sei dagegen irrelevant. Würde man auf diese formalen Kriterien abstellen, könnten sich Makler allein durch die Wahl der Vertragsgestaltung einer AGB-Kontrolle entziehen (RdNr. 17).

7. In Betracht kommt eine Unwirksamkeit der Reservierungsvereinbarung nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

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Ja, in der Tat!

Nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn die Interessen der Vertragspartei gegenüber denen des Verwenders so sehr zurückgedrängt werden, dass kein vollständiger Interessenausgleich stattgefunden hat. Unangemessen ist eine Benachteiligung, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.

8. Die Reservierungsvereinbarung ist nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da sie K keine ausreichende Gegenleistung bietet.

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Ja!

Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1). BGH: Es sei ein wesentlicher Gedanke des Vertragsrecht, bei der Abwicklung von gegenseitigen Verträgen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung angemessen Rücksicht zu nehmen. Vorliegend würde durch die Vereinbarung jedoch einseitig M begünstigt. Diese wolle sich für den Fall, dass die Vermittlungsbemühungen scheitern, trotzdem eine Vergütung sichern. Dass M im Reservierungszeitraum von weiteren Vermittlungsversuchen Abstand nehme, habe aufgrund der Kürze des Reservierungszeitraums nur einen geringen Wert. K habe zudem trotz Reservierung keine Gewähr, das Objekt erwerben zu können. Denn diese Entscheidung obliege letztlich dem Hauseigentümer und nicht dem Makler (RdNr. 24).

9. Die Vereinbarung ist zudem nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da sie dem gesetzlichen Leitbild der erfolgsabhängigen Maklerprovision widerspricht.

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Genau, so ist das!

Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1). BGH: Es widerspreche dem gesetzlichen Leitbild aus dem Maklerrecht, dass eine Rückzahlung der Reservierungsgebühr ausnahmslos ausgeschlossen sei. Dies käme der Vereinbarung einer erfolgsungsabhängigen (Teil-)Provision gleich, die im Maklerrecht unzulässig sei (RdNr. 28).

10. Es besteht kein Rechtsgrund für die Zahlung des K. K kann die Rückzahlung der €4.000 aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB verlangen.

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Ja, in der Tat!

Als Rechtsfolge sieht § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die Pflicht des Anspruchsgegners zur Herausgabe des Erlangten vor. Die Reservierungsvereinbarung ist unwirksam, sodass kein Rechtsgrund für die Zahlung vorliegt. K hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Mit der Entscheidung ergänzten die Richterinnen und Richter des BGH ein Urteil aus 2010, indem ebenfalls eine vereinbarte Reservierungsgebühr für unwirksam erklärt worden ist. Klargestellt hat der BGH dabei in dieser Entscheidung, dass eine Klausel zur Reservierungsgebühr auch dann unwirksam ist, wenn sie nicht bereits im ursprünglichen Maklervertrag, sondern erst im Nachgang vereinbart wurde.

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MAR

Marlene1234

26.8.2023, 09:08:50

Ich verstehe nicht ganz, warum ein Verstoß gegen 307 I 1, II bejaht wird, wenn wir vorher festgestellt haben, dass keine Inhaltskontrolle durchgeführt werden kann.

MonteChristo

MonteChristo

26.8.2023, 10:00:57

Nach ständiger Rechtsprechung sind solche Klauseln kontrollfähig, welche die Bedingungen der Leistungserbringung regeln. Eine Inhaltskontrolle könnte demnach nicht durchgeführt werden, wenn die Reservierungsvereinbarung eine selbstständige Regelung darstellen würde, da sie dann die Leistungserbringung unmittelbar regeln würde. Hier handelt es sich jedoch um eine maklerrechtliche Zusatzleistung, die ohne Maklervertrag sinnlos wäre. Daher ist die Reservierungsvereinbarung kontrollfähig, da sie keine selbstständige Regelung darstellt, sondern die Bedingungen der Leistungserbringung regelt.

AN

Antonia99

24.10.2023, 14:46:30

Examenstreffer Niedersachsen Oktober

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.10.2023, 13:44:38

Hallo Antonia99, super - danke dir für den Tipp! Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JAL

Jan L

14.2.2024, 22:29:48

Hey, Wäre mega cool, wenn ihr die Normen noch zum Gesetzestext verlinken könntet^^

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.4.2024, 10:38:15

Hi Jan, die Normverlinkungen erfolgen bei Bundesgesetzen grundsätzlich automatisch. Wenn dies einmal nicht funktioniert, hilft in der Regel ein Neustart der Aufgabe / der App. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Selma🌻

Selma🌻

15.2.2024, 10:53:30

Danke für die tolle Aufbereitung der Fälle! Ich hätte noch ne Frage zu dem Fall: Ich hätte in der Klausur wahrscheinlich wegen dem Vorrang der Vertragsbeziehung erstmal angefangen nen Anspruch aus dem Kaufvertrag i.V.m. der Vereinbarung über die Reservierungsgebühr zu prüfen, das nach der AGB-Kontrolle abgelehnt und dann 812 bejaht. Wäre das auch richtig oder falsch?

Lavendelfee 🪽

Lavendelfee 🪽

4.3.2024, 06:58:27

Frage ich mich auch, hätte ich wohl auch so gemacht..

Charliefux

Charliefux

8.4.2024, 09:32:31

@[Selma🌻](230987) Du musst immer nur das prüfen, was in der Fallfrage verlangt wird. Ist hier nach einem Herausgabeanspruch der Reservierungsgebühr gefragt, hast du nur diese zu prüfen. Einen Kaufvertrag anzuprüfen ernscheint mangels Abschluss eines solchen wenig sinnvoll. Hier wurde lediglich ein Maklervertrag geschlossen. Diesen kannst du dann im „ohne Rechtsgrund“ des § 812 I S.1 Alt.1 prüfen. Dabei gehst du dann darauf ein, ob die Gebühr aus AGB resultiert, oder ob es sich um einen selbstständig, neben dem Maklervertrag abgeschlossenen Vertrag handelt.

Selma🌻

Selma🌻

8.4.2024, 20:08:04

Danke für die Antwort! Ich meinte natürlich wenn die Fallfrage entsprechend gestellt ist :) Den Maklervertrag meinte ich auch eigentlich, den hätte ich vorher geprüft. Aber du hast natürlich recht, so rum ist es sinnvoller/richtig!


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