Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2021
Bereicherungsrechtlicher Ausgleich bei Doppelmangel in Bezug auf verbundene Geschäfte
Bereicherungsrechtlicher Ausgleich bei Doppelmangel in Bezug auf verbundene Geschäfte
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Verbraucherin K kauft von Händler H ein Auto. H verschweigt arglistig einen früheren Unfall. Er vermittelt K zur Finanzierung ein Darlehen der B-Bank, das B anweisungsgemäß direkt an H auszahlt. Nach 6 Monaten ficht K sowohl Kauf- als auch Darlehensvertrag an und verlangt von B Rückzahlung gezahlter Raten.
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Einordnung des Falls
Bereicherungsrechtlicher Ausgleich bei Doppelmangel in Bezug auf verbundene Geschäfte
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K kann von B Rückzahlung der Tilgungsraten verlangen, wenn die Voraussetzungen der Leistungskondiktion vorliegen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. B hat von K etwas durch Leistung erlangt.
Ja!
3. Die Leistungen der K an B sind auch ohne Rechtsgrund erfolgt, da K den Darlehensvertrag erfolgreich gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten hat.
Genau, so ist das!
4. Der Kondiktionsanspruch der K gegen B erlischt aber, soweit B selbst eine Zahlungsforderung gegen K hat und damit die Aufrechnung erklärt.
Ja, in der Tat!
5. B hat eine Gegenforderung gegen K, wenn ihrerseits die Voraussetzungen eines Kondiktionsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen K vorliegen.
Ja!
6. B hat aber auf Anweisung der K nicht an K selbst, sondern an H geleistet, indem sie die Darlehensvaluta an diesen ausgezahlt hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Somit ist die Auszahlung des Darlehens als Leistung der B an K anzusehen, durch die K die Befreiung von der Kaufpreiszahlungspflicht erlangt hat.
Nein, das trifft nicht zu!
8. Da der Kaufvertrag mit Wirkung ex tunc nichtig ist, hat K, der die Auszahlung an H zuzurechnen ist, mit der Auszahlung selbst einen Kondiktionsanspruch gegenüber H erlangt.
Nein!
9. K hat somit von B nichts erlangt. Mangels Gegenanspruch kann B nicht gegen den Anspruch der K auf Rückzahlung der Tilgungsraten aufrechnen.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Der Paragraf
8.2.2022, 15:27:47
Frage 5 ist m.E. eine petitio principii: „B hat einen Anspruch wenn sie einen Anspruch hat“ Frage 6: Ob B an K geleistet hat, muss sich doch nach einem objektiven Empfänger anstelle der K - nicht: der V - beurteilen. Frage 7: Wie kann es sein, dass die Ratenzahlung als Leistung von K an B betrachtet wird, die Befreiung von der Kaufpreiszahlung aber nicht als Leistung der B an K, obwohl doch beide (!) Verträge rückwirkend nichtig sind?
Lukas_Mengestu
10.2.2022, 16:47:05
Vielen Dank für Deine Hinweise, Der Paragraf. Wir haben Frage 5 nun etwas umformuliert, um den Zirkelschluss aufzubrechen. Zu Frage 6: Maßgeblich ist in den
Anweisungsfällen
tatsächlich die Perspektive des Zuwendungsempfängers. Denn für diesen muss ja ersichtlichh sein (hier: V), dass der Angewiesene (hier: B) hier nicht auf eigene Rechnung leistet, sondern dies im Auftrag des Anweisenden erbringt (hier: K) und sich die Zuwendung somit als Zuwendung des Anweisenden darstellt. Zu Frage 7: Die unterschiedlichen Rechtsfolgen hängen damit zusammen, dass eine unmittelbare Zuwendung der B an K eigentlich nicht s
tattgefunden hat. Dass die Zahlung im Verhältnis B-C ursprünglich als Befreiung der Kaufpreiszahlung und damit als Leistung an K angesehen wurde, beruht einzig und allelin auf dem Vorliegen der wirksamen Anweisung. Fehlt es an dieser (z.B. weil sie durch Anfechtung rückwirkend vernichtet wurde), so fehlt es an dem Zurechnungsgrund. Damit liegt dann keine Leistung der B an K vor. Der Bereicherungsausgleich vollzieht sich deswegen allein zwischen B-C. Dieses Problem stellt sich bei der Ratenzahlung nicht. Vielmehr hat K die Zuwendung ja unmittelbar gegenüber B erbracht, mithin etwas geleistet. Da durch die Anfechtung der Rechtsgrund weggefallen ist, liegen hier alle Voraussetzungen des Kondiktionsanspruchs vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Der Paragraf
10.2.2022, 19:41:28
Danke! Frage 6 stellt folgende Doppelhypothese auf: Auszahlung des Darlehens = Leistung nicht an K, sondern an V. Diese Doppelhypothese kann mE nicht falsifiziert werden, ohne den objektiven
Empfängerhorizontdes V und (!) den objektiven
Empfängerhorizontdes K zu betrachten. Die Antwort geht aber nur auf V ein. Zudem suggeriert die Frage, dass sich Leistung an V und Leistung an K gegenseitig ausschließen. Stimmt das?
Bienenschwarmverfolger
10.2.2022, 23:42:09
Die Aussage „B hat nicht an V, sondern an K geleistet“ ist schon deshalb (insgesamt) nicht richtig, weil die Ausreichung der Darlehensvaluta an V hier keine Leistung der B an V ist. Sie mag durchaus eine Leistung der B an K sein; dennoch kann sie der B keinen Kondiktionsanspruch gegen K vermitteln, weil K (zumindest nach Auffassung des OLG) durch diese Leistung nichts erlangt hat (vgl. Antwort 8). Man könnte das auch anders sehen und die Auszahlung als Leistung der K an V (und der B an K) betrachten - mit der Folge, dass B die Zahlungen der K nur Zug um Zug gegen Abtretung des Kondiktionsanspruchs der K gegen V zurückgewähren müsste. Da das OLG aber K aus der Rückabwicklung heraushalten möchte und deshalb eine Leistung der K an V verneint, gibt es hinsichtlich der Auszahlung keine vorrangige Leistungskondiktion. B kann und muss deshalb direkt bei V aus Nichtleistung kondizieren. Zur zweiten Frage: Eine Leistung der B an K UND V ist dann denkbar, wenn sich B auch gegenüber V zur Auszahlung des Darlehens verpflichtet hat oder verpflichten wollte. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich. Eine Leistung an beide Parteien ist also nicht denknotwendig ausgeschlossen, liegt hier aber nicht vor.
gelöscht
4.4.2022, 18:17:41
Ich glaube einmal stimmt ein Buchstabe in den Erläuterungen nicht. Darlehensgeber ist ja B und nicht D. Dann noch eine Verständnisfrage: B hat ja angeblich Auszahlungsansprüche gegen die kontoführende Bank. Aber sie ist hier doch selbst die kontoführende Bank, wie kann sie denn dann einen Anspruch gegen sich selbst haben? Oder was verstehe ich hier falsch?
Lukas_Mengestu
8.4.2022, 12:52:54
Danke streuner, das haben wir korrigiert :-) Die B-Bank ist zwar die Bank, die K das Darlehen gewährt hat. Dies muss indes nicht zwingend die Bank sein, bei der K auch ihr Girokonto hat und von dem K sie die Tilgungsraten angewiesen hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Dennis
15.5.2022, 08:16:18
In einer Frage steht die Definition: Dritter isv 123 II ist, wer nicht im Lager des Anfechtungsgegners steht. In der Subsumtion steht dann: H steht im Lager als Dahrlehensvermittler und ist deshalb kein Dritter. Das macht keinen Sinn 🤔
Lukas_Mengestu
15.5.2022, 19:51:12
Hallo Dennis, hier müsstest Du mir kurz auf die Sprünge helfen. Laut Definition ist man nur dann Dritter, wenn man NICHT im Lager des Anfechtungsgegners steht. Aber hier steht H ja gerade im Lager des Anfechtungsgegners B. Deswegen ist er nicht Dritter iSv § 123 Abs. 2 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lolo F
6.6.2023, 10:15:37
Hallo, ich verstehe den Abs 2 des §123 BGB auch nicht. Abs 2 lautet: "(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. 2Soweit ein anderer als derjenige, welchem Gegenüber die Erklärung abzuge- ben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht er- worben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfecht- bar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste." Dritter wäre hier der Händler H. Wer müsste nun die Täuschung kennen und gekannt haben? Die Bank B? Sie kannte die Täuschung des H jedoch nicht; wie wäre ein Kennemüssen der Bank in solchen Fällen zu beurteilen? (Falls mein Gedankengang richtig ist) Die Definition des "nicht dritten" versteht ich auch nicht. Dh würde ich mich freuen, wenn mir das jmd kurz in Ruhe mit einem Beispiel erklären könnte. Vielen Dank ♡
Lukas_Mengestu
6.6.2023, 10:29:24
Hallo Lolo, sofern man H hier als Dritten qualifizieren würde, müsste in der
Tatdie Bank B von der Täuschung positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis haben. Der entscheidende Knackpunkt ist hier aber die Definition des "Dritten"! Das Anfechtungsrecht ist nämlich umso begrenzter, je weiter man den Begriff des Dritten versteht. Die neuere Rspr. und die L
ehrelegen den Begriff des „Dritten“ eng aus. Demnach kann auch jenseits von Vertretern und autorisierten Verhandlungsführern oder -gehilfen ganz allgemein von einem Dritten dann nicht gesprochen werden, wenn „dessen Verhalten dem Erklärungsempfänger wegen besonders enger Beziehungen zwischen beiden oder wegen sonstiger besonderer Umstände billigerweise zugerechnet werden muss“ (vgl. MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 123 Rn. 74 mwN). Das ist hier mit der verkürzten Wendung gemeint, dass Personen KEINE Dritte im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB sind, wenn sie „im Lager“ des Anfechtungsgegners stehen. Makler oder sonstige Vermittler stehen auf Seiten des Anfechtugnsgegners, weswegegen ihr Verhalten aufgrund der Nähe zum Anfechtungsgegner diesem unmittelbar als eigenes Verhalten zugerechnet wird, ohne dass es der zusätzlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB bedarf. Ich hoffe, es ist nun noch etwas klarer :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Im🍑nderabilie
22.2.2023, 10:19:21
Warum löst man hier über die
Aufrechnungund nicht über die
Saldotheorie? Man käme doch schlussendlich beim gleichen Ergebnis raus, oder sehe ich das falsch? :)
🔥1312🔥
13.3.2023, 07:54:21
Ich musste bei der Konstellation direkt an die §§ 358ff denken und insb. An die Wertung des § 358 IV 5. Hat sich das Gericht irgendwie auch damit auseinander gesetzt oder haben die hier gar keine Rolle gespielt?
Nora Mommsen
24.3.2023, 11:04:01
Hallo 1312, du hast absolut Recht. Das Gericht hat in dem Urteil auch angesprochen, dass es sich um einen verbundenen Vertrag i.S.d. § 358 BGB handelt. Allerdings betrifft der § 358 Abs. 4 BGB die Konstellation des Widerrufs des mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrages. Vorliegend kam es aber zur Anfechtung. Damit fehlt es an den Voraussetzung zur Anwendung des § 358 Abs. 4 BGB. Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Johannes
12.5.2024, 21:19:51
Ich verstehe nicht, weshalb das Gericht hier eine Leistung im Verhältnis K-H abgelehnt hat - nach dieser Argumen
tation könnte man ja nie an einen
arglistigtäuschenden leisten. Außerdem wäre das Ergebnis ohne diese Annahme doch genauso ausgefallen: K hätte durch die Auszahlung der B an H (nur) einen Kondiktionsanspruch gegen H erlangt, B hätte also mangels Gleichartigkeit der Ansprüche nicht gegen den Kondiktionsanspruch des K aufrechnen können, sondern sich nur von diesem seinen Konditionsanspruch gegen den H abtreten lassen können. Im Ergebnis bekäme also K ihr Geld direkt von B, und B müsste sich an H halten.
david1234
23.10.2024, 12:39:15
Wie von euch angemerkt: In meinen Augen eine reine Billigkeitsrechtsprechung. Sauberer würde ich es mit einer LK von Käufer an Händler lösen und mich dann an die Ausnahmen der „Kondiktion übers Eck“ wenden, so wie es die Rechtsprechung in anderen Fällen auch handhabt oder bei der
Aufrechnungdie Gleichartigkeit der Ansprüche verneinen. Wie findet ihr die Entscheidung ?