Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeine Grundrechtslehren

Grundfall II: Abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte

Grundfall II: Abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Familie F ist christlich-orthodoxen Glaubens. Diesen zu praktizieren, ist in Bundesland B seit dem 1. Januar des neuen Jahres per Gesetz verboten. F meint, ein solches Verbot könne nicht gelten, und praktiziert weiter. Ordnungsbehörde O verhängt eine Geldbuße. F will diese nicht auf sich sitzen lassen.

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Einordnung des Falls

Grundfall II: Abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Abwehrfunktion der Grundrechte beschränkt sich auf die Meinungsfreiheit. Hier ist die Glaubensfreiheit betroffen. Daher kommt die Abwehrfunktion nicht zum Tragen.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundrechte sind aus historischer Perspektive als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat formuliert, um sich gegen dessen Gewaltmonopol zur Wehr setzen zu können (sog. Abwehrfunktion). Diese Abwehrfunktion beschränkt sich nicht nur auf die Meinungsfreiheit. Denn die Notwendigkeit, sich gegen eingreifende staatliche Maßnahmen zu wehren, existiert auch im Hinblick auf alle anderen grundrechtlich geschützten Verhaltensweisen. Deshalb sind auch andere Grundrechte als Abwehrrechte ausgestaltet. Die Notwendigkeit, Grundrechte als Abwehrrechte auszugestalten, erschließt sich daraus, dass es bei nahezu allen Grundrechten mannigfaltige Konstellationen gibt, in denen sich Bürger gegen Eingriffe des Staates wehren wollen und deshalb ihre Grundrechte als Abwehrrechte geltend machen können (z.B. Telekommunikationsüberwachung, Art. 10 Abs. 1 GG; Durchsuchung von Wohnraum, Art. 13 Abs. 1 GG; Untersagung gewerblicher Tätigkeiten, Art. 12 Abs. 1 GG).
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2. Familie F kann sich gegen die Geldbuße auf ihre Glaubensfreiheit als klassisches Abwehrrecht berufen und vom Staat verlangen, diese nicht zu verhängen.

Ja!

Grundrechte sind aus historischer Perspektive als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat formuliert, um sich gegen dessen Gewaltmonopol zur Wehr setzen zu können (sog. Abwehrfunktion). Dieses Gewaltmonopol ermöglicht es dem Staat, im Zweifel auch gegen den Willen der Bürger Gesetze zu erlassen und diese mit Zwang durchzusetzen. Diese Macht kann jedoch nicht unbegrenzt gelten, sondern wird durch die Grundrechte als Abwehrrechte eingehegt. Sie sorgen dafür, dass die Freiheit der Bürger vor ungerechtfertigten bzw. willkürlichen Eingriffen des Staats gesichert ist und fordern vom Staat ein Unterlassen. Familie F kann sich gegen die verhängte Geldbuße auf ihre Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) als klassisches Abwehrrecht berufen und vom Staat ein Unterlassen fordern, diese als Konsequenz ihrer grundrechtlich geschützten Glaubensausübung zu verhängen.

3. Abwehrrechte schützen die Freiheit des Einzelnen vor jedem staatlichen Eingriff als absolut geltende Rechte.

Nein, das ist nicht der Fall!

Abwehrrechte sorgen dafür, dass die Freiheit der Bürger vor Eingriffen des Staats gesichert ist und er diese unterlässt. Dieser Schutz gilt jedoch nicht absolut. Vielmehr kann ein staatlicher Eingriff in ein Grundrecht des Bürgers durch die Abwägung mit anderen legitimen Zielen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Eine solche Rechtfertigung ist dann möglich, wenn das Grundrecht einschränkbar ist und den konkreten Eingriff erlaubt. Zu Rechtfertigung von staatlichen Eingriffen in Grundrechte später mehr!

4. Abwehrrechte verleihen dem Einzelnen individuell durchsetzbare Rechtspositionen gegen den Staat.

Ja, in der Tat!

Abwehrrechte sorgen dafür, dass die Freiheit der Bürger vor ungerechtfertigten und willkürlichen Eingriffen des Staates gesichert ist und er diese unterlässt. Diese Freiheit muss für den Einzelnen als subjektiv-öffentliches Recht durchsetzbar sein – andernfalls würde der abwehrrechtliche Grundrechtsschutz zum bloßen Programmsatz degradiert werden. Der Einzelne kann sich also gegenüber dem Staat nicht bloß auf seine Abwehrrechte berufen, sondern diese auch mit Hilfe der entsprechenden Rechtsbehelfe durchsetzen (z.B. einer Klage vor einem Verwaltungsgericht). Die individuelle Durchsetzbarkeit von Abwehrrechten vor unabhängigen Gerichten ging historisch nicht immer einher mit der Gewährung von Abwehrrechten. So wurden nach dem Wiener Kongress dem Volk zwar Abwehrrechte zugesprochen, gleichzeitig jedoch keine individuellen Klagemöglichkeiten geschaffen. Eine solche Lösung war indes wenig effektiv, weshalb Abwehrrechte heute individuell durchsetzbar sind.
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