Strafrecht

BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.

Nötigung, § 240 StGB

Versperren des Arbeitswegs – rechtmäßiger Streik?

Versperren des Arbeitswegs – rechtmäßiger Streik?

11. Juli 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und andere Arbeiter wollen ihre bedrohten Arbeitsplätze erhalten. Auf dem gewerkschaftlich organisierten Streik versperren sie deshalb die Zufahrt für Autos zum Firmensitz. Sie verhindern so gezielt, dass die nicht streikenden Kollegen ihren Arbeitsplatz aufsuchen können.

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Einordnung des Falls

Versperren des Arbeitswegs – rechtmäßiger Streik?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn sich das Blockieren im Rahmen des rechtmäßigen Arbeitskampfes bewegt, kann es nicht verwerflich sein (§ 240 Abs. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Die Normen des Strafrechts sind unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen. Macht eine Person in zulässiger Weise von ihren Grundrechten Gebrauch, ist das in der Prüfung der Verwerflickeit unbedingt zu berücksichtigen!Voraussetzungen dafür, dass eine Arbeitskampfmaßnahme als rechtmäßig und von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt gewertet wird, sind: (1)Legitimes Ziel: Erreichung eines tariflich regelbaren Gegenstands (2) Organisation durch eine Gewerkschaft (3) Kein Verstoß gegen die Friedenspflicht (4) Verhältnismäßigkeit Der Schwerpunkt der Argumentation liegt oftmals bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit.
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2. In dem Blockieren des Firmeneingangs könnte nach Ansicht der Rspr. Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB liegen (sog. „Zweite–Reihe–Rechtsprechung“).

Genau, so ist das!

Nach dem klassischen Gewaltbegriff liegt Gewalt vor, wenn der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.Die Rspr. hat die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal „Gewalt” im Laufe der Jahre deutlich abgesenkt.T hat sich in die Zufahrt zum Firmengelände gestellt und so körperliche Kraft entfaltet. Dem ersten vor ihm haltenden Autofahrer wäre es rein physisch möglich gewesen, T zu überfahren. Es kam damit zu einer rein psychischen Zwangswirkung, die nach Rspr. des BVerfG nicht ausreicht, um Gewalt bejahen zu können. Für die Autofahrer ab der zweiten Reihe bestand jedoch ein unüberwindbares Hindernis in Form des ersten Autos. Auf sie wurde nach Ansicht der Rspr. damit physischer Zwang ausgeübt. T hat somit Gewalt angewandt.Bei Blockadefällen punktest Du in der Regel, wenn du die „Zweite-Reihe-Rspr.” darstellst.

3. Ist das Verhindern der Arbeit von arbeitswilligen Kollegen vom Streikrecht gedeckt, wenn diese Maßnahme unverhältnismäßig ist?

Nein!

Der Streik ist von einer Gewerkschaft organisiert und adressiert auch ein tariflich regelbares Ziel. Zudem gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Friedenspflicht nicht eingehalten wurde. Allerdings könnte die Maßnahme unverhältnismäßig sein. T und seine Mitstreikenden blockieren arbeitswillige Kollegen. Sie involvieren damit Dritte in den Arbeitskampf. Zudem schaden sie ihrem Arbeitgeber über die bloße Nichterbringung ihrer Arbeit hinaus. Das spricht dafür, dass die Arbeitskampfmaßnahme unverhältnismäßig ist.Zulässig und vom Streikrecht gedeckt ist es aber, die Streikposten in der Nähe der Arbeitsstätte aufzubauen und zu versuchen, die arbeitswilligen Kollegen zu überzeugen, ebenfalls die Arbeit niederzulegen.

4. Aus der Arbeitsrechtswidrigkeit der Maßnahme folgt immer die Verwerflickeit der Tat (§ 240 Abs. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Arbeitskampfrecht unterliegt ständigen Wandlungen und wird durch Richterrecht fortentwickelt. Deswegen lassen sich die Grenzen des legitimen Arbeitskampfes im Einzelfall schwer ermitteln. Aus der Arbeitsrechtswidrigkeit einer Maßnahme folgt deswegen nach h.M. nicht einfach so die Verwerflichkeit der Nötigung. Du musst also weitere Argumente heranziehen.T und seine Kollegen behindern arbeitswillige Kollegen. Sie fügen damit ihrem Arbeitgeber einen Schaden zu, der über die bloße Arbeitsniederlegung hinaus geht. Zudem droht den Kollegen der Lohnausfall für die Zeit, in der sie nicht arbeiten gehen (arbeitsrechtlicher Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn). Das spricht für die Verwerflichkeit der Tat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

25.1.2022, 16:57:57

Es wäre toll, wenn ihr hier noch eventuelle Gegenansichten darstellen könntet.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 13:02:45

Hallo Jose, an dieser Stelle gibt es keinen klassischen Meinungsstreit. Ein rechtmäßiger, gewerkschaftlicher Streik ist grundsätzlich legal und stellt insofern keine Nötigung iSv § 240 Abs. 1 StGB dar. Er ist durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich legitimiert. Einzelne Maßnahmen der Streikenden kann aber durchaus

rechtswidrig

sein. Streikmaßnahmen müssen u.a. dem Gebot der fairen Kampfführung entsprechen. Hiergegen wird verstoßen, wenn Arbeitswillige von der Arbeit abgehalten werden. Diese Maßnahme kann insoweit dann auch eine strafbare Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB StGB darstellen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team

Kind als Schaden

Kind als Schaden

30.12.2023, 23:04:12

Es wird innerhalb der Subsumption doch überhaupt nicht subsumiert. Hier wird bloß festgestellt, dass das Verhindern der Arbeit anderer Arbeitnehmer

verwerflich

sei. Das begründet aber ja überhaupt nichts. Auf konkrete Gesichtspunkte zur Verhältnismäßigkeit, Grenzen des Arbeitskampfes usw. wird nicht eingegangen, oder übersehe ich da etwas?

Linne Hempel

Linne Hempel

10.7.2025, 17:25:56

Hallo @‌Kind als Schaden, danke für deine Kritik. Bisher war dieser Fall tatsächlich sehr knapp gehalten und oberflächlich subsumiert. Im Zuge einer umfassenderen Überarbeitung der Einheiten zur Nötigung haben wir die Aufgabe jetzt angepasst und die Subsumtion ausführlicher gestaltet. Wir gehen jetzt insbesondere darauf ein, dass Arbeitskampf nach Art. 9 Abs. 3 GG zwar zulässig, und damit nicht

verwerflich

ist, aber auch Grenzen hat. Diese wurden richterrechtlich durch das BAG aufgestellt, präzisiert und fortentwickelt. Hindern die Streikenden die nicht streikenden Kollegen durch Gewalt an der Arbeit, ziehen sie gleichsam Unbeteiligte in den Arbeitskampf „mit rein“. Dadurch wird die Grenze des zulässigen Arbeitskampfes überschritten. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

PAT

Patrick4219

1.8.2024, 17:55:32

Hallo Zusammen, ich finde die Aufgaben im Zusammenhang mit der 2.-Reihe-Rechtsprechung teilweise sehr undurchsichtig, da häufig eine klare kleinschrittige Subsumtion fehlt. Hier verstehe ich nicht, wieso plötzlich eine Gewaltanwendung vorliegt wenn 50 Leute auf der Straße sitzen, wenn aber nur eine Person dort sitzt nicht. Ein Autofahrer kann auch über 50 Menschen fahren wenn er es wirklich will. Die Autos machen das schon mit. Insofern liegt m.M.n. nur psychicher Zwang vor und eben keine Gewalt oder übersehe ich hier etwas?

Jakob G.

Jakob G.

12.4.2025, 20:13:01

Das ist durchaus zutreffend, jedoch lese ich den Sachverhalt nicht so, dass die Streikbrecher*innen mit dem Auto "bis zur Drehtür" fahren, sondern auf dem Fußweg aufgehalten werden. In diesem Fall erscheint es mir logisch, Gewalt zu bejahen und folglich in eine umfassende

Verwerflich

keitsprüfung einzutreten.

Flow

Flow

16.5.2025, 12:16:58

Außerdem liegt hier ja ein ,,gleicher Widerstand" vor. Mensch vs. Mensch. Die Barriere ist nicht so leicht zu durchbrechen wie im Auto-Fall. Das Auto kann theoretisch den Mensch ohne Weiteres niedermähen, der Fahrer tut dies aber aufgrund des allein psychisch wirkenden Zwangs nicht (merke: allein psychisch vermittelter Zwang, siehe nicht anwendbarer vergeistigter

Gewaltbegriff

, ist nicht ausreichend). ABER hier steht es Mensch gegen Mensch, womöglich einzeln ankommende MAs gegen ,,eine Wand" an Blockierern. Ein Durchkommen wäre nur durch eigene Gewaltanwendung möglich. Hilft das?


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